Problem von Audrey - 18 Jahre

Essstörung

Hallo liebes Kummerkasten-Team =)
Ich habe euch vor einigen Monaten schon einmal eine Nachricht geschickt, auf die ich keine Reaktion bekam. Damals erzählte ich euch von meinem Liebeskummer. Diesmal möchte ich das Problem treffender beschreiben.
Der Teufelskreis, in dem ich mich derzeit befinde, begann ziemlich genau vor einem Jahr - Anfang November 2007. Damit ihr mich verstehen könnt, möchte ich etwas weiter ausholen und euch von mir erzählen.
Ich bin und war immer eine Träumerin mit einem ausgeprägtem Bedürfnis Ideale zu erreichen. Ich hatte eine wunderbare Kindheit in einer großen Familie und in der anfänglichen Teenager-Zeit nie große Probleme. Als ich ungefähr 12 war, legte ich eine Menge Babyspeck ab und bekam eine sehr schöne weibliche Figur, mit der ich mich auch wohl fühlte. Ich fand echte, tiefgehende Freundschaften mit gleichaltrigen Mädchen, die teilweise bis heute hielten. Ich bekam meist sehr gute Noten, hatte viele Hobbies und so einiges vor in diesem Leben. Doch ein Wehmutstropfen blieb immer. Mein kleines idealistisches Herz konnte sich nie mit einem gehobenem Mittelmaß zufrieden geben. Ich wollte einfach alles erreichen, tun und sein, was ich als schön empfand. Und an die Ideale , die ich mir selbst aufbaute und die Vorbilder die meine Jugend prägten kam ich nicht heran. Bei einer Größe von 1,70m und einem Gewicht von 68kg war ich nie die Schlankeste. Ich hatte breite Hüften und stramme Waden. Besonders im Alter zwischen 14 und 17 nahm ich mich selbst stückweise aus dem Leben und entschloss mich statt aktiv zu werden, davon zu träumen, was ich später einmal tun könnte. Ich ging nicht zur Tanzschule, trug selbst im Sommer nie kurze Kleidung, ging nicht mehr ins Schwimmbad und verbrachte viele Abende allein vor dem Fernseher. Ich sah dann im Schlafanzug mit einer Pizza auf dem Schoß meine Lieblingsserien und träumte von dem Leben, dass meine Vorbilder dort auf der Mattscheibe führten. Mit 16 den perfekten ersten festen Freund finden, um den mich alle beneiden, das Gymnasium als Jahrgangsbeste beenden, die Abschlussrede halten, die Königin des Abschlussballs sein und als minderjährige Autorin veröffentlicht werden- all das waren meine Ideale. Wenn ich es nicht auf diese Weise machen konnte, wollte ich es bleiben lassen. Ganz oder gar nicht. Und so wurde ich oft selbstmitleidig.
Im Mai 2007 kam schließlich die große Wände in meinem Leben. Ich entschloss mich mit enormer Willenskraft, die Dinge in die Hand zu nehmen. Innherhalb von zwei Monaten nahm ich 8kg ab und begann auf eine andere Weise zu leben. Der folgende Sommer, war der schönste meines Lebens. Ich fühlte mich seit langem endlich wieder wohl in meiner Haut, obwohl ich immer noch keine Model-Maße hatte. Doch ich konnte so viele Ketten sprengen, mit denen ich mich selbst angebunden hatte. Ich Ging abends aus und fühlte mich wie die Schönste im Raum. Ich lernte viele liebe neue Menschen kennen und fühlte mich durch deren positive Reaktion auf mich immer besser. Im Oktober 2007 kam es zum Höhepunkt einer wunderbaren, unbeschwerten Zeit. Ich hielt gerade mein Tiefstgewicht von 60kg indem ich sehr wenig aß und bis zu3,5h Sport am Tag machte. Doch ich war motiviert genug dafür. Ich fühlte mich so attraktiv wie nie zuvor in meinem Leben und bekam von so vielen Seiten positive Resonanz. Menschen die mich schon lange kannten, machten mir Komplimente und Jungen, die ich neu kennen lernte, waren sehr interessiert an mir. Ich gewann in dieser Zeit vor allem zwei Dinge die ich bis dahin nicht in diesem Ausmaß kannte: männliche Freunde und Verehrer. Ich hatte noch nie einen Freund gehabt. Nun wurde mein Selbstwertgefühl enorm gestärkt. Auf dem Höhepunkt meiner neuen Lebensfreude, lernte ich einen Jungen kennen, in den ich mich nach nur einer Woche von ganzem Herzen verliebte. Ich bin kein Mensch, der leichtfertig über Liebe spricht. Doch noch heute, über ein Jahr nach einem Magischen Moment, liebe ich ihn. Ungefähr zur selben Zeit als ich merkte, was er mir bedeutete, kam er erneut mit seiner Ex-Freundin zusammen, von der er sich 3Monate zuvor getrennt hatte. Die beiden wahren verliebter, denn je, der Freundeskreis, dessen Teil sie waren, freute sich mit und ich stürzte ab. Ich fühlte mich wie schlagartig aus dem Leben gezogen und als ob mir all das, wofür ich die letzten Monate gearbeitet hatte wieder genommen wurde. Wie es wohl für Liebeskummer typisch ist, verlor ich fast all meine Lebensgeister. Das schlimmste war, dass dieser Junge auch sehr abrupt den Kontakt zu mir abbrach. Wie ich später erfuhr tat er es aus Rücksichtnahme, da sich mein Interesse ihm allgemeinen Stadtgespräch verbreitet hatte.
Und obwohl Liebeskummer für niemanden ein Spaziergang ist, konnte und kann ich wohl besonders schlecht damit umgehen. Ich verlor jegliche Motivation etwas zu tun, ließ meine Schularbeiten schleifen, widmete mich nicht mehr meinen Hobbies, meldete mich immer seltener bei meinen Freunden und endete dort wo ich angefangen hatte: Im Schlafanzug, Süßigkeiten und Pizza essend vor meinen Lieblingsserien. Vor allem durchs Essen versuchte ich die verschwundene Lebensfreude zu kompensieren. Ich aß aus Frust, Langerweile, Selbstbestrafung, Müdigkeit, Kraftlosigkeit und Selbstmitleid. Und nahm 14kg zu bis ich 74kg wog. Das Essen bleibt bis heute als mein großes Problem zurück.
In diesem Jahr gab es auch einige wundervolle Wochen, in denen ich glaubte wieder Aufwind zu spüren und glücklich war. Doch oft hingen sie an Illusionen, die ich mir selbst aufbaute. Immer wieder von neuem fiel ich und meistens tiefer als zuvor. Der Anlass war meistens meine unerwiderte Liebe, die mir sehr oft Kraft nahm. Heute befinde ich mich noch immer zwischen Tagen des Fastens und krankhaften Fressattacken. Eine normale, gesunde Beziehung zum Essen, habe ich schon lange nicht mehr. Schon oft habe ich mich gefragt, ob ich da alleine wieder herauskommen kann, oder lieber Hilfe suchen sollte. Doch der nächste Gedanke ist jedes Mal: Audrey, stell dich nicht so an!Es gibt Menschen mit richtigen Problemen. Vielleicht bin ich tatsächlich eher willensschwach, vielleicht lasse ich mir zu sehr hängen und bin zu glücksverwöhnt. Genau da liegt, so denke ich, mein Problem. Es gab diese Zeit, in der ich mich wohl in der Welt und mit mir Selbst fühlte, verliebt war und mir der Himmel erreichbar schien. Um all das fühle ich mich betrogen. Schon mehrmals habe ich mich erfolgreich aufbemüht und wurde jedes Mal vor den Kopf gestoßen, als mir bewusst wurde, dass ich dem ersten Menschen, den ich liebe, einfach egal bin. Das erster- Freund- Ideal hat sich erledigt. Mit einem 1,4er Abitur kam ich auf der Liste der Jahrgangsbesten nur auf Platz 8. Auf meinem Abschlussball war ich leider nicht die Ballkönigin, sondern das Mädchen, dass sich hemmungslos betrank und im Bett eines flüchtigen Bekannten aufwachte. Nur eins kann ich auf der Haben-Seite verbuchen. Ich habe die Abschlussrede gehalten - nur leider war es keine, mit der ich zufrieden war.- Ich erhielt eine Menge Lob und Aplaus, aber: Sie war nicht perfekt. Ich bin nun in einer für mich unmöglichen Situation. Mit einem Gewicht von 70kg fühle ich mich einfach nicht wohl in meiner Haut. Ich bin introvertierter, zurückgezogener, letargischer und unmotivierter als ich es sein möchte und als ich es schon war. Ich fühle mich erneut selbst in Ketten gelegt. Immer öfter flüchte ich zum Alkohol, der mir hilft meine eigentliche Traurigkeit in der Öffentlichkeit zu überspielen.
Ich frage mich so oft woher ich die Kraft nehmen soll, all meinen Träumen wieder näher zu kommen.

Ich würde mich sehr darüber Freuden, eine email von euch zu bekommen.
Eurem Hinweis "möglichst Ausführlich" zu sein hätte ich in noch ganz anderen Dimensionen nachkommen können - aber ich will es mal nicht übertreiben. =)
Allein das Schreiben hilft mir, jedes Mal, wenn ich ein wenig Elan dazu finde sehr.

Danke fürs Lesen
Audrey =)

Dana Anwort von Dana

Grüße Dich, Audrey!

Die Ideale, die Ziele, die Du Dir vorgenommen hast, sind/waren hoch; und ich denke nicht, dass man verzagen sollte, wenn man sie nicht erreicht. Und ich frage mich auch, ob es Deine waren, für Dein Leben oder ob Du sie Dir aus Fernsehgestalten gezogen hast und für Dich übertragen hast. Ging es um Dich? Oder darum so zu sein wie die Mädels auf dem Bildschirm?

Du erscheinst mir als ein sehr reflektierter Mensch; kannst genau sagen, warum Du wann wie gehandelt hast. Kannst Du nun auch auf dem gleichen Weg aus der Situation aussteigen? Du kannst jetzt auch reflektieren und für Dich entscheiden, was Du wie in Deinem Leben haben willst. Und achte dabei wirklich auf Dich; nicht darauf, was Serienhelden aus ihrem Leben machen. Was möchtest Du? Du schreibst Dein Drehbuch und führst die Regie...

Du denkst darüber nach, fachliche Hilfe in Anspruch zu nehmen? Ich halte es das für einen sehr, sehr guten Weg. ich kann nicht sagen, was hinter dieser riesigen Traurigkeit steckt, woher die Antriebslosigkeit kommt; dass kannst Du ggf zusammen mit einem Therapeuten erarbeiten und so auch viel leichter die Wege für Dich erkennen und gehen. Du sagst, es gäbe Menschen mit richtigen Problemen. Aber ist es kein richtiges Problem, traurig zu sein und nicht zu wissen, wie man glücklich sein kann? Ist es kein richtiges Problem, mit dem Essen vieles zu kompensieren und nicht zu wissen, wie man sich die Dinge in Wahrheit holen kann? Ich denke, es ist ein Problem, das man jederzeit mit einem Arzt besprechen kann und sollte, um sich über die verschiedenen Möglichkeiten einer Therapie zu informieren. Und wenn Du jetzt immer noch sagst, meine Probleme sind diesen Weg nicht wert, dann nimm es als Schlussstrich dieser Situation. Du kannst die Dinge verändern; wenn nicht allein, dann mit der Hilfe. Lass nicht zu, dass sich die Traurigkeit immer tiefer in Dein Leben beißt.

Alles Gute!
Dana