Problem von Janina - 22 Jahre

Verlustängste und Einsamkeit quälen mich!

Hallo,

mein Name ist Janina und ich leide unter schrecklichen Verlustängsten und Einsamkeitsgefühlen.
Ein Familienleben kenne ich nicht, da mein "Erzeuger" Alkoholiker war und ist und uns immer die Hölle auf Erden bereitet hat, ich hatte immer Angst er bringt Mama um. Leider ist Mama im Dez 09 Nachts ganz plötzlich an einem Herzinfarkt gestorben.
Sie hatte schwache Nerven und sehr schnell Wutausbrüche die wir Kinder und vor allem ich da ich immer versucht habe zu schlichten, abbekommen haben. Dies lag aber glaube ich an den Exzessen meines Erzeugers, er war für mich nie ein Vater und wird es auch nie sein, und dazu kam noch die Zusatzbelastung mit uns Kindern, ich habe noch drei jüngere Geschwister.
Meine Tante meint dass sie das Gefühl hat er, unser Erzeuger meint es jetzt ernst und will sich bemühen, auch um meine Schwester.
Aber ich kann und will es nicht, ich will keine Bindung zu ihm aufbauen, man redet mit ihm, ok, versucht weil man ja im selben Haus wohnt auszukommen ok aber er war für mich nie ein Vater, ist keiner und wird auch nie einer sein, das will ich nicht. Würde er sterben, es wäre mir egal, ich wäre froh er wäre gestorben und nicht Mama.
Aber irgendwie versteht das keiner, ich habe dann eher noch das Gefühl dass ich als Stur und verbohrt gelte aber das finde ich gemein er hat mir schließlich die ganze Kindheit genommen und mich in die Hölle verfrachtet und Mama.
Sie ist nicht umsonst gestorben hauptsächlich war es der Stress und Streit mit ihm.
Ich musste schon wie oft als kleines Kind dazwischen gehen sonst hätte er Mama bestimmt umgebracht, einmal stand er mit dem Messer vor ihr, ich bin dazwischen da war ich neun. Das kann ich doch nicht einfach vergessen!
Außerdem säuft er immer noch munter weiter!!!
Die Seite meines Erzeugers hat sich nie großartig um uns bemüht wir haben sozusagen nix miteinander am Hut. Seine Schwester wohnt zB. im gleichen Ort und hält es nicht mal für nötig wenigstens mal am Geburtstag an die Tür zu kommen und zu gratulieren, da wird nur mal angerufen. Ich habe zB. von der Seite auch schon ewig nicht mehr zum Geburtstag gratuliert bekommen, seine Eltern sagten mit mal gladweg ins Gesicht, jetzt bist du 18 Jahre geworden dann kommen wir nicht mehr.
Seine Schwester hat auch ungefähr nur eine Woche nach Mamas Tod nichts besseres zu tun als mir zu sagen "Auch wenn es schwer ist, man muss seinen inneren Schweinehund überwinden und dann räum mal hier auf, wie säh es den hier aus" dies war als in der Kirche der Abschiedsgottsdienst gehalten wurde.
Sie konnte auch nie wirklich Gefühle zeigen, so wurde sehr selten geknuddelt, Küsschen von selber gar nicht musste ich immer aufzwingen und wirklich mal gesagt bekommen dass man uns lieb hat, wurde uns nie.
Ein Bruder hat Down-Syndrom, mein anderer Bruder ADS und meine Schwester war an sich "normal" nur dass sie sehr verschlossen und schüchtern war aber dann als sie in die Pubertät kam wurde sie schrecklich was für Mama eine zusätzliche Belastung war.
Ich war immer die einzigste die für sie da war, gemerkt hat wenn was nicht stimmte und ihr half.
Ich verhalte mich leider oft wie ein Kind, sprich ich drücke die Leute immer wenn sie kommen, will ihnen Küsschen geben, möchte immer ihre Aufmerksamkeit und sehen mich danach gesagt zu bekommen dass man mich lieb hat, leider sagt das von selber nie einer zu mir.
Mein Herz tut mir weh und ich habe diese unendliche Traurigkeit in mir welche mich aufzufressen droht.
Als meine Mama starb wäre ich fast zerbrochen aber es gab für mich einen Halt und der war meine Patentante. Sie ist/war Mamas Schwester und beide liebten sich sehr.
Ich liebe meine Patentante auch sehr, genau so wie Mama was wohl auch daran liegt dass ich sozusagen mit ihr aufgewachsen bin. Sie wohnte neben uns im Haus von meiner Oma und so hat sie praktisch mit mir und meinen Geschwistern auch jede Phase des Lebens von Geburt an durchlebt.
Aber als ich dann fünfzehn war hat sie geheiratet und ist mit ihrem Mann ins Nachbardorf gezogen was schlimm für mich war. Aber wir hatten immer einen superguten Kontakt und sie kamen mindestens einmal in der Woche uns besuchen da habe ich mich immer wie wild drauf gefreut.
Als Mama dann starb hab ich mich natürlich noch mehr an sie gehangen wie so schon, sie ist für mich meine Ersatzmama aber ich traue mich nicht das zu sagen.
Meine Schwester hat sich leider auch stark verändert seit Mamas Tod, sie klaut, ist bis Nachts weg und man weiß nicht wo usw. also so ein richtiges "Problemkind" und wie auch in der Vorstellung erwähnt haben wir zu unserem Erzeuger keine Bindung. Meine Patentante kümmert sich so gut sie kann um uns und versucht auch alles bei meiner Schwester. Sie hatte ihr zum Beispiel heute erlaubt bei ihrem Freund zu bleiben bis neun aber um halb Zehn war sie immer noch nicht da.
Meine Tante rief mich an um mir dass nur zu sagen und auch dass ich Laura sagen soll dass meine Tante sozusagen bei unserem Erzeuger für sie lügt und sich für sie voll einsetzt aber meine Schwester sich nicht an Abmachungen und Versprechungen hält die sie ihr gegeben hat und dass wenn es so weitergeht sie ihr auch nicht weiterhelfen kann.
Da kam mir direkt diese Panik und Einsamkeit wieder hoch. Den sie ist für mich wie eine Mama und eine Mama würde doch ein Kind nie fallen lassen und jetzt weiß ich nicht wie ich das verstehen soll, ob sie uns genau so lieb wie Mama hat, wisst ihr was ich meine.

Dazu kommt noch dass ihr Mann aus erster Ehe zwei Kinder hat, die Tochter von ihm hat er adoptiert und der Sohn ist sein leiblicher Sohn. Die sind auch jedes zweite Wochende bei denen. Die haben zwar eine Mama aber meine Patentante gilt dan trotzdem als ihre Stiefmutter, das dreht mir den Magen um, ich habe Angst bei dem Gedanken dass sie ihr genauso wichtig oder gar noch wichtiger sind als wir.
Sie haben zwar auch nicht wirklich die top Familienverhältnisse bei ihrer Mutter und ihrem Freund und es war mal soweit da wollten sie zu ihrem Papa ziehen und die zwei waren auch einverstanden aber sie haben dann gottseidank doch einen Rückzug gemacht, also die Kinder.
Ich weiß ich bin bestimmt ein schrecklicher Mensch dass ich mich darüber freue dass sie doch nicht dann dahingezogen sind aber diese Eifersucht und Angst sie könnten mir meine Tante, meine Ersatzmama wegnehmen ertrage ich nicht.
Meine Tante würde mich auch bei sich aufnehmen aber sie haben leider nicht genug Platz in ihrer Wohnung aber ich kann sehr oft da schlafen.
Aber auch so habe ich schon die Angst wenn sie nur jedes zweite Wochenende kommen dass meine Tante für sie Muttergefühle entwickelt und für uns nicht.
Also ich meine, ich wohne ja mit meinen Geschwistern weiterhin bei unserem Erzeuger aber meine Tante und auch ihr Mann kommen jedes Wochende, meistens sind sie aber öfters in der Woche bei uns. Ich kann sie immer anrufen und alles, schlafe auch oft bei ihnen aber dennoch habe ich diese Ängste.
Sie kommen wirklich jedes Wochenende auch wenn sie die Kinder des Mannes haben also alleine werden wir nicht gelassen.
Bei ihnen wohnen könnten wir leider nicht weil sie nur eine kleine Wohnung haben und ja die anderen zwei Kinder jedes 2. Wochenende da sind.
Es ist ja nun so der Mann meiner Tante also sozusagen mein Onkel setzt sich auch für uns so ein und will das es uns gut geht aber da denke ich dann dennoch dass er natürlich seine Kinder am liebsten hat, was ja auch absolut klar ist und ich hab da ja kein Problem mit. Ich möchte auch nicht dass die zwei Kinder dann denken ihr Papa hat uns genau so lieb oder lieber als sie, schließlich weiß ich genau wie sich das anfühlt.
Aber da meine Tante ja mit ihm verheiratet ist, kümmert sie sich natürlich auch mit um die Kinder wenn die da sind aber ich habe Angst dass sie ihr dann genauso wichtig wie wir bzw. wichtiger werden.
Wir, also meine Geschwister und ich sind schließlich ihre Patenkinder. Aber ich kann ihr dies alles nicht sagen wie ich mich fühle, ich wurde in der Vergangenheit schon so verletzt wenn ich meine Gefühle offenbart habe und da habe ich Angst vor.
Aber andererseits kann ich auch keine Gewissheit darüber bekommen wenn sie nicht erfährt wie es mir geht.
Aber ich schaff das nicht das zu sagen, das müsste dann jemand anderes sagen in meinem Namen, ich kann das nicht.
Einmal auch da habe ich bei meiner Patentante geschlafen und die zwei waren auch da und es war der Tag auf Muttertag, der erste ohne Mama. Da kam die Tochter von meinem Onkel, umarmte sie von hinten und sagte alles Gute zum Muttertag weil sie ja sozusagen ihre Stiefmutter wäre. Ich war so wütend, eifersüchtig und was sonst noch, vorallem weil ich wollte ihr auch alles Liebe zum Muttertag wünschen habe mich aber nicht getraut.
Ich traue mich nicht meine Gefühle auszudrücken, ich will doch nur das meine Tante Mamagefühle für mich und meine Geschwister hat und nicht für die anderen beiden, denn die haben eine Mama.
Das ganze macht mich so fertig dass ich angefangen habe mich zu ritzen und ich falle von einem Extrem ins andere. Entweder schlägt das alles mir so auf den amgen dass ich nix essen kann oder ich esse alles was ich finden kann, ich kann einfach nicht mehr. Ich bin fast nur noch traurig, rede kaum noch und wenn bin ich nur motzig. Meine Tante hat jetzt vor ein paar Wochen rausbekommen dass ich mich schneide, ihr kam es merkwürdig vor dass ich nur noch langärmlige SAchen auch in den heißen Tagen trug, den sie kennt mich ja von Grund auf und weiß dass ich eine der ersten bin die T-Shirts anhat. Aber dann hatte ich mir extra Stulpen gekauft damit ich meine Unterarme bedecken konnte und dennoch T-Shirts anziehen konnte und plötzlich, wir saßen draußen zog meine Tante die Stulpen runter, ich hab mich voll erschreckt und meinte was ich den gemacht hätte. Ich hab erzählt dass ich in den Stacheldraht gefallen bin, dachte auch sie hätte es mir abgenommen. Sie schmierte mir eine Salbe drauf und hat es mir verbunden.
Dann am nächsten Tag rief sie an dass sie jetzt mal vorbeikommt, ich hab mich super gefreut hatte aber auch irgendwie ein komisches Gefühl.
Naja, als sie dann da war ging sie mit mir in mein Zimmer und fing an mit mir darüber zu sprechen, ganz behutsam, dies kann nicht vom Stacheldraht sein, ich würde mich schneiden. Dies war mir sehr unangenehm. Sie wollte wissen warum aber ich konnte nix wirklich dazu sagen. Sie ging dann mit mir zum Arzt um dabei nachschauen zu lassen. Sie wollte von mir das Versprechen dass ich das nicht mehr mache, denn sie würde sich große Sorgen machen. Auf der einen Seite hat es mich gefreut dass sie sich Sorgen macht auf der einen Seite fühlte ich mich mies deswegen. Ich habe ihr gesagt es ist nicht so einfach dass zu versprechen es nicht mehr zu machen aber ich werde es ihr zu Liebe versuchen. Sie meinte ich kann immer anrufen wenn was ist, ich soll mich melden wenn ich das Gefühl habe ich muss es wieder tun aber ich kann nicht. Das sind so Momente die kann ich dann nicht in Worte fassen und dann mache ich es wieder und dann fühle ich mich so schrecklich weil ich meiner tante versprochen habe es nicht mehr zu machen und das macht mir dann so große Schuldgefühle dass ich es dann wieder mache um mich dafür zu bestrafen.
Diese ganzen Gedanken und Ängste meine Tante, meine Ersatzmutti, zu verlieren, macht mich fertig und kaputt.
Aber ich traue mich nicht ihr dass zu sagen, habe Angst ausgelacht oder nicht verstanden usw. zu werden.
Ich weiß ich bin bestimmt ein schlechter Mensch so über die Kinder meines sozusagen Onkels zu sprechen dann aber ich kann doch nichts gegen die Gefühle tun, ich sitzt hier und bin die ganze Zeit am heulen während ich das schreibe weil es so verdammt wehtut.

Bitte helft mir und bitte keine Vorwürfe, das verkrafte ich zurzeit nicht.

alles Liebe, Nina

Dana Anwort von Dana

Meine liebe Nina.

Zuerstmal großes Sorry, dass die Antwort jetzt erst kommt.

Ich habe mit großer Aufmerksamkeit dein Problem durchgelesen. Du hast seit einer langen Zeit sehr große Lasten zu tragen. Tod der Mutter, ein Vater, der sich nicht richtig kümmern kann wegen seiner Alkoholsucht und somit auch untauglich als Papa ist. Eine Tante, die dir so nah wie eine Mutter ist, aber gleichzeitig die Aufgabe als Stiefmutter erfüllen muss, deine Geschwister, die alle ein "Handicap" haben und du...die Angst hat, dass niemand auf der Welt sie lieb hat.

Warum sollte ich dir wegen irgendetwas Vorwürfe machen? Die hast du nicht verdient. Allerdings gibt es, auch wenn du das alles in eine Anfrage gepackt hast, doch einige Baustellen in deinem Leben, die sicher auch miteinander zu tun haben.

Damit ich selbst da noch durchsteige, gliedere ich das für mich selbst mal ein wenig, vielleicht kommt das auch dir zugute.

1. dein Vater.

2. deine Mutter, ihr früher Tod und die fehlenden Umarmungen.

3. deine Geschwister, besonders deine Schwester.

4. deine Tante und ihr Umfeld

5. du, deine Ängste und dein Ritzen

Dass deine Person bei mir den Punkt 5 ausmacht, bedeutet nicht, dass du das Unwichtigste in der Liste bist. Du hast mir geschrieben, daher bist du für mich das Wichtigste. Aber alle Probleme bedingen sich so ein wenig...und dann kann ich in Punkt fünf einiges zusammen fassen und dir noch Hilfen geben.

Fangen wir also mit deinem Vater an.

Dein "Erzeuger", wie du ihn recht verächtlich nennst, hat ein riesengroßes Problem. Er ist suchtkrank. Das ist etwas, das den Geist total vereinnahmt. Du beurteilst ihn mit deinem "gesunden" Geist. Dadurch setzt du Maßstäbe, die er nicht erfüllen kann. Ich will ihn nicht in Schutz nehmen, aber ich möchte, dass du seine ärmliche Suchtseite siehst. Eigentlich braucht dein Vater Hilfe. Eigentlich braucht ihr alle Hilfe. Und nicht nur von der Tante sondern von einem Fachmann, einer Fachfrau. Aber dazu später.

Deinem Dad scheint es eine ganze Weile nicht sehr gut gegangen zu sein, weshalb er zum Alkohol griff. In sich scheint er zerbrochen, warum auch immer, und die Sucht deckt das zu. Er ist recht unselbständig, wie es scheint, er kann für euch nicht sorgen. Doch die Sucht hat so von ihm Besitz ergriffen, dass er da nicht einfach rauskommt. Auf jeden Fall nicht alleine.

Dass du Wut auf ihn hast, ist verständlich. Er war nie da, er ist keine Vaterfigur, die die Kinder schützt, im Gegenteil, er war sogar eine Gefahr für deine Mutter und für euch Kinder. Klar, dass man dann nicht liebe- und vertrauensvoll aufblickt und herzenswarm „Papa“ sagt. Trotzdem. Um aus dieser ganzen Misere rauszukommen, dich selbst zu heilen, ist es enorm wichtig, dass du auch an diesem Punkt arbeitest. Dein Vater ist krank, Nina. Er kann nicht anders. Du bist nicht krank. Aber du willst nicht anders. Guck selbst, wer da nun die besseren Möglichkeiten hat.

Du schreibst, dass es für dich furchtbar ist, vielleicht überhaupt nicht geliebt zu werden, bzw dass du unglaubliche Angst hast, deine Tante könnte sich „umorientieren“ oder weniger für euch da sein. Nun stell dir deinen Vater vor. Seit Jahren mit dem Problem alleine und von seinen Kindern (oder seiner ältesten Tochter) verachtet. Wer seiner Sucht entfliehen will, braucht Unterstützung, eine liebende Hand und vor allem das Gefühl, dass sich das Rausstrampeln aus der Sucht auch lohnt. Weil da jemand ist, für den er das machen kann/machen will.

Und dazu braucht es Vergebung. Vergessen kann man das alles nicht. Aber vergeben kann man es. Das ist schwierig, das weiß ich, das Umdenken in diese Richtung wird dich auch fordern, aber es kann sich wirklich lohnen.

Übrigens: alles, was ich hier schreibe, sind nur Hilfsrichtlinien, Tipps und Gedanken. Nichts davon musst du umsetzen. Ich schreibe nur aus meiner Erfahrung mit anderen Suchtkranken und deren Angehörigen. Nichts davon ist ein Dogma oder eine ärztliche Anordnung. Denk aber einfach drüber nach, ob ich nicht Recht haben könnte. Das hilft auch schon. Wer weiß, was er noch für eine Stütze, ein Vater werden könnte, wenn diese Last mal von ihm genommen ist. Gerade wenn deine Tante sagt, dass er es nun wirklich versuchen möchte. Sie scheint sehr sensibel zu sein, ich würde ihr da vertrauen.

Kommen wir zu deiner Mutter und ihrem frühen Tod.

Deine Mutter ist sehr früh gestorben. Warum ihr Herz versagt hat, kann nur gemutmaßt werden, ich wäre da mit Anschuldigungen vorsichtig. Mit einem Mal war die Bezugsperson, die wenigstens ab und an für euch da war, weg. Dazu noch eine Verwandtschaft, die, außer deiner einen Tante, anscheinend sehr kühl und distanziert ist. Du schriebst, dass es selten oder gar keine Umarmungen gab, dass nie mal ein Liebesbeweis gegeben wurde, so dass du das gar nicht kennst, obwohl du es dir so wünschst. Ich habe nicht genau herauslesen können, ob deine Mutter denn herzlicher war und euch auch ab und an mal geknuddelt hat, aber ich sah ja, dass sie auch oft schrie und es Krach gab.

Und dann hat deine Mutter euch noch früh verlassen.

Natürlich denkt man als Kind dann schnell: „mich hat keiner lieb…der eine säuft, die andere(n) kann/können mich nicht mal umarmen…bin ich so schrecklich??“. Das ist eine Denkweise, die dann oft auftritt, die einem Kind auch sehr weh tut, aber eigentlich falsch ist. Denn nicht das Kind ist schrecklich oder hat ein Problem, die anderen haben es. Leider wird so was einem Kind nicht klar. Wie auch. Es sieht die Fakten und bezieht es auf sich. „Man umarmt mich nicht = ICH bin wohl nicht umarmenswert.“

Das stimmt aber so nicht.

Die Menschen, die das nicht können, sind in sich eingesperrt, fühlen solche Emotionen nicht, haben es nie gelernt oder verlernt. Sie merken auch nicht, wie weh sie einem emotionalen Menschen, der die Nähe sucht, damit tun. Ich kenne solche Menschen auch…die gesuchte Distanz hat nichts mit dir zu tun, es ist einzig und alleine eine Sache in den anderen Menschen, die so handeln.

Du bist ein Mensch auf der Suche nach Liebe, nach Geborgenheit, nach Akzeptanz deiner Person. Dein momentanes Umfeld scheint diesen Wünschen nicht nachkommen zu können. Das stellt nicht dir ein Armutszeugnis aus sondern ihnen. Leider gibt es viele Menschen, die emotional so beweglich sind wie ein Bettpfosten. Sie haben es vielleicht selbst nie erfahren. Der Fakt und das für dich Wichtige ist: Egal wie sehr du es versuchst, sie können es nicht.

Nimm es ihnen nicht übel, aber renn ihnen auch nicht hinterher. Du kannst sie nicht ändern. Vielleicht liegt das schon sehr lange in dieser Familie. Vielleicht hat dein Vater sogar dadurch eine Menge Probleme abbekommen und versucht, durch den Alkohol in eine andere Welt zu schlüpfen? Wer weiß. Aber: sie tun das nicht, weil sie dich ablehnen, sondern weil sie Emotionen und Gefühle einfach nicht kennen, nicht wahrnehmen, anders wahrnehmen und ihnen deshalb anscheinend Familienbande und Umarmungen oder Küsschen einfach nicht wichtig sind. Das ist doch schade für SIE….sie sind die, die arm dran sind. Du kennst die Farbigkeit von Emotionen, das ist was ganz Tolles. Bewahre dir das, auch wenn es manchmal weh tut, weil man sich unverstanden oder mit Distanz behandelt fühlt.

Du bist ein sehr einfühlsamer Mensch und hast leider sehr viele Menschen um dich, die gerade das Gegenteil sind. Ich hoffe für dich, dass du in deinem späteren Umfeld Menschen triffst, die offener und emotionaler sind, die das, was in dir ist, hören und auffangen können.

Nun kommt der dritte Punkt. Deine sonstige Familie, Brüder, Schwester.

Wir lassen deinen einen Bruder mal außen vor, weil Downsyndrom ja wirklich eine Erbkrankheit ist und nicht durch familiäre Einflüsse entstehen kann. Ich denke, dass die Sorge um diesen Bruder sicher auch nicht immer leicht ist, weder für dich, noch deine Geschwister, noch deinen Vater oder andere Verwandte.

Aber bei deinen anderen Geschwistern merkt man sehr deutlich, wie sie mit allem umgehen. ADS ist, wenn es wirklich richtig diagnostiziert ist und nicht nur eine leichte Methode, ein zu lebhaftes Kind unter Ritalin zu setzen, eine sehr heftige Krankheit. Das beginnt schon damit, dass Kinder die leichtesten Dinge nicht lernen, weil sie sich nicht auf das konzentrieren können, was sie machen sollen. Einen Stift zu halten, beispielsweise. Meist sind diese Kinder durchaus sehr intelligent, manche sogar wirklich sehr hoch.

Bei deinem Bruder könnte das durchaus genauso gut psychische Ursachen haben. Dieses Fahrige, das ihm wahrscheinlich eigen ist, das Zappelige, das manchmal auch extrem Nervige….das alles können genauso gut auch Hilfeschreie sein. Genauso deine Schwester. Früher immer brav gewesen, tickt sie nun aus. Es ist ihre Art, mit der ganzen Situation fertig zu werden. Im Prinzip macht ihr alle dasselbe: Ihr schreit: „NEHMT UNS WAHR!!“. Du beziehst alles auf dich, bist in Trauer, bist tief betroffen, zweifelst an dir selbst. Dein Bruder flippt dieses ganze Emotionschaos nach außen. Deine Schwester hat sich ebenfalls ein Ventil für ihre Aggressionen gesucht: den Kick. Dadurch hat sie nicht nur Abwechslung und wird vielleicht von ihren „Freunden“ geachtet, nein, sie bekommt auch noch Aufmerksamkeit von der Familie. Zwar keine gute, aber das ist in erster Linie erstmal egal. Bevor sie komplett vergessen geht, dann lieber so.

Du siehst, jeder von euch hat einen anderen Weg gefunden…und keiner ist so wirklich der beste.

Nun zur Tante, ihrem Umfeld, den Verlassensängsten:

Deine Tante ist die einzige in der Familie, die genau das in sich trägt, was du suchst. Herzlichkeit, Güte, Wärme und Geborgenheit. Ihr habt das Glück, ihre Patenkinder zu sein und seid dadurch alle im Genuss dieser Hilfe.

Deine Tante hat ein eigenes Leben, das ist auch wichtig, dass du das so akzeptierst. UND du musst wirklich das Vertrauen lernen, dass sie für euch da ist und das auch bleibt. Sie liebt euch, sie ist für euch da. Aber sie ist nicht nur Tante und Retterin, sondern auch Ehefrau und Stiefmutter für die Kinder, die ihr Mann mitgebracht hat.

Das Schöne an richtiger Liebe ist, dass sie nicht kleiner wird, wenn man sie teilt. Liebe kann man im Überfluss geben. Sie kann dich mit ganzem Herzen lieben und ihren Mann oder dessen Kinder auch. Eifersüchteleien sind da ganz schlecht, denn damit baust du dir eine kleine Mauer und kannst ihre Liebe und Fürsorge gar nicht ganz genießen. Ihre ganze Familie steht hinter ihr und euch, das merkt man ja, sonst würde sie nicht so viel Zeit mit euch verbringen. Das ist für sie auch kein Opfer, sie macht das gerne. Sie liebt euch.

Sei dankbar, dass es so ist und fordere nicht Liebe nur für dich. Sie schränkt ihre Liebe dir gegenüber nicht ein, nur die Zeit, die sie für euch hat. Und das muss sie, da sie selbst auch noch ein Mensch ist, der ein Leben hat und haben sollte. Habe keine Angst, dass sie euch einfach verlässt. Nur weil deine Mutter gestorben ist und dein Vater bisher keine Stütze war, heißt das nicht, dass alle Menschen so sind. Zwar ist dir diese „Routine“ bisher nur so passiert, also dass du dich nicht auf Menschen verlassen kannst, aber es ist nötig, dass du bewusst da dagegen arbeitest. Hier ist ein Mensch, der euch nicht verlässt. Pasta. Sie bleibt. Sie sorgt schon lange immer wieder für euch. Ihr seid ihr ein Anliegen.

Und das ist doch wunderschön so. Jemanden für sich komplett alleine haben zu wollen, ist ungesund. Ich weiß, dass du schon so lange Zeit immer wieder entsagen musstest. Entsagen den Emotionen, die du so bräuchtest. Hier bekommst du sie und hast Panik, dass sie auch hier irgendwann abhanden kommen könnten. Du bist jetzt 22…sind sie es bisher? Nein. Deine Tante ist für euch da. Immer noch. Freu dich darüber und sei nicht panisch oder traurig darüber, dass auch noch andere Menschen sie lieben und sie andere Menschen liebt. Sie liebt EUCH. Sie liebt DICH. Das ist das Wichtige zu wissen.

Und zu guter Letzt: du selbst.

Du bist auf einem Weg des „Bitte, nehmt mich wahr, habt mich doch BITTE lieb!“. Dir fehlt diese emotionale Seite, du bekommst sie nur von einer einzigen Person. Auf der Suche nach Liebe und Halt, bist du an vielen Schultern abgeprallt, viele Hände haben sich nicht um deine geschlossen. Du denkst, du seist nichts wert und beginnst, dir selbst Schmerzen zuzufügen, indem du ritzt. Ein Ventil für Aggressionen und Ängste. Du willst spüren, dass du überhaupt noch lebst, der Schmerz ist wie eine Befreiung. Deinen Geschwistern geht es ebenso, nur dass sie ihre Ventile anders setzen. Nicht gegen sich selbst sondern nach außen. Deine Tante kann das nicht alles auffangen. Sie ist eine Einzelperson, der so viele Einzelschicksale am Herzen liegen. Aber der Tag hat nur 24 Stunden und sie noch ein eigenes Leben.

Das bedeutet aber nicht, dass du nichts wert bist, liebe Nina. Im Gegenteil. Du bist viel wert. Ihr alle seid es, auch dein Vater, was er aber nicht merkt.

Ihr schafft das nicht ohne professionelle Hilfe. Euch geht es schlecht. Und da hast du das einzig Richtige getan, du hast dir hier Hilfe geholt. Du hast einfach mal aufgeschrieben und aufgeschrieen! Du hast alle Gefühle herausgelassen, alle Bitten um Hilfe formuliert.

Das ist der erste Schritt auf den richtigen Weg.
Ihr müsst alle miteinander lernen, euch wieder lieb zu haben. Euch selbst…und untereinander. Ihr seid einen Blutes. Ich weiß nicht, ob du dir zutraust, dich einfach mal mit deinen Geschwistern zusammen zu setzen. Aber ein Familientherapeut könnte das. zB könnte man beim Jugendamt nachfragen, ihr braucht Unterstützung. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der erste von euch komplett schlapp macht.

Du bist eine wunderbare Person, Nina. Und du wirst sicher noch einen guten Weg gehen können. Du wirst Menschen kennen lernen, die anders sind, die die Emotionen zurückgeben können, weil sie wissen, wie das geht. Doch vorher musst du das aufarbeiten, was geschehen ist, sonst wirst du vielleicht später entweder Distanz zu solchen Menschen halten, da du Panik hast, dass sie dich ja doch wieder verlassen oder du wirst sie so akribisch suchen, dass du auch darüber wieder total unglücklich wirst. Auch für deine Geschwister ist es höchste Zeit, dass sie Hilfe bekommen. Deine Tante kann das unmöglich alles alleine schaffen. Sie hat zwar eine gute Sensibilität, aber sie ist Familie und nicht vom Fach.

Ihr braucht jemanden, der sich mit dieser Problematik auskennt, der auf den Punkt hilft, der euch unterstützt. Eine Familientherapeutin wäre da das Wahre. Jemanden, dem man vertrauen kann, bei dem man auch weiß, dass das Richtige unternommen wird, einfach weil diejenige/derjenige die Erfahrung und die nötigen Kontakte mitbringt.

Ich würde dir also raten, mal bei Google „Familientherapie“ und deinen Wohnort einzugeben. Google müsste dir da einiges ausspucken. Sollte dein Wohnort zu klein sein, nimm die nächst größere Stadt.

Du hast den ersten Schritt gemacht in die richtige Richtung. Geh ihn weiter, Nina! Hol euch aktive Hilfe nach Hause, die eure Seelen wieder ordnet. Das ist enorm wichtig gerade.

Wenn du dich das nicht alleine traust, kannst du auch noch mal unter der Kategorie „Feedback“ schreiben und deinen Wohnort hinterlassen, dann suche ich für dich nach Möglichkeiten. Die erneute Anfrage wird dann nicht veröffentlicht.

Liebe Grüße und alles Gute für dich und deine Familie, vor allem: viel Erfolg!

Dana