Problem von Michael - 19 Jahre

Ist die Gesellschaft am Abgrund?

Hallo liebes KuKa-Team,

zunächst einmal möchte ich anmerken, dass dies kein wirkliches Problem ist, sondern vielmehr eine bedauerliche Feststellung. Ich möchte mich auch für den langen Text entschuldigen, doch fällt es mir schwer, meine Gedanken kürzer zu fassen.

Ich will erst kurz etwas zu meiner Person schreiben. Ich bin ein ganz normaler 19 Jähriger Junge und werde nach meinem Zivildienst studieren, d.h. Momentan bin ich Zivildienstleistender.
Ich war schon immer ein sehr ruhiger (etwas schüchterner) Typ, der nichts mehr will, als andere Menschen glücklich zu sehen. Ich helfe anderen Leuten (Freunden, Verwandten, oder auch nur flüchtig Bekannten) wo ich nur kann, weil es mich mit Freude erfüllt, wenn ich sehe, dass es anderen Leuten gut geht. Kurz gesagt, das Wohl Anderer ist mir sehr sehr wichtig, oft sogar wichtiger als mein eigenes.

Mein Problem ist nun, dass ich mittlerweile erschreckend feststellen musste, dass es wohl fast überhaupt keine anderen Menschen mehr gibt, denen das Wohl Anderer, ähnlich wie mir, am Herzen liegt.
Man schalte nur einmal die Nachrichten ein: Kriege, Korruptionen, Gewaltverbrechen regieren die Schlagzeilen. Mir ist durchaus bewusst, dass dies nicht alles ist, was in der Welt passiert. Aber diese Schlagzeilen sind es, die die hohen Einschaltquoten bringen, weil die Leute nur spektakuläre Fälle sehen wollen. Bestes Beispiel waren die Terroranschläge in New York. Viele Leute, die ich kenne, sind stundenlang vorm Fernseher gesessen, weil sie möglichst viele spektakuläre Videos von den Einstürzen der Türme sehen wollten. Kaum einer hat mal darüber nachgedacht, was da überhaupt passiert ist. Dass die Menschen teilweise so schaulustige ?Affen? (sry) sind, ist aber längst bekannt, also zurück zum ursprünglichen Problem.

In der Vergangenheit musste ich mir oft Sätze anhören wie z.B.: ?Junge, auf die ehrliche Tour kannst du im Leben nichts erreichen!? oder auch: ?Wenn du mal was erreichen willst und ein gutes Leben führen willst, dann nur wenn du andere Leute bescheisst!?
Über jene Sätze konnte ich immer nur meinen Kopf schütteln, ich will natürlich, wie jeder andere auch, ein zufriedenes Leben führen, doch käme es mir nie in den Sinn, mein Leben durch moralisch so bedenkliche Taten zu führen.

Tja, vor kurzem begann also mein Zivildienst. Da ich, wie gesagt, anderen Leuten gerne helfe, hab ich mich für eine neurologische Reha-Klinik entschieden. Dort sind also Patienten, die nach Unfällen oder Schlaganfällen wieder lernen müssen zu gehen, sprechen, essen etc. Dazu kommt noch, dass die meisten der Patienten nichtmal 40 sind.
Mir gefällt es dort wirklich gut, weil ich ständig damit beschäftigt bin, anderen Leuten zu helfen, was mich natürlich sehr glücklich macht.

Das Problem an der ganze Sache: Scheinbar bin ich auch dort der Einzige, der die Patienten ernst nimmt. Die Ärzte und Pfleger dort machen nur ihren (Zitat:) ?verdammten Job?, und sie reißen Witze über manche Patienten.
Ich war wirklich geschockt, als ich das miterleben musste.
Bevor ich Zivi war und noch zur Schule ging, hab ich ehrenamtlich in einer Kinderklinik ausgeholfen. Ich war der Erste und wahrscheinlich auch der Letzte der dies dort gemacht hat.

Mittlerweile bin ich wirklich Traurig, wenn ich darüber nachdenke, zu was unsere Gesellschaft verkommt. Eine Gesellschaft in der Geld und Macht scheinbar die einzige Sprache sind.

Es heißt immer, Geld verdirbt den Charakter. Dies finde ich aber fast etwas untertrieben. In den letzten Jahren muss ich immer wieder feststellen, dass Geld anscheinend die ganze Menschheit verdirbt. Wenn man eine Umfrage macht, was den Leute im Leben wichtig ist, wieviele würden dann nicht Geld als das wichtigste Angeben?
Ich war immer der Meinung, Geld kann unmöglich glücklich machen. Sicher kann es jemanden für eine gewisse Zeit zufrieden stellen, aber glücklich auf Dauer sicherlich nicht. Warum will ich also Studieren, wenn mir Geld nicht wichtig ist? Ich will meiner Familie später ein gutes Leben ermöglichen, das dies ja ohne Geld kaum mehr vorstellbar ist.

Die größte Misere ist jedoch, dass Menschen, die versuchen Gutes zu tun, immer die ?Deppen? sind. Ich dachte immer, dass man als jener guter Mensch von anderen Leute wenigstens anerkannt wird. Doch viele nutzen mich sogar noch aus und weil ich niemanden verletzen will, sag ich nichts dagegen.
Ich verlange nichts für das, was ich tue, nur ab und zu ein einfaches ?Danke? wäre sehr aufmunternd -leider hört man das nicht sehr oft.

Der Grund, warum ich mich an euch wende, ist einfach der, dass ihr die einzigen Menschen seid, die anscheinend noch eine ähnliche Einstellung zum Leben haben wie ich.
Ich bewundere wirklich was ihr tut. Eure Arbeit hier ist aller Ehren wert und ich hab durch euch das Gefühl nicht allein auf der Welt zu sein. Dafür möchte ich euch danken.
Ich würde doch auch gerne mal von euch erfahren, wie ihr dazu steht. Habt ihr ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht, oder lebe ich einfach nur im falschen Fleckchen Erde?
Seht ihr Hoffnung auf Besserung, oder findet ihr alles gut wie es ist?
Muss man ein böser Mensch ohne Gewissen und Moral sein, um ein ordentliches Leben zu führen?

Möglicherweise interpretiere ich einfach zu viel in das hinein. Ich hab nicht wirklich eine tolle Kindheit gehabt, hab mich nie geborgen gefühlt und fühlte mich schon lange irgendwie fehl am Platz. Ja, ich sehne mich nach Menschlichkeit, nach Geborgenheit, nach einem Ort, andem ich mich einfach zurücklehnen kann und glücklich bin.

Ich ging immer davon aus, dass ich irgendwas gutes bewirken kann. Dass gute, hilfsbereite Menschen die Welt schöner machen, doch mein Glaube an die bessere Welt schwindet nach und nach.

Auch wenn ich mit meiner Einstellung zum Leben alleine dastehe, und immer der Sündenbock für andere bin, werd ich nicht aufgeben. Wenn ich selbst nicht die Chance bekomme, ein glückliches, erfülltes Leben zu führen, dann werd ich wenigsten mein Möglichstes tun, um es anderen Leuten zu ermöglichen. Ich werde nicht aufgeben, denn die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt und wenn ich auch nur einem einzigen Menschen zu einem Lächeln verhelfen kann, dann war es mir das wert.

Ihr vom KuKa-Team, bleibt bitte wie ihr seid.
Alles Gute und danke für die Aufmerksamkeit.

Lg
Michael

Dana Anwort von Dana

Grüße Dich, Michael!

Ach, wie ich diese Gedanken kenne... Aber ein Stück weit haben sie sich im Laufe der Jahre gedreht. Die Welt kann ich nicht retten - aber meine Welt. Das große kann ich nicht verändern, aber im Kleinen kann ich viel ausrichten. Ich bin immer da, wenn ich gebraucht werde - und meine Freunde wissen das sehr zu schätzen. Ich habe keinen riesengroßen Freundeskreis, denn ich erwarte das gleiche von den anderen. Ein kleiner, aber sehr exklusiver Kreis :-) Und ich bin dankbar, dass ich diese Menschen habe und sie mich haben wollen.

Geld macht nicht glücklich - aber es ermöglicht u.a., gut für die Lieben sorgen zu können und das widerum macht auch glücklich. Daher empfinde ich es nicht als Wiederspruch, wenn Du ein Studium anstrebst, um gut leben zu können. Geld verdienen heißt nie, moralisch 'neben der Spur' zu laufen. Ellenbogen braucht dafür vielleicht, aber die reichen auch schon aus. Denn auch das musste ich bitter lernen: Mich nur um die anderen kümmern, geht nach hinten los. Dabei verliere ich nämlich meine Kräfte. Und ohne meine Kräfte, kann ich mich nicht mehr um andere kümmern und dmait geht mir etwas verloren, was für mich wichtig ist.

Ich denke, wenn ich beginne, Toleranz zu üben, Gutes zu tun dann zieht das Kreise. Mein Mann würde jetzt über mich schmunzeln - seine kleine Versteher-Frau, die mit ihrer romantischen Seele immer das Gute sucht. Vielleicht ist es naiv - aber es ist schön.

Vor ungefähr drei Jahren trat ich eine neue Stelle als Arzthelferin an - schon in der ersten Woche kassierte ich den Anschiss (sorry) meines Lebens: Ich habe mich zu lange mit einer Patientin aufgehalten. Der armen Frau ging es wahnsinnig schlecht, weil die Enkelin im Krankenhaus lag. Aber das zählt nicht. Dafür bin ich ja nicht verantwortlich. Okay, nach vier Wochen war ich raus aus der Nummer und hab mich auf die Suche nach einer menschlichen Praxis gemacht - und gefunden. Das erzähle ich, weil Dein Zivildienst in einem verwandten Bereich stattfindet und damit Du den Glauben nicht verlierst, dass es auch anders geht ;-)

Ich denke, Du wirst Dir selbst treu bleiben. Und auf diesem Weg wirst Du Menschen begegnen, die es ähnlich sehen, die ähnlich leben wollen. Und damit wunderbaren Stützen für Dich selbst finden.

Hey, die Welt ist nicht so übel, wie sie uns oft erscheint - wir können alle unseren kleinen Betrag einzahlen, um dann die Zinsen dafür zu bekommen.

Alles Gute!
Dana