Problem von Sue - 16 Jahre

Unglücklich

Hallo (Michaela),
danke für deine Antwort und wie gewünscht melde ich mich hier nochmal. als ich die antwort von dir erhalten habe, da habe ich mich gefreut, plötzlich war ich ein wenig besser drauf, immerhin ein wenig.
die letzten tage ging es mir wieder einmal nicht so toll. ich hab mal wieder sehr sehr viel nachgedacht, mir vorwürfe gemacht, mich gefragt was ich bestimmt wieder hätte anders machen sollen. mein kopf dachte immerzu nur an das was schief gegangen ist in der letzten zeit. keine sukunde dachte ich an einen schönen moment, an etwas was geklappt hat, was mich glücklich machte. je mehr ich da jetzt so drüber nachdenke, umso mehr kommt in mir das gefühl hoch, das es in letzter zeit in meinem leben einfach keine erlebnisse gab, die mich glücklich stimmten. das macht mich wieder traurig. grade läuft es auch in der schule nicht mehr wirklich gut. ich war immer eine (sehr)gute schülerin, meine schriftlichen leitungen waren gut, nur jetzt da werd ich von mal zu mal schlechter. wenn ich am schreibtisch sitze und meine aufschriebe vor mir liegen und ich sie wirklich durchlesen möchte, dann geht das einfach nicht, nichts vom schulstoff bleibt hängen, nichts kann ich mir merken. ich bin einfach durchgehend wo anders mit meinem kopf und so sehr ich mich bemühen will, so sehr ich mich zwingen will, es hilft einfach alles nichts, es geht einfach nicht, dass ich mich mal für ne weile auf meine lernerei und die schule konzentrieren kann. nix klappt mehr. die arbeiten laufen halt nich mehr so toll und dann fühl ich mich wieder schlecht, wieder so als hätte ich versagt...und wenn ich meinen eltern dann beibringen möchte, das ich die arbeit am nächsten tag wohl versauen werde, da schütteln sie nur mit dem kopf, sie wollen mich da einfach nicht ernst nehmen. sie sagen dann: ach iwo, das schaffst du schon, du bist doch net schlecht, bild dir das nicht ein, blabla...und dann wenn ich dann die schlechte laune wegen der misslungenen arbeit heimbringe, dann sind sie wiedermal von mir enttäuscht, weil es ja nicht sein darf das ich als gute schülerin auch mal schlecht sein kann....
wenn ich so auf mein bisheriges leben zurück blicke, dann seh ich mich als dienstmädchen, hochleistungskraft und sowas....ok, ich muss dazusagen, früher war meine mutter ne zeit lang mal sehr krank und mein vater arbeitete noch, damals war ich sogesagt die ersatzmutter. als ich heimkam von der schule, da musste ich erstmal kochen, dann die küche und das haus aufräumen und saubermachen, als ich das alles erledigt hatte konnte ich mich dann erstmal um die hausaufgaben und das lernen kümmern und es blieb also wenig zeit für mich. man fragt sich jetzt bestimmt, wieso ich das als junges mädel tat, das frag ich mich heute auch noch oft, wie ich so blöd sein konnte und meine ganzen tage nur für die familie opfern konnte. ich denke ich tat das weil ich es als eine möglichkeit sah, endlich einmal etwas anerkennung und lob von meinen eltern zu bekommen, aber fehlanzeige, das bekam ich trotzdem nie zu hören. es war für sie wie selbstverständlich, das ich das alles ohne murren tat. naja, daran ging /geh ich halt mehr und mehr zugrunde....
jetzt seit ca. nem halben jahr ist es etwas anders, seit ich meinen ersten freund hatte (ja hatte: er hat mich nach 3 monaten verlassen, was mich in eins sehr tiefes loch stürzte) seitdem, bin ich mehr nur auf mich fixiert, ich denke jetzt viel mehr nur an mich(versuch es zumindest), ich versuche öfter das zu tun, was ich möchte und deshalb mach ich halt nun weniger im haushalt für die familie, das sehen meine eltern gar net gern, sie brüllen mich jetzt häufig an, motzen mich an, weil ich nich mehr nur das tu was sie mir befehlen, was ich tun sollte, um ihnen den hals frei zuhalten...ich mein mein bruder tut auch nie was, aber bei ihm ist das egal, das wollen die net sehn, wenn ich sie dann drauf ansprech das es ja net nur mich gibt, die was tun könnte, dann schalten sie wieder auf stur und schieben alles auf mich....hmm...naja das muss ich halt alles über mich ergehn lassen und deshalb fühle ich mich sehr oft so schlecht, so ungewollt und unerwünscht.
ich sehne mich so sehr nach dem gefühl geliebt zu werden, nach zuneigung und zärtlichkeit, nach anerkennung und einem lob, nach freundlichen worten, das können mir alles halt auch nicht nur meine freunde geben, auch wenn sie es so gut sie können versuchen...
so, endlich konnte ich mal wieder was von meinem kummer loswerden.. das tut manchmal einfach gut...
viele grüße an alle, die mein leid vielleicht lesen... machts besser als ich!
Tschüssi eure Sue

Anwort von Michaela

Hallo Sue,

schön, wieder von dir zu hören! Es tut uns auch gut, mal ein Feedback zu bekommen, denn wir wissen hier ja nicht, ob überhaupt etwas von dem angekommen ist, was wir mit "viel Herzblut" in die Tasten tippen.

Du schreibst, dass du immer noch Probleme hast, dir den Schulstoff zu merken, weil du mit deinem Kopf immer "woanders" bist. Hast du schon mal daran gedacht, dich auf das "Woanders" zu konzentrieren? Es einfach mal auszuleben, damit es endlich draußen ist und das Lernen wieder zulässt? Manchmal ist man so voll von inneren Eindrücken und Gedanken, dass nichts mehr reingeht, und erst, wenn man es rausgelassen hat, also "aufgeräumt" ist und Platz geschaffen hat, geht es wieder weiter. Das "Woanders" kann beängstigend sein, oder man tut es selbst als Unsinn ab, weil man im ersten Moment damit nichts anfangen kann. Dennoch ist das "Woanders" (ich nenne es jetzt mal so, das Wort hat mir in deiner E-Mail gut gefallen) auch ein Abbild deiner geheimsten Gedanken, des Unbewussten. Manche Leute verarbeiten es mit Sport, andere schaffen Kunstwerke, schreiben, tun anderen Leuten etwas Gutes... Auf jeden Fall verschaffen sie sích damit ein gutes Gefühl, das man einfach braucht, um leben zu wollen und das Leben genießen zu können. Viele befürchten, dass darunter die "Realität" leidet, also dass sie z. B. danach gar nicht mehr lernen wollen. Genau das Gegenteil ist oft der Fall. Wenn man sich "ausgelebt" hat, kann man sich auch wieder auf etwas anderes konzentrieren. Wenn du es ausprobieren möchtest, würde es mich freuen, wenn du uns wieder schreibst und erzählst, ob es dir geholfen hat!

Hey, man darf auch mal eine "schlechte" Schülerin sein, ist doch klar! Es ist schon eine Weile her, dass ich zur Schule gegangen bin, aber da war auch nicht immer alles eitel Sonnenschein. Mein Glanzfach war Englisch, und selbst da habe ich ganz entspannt 4er und 5er reingehauen. Trotzdem war ich deshalb nicht gleich ein "schlechter" Mensch. Dieses Notensytem soll dich ja nicht in erster Linie abkanzeln, sondern versuchen, einen Standard bei dir festzustellen und dir zu zeigen, wo du im Normbereich bist und wo es noch hapert. Schade ist, dass viele das auf die Persönlichkeit desjenigen beziehen und ihn als "schlecht" oder gar "faul" bezeichnen - oder Vorhersagen für die Zukunft wagen! Wenn ich so auf meinen Lebenslauf blicke, hätte aus mir eigentlich nie etwas "Anständiges" werden dürfen, weil ich in der Schule eher unteres Mittelmaß war, und trotzdem habe ich eine Ausbildung abgeschlossen.
Wenn Eltern enttäuscht sind, dann auf den ersten Blick über die Kinder; ganz tief drin jedoch zweifeln viele Eltern, ob sie in der Erziehung alles richtig gemacht haben, wenn ihr Sprössling "schlecht" ist. Kinder sind für Eltern ein glasklarer Spiegel, und - da nehme ich mich nicht aus - sie fürchten ständig, mit den eigenen Schwächen konfrontiert zu werden. Vielleicht macht das für dich die Reaktion deiner Eltern verständlicher? Und jetzt noch mal: Du DARFST Arbeiten in den Sand setzen! Ich erlaube es dir kraft meiner Funktion als Mutter! :-)

Zitat aus deiner E-Mail:
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Ja, Sue, genau das war es. Du hast das getan, was jedes andere Kind auch getan hätte, wenn ein Elternteil sehr krank wird: Du bist eingesprungen, warst Ersatzmutti! DAs ist hart, weil man von jetzt auf gleich erwachsen werden muss, aber es ist auch ein Vertrauensbeweis der FAmilie, dass man es tun DARF. Schau es dir mal genau an: Du hast die Last deiner Mutter übernommen, warst Tochter, Mutter, Krankenschwester, Schülerin, was weiß ich alles noch. Du hast das ausgehalten, um deine FAmilie zusammenzuhalten, und ich glaube, das hätte niemand anders geschafft außer dir! Und das wissen die anderen in deiner Familie auch. Wenn sie dir ihre Anerkennung aussprächen, müssten sie sich gleichzeitig eingestehen, dass sie das niemals geschafft hätten, und kämen sich minderwertig vor (und wer will das schon?). Zudem plagt sie vielleicht auch das schlechte Gewissen, weil sie dir das alles überlassen haben, ohne etwas tun zu können, denn du warst damals noch sehr jung, zu jung, um das alles zu stemmen. Es heißt, dass eine Kette nur so stark ist wie ihr schwächstes Glied. Wenn du das schwächste Glied damals warst (denn du hast alles getragen, was eigentlich dein Vater hätte übernehmen müssen als Ehemann!), wie sehr hast du damit deine Familie gestärkt, dass sie die Krankheit deiner Mutter überstehen konnte?! Du hast sie getragen!

Wenn du mal so zurückschaust und das alles mit einbeziehst - wunderst du dich dann immer noch, dass du dich nicht konzentrieren kannst? Klar, das mag schon ein paar Jahre her sein, aber hattest du jemals Zeit, dich von dieser Anstrengung zu erholen? Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man lieber schnell zur Tagesordnung übergeht, als sich noch mal um die Wunden zu kümmern, und ich kann mir vorstellen, dass das in deiner Familie auch geschehen ist. Keiner hat deine Leistung anerkannt, deshalb konntest du auch nicht "auftanken", geschweige denn erst mal eine Pause machen. Früher oder später ist der Akku trotzdem leer, und dann kommen z. B. die Konzentrationsschwächen, die du gerade beschreibst.

Und dann die Trennung von deinem ersten Freund. Da stürzen ganze Welten ein, und Liebeskummer kann lange vorhalten. Es ist richtig, wenn du dich auf dich konzentrierst, um wieder zu dir zu kommen, um herauszufinden, was dir gut tut, um das erst mal zu verarbeiten. Wenn darunter der Familienhaushalt leidet - und? Du bist auch ein Mensch, der das Recht hat, mal nicht perfekt zu sein. Warum musst du deiner FAmilie den Rücken frei halten, während dein Bruder zu Hause nichts tun muss? Ist doch unlogisch, oder?
Vielleicht sehen deine Eltern nur die eigene Schwäche, sich um den Haushalt nicht kümmern zu können oder zu wollen, und schämen sich dafür evtl. Ich weiß nicht, wie dick dein Fell ist, ob du dich entschließen kannst, einfach alles liegen zu lassen, oder ob du Einfluss auf deinen Bruder nimmst und ihn einfach in die Organisation des Haushaltes mit einbeziehst... Übrigens, hast du schon mal darüber nachgedacht, wieviel Macht du über deine Familie hast? Du bist für diverse ARbeiten verantwortlich, was aber auch heißt, dass sie liegen bleiben, wenn du sie nicht machst. Damit kommt das System ins Schleudern, es wird gebrüllt, weil keine andere Lösung vorliegt... Könnte man da mit deinen Eltern einen Kompromiss aushandeln, so nach dem Motto: "Jeder hat alle Rechte, aber auch alle Pflichten!"? Immerhin bist du schon 19 - ich glaube, so lautete dein Alter in den vorangegangenen E-Mails - und hast auch etwas zu sagen. AUF KEINEN FALL bist du als Putzfrau und Prügelknabe für deine Familie da. Leb dein Leben! Du tust genau das, was gut für dich ist, und das ist gut so!

Was die Konzentrationsschwäche in der Schule angeht, glaube ich, habe ich dir schon mal geschrieben, dass du dich beim Hausarzt vorstellst. Wenn das alles stressbedingt ist, kann man schon mit pflanzlichen Mitteln großen Erfolg erzielen, z. B. mit Johanniskraut zur Entspannung und Beruhigung. Ich denke, dass auch die Doppelbelastung, der du ausgesetzt warst, als du deine Mutter gepflegt hast, noch vorhanden ist, deshalb schau einfach mal hier vorbei: http://www.br-online.de/umwelt-gesundheit/thema/angehoerige/emotionen.shtml. Im Anhang an das Interview findest du Adressen und Links, wo du dir Unterstützung zu dem Thema holen kannst. Es ist zwar vielleicht schon eine Weile her, aber immer noch vorhanden, und es dauert, bis du dich davon erholt hast, das weiß ich aus eigener Erfahrung.

Weiterhin wünsche ich dir viel Glück & gute Nerven - und schreib uns auf jeden Fall, wie es dir ergangen ist!

Viele Grüße,

Michaela