Problem von M. - 21 Jahre

Kompliziertes Leben, die Zweite.

Hallo liebes Kummerkasten Team,

habe euch vor einiger Zeit schon einmal geschrieben. Ich versuche alles möglichst "kurz" für meine Verhältnisse zu fassen und einen guten Überblick zu schaffen.

Persönlichkeitsmerkmale:

Ich teile meine Persönlichkeit in zwei Gruppen von Merkmalen auf, vielleicht weil es meiner Traumvorstellung entspricht. Das heißt nicht, dass ich nicht so sein "kann", nur, dass ich es in bestimmten Situationen nicht bin, obwohl es sozusagen in mir steckt. Ich hoffe ihr versteht was ich meine.

Gruppe 1

- häufig mal perfektionistisch
- zurückhaltend/schüchtern, vorsichtig, oft Angst etwas falsch zu machen
- nett, höflich, hilfsbereit
- denkt oft über die Gedanken anderer nach

Gruppe 2

- leidenschaftlich, liebevoll
- stolz
- voller Tatendrang/motiviert
- respektvoll, ehrlich, solidarisch
- macht sich Gedanken über die Dinge,
die anderen vielleicht nicht in den Sinn kommen (Visionen)


Alte/Neue Probleme:

- Seit ca. 6 Monaten WoW-Clean
- Angst vor neuem Lebensabschnitt
- Wie geht es weiter?
- Sehr Isoliert
- Wenig Kontakt
- ADS verdacht (wurde diagnostiziert)
- Schwer Depressiv (1 1/2 Jahre Therapie + stat. Aufenthalt)

Ich möchte nicht sagen, dass sich gar nichts gebessert hat, aber es ist trotzdem häufig noch eine Qual für mich zu Leben.

Ich kann von mir selber behaupten, dass ich einerseits manchmal in mir einen wirklich "großen" Menschen sehe, der Potential, irgendwo in sich verbirgt. Andererseits frage ich mich auch häufig, wo bleibt der Startschuss...

Wieso bekommen immer die Menschen, die vom Herzen "rein", ehrlich und normalerweise gutmütig sind so viele Probleme eingepflanzt!? Ein Grund warum ich ungläubig bin...




Ich weiß nicht wirklich wie ich es beschreiben soll, hängen meine Probleme mit meinem ADS/meinen Depressionen zusammen, gibt es überhaupt ADS ? oder ist es vielleicht einfach eine Sache der inneren Einstellung, des Selbstvertrauens, des Selbstwertgefühls? Zumindest kommt es mir manchmal so vor...

Aber zurück zu meiner derzeitigen Situation. Ich fange jetzt zum 01.08. eine Ausbildung zum Zahntechniker an, werde daher auch umziehen, da der Betrieb 70 km von mir entfernt ist. Fahre jeden Tag für ein vorläufiges Praktikum bis zur Ausbildung dorthin (freiwillig) und werde in zwei Wochen dorthin ziehen um mir die mühsame Anfahrt zu sparen.
Der Betrieb macht mir keine Sorgen, die Leute sind alle sehr nett, der Betrieb läuft super und man hat seinen Freiraum. Das was mir Sorgen macht, bin ich.

Ich mache mir halt über vieles einen Kopf, was ich ja schon etwas akzeptiert habe. Wenn jemand schlecht drauf ist und im Stress ist, nehme ich es einfach ein wenig zu persönlich. Nicht das ich dann drauf reagiere, aber ich mache mir halt Gedanken. Auch wenn es eigentlich völlig normal ist und jeder andere Mensch in dem Moment einfach nur die Augen verdrehen würde.
Das ist allerdings eher das kleinere Problem...ich weiß nicht ob ich die Ausbildung schaffen werde. Ich gebe mir körperlich richtig Mühe und zeige auch echten Ehrgeiz, was auch schon der ein oder andere Bemerkt hat.

Nur es fehlt etwas. Manchmal denke ich, nur mein Körper funktioniert, mein Geist ist aber wo anders und nur halb da. Obwohl ich mir innerlich sage "konzentrier dich jetzt mal auf das Wesentliche". Da kommt dann das wohlmögliche ADS wieder ins Spiel. Welches mir das Leben schwer macht, obwohl ich doch einfach nur Leben will wie jeder andere auch...

Man kann den Zustand einfach nur Schlecht beschreiben. Es entwickelt sich nach kurzer Konzentrationsphase eine Art "Tunnelblick", wie wenn man (ich weiß nicht ob es bei "Normalos" auch so ist) einen Text auf dem Computerbildschirm liest. Nicht nur, dass er bei mir auf dem Bildschirm ist, er zieht sich mit ein paar Freiräumen durch meinen ganzen Tag. Er blockiert mich einfach, in dem was ich tue und denke. So als ob mehreren Stimmen in meinem Kopf einfach der Mund zugeklebt wurde. Ich denke, dass sich das auch sehr stark auf meine Entwicklung auswirkt.

Vor allem, was die sozialen Kontakte/Kommunikation angeht. Ich kann mir zum Beispiel keinen Gesprächsstoff so richtig merken. Wenn ich irgendeinen Film gestern gesehene habe, weiß ich heute schon nicht mehr was drin vor kam. Andere hingegen können dann vielleicht sogar den kompletten Film runter beten oder sich zumindest drüber unterhalten. Bei mir ist da einfach "nichts", es kommen keine Einfälle rein. Ich muss aber auch sagen, dass ich oft auch gar keine Lust habe zu reden, wahrscheinlich hat es mit meiner Gesamtsituation zu tun...wer redet schon gerne, wenn er sonst den halben Tag nur über sich und seine Probleme nachdenkt und nur zur Hälfte in der Gegenwart lebt. Lebenslust und Freude empfinde ich auch nur noch selten und wenn, dann auch nur in künstlicher Form.

Besser ist es, wenn ich mein Ritalin genommen, habe, nehme seit ca. 2 Wochen ein retard Produkt (20 mg/Tag). Vorher unretardiert. Ich weiß, es ist zwar eher Schein als Sein, aber es hilft mir etwas besser durch den Tag zu kommen und die negativen Gedanken auszublenden. Ich sehe alles positiver, kann mich länger konzentrieren ohne den Tunnelblick zu bekommen und bin sogar ein wenig Gesprächiger als sonst...

Meine größte Sorge ist es einfach mit dem Umzug "wieder" ab zu stürzen. Obwohl mein Tag jetzt gerade auch nicht grade vielseitig ist...nach der Arbeit (19.00 Uhr zu Hause), E-Mails lesen, Spiele spielen die eigentlich keinen Spaß machen oder Fernsehen. Doch alleine in meiner eigenen Wohnung, wie wird das Computermäßig dann bei mir aussehen? Bei mir schwirren schon fast täglich wieder Gedanken durch den Kopf irgendein MMORPG anzufangen.
Habe mir allerdings vorgenommen, wenn ich in der neuen Wohnung bin wieder Sport zu machen. Habe bis vor einem Monat noch relativ intensiv Sport getrieben (4x die Woche).

Hoffe ihr könnt mit meinem Text etwas anfangen...
Macht weiter so. Danke.

Gruß M.

Dana Anwort von Dana

Lieber M.!

Durchaus kann man mit deinem Text etwas anfangen.

Du hast ADS, eine diagnostizierte Depression, du bist ein sensibler Mensch mit vielen Gedankengängen und hoher Selbstreflektion und du hast Angst vor dem Neuen.

Jetzt ist es ja so, dass du nun schon angefangen hast, ich hoffe, es läuft.

Nunmal von vorne:

Du hast zwei Diagnosen. ADS und Depression. Beide sind behandlungsbedürftig, ADS genauso wie eine Depression. Bei einer Depression laufen ja auch biochemische Prozesse ab, die durch Medikamente unterbunden werden müssen. Ich weiß nicht, ob du da medikamentös eingestellt bist, ich hoffe es aber. Ohne wird nicht gehen.

Du hast zwei Krankheiten, die dich im Leben einschränken. Manchmal weniger, manchmal aber recht viel. Du überlegst, warum jemandem solche Dinge widerfahren müssen, warum liebe, nette Menschen solche Steine in den Weg gelegt bekommen. Glaub mir, jeder Mensch hat seine Päckchen. Der eine hat ein kleineres, der andere ein größeres. Wichtig ist nur, sich nicht nur darüber zu definieren.

Du hast diese Dinge nunmal. Nun kann man darüber lamentieren oder man kann sich in andere Richtungen bewegen. Du sagst selbst, dass du ab und an in dir einen Menschen siehst, der Potential hat. Und dann setzt du dich hin, grübelst und wartest. Auf den Startschuss. Ein Startschuss wird nicht kommen, es sei denn, du wartest so lange, bis du so weit unten bist, dass ein WARNschuss kommt.

Als lebender Mensch muss man sein Leben selbst in die Hand nehmen. Das startet niemand für einen selbst. Darauf zu warten, dass irgendwann mal eine Situation kommt, in der man loslegen kann, ist nicht sinnvoll, vielleicht wartet man Jahre, die einen verzweifeln lassen.

Du hast dich selbst analysiert und festgestellt, dass es einige positive Eigenschaften an dir gibt. Es wäre nun wichtig, dass Dinge wie "Angst, etwas falsch zu machen" oder "es könnte mir ja einer was übel nehmen" schwinden und der Mut, drauflos zu leben, kommt. Arbeite doch da mit deinem Therapeuten/deiner Therapeutin mal hin. Besprich das Thema, erkläre die Mauern, die du siehst und die Tore, die du gerne hättest.

Am wichtigsten halte ich deine Stärkung in der Therapie. Dass du im Alltag so viel Vertrauen in dich selbst zurück bekommst, um solche Situationen zu meistern, in denen du vieles zu persönlich nehmen würdest, was dich dann ja hemmt. Insgesamt kannst du - so habe ich es gemacht, die auch früher viel persönlich genommen hat - deine neue Arbeitsstelle auch als "Lehrstelle" in dem Bezug nehmen, dass du lernst, mit solchen Situationen besser umzugehen. Nimm sie nicht als schwächend sondern als lehrreich. Igele dich nicht ein, wenn solch eine Situation kommt sondern setz dich mit ihr sofort aktiv auseinander.

Du bist ein heller Kopf, das merkt man. Du hast eine gute Sensibilität. Diese muss in die richtige Richtung gelenkt werden. Das ist ein Prozess, der länger dauert, zumal diese Reaktionen ja auch aufgrund deiner Vergangenheit kommen, aber er ist schaffbar. Auf jeden Fall solltest du diese Punkte in deine Therapie mit einbeziehen, denn die Fachleute können da einfach besser ansetzen als wir.

Dieser Tunnelblick und das geistig Abwesende/der nicht gemerkte Gesprächsstoff könnten durchaus eine ADS-Folge sein. Da würde ich mal mit den zuständigen Ärzten drüber sprechen, damit du da Erklärungen und vielleicht auch Hilfen erhältst.

Insgesamt ist es wirklich wichtig, dass du nicht auf "etwas" wartest oder mit deinem Schicksal haderst. Sicher, du hast einiges mitbekommen, was nicht so toll ist, aber sicher auch einige Dinge, die toll sind und die dich ebenso ausmachen wie deine Krankheiten. Überlege, wo deine Stärken sitzen, was du wirklich gut kannst. Lass dich von deinen Diagnosen nicht hemmen und einschränken sondern versuche, in den anderen Bereichen mehr zu geben, so dass man dich überhaupt nicht über deine Krankheiten definiert...und du das auch nicht mehr tun musst.

Momentan geht alles nur über diese Negativschiene und deshalb ist auch das Leben einfach nur hart, schwer und kaum zu schaffen. Die schönen Seiten blendest du aus, schon alleine mit dir selbst beginnend.

Du BIST ein Mensch mit Potential. Das hört man aus deinem Schreiben schon raus. Intelligent, offen, selbstreflektiert...lass dich von deinen Krankheiten nicht so beeinflussen.

Und bitte: kläre diese Dinge mit deinen Therapeuten und Ärzten, ich bin mir sicher, dass es da durchaus Ansatzpunkte gibt, wie dir weiter zu helfen ist. Da bin ich leider nicht medizinisch genug geschult.

Alles Liebe auf deinem weiteren Weg!

Dana