Problem von anonym (w) - 13 Jahre

Für immer geschädigt?

Hallo liebes KuKa-Team,

ich habe schon seit ziemlich langer Zeit Probleme mit meinem Leben und mir selbst. Wo fange ich an...
Einmal hab ich mich gefragt, warum niemand ein Lebens-Ueberlebens-Training mit mir durchgefuehrt hat bevor ich geboren wurde. Dann waere ich vorbereitet gewesen, abgehaertet. Da ich als kleines Kind fast nie oft unter gleichaltrigen war (hatte andere Beschaeftigungen und meine Eltern waren auch eher Stubenhocker), war ich nicht richtig an Kritik und dumme Sprueche gewohnt, kindliche Rangeleien usw. Dazu kommt noch, dass ich von Natur aus schrecklich schuechtern war (so viele soziale Kontakte waren etwas ungewohnt) und besonders empfindlich. Klar, dass mich dumme Bemerkungen tief ins Herz trafen. Ich habe dann gegruebelt und es nicht richtig verarbeitet.So bin ich, grueblerisch. Ich war nicht gerade die Huebscheste, strahlte eine gewisse Opfermentalitaet aus und galt als Streberin, obwohl ich mir die Sachen einfach gut merken konnte. Aber man konnte nie richtig von Mobbing sprechen. Ich wurde auch immer sehr verwoehnt und war ziemlich unselbstaendig, was mir hier und da auch gefehlt hat. Kurz: Es war immer die Schule, die mich traurig gemacht habe. Selbst meine Schwester war sehr ueberrascht nach der ersten Schulzeit, wie still ich geworden bin. Vorher war ich immer so draufgaengerisch im Kreis der Familie gewesen...
Mangelndes Selbstbewusstsein war mein staendiger Begleiter. In der 3.Klasse wurde ich auch noch von einer kleptomanischen Klassenkameradin geaergert und ausgenutzt, weil ich nicht 'nein' sagen konnte. Wegen ihr hatte ich Angst, zur Schule zu gehen, da ich dieses falsche Spiel nicht mehr aushielt und sie auch ziemlich gemein werden konnte. Doch dann entwickelte ich einen Panzer. Manche Aussagen nahm ich nicht wirklich ernst und wurde sarkastisch. Ich war einen Tick selbstbewusster geworden, und cleverer ;-) Ich fand gute Freunde, denen ich zu verdanken habe, dass ich fuer eine kurze Weile sogar gern zur Schule ging. Das war die 4. Klasse.
Auf dem Gymnasium wollte ich von ganz neu anfangen. Machte aber wieder alles falsch. Wieder war ich die Aussenseiterin, war wahrscheinlich nicht interessant genug, da ich keine Gespraechsthemen wusste und so einen Zwang spuerte, die wenigen Leute unterhalten zu muessen, um sie nicht zu verlieren. Ich fand dann schon eine Freundin. Ich war aber trotzdem nach einer Weile so scheisse enttaeuscht, das dieser Schulwechsel nicht so gluecklich war. Ich war leicht aus der Bahn zu werfen und kam dann auch noch in diese verdammte perfektionistische Phase, in der ich meinte, nur durch absolute Perfektion meine Komplexe zu beseitigen. Das war mir dann nicht immer bewusst. Und dann verstaerkte ich mir auch noch mein Image als Streberin, als ich mich (eher halbherzig) ueber eine 1- beschwerte. Oh, stimmt ja, hab vergessen, dass mir bereits wieder ein Stempel aufgedrueckt wurde. Sie meinten, ich wuerde viel lesen, weil ich relativ sprachbegabt bin. Seit dem habe ich dieses Image immer noch, obwohl ich Lernen soviel mag wie eine Bronchitis. Jedenfalls war ich staendig unzufrieden mit mir und der Ehrgeiz fraß mich auf. Ich wollte einem Idealbild entsprechen, zwar nicht beliebt sein (nein, ich will nicht, dass sie mich unbedingt lieben. Oder doch?!), hatte aber trotzdem immer davon getraeumt, dass sie mein wahres Ich kennen lernen. Und das sind 2 ausschlaggebende Punkte: dass ich immer in einer Traumwelt lebte und, was jetzt eines meiner Hauptprobleme ist, ich nicht ertragen konnte, dass man in mir eine Person sah(und sieht) mir fremd und bekannt zugleich vorkommt.Jedenfalls zog ich mich stark zurueck und hatte immer schlechte Laune. Ich weiß, dass wenn ich mich nicht akzeptiere, die andern sich auch nicht besonders viel Muehe damit geben, mich kennenzulernen.Aber die Theorie ist manchmal halt einfacher als die Praxis.
Einmal hatte ich (unter Weinen und Leiden, weil die Ferien zu Ende waren) die Erkenntnis, dass ich mich nicht mehr selbst beluegen konnte. Sardonischund bissig, wie ich war, wurde ich das noch ein wenig mehr. Vorher lebte ich in einer Scheinwelt; jetzt bekam ich einen Blick fuer die wichtigen Dinge. Zuerst war ich auf einem Selbstfindungstrip. Ich fragte mich ziemlich stark, wer ich denn dann sei, wenn nicht die Person, die ich immer zu sein glauben schien? Diese Orientierungslosigkeit machte mich traurig, noch leichter reizbar und der Hass auf die eigene Person machte mich depressiv. Mit 12... Ich konnte nicht mehr klar denken, ich suchte nach einem bestimmten Modestil fuer mich. Ich war seelisch zerbrochen, denn es kamen ja manchmal noch andere Dinge dazu. Eines der großen Ausloeser war auf jeden Fall...
Der Schulsport: Immer eine Flasche in Sport gewesen, tat ich mich auch hier nicht besonders leicht. Ich hatte Angst vor Reckuebungen und konnte nicht schwimmen. War bekannt als die Sportschwaenzerin. Ich hatte regelmaessige Angstzustaende, was auch zu meiner Depression beitrug.
Meine jetzige Lage: zwar bin ich nicht mehr depressiv, durch philosophische Erkenntnis :-), aber ich habe wieder Angst vorm Sportunterricht, meine Lehrer liegen mir im Ohr, dass meine Noten zwar Ausreichend bis Gut ssind, ich aber mehr haben koennte, wenn ich oefter den Mund aufmachen wuerde UND ich, auch wenn ich ziemlich alternative Ansichten entwickelt habe und weiß, dass man einfach seinen Weg gehen sollte und sich von den irdischen menschlichen Fesseln ruhig loseisen kann (nicht von allen), immer Angst verspuere, Sticheleien entgegen nehmen zu muessen. Ich sage nicht wirklich was, aber ich KANN schlagfertig sein und ebenfalls ein Schlitzohr... Mir geht es dreckig, trotzdem finde ich, dass ich einen großen Schritt gemacht habe, denn ich HABE mich veraendert. Ich kann es einfach nicht beschreiben. Bodenstaendiger? Jedenfalls bin ich mit meiner Person nicht besonders zufrieden und bin ueberarbeitet, weil ich fuer meine HA viel Zeit opfern muss, dabei sind sie gar nicht so schwer. Ich sehne mich dauernd nach einem anderen Leben, nach Freiheit. Dahingehen, wo der Wind mich traegt. Dauernd diese Sehnsucht. Dauernd diese Anstalt (Schule).
Ich wuerde einfach gerne mit einem Skateboard in die Freiheit rollen. Und vllt Musik machen. Neu anfangen. Nicht die selben bescheuerten Sachen, nicht die Lehrer, die nicht merken, wenn ich sie ankeife, nicht dieses unwohle Gefuehl wegen meinem Akzent... Es ist wirklich nichts dabei, aber trotzdem ist es so. Es ist nebensaechlich, sagt mein Kopf, aber mein Herz? Ich verspuere so einen Hass auf mein Umfeld, darauf, warum sie zufrieden sind und ich deprimiert bin.
Wie konnte das geschehen? Wut,Trauer und Angst haben mein Leben beherrscht. Natuerlich war auch jede Menge Freude dabei. Aber ich habe mir nicht die Zeit dafuer genommen.
Was kann ich tun, damit es mir wieder besser geht? Wird das immer so sein?
Tut mir Leid, dass die Mail so lang geworden ist, aber es tut gut,sich etwas von der Seele zu schreiben und ich musste mir auch noch einen kleinen Einblick gewaehren.
Gruesse an alle, die das hier lesen!

Dana Anwort von Dana

Grüße Dich!

Ich werde meine Antwort jetzt einmal anders gestalten, als sonst... ich schätze Dich -nach dem Lesen der Mail- als sehr gedankenvollen Menschen ein, der sehen wird, was dahinter steckt:

Geschichte Nr. 1:

Heute werde ich eingeschult - ohje, hab ich eine Angst. Alles ist so fremd, überalls sind Menschen, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe. Sie sind so laut. So viele. Ich halte mich nah eine meine Mama. Sie ist der einzig bekannte Mensch hier. Mein Vater ist auf Montage, immer Arbeiten und nur von Freitag Abend bist Sonntag zu Hause. Nicht mal heute hat er sich frei genommen. Nicht mal für diesen Tag, an dem ich ihn doch so sehr brauchen würde. Irgendwann wird mein Name aufgerufen und ich muss aufstehen. Alle sehen mich. Was sie wohl von mir denken? Meine Knie zittern; das sehen sie alle. Alle wissen, dass ich Angst habe. Dabei sind doch die anderen Kinder so selbstsicher aufgestanden. Nur ich wieder nicht. Meine neuen und ersten Mitschüler scheinen sich zu kennen. Aus der Nachbarschaft, aus dem Kindergarten. Kindergarten? Da war ich nicht. Sie habe alle einen Vorteil. Im Laufe des ersten Schuljahres knüpfe ich eine Freundschaft. Die anderen haben Cliquen; ich nur eine Freundin.

Dann ging es irgendwann auf die Orientierungstufe. Schon wieder alles neu. Meine Freundin ist in eine andere Stadt gezogen und hat mich nun auch noch allein gelassen. Schon wieder lauter neue Gesichter, die keine Mühe haben, auf andere zuzugehen. Schon wieder Schüler, die im Sportunterricht mich als letzte in die Mannschaft wählen. Schon wieder Schüler, die in Physik und Mathe immer besser sind und denen alles so leicht von der Hand geht. Und schon wieder haben die anderen Unmengen Freunde und ich halte mich verkrampft an ein paar Seelen fest, die wahrscheinlich so einsam sind wie ich.

Ich bin die, die anders ist. Ich passe dort nicht hin. Meine Kleidung ist anders, meine Gedanken sind anders, meine Interessen sind anders. Die andere, die so still ist, dass sie nie auffällt. Und niemand machte sich die Mühe, sie kennenzulernen, sie aus diesem Konkon zu befreien. Sie war egal und man zeigte es gern und deutlich. Die, die erst aufblühte, wenn der letzte Schulgong ertönte und sie nach Hause hetzt, um in Sicherheit vor all diesen Leute zu sein. Sich an die Hausaufgaben setzte, um dann dorthin zu gehen, wo sie sich wohl fühlte. Keine Mitschüler, sondern Menschen, die ich kennenlernte, als ich mal bei einer Bandprobe war. Menschen, bei denen ich nie anders bin, denn sie sind auch anders. Anders als der Rest.

Gschichte Nr. 2:

Heute werde ich eingeschult. Gefühle aus Angst und Aufregung mischen sich. Ich bin mit meiner Mutter allein in der neuen Umgebung; was für ein Glück, dass sie für mich da ist. Mein Vater ist nämlich arbeiten und konnte sich nicht frei nehmen. Mensch, werde ich ihm eine Menge zu erzählen haben, wenn er am Freitag endlich wieder zu Hause ist. Er wird sicher stolz auf seine Kleine sein. Als mein Name aufgerufen wird und ich nach vorne gehen muss, bemühe ich mich, genauso selbstbewusst und fest zu gehen, wie die Kinder vor mir. Ich glaube es misslang. Wer kann mit zitternen Knien schon gut laufen. Na, hoffentlich fällt es nicht auf - ob die Knie der anderen auch zitterten? Für sie ist es doch auch ein großer, fremder Tag. Ich habe die Hoffnung, dass es so ist und dass man einfach nicht sieht, wenn Knie zittern.

Die anderen Kinder kennen sich alle. Aus der Nachbarschaft oder aus dem Kindergarten. Im Kindergarten war ich nie; und mein Start ist etwas schwerer. Aber ich finde die tollste Freundin der ganzen Welt. Unzertrennlich und wir schwören uns, für immer Freundinnen zu sein. Mal sehen, vielleicht ist es ja wirklich so und wir kennen uns noch, wenn wir eines Tages heiraten (kleine Anmerkung aus dem Jetzt: sie war meine Trauzeugin). Wer braucht ganze Cliquen und unzählige Leute zum Treffen, wenn man doch so eine Freundschaft hat?

Schulwechsel. Diesmal kann ich mit all dem Neuen schon besser umgehen. Meine Freundin ist in eine andere Stadt gezogen, aber wir telefonieren viel und manchmal fährt mein Vater mich zu ihr - das sind dann die besten Wochenenden des Jahres. Eines wird sich wohl nie ändern: Mathe und Physik gehören einfach nicht zu meinen Stärken. Aber dafür liebe Deutsch und Bio - passt prima, wenn es um das Ausgleichen geht; und in diesen Fächern macht mir niemand was vor. Mal bin ich die Dumme, mal die Streberin; mensch, die Mitschüler können sich aber auch nicht entscheiden. Wie auch? Ich bin ja die Meisterin im Verstellen und Wandeln; mein Ich habe ich ihnen noch nie gezeigt. Irgendwie scheint es hier auch nicht herzupassen. Die haben alle ihren ersten Freund und reden über Musik, die ich abscheulich finde. Und sie rennen auch jeder Mode hinterher. Das ist nichts für mich. In der Schule bin ich die stille, das graue Mäuslein, das Mauerblümchen - dabei habe ich so tolle Freunde gefunden. Lauter Musiker aus der Stadt. Kaum zu glauben, wieviele Bands es in so einer kleinen Stadt gibt; und ich kenne sie heute alle. Durch einen Zufall hab ich einen Schlagzeuger kennengelernt, der mich einfach mal eingeladen hat. Er war genauso anders, wie ich es bin. Und zusammen haben wir beschlossen, dass die anderen anders sind, und wir die 'richtigen'. Ich habe meinen Stand gefunden; nicht in der Schule, aber das ist mir auch wirklich egal, es macht mir nichts aus, still zu sein und auf den letzten Schulgong zu warten. Denn dann, dann beginnt der glückliche Teil des Tages.


Es ist die Geschichte des gleichen Mädchens. Noch heute, als erwachsene Frau ist sie oft still und zurückhaltend und hat die Scheu vor Fremden nie ganz ablegen können. Aber diese Zurückhaltung bringt auch Beobachtungsgabe mit sich, keine Oberflächlichkeiten. Wenn ihr jemand ins Gesicht lacht, spürt sie, ob es ein echtes Lachen ist. Sicher, wäre die Schulzeit oft einfacher gewesen, wenn sie da schon einen Teil der heutigen Sicherheit gehabt hätte und sich mehr zugetraut hätte. Aber sie weiß sehr genau, dass sie in ihrem Leben den richtigen Weg gegangen ist, denn sie ist sehr glücklich geworden.

Und ich bin sicher, auch Du kannst Deine Geschichte in einem anderen Licht erzählen. Nichts ist immer nur schwarz oder weiß - es sind die Tönungen dazwischen, auf die es oft ankommt. Verändere Deinen Blick auf Dein Leben - schau hin, was schön ist, wie Du es haben willst, was sein soll.

Alles Gute!
Dana