Anwort von Dana

Liebe Unbekannte!

Deine Schwester weiß schon, warum sie sich da an dich wendet, du bist anscheinend jemand, dem man wirklich vertrauen kann und der verantwortungsbewusst ist. Sehr schön! Dass du dir in dem Fall Hilfe suchst, ist auch richtig, das kann ein unbedarfter Mensch gar nicht alleine.

Zuerstmal wäre es gut, wenn du deiner Schwester signalisierst, dass sie in dir IMMER eine Anlaufstelle hat. Dass sie, bevor sie zum Messer greift, zum Telefonhörer greifen (falls du nicht mehr daheim wohnst) oder eben die Klinke zu deinem Zimmer drücken soll. Damit nimmst du ihr schon mal den Druck, mit allem alleine zu sein.

Ritzen geschieht meist deshalb, weil man seelische Schmerzen hat, die physisch raus wollen, weil man spüren will, ob man noch lebendig ist...der Schmerz befriedigt komischerweise auch, man hat seinen eigenen Körper wenigstens unter Kontrolle...und er befreit, wenn er nachlässt. Ritzen ist in den allerseltensten Fällen ein Heischen um Aufmerksamkeit, daher gehe davon nicht aus. Aber es ist ein tiefer Hilferuf, verbunden mit gegen sich gerichteten Aggressionen.

Wichtig ist, dass du deine eigene Panik, was deine Schwester betrifft, völlig wegsperrst. Du musst die "ruhige Insel" für deine Schwester sein, erstmal. Da sie dir vertraut und dir die Arme auch zeigt, wenn sie geritzt hat, bist du die erste Anlaufstation, die sie wohl möchte. Sie bittet dich also indirekt um Hilfe.

Die Verantwortung ist natürlich riesig, du wirst es auch nicht für immer alleine tragen müssen. Aber am Anfang wäre es sinnvoll, wenn du diese Verantwortung auf dich nimmst. Bring sie zum Reden! Frag sie, was für Schmerzen sie hat (innerlich), worauf sie wütend ist, worunter sie leidet. Geh nicht auf das Ritzen als "du bist ja doof, das so zu lösen!" ein, zeige nicht, dass du es verurteilst. Es ist für deine Schwester momentan ein absolut wichtiges Ventil. Sie lässt dadurch Druck ab. Verbiete ihr das Ritzen nicht, das baut wieder Druck auf, sondern versuche, den Druck abzubauen, indem du mit ihr sprichst.

Es kann sein, dass du momentan vermehrt für deine Schwester da sein musst, bis sie soweit ist, sich in fachliche Hände zu begeben. Davor wäre es gut, wenn du ganz langsam vorgehst, versuchst, rauszukriegen, was mit ihr ist und dann sie dazu bringst, mit den Eltern zu reden (gerne, wenn du dabei bist). Sie darf sich nicht alleine fühlen, nicht alleine gelassen. Rede bitte nicht selbst mit den Eltern, ohne dass sie das weiß, das ist ein absoluter Gesichtsverlust für deine Schwester. Sie muss das selbst hinkriegen.

Die Reihenfolge wäre also: mit dir reden, bis du weißt, was ist, dann müsstest du ihr erklären, dass Hilfe suchen nichts schlimmes ist und dass eure Eltern unbedingt eingeweiht gehören. Biete ihr an, dabei zu sein und gerne auch das Gespräch zu führen. Keine Vorwürfe, nur Hilfe. Das musst du auch deinen Eltern gleich verbieten, wenn sie vorwurfsvoll reagieren sollten. Sie werden recht geschockt sein und erstmal vielleicht das Falsche sagen. Passiert schnell.

Und dann müsstet ihr sie langsam aber sicher drauf vorbereiten, dass sie mal mit jemandem Fachlichen reden sollte, jemandem, der nicht involviert ist. Psychotherapeuten können sehr viel bewirken, weil sie sehr erfahren sind. Gerade mit Jugendlichen und ihren Problemen.

Ich finde es toll, dass du so für deine Schwester da bist, dass sie dir so vertraut. Das ist nicht so oft der Fall und freut mich.

Gib jetzt nicht auf, auch wenn es Arbeit bedeutet. Lass deine Schwester das wert sein.

Liebe Grüße,

Dana