Problem von Jessi - 24 Jahre

Überfordert mit dem Thema Liebe/Beziehungen

Liebes Kummerkasten-Team,
ich weiß nicht, ob mein Anliegen wirklich ein Problem ist, da es mein Leben nicht wirklich beeinträchtigt und es sicher genug Menschen mit sehr viel schlimmeren Sorgen gibt. Ich kann es daher vollkommen verstehen, wenn ihr keine Zeit habt oder es nicht als eure Aufgabe seht, auf meine Zuschrift zu antworten. Dennoch würde ich mich sehr freuen, mich jemandem anvertrauen zu können und vielleicht auf ein offenes Ohr zu stoßen.
Das Problem ist, ich bin 24 und hatte noch nie einen Freund oder irgendeine Liebesbeziehung zu einer Person, noch nie jemanden geküsst usw. Was aber das Komische daran ist: Abgesehen vom gesellschaftlichen Druck (man will nicht die einzige ohne Freund sein) und zur Aufwertung des Selbstwertgefühls (dass sich auch mal jemand für mich interessiert) möchte ich das eigentlich auch überhaupt nicht! Ich glaube, dadurch dass ich an einer Mädchenschule war und auch in meiner Freizeit fast immer nur mit Mädchen zusammen war, bin ich den Umgang mit Jungs einfach nicht gewohnt und bin immer etwas angespannt, wenn ich mit einem Jungen unterhalte. Und sobald ich das Gefühl habe, er flirtet oder könnte an mir interessiert sein, blocke ich ziemlich ab und versuche, ihn so schnell wieder loszuwerden. Vor ein paar Monaten hab ich einen Jungen kennengelernt, mit dem ich mich super verstanden und gerne unterhalten habe. Da dachte ich zunächst, der wäre vielleicht was für mich. Als er aber mal auf das Thema Beziehungen zu sprechen kam, hatte ich dann Angst, er würde was von mir wollen, und habe mich zurückgezogen. Seit er eine Freundin hat, kann ich mich wieder viel lockerer mit ihm unterhalten und mache das wieder gerne. Ich habe einfach das Gefühl, dass ein fester Freund nicht in mein Leben passt, weil ich einerseits viel mit meinen Schwestern zusammen mache und das dann „stören“ könnte und ich zum anderen auch viel Zeit für mich selbst brauche, ohne dass ich mich ständig bei jemandem melden muss. Zum anderen habe ich auch Angst vor sexuellem Kontakt. Ich sehe eigentlich keinen Sinn darin und finde den Gedanken an alles Sexuelle ziemlich abstoßend.
Jetzt zum anderen Teil des Problems: In den letzten beiden Jahren ist es mir zwei Mal passiert, dass ich Gefühle für deutlich ältere Frauen hatte, die ich nur sehr schwer deuten kann. Das erste Mal war im Urlaub 2017 in eine Animateurin im Urlaub, um die 50 Jahre alt. Mir ging es zu dem Zeitpunkt ziemlich schlecht, ich war niedergeschlagen und antriebslos. Ihre Tanzstunden haben die Lebensfreude wieder zu mir zurückgebracht. Ich fand sie so toll, ihre Energie, ihre Ausstrahlung, wie freundlich sie zu allen war und wie sie getanzt hat. Immer wenn ich sie gesehen habe, musste ich anfangen, zu strahlen. Nach dem Urlaub habe ich sie auf Facebook gefunden, mir tagelang ihre Bilder angeschaut und ihr dann eine Nachricht geschrieben, in der ich mich bedankt habe. Sie hat sehr lieb geantwortet, ich hab es mir seitdem tausendmal durchgelesen. Ich habe oft ihren Namen auf ein Blatt Papier geschrieben mit einem Herzchen dazu und an sie gedacht, wenn ich Liebeslieder gehört habe. Ich denke auch, ich habe sie in meinem Kopf sehr idealisiert, denn im Grunde kannte ich sie ja sehr wenig. Als sie mich in diesem Jahr angeschrieben hat, dass sie zwar nicht mehr an dem Ort arbeitet, aber wir uns trotzdem treffen können, ist mir vor Freude und Aufregung fast das Herz stehen geblieben. Es ist tatsächlich zu dem Treffen gekommen und ich war super nervös, aber sie war sehr lieb und wir haben uns gut unterhalten.
Ein paar Wochen später, im August 2018, habe ich ein halbjähriges Auslandspraktikum an einer Schule in den USA begonnen und da trat eine andere Frau in mein Leben, nämlich meine Betreuungslehrerin, 35 Jahre alt, in deren Klasse ich das Praktikum absolviert habe. Schon der erste Anblick hat mich total umgehauen. Sie hat zwar bei weitem keine Modelmaße, aber so viel Stil. Ich weiß dass ich nicht die einzige bin, die so denkt, viele junge Lehrer an der Schule sehen sie als Vorbild. Sie ist selbstbewusst, engagiert, liebevoll zu den Kindern und eine super Lehrerin. Ich saß immer in ihrem Unterricht und habe sie einfach bewundert, aber mehr als das, sie hat mich nervös gemacht. Wenn ich zum Beispiel eine Nachricht von ihr bekommen habe, war ich oft so aufgeregt, dass ich sie gar nicht gleich lesen konnte. Ich mochte es auch, wenn sie mich umarmt hat. Jetzt bin ich wieder zu Hause und sie hat eine neue Praktikantin, auf die ich schrecklich eifersüchtig bin, auch wenn mein Verstand sagt, ich möchte ihr das gönnen.
Diese beiden Erlebnisse werfen bei mir natürlich die Frage auf, ob ich lesbisch bin. Klare Hinweise sind es meiner Meinung nach nicht, denn ich stand nie auf der gleichen Stufe wie diese Frauen, sondern habe es sogar genossen, eine Stufe unter ihnen zu stehen. Ich könnte mir auch absolut keine Beziehung mit ihnen vorstellen, sondern hatte gerne ihre Zuneigung und dass sie sich quasi „um mich kümmern“ (was evtl. damit zusammenhängen könnte, dass ich vor gut zwei Jahren Depressionen hatte und mich damit sehr alleine gelassen gefühlt habe).
Von dem her was ich recherchiert habe, würde das in die Kategorie des „Girl Crush“ passen, der ja erklärt, warum sich viele kleine Mädchen in Lehrerinnen o.Ä. verlieben, aber bin ich dafür mit meinen 24 Jahren nicht langsam etwas zu alt? Was ist nur los, bin ich vielleicht sogar asexuell? Ich denke mir nämlich weder bei Mädchen noch bei Jungen wirklich „Oh, die/der sieht aber heiß aus“ und möchte wie gesagt keinen Sex haben.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ihr mir da weiterhelfen sollt, aber vielleicht kann mir jemand helfen, meine Gedanken ein wenig zu ordnen? I would highly appreciate that!
Liebe Grüße und schon mal vielen Dank, Jessi

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Jessi,

ich habe die letzten Tage über deine Erzählung nachgedacht. Ich werde einfach mal damit beginnen, was mir so durch den Kopf gegangen ist.

Du hast als Überschrift "Überfordert mit Liebe / Beziehungen" gewählt. Diese Wahl finde ich interessant. Denn wenn man deinen Text so liest, hat man eigentlich den Eindruck, dass du auf alles, was dir so an Fragen begegnet ist, eine mögliche Antwort bereit hältst - zumindest hast du verschiedene schlüssige Erklärungen überdacht. Ich denke daher, dass du von der Beschreibung deiner Situation als "Überforderung" absehen solltest, denn dieses Wort erweckt den Eindruck, dass das Problem bei dir liege, dass dir eine Fähigkeit fehlen würde, die du haben solltest. Das ist meiner Meinung nach aber nicht der Fall. Du gehst vielmehr sehr souverän mit deinen Fragen um, und ich glaube, du wirst auch eine für dich zufrieden stellende Antwort finden. Dass das noch nicht gleich geschehen kann, ist klar. Und du solltest dir auch Zeit geben, alles auf dich wirken zu lassen. Doch sehe ich dich auf einem guten Weg: Was du berichtest, zeugt von großer Sorgfalt und Selbstreflexion bei dir.

Das Thema "Asexualität" ist ja sehr aktuell. Ich denke, dass das Ganze ein zweischneidiges Schwert ist: Einerseits ist es zu begrüßen, dass Menschen, die sich durch die Allgegenwart von Sex und Begierde nicht angesprochen fühlen, nun für sich selbst eintreten und sich durch einen Namen, den ihre Lebenswirklichkeit bekommt, verbinden und aussprechen können. Doch andererseits bedeutet die Kategorie "Asexualität" eben auch wieder eine Schublade, und entfernt uns weiter von der Gesellschaft, in der jeder Mensch in erster Linie als Individuum wahrgenommen wird. Nicht über sein Aussehen, seine Einstellung, und auch nicht über seine sexuellen Vorlieben oder Ablieben. Die Gruppe der Menschen, die sich als asexuell definieren, zerfällt ihrerseits ja wieder in mehrere Untergruppen, und das allein zeigt schon, dass letztlich kein Mensch genauso ist wie ein anderer. Wenn dir diese Zuschreibung für dich selbst zusagt und du dich darin wiederfindest, dann ist das wohl die richtige Wahl - und zugleich auch die Antwort auf deine Frage. Da du aber - so wie ich dich verstehe - eben nicht spontan sagen kannst, "ja, das war es, was mir gefehlt hat, das bin ICH", sondern dir unsicher bist, ob du dich da hineinzählen kannst, können wir hier keine Aussage treffen. Du selbst gehst deinen Weg, und wenn er dich dahin führt, dass du die Identität "asexuell" für dich erschließt und dich darin wiederfindest, dann soll es so sein. Solange du dir aber nicht sicher bist, rate ich zur Vorsicht, dich vorschnell mit einem Begriff zu stempeln, in eine Schublade zu stecken, aus der du nur schwer wieder herausfindest. Denn die Gesellschaft verlangt Schubladen - und manchmal muss man sich dagegen wehren, absortiert zu werden.

Die ganzen Konventionen, die Erwartungen der Gesellschaft, hast du ja schon reflektiert. Ich würde sagen: Vielleicht besteht der Denkfehler, den wir alle machen, einfach darin, dass wir die Sexualität als ständiges Bedürfnis einfach voraussetzen. Genauso wie das nach einer Beziehung. Du bist eine junge Frau im Zenit der Schöpfung, und jeder, der dich trifft, wird als eine der ersten Fragen an dich richten, ob du vergeben bist... und wenn diese Frage beantwortet ist, ergeben sich daraus die nächsten... willst du Kinder... wann... wie viele... wie kommst du mit deinem Freund im Bett zurecht... fühlst du dich sexuell ausgelastet... willst du dich wirklich schon binden... nicht noch mehr ausprobieren... mal was Anderes... und alles das eben. Wir kennen das. Wir sind nicht gewohnt (denn wir leben nun mal in einer zutiefst sexualisierten Zeit und Gesellschaft), zu denken, dass nicht jeder Mensch das logisch und einleuchtend findet. Vielleicht willst du einfach gerade keinen Partner, vielleicht ist es einfach so, dass es gerade Wichtigeres in deinem Leben gibt als Beziehung und Sex, und hey - was sollte daran schlecht sein? Du musst dich nicht dafür rechtfertigen, dass du keinen Mann willst, auch wenn es von dir erwartet wird. Du hast ein Recht darauf, dir das offen zu lassen - zu warten, bis dieses Thema dich von selbst einholt. Entweder, weil dir der oder die richtige begegnet, oder weil du spontan doch einmal Lust bekommst. Und falls nicht: Dann ist es so! Hab den Mut, nicht immer gleich alles kategorisieren und erklären zu wollen, sondern es einfach hinzunehmen, wenn es sich für dich gut anfühlt. Solange bei etwas kein Leidensdruck vorhanden ist, ist es als grundsätzlich gut anzusehen. Und so wie du es erzählt hast, hast du gerade schlicht andere Prioritäten, hast wenig Lust auf den Stress und die Konflikte, die mit einer Beziehung verbunden sind (Liebe ist nichts für Feiglinge!). Das ist nachvollziehbar. Es ist nur so, dass wir nicht gewohnt sind, unsere eigenen Bedürfnisse als richtig wahrzunehmen, sondern oftmals nach welchen suchen, dir wir vermeintlich haben sollten, weil die Konvention das sagt. Verwahre dich dagegen! Du hast ein Recht auf offene Fragen, solange du mit ihnen leben kannst.

Die Frage, ob du Männer oder Frauen präferierst, ist entsprechend schwierig einzugrenzen. Ich würde spontan sagen, dass man deine Gefühle zu den beiden älteren Frauen, von denen du erzählt hast, nicht unbedingt als Liebe bezeichnen kann. Sicherlich ist Liebe ein Teil davon - Liebe im Sinne von Verehrung, Hingabe und dem Bedürfnis, ihnen nahe zu sein, ein Vertrauensverhältnis zu ihnen zu haben. Es ist ziemlich eindeutig, dass du auf diese Frauen eifersüchtig reagierst, also den Wunsch hast, etwas Besonderes für sie zu sein. Das kann deshalb der Fall sein, weil du ihren Lebensstil bewunderst und das Gefühl haben willst, dass sie in dir eine "Nachfolgerin" sehen; zum Teil erweckt es den Eindruck, als würdest du sie als eine Art Mütter oder große Schwestern betrachten, zu denen du aufschaust und von denen du dir Rat und Schutz erhoffst. Und schließlich ist da noch, dass sie einfach etwas verkörpern, was du selbst gerne wärst, auf einer ganz persönlichen Ebene: Selbstsicherheit, Lebenslust, Offenheit, zwei Frauen einfach, die emanzipiert sind, wissen, was sie wollen, und ihre Träume leben. Und ich bin sicher: Das wird nicht nur Frauen, sondern auch Männern so gehen, die die beiden treffen, unabhängig davon, ob sexuelle Anziehung im Raum steht oder nicht.

Wenn du dich zu alt für diese Art von Gefühlen siehst, muss ich dir erwidern: Menschen jeden Alters haben kein Problem, Michael Jackson, Buddha oder Jane Goodall zu Vorbildern zu erheben - warum sollte es also ein Problem sein, wenn du diesen beiden außergewöhnlichen Frauen Verehrung entgegen bringst und ihnen nacheiferst, möglicherweise sogar eine physische Anziehung fühlst? All das ist nicht per se schlecht und kann dich nur voranbringen, wenn es dir dadurch gelingt, Ziele zu formulieren und Energie freizusetzen. Problematisch wird es dann, wenn für dich ein Leidensdruck entsteht, wenn du sie also schmerzhaft vermisst, an nichts Anderes mehr denken kannst oder gar beunruhigende Fantasien gegen diejenigen entwickelst, die jetzt mit ihnen zusammen sind: Dann wäre es offenkundig, dass deine Verehrung in Besessenheit umgeschlagen ist, und du dich weiterentwickeln musst, um frei zu bleiben. Soweit ist es aber noch lange nicht, sondern du verbietest dir eher die positiven Gefühle, weil du dich für unreif ansiehst. Das ist aber nicht richtig, denn was dir nützt und gut tut, ist auch als gut zu betrachten. Sich etwas zu verbieten, weil man sich für zu alt ansieht, wäre letztlich ein Zeichen von fehlender Offenheit und geringer Urteilskraft. Denn auch erwachsene Menschen haben im Grunde immer noch dieselben Bedürfnisse wie Kinder, auch wenn sie sich anders äußern und anders ausgelebt werden. Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch (Erich Kästner). Demzufolge zeigt es nur dein großes Urteilsvermögen und den hohen Grad deiner Selbsterkenntnis, wenn du dich hier nicht von Konventionen knebeln lassen willst, sondern dich mit ihnen auseinandersetzt und deine Gefühle auch zulässt. Erlaubt ist, was schön ist - für alle Beteiligten. Und hier ist es so.

Schon schwieriger ist es da bei dem, was der Gedanke an Sexualität ganz allgemein in dir auslöst. Ich denke, dass wir nicht wissen können, wie es dir damit gehen würde, wenn du wirklich den Menschen - egal, ob Mann oder Frau - treffen würdest, mit dem du dich so verbunden fühlst, dass es dich zu ihm oder ihr hinzieht. Möglicherweise hast du noch nicht den oder die Richtige getroffen - oder warst noch nicht bereit, dich zu öffnen. Vielleicht ist bisher auch alles anders abgelaufen, als du es brauchst: Vielleicht muss du erst die Person treffen, der du von deinen Ängsten berichten kannst, ohne dass eine Beziehung im Raum steht - bevor es wirklich dazu kommt. Aber selbst, wenn das nicht so ist, solltest du dich weniger fragen, wann und wie es dazu kommen könnte, als vielmehr, ob du es überhaupt vermisst. Ist der Ekel, den du fühlst, ein Ekel, der sich dir ständig aufdrängt, den du nicht loswirst - was uns sagen könnte, dass das Ganze eigentlich Teil von deinem Leben sein soll, du aber gerade andere Prioritäten hast und dich darüber ärgerst, dass es dich trotzdem einholt? Oder kommt es nur über dich, wenn jemand Anderes dich damit konfrontiert, also würdest du dich wohl befinden, würde einem nicht gerade von jeder zweiten Ecke nackte Haut entgegen springen? Es ist schwer zu sagen. Ich bin fünf Jahre lang mit einer Frau zusammen gewesen, die sich eine Zeit lang als asexuell definiert hat - bei ihr standen aber ganz konkrete traumatische Erfahrungen im Raum, die sie in ihrer Kindheit gemacht hat, und man kann sagen, dass da eben etwas in ihr zerstört wurde: Ihre Unbefangenheit. Da lässt sich nicht sagen, was die Natur ist und was das Trauma. Da du von so etwas aber nichts berichtet hast, gehe ich davon aus, dass du einfach noch nicht bereit bist, das Thema an dich heranzulassen. Das klingt möglicherweise seltsam, aber doch eigentlich nur, weil wir nicht gewohnt sind, anzunehmen, dass es mit 24 so etwas geben könnte. Doch warum nicht? Sexualität ist mehr als nur Fortpflanzung. Sexualität hat etwas mit der Pflege von sozialen Kontakten zu tun, wir festigen die Bindung zu unseren Partnern, wir tauschen uns darüber aus, wir praktizieren sie womöglich sogar mit einer Reihe von Menschen - alles, damit es eben diesen kleinen gemeinsamen Nenner gibt, trotz aller Unterschiede. Aber Ausnahmen bestätigen die Regel. Vielleicht bist du eine. Das heißt nicht, dass du asexuell bist - wobei das schon sein kann -, sondern dass du anderen Wegen, deine Freundschaften zu pflegen und dich als Mensch unter Menschen zu fühlen, größere Bedeutung beimisst. Dein Ekel kann Ausdruck des Frustes sein, dass diese Sicht im Alltag nirgends vorkommt. Doch ich kann dich nur ermutigen, dir zu sagen, dass du keine endgültige Lösung vorweisen können musst: Das Leben bietet dir noch viel Zeit und Gelegenheit, dich überraschen zu lassen. Spüre in dich, ob du etwas vermisst. Wenn ja - versuche herauszufinden, was das ist, und so kommst du der Antwort näher, wohin du dich orientieren möchtest, oder ob du eine Präferenz überhaupt brauchst, ob du überhaupt Sexualität brauchst. Falls du gerade nichts vermisst - erlaube dir, zu sagen: Ich weiß es nicht. Denn das ist die ehrliche Antwort, und Ehrlichkeit ist zwar nicht immer angenehm, aber am Ende doch das Einfachste und Sinnvollste. Du hast genug zu tragen an deinen Gefühlen - halse dir nicht auch noch auf, dich in eine Kategorie zu zwängen, der du vielleicht nicht zustimmst, und dann Fragen beantworten zu müssen, von denen du nicht einmal weißt, ob sie sich für dich selbst stellen.

Du siehst: Ich kann dir keine eigentlichen Antworten liefern. Aber vielleicht hilft dir der Rat, die Fragen, die du in dir trägst, nicht als zu lösende Probleme, sondern als spannende Aufgaben zu betrachten? Das Leben wird dir Antworten liefern. Du weißt zwar nicht, wann, aber wenn du es zulässt, wird es geschehen. Fühle dich nicht zu alt für etwas, halte dich nicht für lächerlich, und gib dich nicht als etwas aus, von dem du nicht sicher weißt, dass du es bist - habe den Mut zu sagen, dass du an einer Sache dran bist. Verstehen musst du sie nicht, nur auf dem Weg bleiben. Und ich wünsche dir dabei viel Kraft und gute Erfahrungen - egal, wo es dich hinzieht.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul