Problem von Julia - 20 Jahre

Sozialangst / Wärmebedürfnis

Hallo Team,
schön das es euch gibt (kann man nicht oft genug sagen)....muss jetzt erstmal überlegen, wo ich anfange.

es hört sich sentimental und übertrieben an, aber ich habe das Gefühl, seelisch zu erfrieren. Obwohl ich weiß, was ich will, weiß ich nicht, was ich machen soll. Bin heut Morgen aufgewacht, mit grauen Gedanken und fiesen Kopfschmerzen. Vielleicht ist das einfach grundloses Selbstmitleid. Aber mittlerweile fehlt mir die Energie für mein übliches "Reiß dich zusammen und klär erstmal die aktuellen Dinge" (Lernen, Haushalt, Post)...ich bin kein Messie, aber wenn ich so weitermache, hab ich bald den Briefkasten voller Mahnungen. Das ist nicht das Problem.

Also: was ist das Problem?
1. ich habe Angst vor Menschen.

2. ich brauche Wärme, Geborgenheit, ehrliches Feedback. Kann mit Kritik besser umgehen als mit Unsicherheit. Aber genau das, was ich suche, finde ich selbstredend nicht in meiner Wohnung. Muss also raus. Auf Menschen zu.

Bedingt kann ich das. Habe Freunde, studiere ein Fach mit viel Teamarbeit und mache Sport. Seit 5 Jahren 3x wöchentlich, plus Wettkämpfe, Lehrgänge etc.
Dieser Sport hat mir auch menschlich viel gegeben, gerade Wärme, Geborgenheit, all das, was mir im Moment fehlt.
Und jetzt bin ich im Begriff, diesen Sport aufzugeben. Nein, eigentlich nicht. Das ist mein Indentifikationspunkt, mein warmes Nest und meine Zweitkarriere. Aber die letzten beiden Trainings hab ich geschwänzt. Aus Angst:
- vor dem Moment, in dem ich das Sportstudio betrete, meinen Spindschlüssel
abhole, an Leuten vorbeigehe, "Guten Tag" sagen muss.
- davor, funktionieren zu müssen. habe als Fortgeschrittene eine gewisse
Verantwortung, Vorbildfunktion und diesbezüglich Ansprüche an mich selbst.
- davor, die Kontrolle zu verlieren und irgendwas dummes zu machen
(rauslaufen, in Tränen ausbrechen, zuschlagen, mich beißen)
- davor, schon wieder Kreislaufprobleme zu kriegen und um Pause zu bitten.

würde gern mit meinem Trainer darüber reden, einfach, um den Druck rauszunehmen, ehrlich sein zu können. Ich weiß aus Erfahrung, dass ich dann besser funktioniere, wenn ich nicht funktionieren muss. Das Verstecken der ganzen Emotionen kostet so viel Energie, die ich auch in sportliche Leistung, Studium und Persönlichkeitsentwicklung stecken könnte. Aber ich hab das Gefühl, ich darf nicht ehrlich sein. Und das frisst mich auf. Mir fehlt einfach das Zutrauen. Kenne meinen neuen Trainer noch nicht sehr lange, denke auch, dass es distanzlos oder selbstbezogen wirkt, wenn ich ihn um ein Gespräch bitte.
Hatte Gelegenheit, vorsichtig anzutesten:
Letzte Woche hab ich grottenschlecht gekämpft. Hatte keine Energie, dafür jede Menge Aggressionen, hatte dieses Kommunikationsproblem im Hinterkopf, meine ganzen Ängste und ein schlechtes Gewissen, weil ich unfreundlich bin. Dachte wirklich, ich raste aus, ich streike, es geht nicht mehr. Und dann ist mir schlecht geworden, kreislaufmäßig. Mein trainer meinte, das liegt an der Umgewöhnung von der großen Halle, in der ich jahrelang trainiert hab, auf den kleinen raum jetzt, weniger sauerstoff und so. klar, einleuchtend. hab gesagt, dass es diesmal wohl auch daran lag, dass ich innerlich zu Boden geschaut hab, das wirkt sich ja auf die Körperhaltung aus und dann kriegt man noch weniger Luft. Darauf kam nur, dass es nur an der Umstellung liegt. Habe auch Angst, dass er jetzt schon denkt, ich versuche Aufmerksamkeit oder Mitleid zu kriegen. Hab Angst vor meiner nonverbalen Kommunikation, dass ich zu viel sage und vielleicht noch falsch verstanden werde.

Diesen Sport und den ganzen menschlichen Unterbau brauch ich aber als Ausgleich im Studium, bzw. auch als praktische Ergänzung. Muss sowieso an mir arbeiten, um weiterzukommen, egal wo. Brauche auch meine körperliche Fitness, um mich wohlzufühlen, bin durch und durch Bewegungstier.

Mein vorheriger Lehrer hat sich sehr intensiv auch zwischenmenschlich mit seinen Schülern auseinandergesetzt. Hatten so einige hilfreiche Gespräche, sehr ernst, sehr ehrlich, hab viel gelernt, mich geborgen gefühlt, war auch Mitglied in einem 7-köpfigen Team, waren untereinander alle sehr kameradschaftlich und "kuschelig". Vermisse dieses Team und meinen Lehrer und einfach das Gefühl, dass es nicht egal ist, wie es mir geht.

Hier hab ich auch ein kameraschaftliches warmes Nest, aber es...bewegt sich im Rahmen des Normalen. Bin mit den Leuten halt nicht enger als mit meinen Kommilitonen. Komme mit allen gut zurecht, in jedem Lebensbereich, aber zu einem gewissen Grad muss man sich halt normal verhalten und das fällt mir verdammt schwer.

Demnächst ist eine Party. ich hab Angst davor.
Gehe in Vorlesungen, joggen, einkaufen, habe meinen Alltag zumindest halb im Griff.

Wenn ich alleine bin, heul ich mir die Augen aus und schlitze mir den Arm auf. Nicht regelmäßig, eigentlich nie, nur im Ausnahmezustand.

Habe mich an die psychologische Studienberatung meiner FH gewandt. Bis jetzt kam keine Reaktion. Vermutlich hab ich mich zu gewählt ausgedrückt, zu zurückhaltend, nicht verzweifelt genug. Jeden Satz im nächsten relativiert. Hatte einfach das Gefühl, ich übertreibe. Wollte nicht so viel rumjammern. Das tu ich jetzt hier.
Habe mich dort mit vollem Namen und Studiengang gemeldet. Habe jetzt Angst, dass sich das negativ auf mein Studium auswirkt. Wir werden auf Berufe vorbereitet, in denen man selbstsicher und psychisch belastbar sein muss.
Wir haben Kommunikationstraining. Komme da (noch) zurecht, aber hinterher kann ich mich den ganzen Tag auf nichts mehr konzentrieren. Es sitzt mir wie ein kleines Teufelchen im Nacken, dass man nicht nicht kommunizieren kann. Beobachte mich bei der Interaktion mit meinen Mitmenschen, sehe genaustens, was ich alles falsch mache, und vermute, dass ich nochmal doppelt so viele Fehler gar nicht sehe.
Die schlimmsten Situationen sind die, in denen ich gehemmt bin, mich so zu verhalten, wie ich sollte. Zum Beispiel fühlen sich oft Menschen von mir ignoriert, weil ich nicht guten Tag sage. Das kann ich ganz leicht ändern - dachte ich. Vergiss es! Sobald jemand beschäftigt ist, mir den Rücken zudreht oder geistesabwesend wirkt, ignorier ich ihn um ihn nicht zu stören. Und wenn ich von vielen Menschen umgebeben bin, weiß ich nicht, wen ich grüßen /wahrnehmen /beachten soll und wen nicht. Muss ständig bewusste Entscheidungen treffen, und das kostet so viel Kraft, dass ich spätestens nach ner Stunde nicht mehr freundlich gucken kann. Auf einer Urlaubsreise vor kurzem ging es so weit, dass ich irgendwann heulen musste, weil ich mich einfach nicht entspannen konnte. Spreche auch oft zu leise, hab dann Halskratzen. Oder auch nicht. Mag mich nicht räuspern, kommt mir wichtigtuerisch vor. Bin Smalltalklegasthenikerin, und wenn ich was unwichtiges sage, aber zu leise, ist es für mich der Horror, es zu wiederholen.

Lauter so Kleinigkeiten.

Mir ist klar, dass andere größere Probleme haben. Aber ich mach mir mit diesem Firlefanz das Leben zur Hölle, und ich kann diese Gedanken nicht einfach abstellen.

Ich will was tun. Will vorwärtskommen, mich entwickeln, mein Studium schaffen, meinen sportlichen Weg weitergehen, meinen Kampfgeist wiederfinden, und sowas wie Lebensqualität.

Mir ist klar, dass mich nicht die Lösung des Problems in meiner Höhle besuchen wird. Muss schon rauskommen. Und draußen ist es kalt.

Wenn ich an mir arbeite, muss ich mich immer wieder tierisch ekligen Situationen aussetzen. Wünsche mir jemanden, der mir dann hilft, diese Situationen zu verarbeiten. Eine Vertrauensperson, die regelmäßig da ist und zuhört, mir Rückmeldung gibt über meine Außenwirkung etc.

Ich weiß, dass sich da keinen Anspruch drauf habe.

Habe ein abartiges Kuschelbedürfnis. Wünsche mir jemanden, der mich einfach in den Arm nimmt und wärmt. möchte mich einach mal anlehnen und heulen, falls mir danach ist. Möchte aber keine Beziehung. Und das ist ja leider das, woran die meisten bei kuscheln denken.
Darauf hab ich erst recht keinen Anspruch. Kann nur drum bitten, und ich weiß nicht, wen.
Weiß nur, dass ich es überhaupt nicht komisch oder distanzlos fände, wenn mich ein freund / eine freundin bittet, ihn/sie mal ganz lieb zu drücken. Ich würde das gern tun, es ist ein schönes Gefühl, einem Menschen Halt und Wärme zu geben.
Hab vor meiner mündlichen Abiturprüfung meinen kungfu-lehrer darum gebeten, und der hat total positiv reagiert und mir n ganzen Arm voll Glückshormone mitgegeben...konnte total gut lernen und mich konzenrieren. Es müsste mehr solche Menschen geben.
Hab letztens meinen alten Lehrer angefufen bzw. angetextet, hab ihn aber nicht erreicht. Vermutlich bin ich einfach nicht mehr in seinem Zuständigkeitsbereich. Will ihn dann auch nicht weiter nerven. Weiß nur nicht, an wen ich mich sonst wenden soll.

weiß nicht, ob einem von euch vielleicht was dazu einfällt...

ein paar warme, liebe worte helfen auch schon. Bin froh, wenn ich gehört/gelesen werde.

An das Team und an alle, denen es ähnlich geht wie mir:
fühlt euch einfach mal umarmt und angenommen und warm, ich hab euch unbekannterweise wahnsinnig gern.

Dana Anwort von Dana

Grüße Dich, Julia!

Als erstes bekommst Du eine dicke, feste Umarmung, in der Du Dich einfach mal einen Moment fallen lassen kannst. Das Bedürfnis danach finde ich weder abartig noch übertrieben - ob mit Beziehung oder ohne; Knuddeln ist schön, tut gut, bringt Nähe und gibt Kraft. Ich würde es nicht missen wollen und bin froh, viele Menschen um mich zu haben, die sagen "Dana, drück mich bitte" oder gerne hören "Halt mich bitte fest."

Bist Du sicher, dass es diese Menschen für Dich nicht gibt? War dieser Lehrer/Trainer so eine Ausnahme in Deinem Umfeld? Oder der einzige, bei dem Du es bisher versucht hast. Das Bedürfnis nach Nähe hat wohl jeder Mensch - Du nimmst ihnen nichts weg, wenn sie Dich umarmen und halten. Im Gegenteil; schließlich funktioniert so eine Umarmung auf beiden Seiten.

Du scheinst in der Kommunikation sehr geschult; und eben nicht nur in Worten. Das kann wohl Segen und Fluch sein. Auf der einen Seite kannst Du die Menschen um Dich schneller und besser analysieren, aber auf der anderen scheinst Du Dich selbst ständig im Spiegel zu sehen und nach Fehlern in der Körpersprache u.ä. zu suchen. Ich denke aber, diesen Spiegel solltest Du einfach beiseite schieben. Denn das, was Du in der Körpersprache ausdrückst, ist ja auch nur die Wahrheit, oder? Und ein Stück weit geht es doch darum, dass Du ehrlich sein willst und offen über Deiner Gefühle und Gedanken reden willst. Und wenn Du es in Worte fassen möchtest, dann darf doch der Körper es auch stumm erzählen.

Du möchtest diese Dinge mit Deinem neuen Trainer besprechen. Tu es. Was hast Du zu verlieren? Er könnte Dich missverstehen - das tut er aber ggf. auch, wenn Du nichts sagst. Denn er wird die Unkonzentriertheit usw. auf eine Art deuten. Vielleicht möchte er ein solches Gespräch nicht führen. Dann hast Du es aber versucht und kannst Dir dann ggf. jemand anderen suchen, der ein Ohr und eine Schulter für Dich hat. Es ist nicht zuviel verlangt, wenn man sich wünscht und auch erwartet, dass Mitmenschen für Dich da sind. Da mögen jetzt Stimmen laut werden die von kalter Gesellschaft sprechen, davon, dass wir ja alle nur funktioniern müssen usw - aber haben diese Stimmen recht? Wärst Du nicht auch für die anderen da? Und im gleichen Zug kannst Du das ebenfalls ein Stück weit einfordern. Man nennt es auch Freundschaft. Und für mich war und ist eine Freundschaft dann eine, wenn die Menschen noch da sind, wenn es mir schlecht geht. Alles andere sind kleine Bekanntschaften. Und nur, wenn Du zulässt, dass sie wissen, wenn es Dir schlecht geht, kannst Du auch wissen, ob es Freunde sind, die Dich halten und wärmen.

Diese Angst in kleinen Alltagssituationen vor Menschen macht mir ein Stück Sorge. Es gibt verschiedene Angsterkrankungen; und einige davon haben diese Angst vor 'draußen' als Symptom. Daher kann ich Dich im Entschluss nur unterstützen, Dir auch fachliche Hilfe ins Boot zu holen. Und sei es nur, um eine Erkrankung wirklich auszuschließen. Die sichere Seite fühlt sich immer besser an.

Alles Gute und ein schönes 2008!
Dana