Problem von Anonym - 16 Jahre

Alkohol

Hallo ihr.

Mein Problem ist folgendes. Naja, also... seit mein Freund an Leukämie erkrankt ist [dazu hab ich euch schonmal geschrieben, Sabine hat mir geantwortet] geht es mir auch nicht so besonders gut, besonders, weil keine Besserung in Sicht zu sein scheint.

Ich hab in dieser Zeit auf den Partys gerne mehr getrunken, denn naja, so klischeehaft das ist, währenddessen vergisst man einfach. Also, mit mehr getrunken meine ich, dass ich mir die Birne zugeknallt habe, bis ich zum Teil stundenlange Blackouts gehabt hab.
Danach gings mir meistens für ne Weile wieder gut, aber inzwischen.. ich weiß nicht, die Abstände zwischen dem Betrinken wird immer weniger, weil ich einfach das Gefühl hab, wenn ich mich nicht betrinke hören die Gefühle gar nie mehr auf. Ich brauch inzwischen einfach Alkohol um in Schwung zu kommen, und seit ner Weile fühl ich mich auch nur gut, wenn ich morgens ein paar Schluck haben kann, oder wenn ich von der Schule gestresst nach Hause komme, trinke ich auch gleich als erstes etwas. Meine Eltern arbeiten sehr viel,
haben also noch nie etwas bemerkt.
Wenn ich meinen Freund im Krankenhaus besuche muss ich vorher was trinken, weil ich das einfach nicht ertrag.
Aber ich mach mir Sorgen, denn das ist doch einfach zu viel. Ich bin ja nicht dumm, ich weiß, dass ich mich nur kaputt mach, aber am Ende verlierts schlechte Gewissen dann doch. Ich kann mich ohne Alkohol gar nicht mehr richtig konzentrieren. Ich wurde von Freunden schon angesprochen, konnte die aber beruhigen, aber inzwischen .. ich weiß nicht, an einem Tag wie heute mein ich, ich muss das einbremsen, morgen früh trink ich wieder was. Aber als ich heute bei meinem Freund im Krankenhaus war, hat er gemeint, ich würde nach Alkohol riechen und obs mir gut geht. Ich kann ihn doch nicht damit belasten, ich meine ihm gehts wirklich schlecht. Er hat mich schon immer durchschaut. Und für ihn muss ich wieder damit aufhören, aber ich hab einfach das Gefühl dass ich das alles nicht mehr ertrag.

Tut mir Leid, dass es soviel geworden ist.

Vanessa Anwort von Vanessa

Hey,

ich bin sehr ergriffen von deiner Mail und meine mich auch an deine vorherige zu erinnern, auf die Sabine geantwortet hat. Es tut mir leid, was du durchmachen musst!
Du bist jetzt 16 und stehst einer total unlösbaren Aufgabe gegenüber. Dein Freund ist krank und du fühlst dich hilflos. Wahrscheinlich kommen immer wieder die Gedanken und der Schmerz an deinen Freund hoch und der Alkohol scheint - jedenfalls auf kurze Sicht- eine kleine Insel in diesem Gefühlschaos zu bieten. Ich finde auch nicht, dass das Klischeehaft klingt.

Du weißt auch, dass dein Zustand sehr kritisch ist. Nach allem, was ich über Sucht und Alkohol gelernt hast, befindest du dich auf dem direkten Weg in die Abhängigkeit. Bitte entschuldige meine harten Worte. Wenn du so weitermachst, machst du dich nicht nur selbst kaputt, es werden auch Konsequenzen folgen. Irgendwann kommt es raus, spätestens dann, wenn dein Körper streikt. Und dann ist nicht mehr dein Freund derjenige, der den Menschen in seinem Umfeld, das ihn liebt, Kummer bereitet. Dann bist du es.

Ich schreibe das so direkt, damit dir bewusst wird, was da gerade geschieht - obwohl ich irgendwie glaube, dass du es besser als jeder andere weißt. Noch ist dein Körper irgendwie gesund - mach ihn dir nicht selbst kaputt. Aber was statt dessen - stellt sich dann als Frage?! Wie sollst du diesen beschissenen Schmerz und diese blöde Situation aushalten und gleichzeitig stark genug sein, die Finger vom Alkohol wegzulassen? Wenn du schon vor der Schule trinkst ist das ein krasses Zeichen dafür, dass du dem Alkohol schon sehr erlegen bist. Aber du reflektierst hier deine Lage und schaffst es, zu sehen, dass du immer weiter in ein schwarzes Loch steigst. Und du solltest, auch wenn es noch so schwer sein mag, den Rückweg finden.
Dein Freund und du, ihr seid verbunden und er wird es merken. Und er würde auch sicherlich nicht wollen, dass du wegen ihm solche Probleme hast.

Ich glaube, dass es sehr schwer für dich ist, jetzt allein da raus zu kommen. Auch wenn du Angst davor hast, such dir Hilfe. Du hast es geschafft hier zu schreiben und zu reden. Zu reflektieren und ehrlich zu sein! Face to Face kostet das mehr Überwindung, aber wenn du jemandem gegenübersitzt, kann diese Person dir helfen. Ich rate dir wirklich dringend (!!!) dich an deinen Hausarzt/Hausärztin oder an eine Suchtberatungsstelle zu wenden. Du brauchst einen Therapeuten. Jemanden, mit dem du das verarbeiten kannst, was du jetzt erlebst und mit dem du das stoppen kannst, was sich gerade anbahnt!
Das Geheimhalten deiner Situation bringt dir vielleicht kurzfristig Vorteile, aber mit der Zeit wird es dich immer weiter zum Alkohol hinziehen und ich glaube nicht, dass es das ist, was du willst!

Fass neuen Mut und sei dir sicher, dass du diesen Schritt gehen kannst! Mach dir eine Checkliste, die du noch heute, am Freitag erfüllst:
1. Mach einen Arzttermin
2. Gehe hin! Und erzähle ihm von deiner Situation mit deinem Freund und deinem Problem mit dem Alkohol. Wenn du dich nicht traust zu reden, drucke diese Email aus und geb sie ihm. Hey, lass dich nicht so einfach fallen. Weißt du, wie vielen Menschen was an dir liegt? Und wie schlimm es für sie wäre, mitanzusehen, dass es dir immer schlechter geht?Irgendwann breitet sich eine Sucht so aus, dass du nur noch den Alkohol an erster Stelle hast und der Rest scheißegal wird - lass es nicht darauf ankommen! Wage deine Schritte und unternimm was. Schau, ob du mit deinen Eltern reden kannst. Heul dich bei jemandem aus und erzähl, wie du dich fühlst! Es ist so viel da, was dich bedrückt, wenn du das alleine trägst, ist es kein Wunder, dass du unter der Last zusammen brichst! Ein Therapeut ist keine Bestätigung frür psychische Krankheit sondern jemand, der einfach ein Spezialist in solchen Gebieten ist. So jemand ist ausgebildet dir Möglichkeit und Raum zum sprechen zu geben und dir zu helfen, deinen Weg wiederzufinden!

Ich wünsche dir wirklich von Herzen ganz viel Mut und Hoffnung, und Kraft für jeden erforderlichen Schritt! Glaub an dich! Wir sind da für dich, schreib, wenn du Hilfe brauchst! Auch hier bekommst du Hilfe:
Telefonseelsorge
Telefon 0800 111 0 111 (evangelisch)
oder 0800-111 0 222 (katholisch)
Internet: www.telefonseelsorge.de

Kinder- und Jugendtelefon
Telefon 0800 111 03 33
Internet: www.kinderundjugendtelefon.de
E-Mail: info@kinderundjugendtelefon.de

Alles Liebe, Vanessa