Problem von Anonym - 19 Jahre

Magersucht- Angst vorm Sterben, an Andrea

Liebe Andrea,

danke, dass du mir so schnell geantwortet hast. Mit meiner Familie ist das sehr schwierig.

Ich bin seit Kindheit von meinem Vater sexuell Missbraucht worden, was sicherlich auch zur Magersucht beigetragen hat.

Ich habe sehr lange geschwiegen, war dreimal im selben Krankenhaus, zwischen den Aufenthalten bin ich weiterhin ambulant zu meiner Therapeutin gegangen.
Erst beim dritten Aufenthalt hatte ich den Mut mit ihr über die häuslichen Probleme zu sprechen, sie war natürlich geschockt und noch in der selben Woche haben wir ein Gespräch mit meinen Eltern geführt.
Ich konnte meinen Eltern, besonders meiner Mutter gegenüber fast gar nichts sagen, nur weinen und zu Boden schauen.
Das Gefühl die Verräterin unserer nach außen hin perfekten Familie zu sein war groß.
Mein Vater hat gemeint, dass ich lüge und nur Aufmerksamkeit möchte, meine Mutter wollt es nicht wahrhaben.
Doch meine Therapeutin und der Richter haben mir glauben geschenkt, da es auch genug Beweise gab die gegen ihn gesprochen haben.
Nachdem ich mit 40Kg entlassen worden bin( vor einem halben Jahr jetzt 24.8Kg), bin ich zu meiner Tante gezogen, wir verstehen uns gut.
Meine Eltern möchten keinen Kontakt mehr zu mir. Meine Mutter fühlt sich schuldig für meinen momentanen Zustand und mein Vater beschimpft mich, weil ich sein Geheimnis nach all den Jahren gelüftet habe.
Das Schlimmste ist für mich jedoch, dass meine Therapeutin, die ich sehr gerne mag der Ansicht ist, dass ich mit meinem Gewicht nicht mehr therapiefähig sei und ich deshalb momentan nur noch zum Wiegen kommen darf ( sie ist auch Ärztin der Klinik).
Ich trinke immer unmengen Wasser vorm Wiegen, da sie mich unter 28Kg da behalten wird. Mein Verstand sagt mir es ist besser so lass dich einweisen, doch ich habe solche Angst vor dem Schlauch, den sie mir wieder in die Nase schieben werden und vor den starken Bauchkrämpfen, die ich von den großen Mengen bekomme.
Ich weiß, dass es sich für eine Magersüchtige seltsam anhört, aber ich sehe wie dünn ich bin und ich bin auch keineswegs wie viele Mädchen, die ich in derKlinik kennengelernt habe Pro- Ana und möchte weiter abnehmen oder Model sein. Ich kann nur kein Essen riechen oder in mir spüren.
Seit zwei Wochen schaffe ich es genug zu essen, dass ich auf 24.8 bleibe, doch ich weiß nicht, ob ich von allein wieder zunehmen kann. Ich rede mir ein mir kann nichts passieren, solange ich nicht weiterabnehme.
In deinem Antwortschreiben hast du sowas angedeutet, warst oder bist du auch magersüchtig? Wie bist du da rausgekommen?


Liebe Grüße Kika

Anwort von Andrea

Liebe Kika!

Ganz ehrlich, es fällt mir gerade ein wenig schwer, was ich dir genau schreiben könnte, da du ja genau weißt, woran du leidest, mit diesem Thema dich vermutlich schon oft auseinander gesetzt hast und auch schon oft mit professionellen Leuten dich darüber unterhalten hast.

Um es gleich vorne weg zu nehmen, ja ich war/bin selbst magersüchtig (gewesen). Ich habe schon länger wieder Ng, nur dieses ist eher unfreiwillig für mich gekommen, ich habe eine Schilddrüsenunterfunktion, wodurch das Gewicht so sehr nach oben ist.
Deswegen - ich kenne deine Gedanken nur zu gut!

Dass du erst bei deinem dritten Aufenthalt über gewisse Themen z.B. deine Familie sprechen konntest, ist teilweise normal. Vielleicht hattest du da erst den richtigen Therapeuten, bei dem es dir leichter gefallen ist über das, was in deiner Kindheit passiert ist, zu reden!
Vermutlich weißt du auch schon, dass es vielen Magersüchtigen sehr schwer fällt, über sich zu reden, über private Dinge, wo auch andere zb. Familienmitglieder hineinbezogen sind. Sie haben Angst, sie würden sich zu wichtig machen, sie würden das perfekte Familienbild zerstören, anderen weh tun, sie verletzten usw! Ich glaube du musst nur deinen eigenen Gedanken zuhören und dann weißt du es schon!
Ich finde es toll und richtig mutig, dass es dir gelungen ist, etwas, was fast unaussprechlich ist, zu sagen und dieses Thema anzugehen!
Das was du durchmachen musste mit der Gerichtsverhandlung usw. ist schrecklich, auch was deine weitere familiäre Situation angeht!

Du bist zwar schon 19, jedoch kann ich es verstehen, dass es für dich schlimm ist, keine Familie in dem Sinn mehr zu haben, dass der Kontakt zu deinen Eltern nicht mehr vorhanden ist. Deswegen ist es sehr wichtig, dass du einen Menschen (deine Therapeutin) hast, mit dem du diese Geschehnisse aufarbeiten kannst.

Auch wenn ich praktisch nur das Laienwissen bzw. das Wissen, was ich mir durch Literatur bzw. eigene Erfahrungen besitze, so bin ich wie deine Therapeutin der Meinun, dass du mit diesem Gewicht überhaupt nicht therapiefähig sein kannst! Aus eigener Erfahrung kann ich dir nur sagen, dass es wirklcih erst ab einem bestimmten BMI (und der liegt bei mind. 16-17) Sinn hat, richtig eine Therapie zu machen, also das, was hinter der Essstörung steckt zu betrachten und versuchen zu verarbeiten!

Ich wünsche dir so sehr, dass du keine solche Angst hast, dass es bei dir Klick macht und du merkst, dass du wirklcih gesund werden willst, dass du leben möchtest! Diesen Moment des "Klick-machen" den kann man nicht herbeizwingen, der muss von dir kommen! Du musst wollen, erst dann macht es wirklcih Sinn! Starke Bauchkrämpfe und Magensonde, das ist nur Dauer von ein paar Wochen, aber ein Leben mit der Essstörung, immer ein Leben an der Grenze zwischen Leben und Tod, das ist von Dauer! Was ist also auf längere Sicht gesehen besser?!

Wenn du kein Essen mehr riechen kannst, wenn dir Nahrung Angst macht usw. dann ist es doch gut erst einmal mit z.B. Fresubin dir ein wenig Gewicht anzutrinken, dich langsam an Nahrung zu gewöhnen! In einer Klinik geht das am Besten, da ist man nicht alleine, da sind noch andere, die einem helfen, die einen unterstüzen und verstehen! Meiner Meinung nach geht das alleine nicht, da fehlt die Unterstützung von außen, die Hilfe zu kämpfen.

Dir kann nichts passieren, wenn du nicht weiter abnimmst?
ich glaube, das gibt dir null Sicherheit dieser Satz und das weißt du auch selbst. Ein BMI von unter 16 kann bereits lebensbedrohlich sein, überleg mal die Spätfolgen, dein Herz-Kreislauf-System usw. Ich glaube du weißt selbst, dass du wirklich an einem kritischen Punkt dich gerade befindest!
Ich möcht dir keine Angst machen, dich vor allem nicht unter Druck setzten, noch dir Vorwürfe machen, aber ich mcöhte dir sagen: Bitte lass dir helfen!

Weißt du, nutz diese Chance, lass dir helfen - zurück könntest du doch eh immer wieder, oder nicht? Warum dann nciht ausprobieren, wie das normale Leben funktioniert, wie schön es sein könnte, was du bis jetzt schon alels verpasst hast, nur weil du dein Leben nicht leben kannst!

Trau dich, verlieren kannst du ncihts, außer, dass du dem Tod von der Schippe springst und das Leben wieder gewinnst!

Ich freu mich über eine Nachricht von dir!
Lieben Gruß
Andrea