Problem von Anonym - 17 Jahre

Hilfe, ich lebe in einer Traumwelt!

Liebes KuKa-Team,
ich muss mein Problem nach so langer Zeit endlich los werden, weil ich dringend Hilfe brauche. Ich fange am besten ganz von vorne an...
Also ich bin von Natur aus ein extrem schüchterner Mensch. Als ich noch klein war , so in der 3. oder 4. Klasse, habe ich mich von einem Tag auf den anderen total zurückgezogen von allen Leuten (selbst meinen Freunden). Das hatte damit zu tun, dass ich eine Sendung im TV geschaut habe, in der es um ein Mädchen ging, dass sich auch zurückgezogen hat und dadurch so etwas wie eine "besondere Rolle" bekommen hat. So wollte ich auch sein und habe versucht, es so zu machen wie das Mädchen. soviel zum ersten Erlebnis in der Vergangenheit. Ich denke, das ist auch der entscheidende Punkt für alles gewesen. Wichtiger ist aber, dass ich noch heute in einer Art Traumwelt lebe, die sich aus Büchern, die ich lese, und Filmen, die ich schaue zusammensetzt. In dieser Traumwelt bin ich jemand völlig anderes. Seit ein paar Jahren habe ich sogar das Problem, dass ich manchmal diese Traumwelt meinen "realen Freunden" vorziehe! Seit einem Jahr habe ich einen Freund, der es ? so denke ich - nicht mehr lange so mit mir aushält, wenn ich andauernd so komisch bin, Menschen aus dem Weg gehe und große Menschmassen (meistens in meinem Alter) meide! Ich kann mich nur nicht selbst dazu zwingen, aus dieser Welt herauszukommen und niemand weiß davon!

Bitte helft mir irgendwie!

Anwort von MarkusM

Ein herzliches Hallo für dich!

Da trägst du ja echt mal ein Problem mit dir rum, Hilfe brauchst du auch. Diese Hilfestellung bin ich gerne bereit dir zu geben, doch was bist du bereit dafür zu geben / aufzugeben?
Du sagst, diese Sendung damals war der Grund für deine Veränderung von einem Tag auf den anderen. Das glaube ich nicht, diese Sendung war wohl höchstens der Auslöser oder der ?Tropen auf den heißen Stein?, das ?i-Tüpfelchen?, das gefehlt hat, um dein Problem anzugehen: nämlich dein unbefriedigtes Bedürfnis zu stillen. Das Bedürfnis, dass du etwas besonderes sein möchtest. Dass du von den anderen gesehen, gehört und verstanden und bedingungslos geliebt werden möchtest. Dass dir andere Menschen eine Rolle und einen Platz in der Gesellschaft zuteil werden lassen. Dass auch mal im Leben etwas glatt laufen kann und man zu einem gemeinsamen berauschenden Ergebnis kommen kann. Im Klartext: dass dir Menschen Feedback geben.

Pauschal würde ich mal sagen, Menschen, die zurückgezogen leben, machen das, weil sie gerne eine heile Welt um sich herum haben möchten und den Konflikt und das Streitgespräch mit anderen Menschen scheuen oder sich gar davor fürchten. Gründe gibt es viele dafür, spontan fallen mir ein: andere Menschen lassen es in ihren Gesprächen gar nicht erst zu Streitmöglichkeiten kommen, wieder andere haben wenig Redebedarf.

Ich würde die Ursache für deine Traumwelt nicht in diesem Fernsehbericht sehen, sondern schaue doch mal mehr in dich selbst hinein und überlege dir, was dich dazu veranlasst haben könnte, in diese Richtung zu denken. Nur am Rande gesagt: das kann auch familiäre Gründe haben, z.B. wenn ein Elternteil nicht viel redet oder wenn er selbst ?heile Welt sehnend? ist oder wenn es zu häufig Konflikte gibt, gegen die du nicht anwettern kannst und dazu nur noch dein ?Ja, ich weiß? und Amen gibst.

Was ich mir bei dir gut vorstellen könnte: eine Umgebung, in der du gezwungen bist, mit anderen Menschen ein paar Wochen (oder auch nur Tage) zu verbringen und ihr euch AKTIV arrangieren müsst und zurecht kommen müsst. Wo du nicht ein uns aus kannst und dich mit anderen Menschen beschäftigen musst UND DANN siehst, dass es funktioniert, dass du mit anderen sehr gut klarkommst, dass du dir selber genügst, dass dich die anderen so annehmen, wie du bist und du endlich merkst, dass du besonders genug bist, um unter all diesen Menschen ein EIGENES INDIVIDUUM zu sein.

Die Gespräche, die du führst, müssen lebhaft sein. So kannst du kennen lernen, dass es Freude macht, aktiv zu kommunizieren. Ein Gespräch selber in die Hand zu nehmen und zu führen und dabei seine Gedanken äußern. Das ist dann wirklich leben!

Streiten lernen, das ist ziemliches Neuland und es braucht auch seine Zeit, bis man darin wirklich einen Effekt sieht. Aber es macht das ganze Leben lebendiger und fassbarer.


Wenn du noch bis hierhin gelesen hast, dann mein alle Achtung! Ich habe hier sehr viele Thesen aufgestellt, von denen ich nicht weiß, ob sie auf dich passen. Ich habe viele Forderungen und Hintergründe aufdecken wollen, ich glaube, dass die meisten Sätze sehr konfrontativ herüberkommen. Aber nicht, um dich zu entmutigen und niederzumachen, sondern um dich aus deiner Reserve zu locken und aus dir einen aktiven Gesprächs-/Streitpartner zu machen.

Da das über Texte schlecht geht (es soll ja ein lebendiges Gespräch werden), würde ich dir raten, mal mit einem guten Bekannten oder einem aus deiner Familie wirklich aktiv ein konfrontatives Gespräch zu führen. In puncto streitfähig und lebensstark / willensstark werden kann ich dir auch mal eine psychologisch geführte Therapie empfehlen, wo du im geschützten Umfeld ausprobieren kannst und lernst, wie gut es tut, einfach mal zu streiten oder rauszulassen, was einem stinkt.


Ich wünsche dir alles Gute!

P.S.: Ich habe hier noch ein andere Problemstellung gefunden, vielleicht hilft sie dir weiter:

http://mein-kummerkasten.de/9058/Ich-bin-Einzelgaenger.html