Problem von Anonym - 32 Jahre

Wie kann ich das alles vergessen?

Guten Tag, liebes Team,
vorab - vielen Dank für eure Mühe. Ich danke euch jetzt schon mal für das Lesen dieser meiner Geschichte und ggf. auch für die Antwort.

Ich habe einen kleinen Sohn und bin mit ihm vor zwei Jahren von seinem Vater ausgezogen. Der Grund war, dass ich viel zu Hohe Ansprüche gegen ihn hatte, habe mein eigenes Leid gesehen und wollte dem ein Ende bereiten. Ich bin damals mit Sack und Pack in die Nähe meiner Arbeitsstelle gezogen. Ich wollte einen Neuanfang. Nur das der Neuanfang noch Neuer werden sollte, hatte ich mir zum damaligen Zeitpunkt nicht ausmalen können. Ich hatte mir zwei Wochen frei genommen und habe meinen Sohn in der Kita eingewöhnt. Auch hatte ich einen neuen Mann kennengelernt, der sich anfangs noch redlich bemühte. Nach zwei Wochen des Umzuges, der Eingewöhnung in der Kita und meiner neuen Liebe bin ich wieder arbeiten gegangen um nach zwei Tagen gefeuert zu werden. Nebenbei bemerkt wussten meine Chefs von diesem Umzug und darüber, dass ich nunmehr alleinerziehend bin. Jedenfalls war das ein Tiefschlag, mit dem ich nicht gerechnet habe. Nicht finanziell und auch nicht menschlich. Ich fiel in ein Loch und kam nur mit Hilfe der neuen Liebe wieder halbwegs raus. Er hingegen nahm die Gelegenheit beim Schopfe und bot mir an, bei ihm einzuziehen. Ich war dermaßen verzweifelt, dass ich dachte, ich komme allein nicht mehr klar. Neue Stadt, neue Umgebung, arbeitslos, keine Menschen um mich und auch keine Freunde. Ich bejahte und zog nach ganzen zwei Monaten, nachdem wir uns kannten, bei ihm ein. Samt meinem Kind versteht sich.

Nur habe ich übersehen, dass er es gar nicht aus Liebe gemacht hat. Wie dumm ich war, habe ich erst zwei Jahre später bemerkt. Er brauchte Kinder im Haushalt, die ihm das "Punktesystem" auf seiner Dienststelle aufstocken. Kurz, nachdem ich bei ihm eingezogen bin, fand ich auch wieder Arbeit. Sie machte mir Spass und das Leben wurde wieder lebenswert. Auch verdiente ich nicht schlecht. Er indess hatte mich seiner vormaligen Lebenspartnerin hohe Schulden gemacht und machte mir dann das Angebot, dass wir unsere Konten zusammen legten. Ich verneinte und wehrte mich strickt. Er bohrte und machte aber weiter, so lange, bis ich nachgab. Er sagte immer wieder, dass wir doch so noch mehr sparen könnten. Wir haben nie einen müden Cent gespart. Aber das nur mal nebenbei.

Das erste Jahr zog ins Land. Ich wohnte noch immer mit meinem Sohn bei ihm und wir heirateten. Ich sehnte mich nach Wärme, einer Familie, Freunde. Nur das ich eigentlich alles nicht mehr hatte, und auch durch die Heirat nichts dazugewonnen habe, sah ich nicht. Es kamen unglaublich viele Gäste. Die meisten jedoch waren aber von meiner Arbeitsstelle, die ich im übrigen sieben Monate später verlor. Diesmal jedoch aus betriebstechnischen Gründen. Nach der Hochzeit fing es an, schlimm zu werden. Nun sah ich mich in einem sogenannten Abhängigkeitsverhältnis.

Er trank. Das tat er auch schon vorher. Aber nicht so viel und in diesem Ausmaße. Jeden Wunsch, den ich hatte, wurde kontinuierlich gestrichen und auch nicht weiter hinterfragt. Alles musste so geschehen, wie er es wollte. Ich wurde frustiert. Die Lage der Wohnung war mehr als schlecht. Plattenbauten, keinen Kontakt zu irgendwelchen Nachbarn, die außnahmsweise nüchtern waren, keine Freunde. Das einzige was mir half war das internet und das chatten. Ich chattete bis spät in die Nacht. Mein Mann trank, schlug, ignorierte mich, nötigte mich zum Sex. Mein Sohn und ich bewegten uns nur noch nebenher. Ich war mit mir und mit der verzweifelten Lage dermaßen überfordert, dass ich ihn nur noch teilweise wahr nahm. In einem Anflug von Nüchernheit habe ich eine Kur beantragt; diese war im März diesen Jahres mit meinem Sohn zusammen. In diesen vier Wochen bemerkte ich, dass mein Sohn und ich noch nichts verloren haben. Ich dachte über mein Leben nach, was ich mir geschworen habe bei der Geburt meines Kindes und was ich bis jetzt daraus gemacht habe.

Ein Satz meines Sohnes fiel kurz vor Ende dieser schrecklichen Beziehung: "Mama, warum ziehen wir nicht zum Papa und lassen D. hier allein wohnen?" Ich dachte, dass es schön ist, wenn Kinder so einfach denken, aber so einfach ist das doch alles nicht. Nochmal von vorn anfangen? Kann ich das? Nicht nur mein Sohn, sondern ich wollte zurück in mein altes Leben; jedoch nicht in das selbe Muster fallen. Ich nahm alle meine letzten Kräfte zusammen und zog aus, ganz in die Nähe meines bisherigen Lebens in die Nähe des Vaters meines Kindes. Ich habe plötzlich, nach nur vier Monaten Freunde / nähere Bekannte gefunden und kann mein / unser Leben wieder genießen. Arbeit habe ich auch.

Sie werden sich wohl fragen, wo jetzt denn das Problem liegt. Das Problem ist, dass ich oftmals aufschrecke, darüber nachdenke, was uns wiederfahren ist, wie ich so dumm sein konnte und ich es nicht verarbeiten kann. Ich bin noch immer verletzt von diesem Menschen. Die Verletzungen sind so groß, dass noch nicht einmal eine dünne Schicht Schorf rübergewachsen ist. Ich kann diesen Mann noch nicht mal anschauen, ohne dass ich eine innere Wut über ihn bekomme, ohne dass ich ihn gleich und sofort die Augen auskratzen könnte. Ich kann keine zwei Minuten an einem Tisch mit ihm sitzen, ohne große Aggressionen zu verspüren. Wie werde ich das wieder los? Wie kann ich im Einklang sein. Ich will ihn ja nicht mehr in meinem Leben wissen, jedoch sind durch diesen Schuldenberg, den er noch in der Beziehung aufgenommen hat und den ich mit unterschrieben habe, durch Umschuldungen der alten Schulden sowie der neuen aufgenommenen, weil ich dachte, wir bekommen das gemeinam hin, immer noch gebunden. Zumindest noch einige Jahre. Er hat mir nicht nur Geld genommen; damit könnte ich vielleicht noch leben. Sondern zwei Jahre meines Lebens, meines Stolzes, meiner inneren Ruhe. Vielleicht und bestimmt bin ich ja selbst dran Schuld. Ich hätte ja gehen können. Aber ich war einfach zu blind.

Vielleicht haben sie einen Lösungsansatz, den ich verfolgen kann.

Vielen Dank für Ihre Zeit

B.

Anwort von Sylvia

Grüß dich,

leider kann ich die Dinge, die Dir passiert sind, nicht ungeschehen machen. Aber vielleicht hilft Dir die Frage, woher kommt diese Wut? Bist du auf ihn sauer, oder auch ein Stück auf dich selber? Ich meine nicht, dass ich sein Verhalten entschuldigen möchte. Darum geht es nicht. Aber du hast versucht, dich aus deinem alten Leben zu lösen, hast einen Neuanfang gewagt, was sich viele nicht zutrauen würden. Leider hat es durch äußere Umstände, sei es die Arbeit, die du verloren hast, oder den Mann, den du kennen gelernt hast, nicht so geklappt wie es klappen sollte. Du empfindest diese Zeit als verschwendet und nutzlos. War sie das wirklich?

Ich weiß nicht, ob ich mit meiner Meinung verkehrt liege, aber ich denke, du verbindest mit ihm die Erinnerung an die Zeit, als es in deinem Leben nicht so lief und nicht alles geklappt hat. Dass du auf Grund seiner Trinkerei und seinen Schulden wohl immer ein komisches Gefühl im Magen haben wirst, wenn du ihn siehst, dass ist verständlich und wird sich wohl auch nicht so schnell ändern. Aber ich denke bei Dir schwingt ein bisschen das Gefühl mit, du hättest versagt. Und ich finde nicht, dass du das hast. Du hast einen Traum verfolgt und bist ein Stück gescheitert. Aber du hast ihn verfolgt, hast das gemacht, was viele sich ihr Leben lang nicht trauen und schlußendlich hast du es eben doch geschafft. Dir geht es wieder gut, du hast dich von ihm gelöst. Am Rande würde ich Dir mal empfehlen eine Schuldnerberatung aufzusuchen, vielleicht kann man da noch was machen.

Man denkt im Nachhinein gerne, ich bin alles selber Schuld, ich hätte doch gehen können. Aber es ist eben nicht immer so leicht. Auch wenn der Verstand hinterher sagt, man da hätte ich viel ehr handeln müssen, heißt das noch lange nicht, dass es in der vergangenen Situation wirklich so gewesen ist. Ich denke fast jeder kennt das, das man sich manchmal verrennt. Das wichtigste ist doch, das man den Weg zurück findet und den hast du gefunden. Sieh diese Zeit nicht als verschwendet. Es war die Zeit, in der du dazu gelernt hast. So sehe ich z.B. meine Zeit als ich Angstattacken hatte und kaum aus dem Haus konnte. Wenn man drin steckt dann denkt man, was für eine verschwendete Zeit. Aber das ist sie eben nicht. Es ist auch Lebenszeit, die genauso dazu gehört, wie die positiven Erfahrungen.

Liebe Grüße
Sylvia