Problem von Anna - 26 Jahre

Bin wegen meiner Mutter seelisch krank

Ich bin 26 Jahre alt und bin seit meinem 16-en Lebensjahr vollkommen selbstständig. Erst Internat, dann eigene Wohnung, weil ich mit meiner Mutter einfach nicht ausgehalten habe. Dazu möchte ich erwähnen, dass ich in Kasachstan geboren wurde und mit 15, nach der Scheidung meiner Eltern, gegen meinen Willen von meiner Mutter nach Deutschland verschleppt wurde. In Kasachstan habe ich noch einen Vater und Oma leben. Damals hat mir meine Mutter so ein krasses schlechtes Gewissen gemacht, dass ich unter Trennen mich von meiner restlichen Familie verabschieden musste und ins Flugzeug einstieg. Der Grund für` s Auswandern war die Einsamkeit meiner Mutter und der Hass gegenüber den Angeborenen. Nun ist es so, dass es hier nicht anders ist. Ich habe mich eingelebt, die Sprache gelernt und habe in 10 Jahren Realabschluss, Abi gemacht. Momentan bin am studieren. Meine Mutter geht arbeiten, hat keine Freunde, hat die Sprache nicht wirklich gelernt, hasst alle deutsche abgrundtief und ihre Verwandten hier sind alle doof. Es sieht genauso aus, wie in Kasachstan.
Mein Problem besteht darin, dass sie mich jeden Tag anruft, manchmal mehrere Male am Tag. Macht mir Vorwürfe, dass ich sie alleine gelassen habe. Jeder Anruf besteht immer nur aus Rumheulen oder aus dem Hassgesprächen über ihre Mitmenschen, Arbeitskollegen, Nachbarn usw. Sie interessiert sich gar nicht für mein Leben und weiss gar nicht was bei mir so abläuft. Ihre einzige Sorge ist einen Mann zu finden, der ihr würdig und perfekt ist. Zu meinem Abi-Abschluß ist sie nicht gekommen, weil 70km zu weit weg sind (sie hat ein Auto), aber hat letzte Woche einen Mann zum kennen lernen besucht, der 360km entfernt wohnt. Ich versuche immer für sie da zu sein und immer Verständnis zu haben, aber sobald ich ihr sage, dass sie die Welt vielleicht überdenken soll und daran denken soll, dass es auch Menschen geht, denen es noch schlimmer geht und die vielleicht Hilfe brauchen, eskaliert die Situation. Sie ist eigentlich streng gläubig, aber eine gute Tat ist für sie zu viel verlangt. Sie hat so viel Zeit und könnte so vieles machen. Habe ihr z.B. eine ehrenamtliche Hilfestelle für Bedürftige angeboten, aber sie sagte: „warum soll ich jemandem helfen? mir hilft und schenkt auch keiner was.“
Letzes Jahr Weihnachten habe ich Ihr eine Kette mit einem Engel als Anhänger geschenkt mit Worten: „Jetzt hast du immer einen Engel bei dir, der immer auf dich aufpasst “ .Anfang des Jahres hat sie die Kette meiner Tante weiter verschenkt, ohne es zu verbergen. Auf meine Frage warum sie es getan hat, sagte sie:“ ach stell dich nicht so an, was ist denn schon dabei?“
Eine Sache ist mir ganz tief im Herzen sitzen geblieben. Es war 24.12 und ich war mit dem Zug(habe leider kein Auto) auf dem Weg zu Ihr, damit sie nicht alleine ist. Es kam eine Durchsage, dass der Zug nur bis Dorsten fährt und bis zu meine Mutter waren noch 25km. Ich wollte weiter mit dem Bus fahren, aber es fuhren auch keine Buse mehr. Daraufhin habe ich sie angerufen und gefragt ob sie mich mit ihrem Auto abholen könnte, worauf sie sagte: „Nein das mache ich nicht. Du weisst, dass ich nicht gerne Auto fahre. Bist du selber schuld, hättest früher losfahren müssen. Ist dein Problem. „ Nun saß ich da am Weihnachstabend an der Haltestelle und habe geheult, weil ich nicht wusste, was ich machen sollte, denn zurück fuhr auch nichts mehr und für Taxi hatte ich kein Geld. In der Not habe ich dann einen Freund angerufen und er ist von der Feier gegangen, hat sich das Auto von seinem Stiefvater geliehen, mich abgeholt und nach Hause gebracht. An dem Abend konnte ich die Welt nicht verstehen. Es hat mir das Herz gebrochen.
Vor ca. 4 Jahren war ich in einer schlimmen Situation, mein damaliger Freund, mit dem ich zusammengezogen war, hat mich geschlagen. Irgendwann fand ich genug Mut ihn zu verlassen, worauf hin er mich bedroht und terrorisiert hat. Es ging bis zum Gerichtsverfahren. Ich habe sie an dem Tag gebraucht, doch sie musste arbeiten. Danach habe ich mich im Frauenhaus versteckt und in der Zeit hat sie mich auch nie besucht. Als ich eine Wohnung gefunden hatte, kam sie auf einmal mit dem Auto und half mir meine Sachen rüberzubringen. Diese heldenhafte Tat von ihr bekomme ich immer weder vor die Nase gerieben oder auch noch, dass sie als ich klein war, mir meine Klamotten, mein Essen bezahlt hat. Ich war teuer genug für sie.
Wenn sie zu mir kommt, stellt sie Sachen (Lebensmittel) ab und fährt wieder. Auf meine bitte etwas länger zu bleiben, sagt sie, sie muss noch weit fahren. Ich weiss einfach nicht wie ich mit ihr umgehen soll, oder reden soll. Sie bittet mich immer darum, dass ich sie besuchen kommen soll und für ne Woche oder länger bleiben soll, aber davor habe ich einfach Angst. Ich kenne sie! Sie lässt einfach einen nicht leben. Als ich noch mit ihr gelebt habe, durfte ich nicht ausschlafen und wenn sie mich erwischt hat, wenn ich länger als 9uhr im Bett war, hat sie mich faul und nutzlos genannt. Sie hat in der Woche, in den Sommerferien, von der Arbeit angerufen um zu prüfen ob ich schon aufgestanden war. (Das hat bei mir psychische Narben hinterlassen, da ich bis heute nicht ausschlafen kann. Ich kann mich einfach nicht entspannen.) Nach der Arbeit hat sie geprüft ob ich die Wohnung geputzt habe und da ich mich selber versorgen musste, kam es manchmal vor, dass ich ein paar Lebensmittel weggeschmissen hatte (mit 9 Jahren kann halt nicht jeder kochen und manchmal gelingt einem ne Suppe nicht). Dafür bekam ich natürlich Straffe. Sie will halt immer alles bestimmen und wissen, was gerade abläuft. Man darf bei ihr zu Hause keine Türen schließen. Diese müssen offen sein. Man muss alles essen, was sie auch isst und bloß nicht eigenen Geschmack entwickeln. Ich mochte nie gekochte Zwiebeln und wenn ich sie drum gebeten habe, diese bei mir wegzulassen beim Kochen, hieß es: „nein es wird das gegessen, was auf den Tisch kommt.“ Wenn sie bei mir zu Hause ist, dann geht sie als erstes an die Schränke und Schubladen um zu gucken ob es alles ordentlich ist und weh wenn nicht, dann ist man direkt eine Drecksau.
Vor kurzem hatte sie einen Mann kennen gelernt, der um 9 Jahre älter ist als sie und eigentlich ganz nett. Die kamen zusammen und vor 2Tagen ist er abgehauen, weil sie ihn beleidigt und gedemütigt hatte. Der Grund war ihr Handy. Sie hat auf dem Display die Schnellzugrifftasten ausversehen umgestellt und er konnte es nicht rückgängig machen. Beim Lesen der Bedienungsanleitung stellte sie fest, dass er für sie nicht gut genug lesen kann (sie selber ruft mich immer an, damit ich ihr alle Briefe übersetze). Ein weiterer Grund war die Meinung meines Onkels der ihn für zu alt hielt.
Vor ca. 5 Jahren wurde bei Ihr Epilepsie festgestellt. Sie hatte die Anfälle schon länger, immer nachts und immer war ich alleine mit ihr. Es begann in Kasachstan nach der Scheidung(vermutlich durch den Stress und seelische Belastung verursacht). Sie ist nie zum Arzt gegangen und wenn ich ihr von den Anfällen erzählt habe, hat sie mich als Lügnerin oder Übertreiberin bezeichnet. An dem besagten Abend geschah es in Deutschland und war heftiger als sonst und ich holte einen Krankenwagen. Im Krankenhaus ging sie auf mich los: „warum tust du mir das an? Warum holst du einen Krankenwagen? Es ist peinlich usw.“ Sie musste zur Untersuchung eine Woche dort bleiben und ich habe ihr die Klamotten gepackt. Beim Auspacken beschwerte sie sich: „was hast du denn eingepackt, was ist das für Unterwäsche, was ist das für Nachthemd, dich kann man um gar nichts bitten.“ Nach der Woche, wurde ich vom Arzt zur Besprechung bestellt, weil sie auf Deutsch nicht alles versteht. Arzt zeigte mir die Aufnahmen und hat was auf dem Fachschinesich erzählt und ich bat ihn um eine eindeutige kurze Ansage, was es heißen soll. Er sagte klar und deutlich, dass sie Epilepsie hat und Tabletten nehmen soll, vor allem beim Autofahren. Damals war noch mein Ex-Freund dabei, der alles mitgehört hat und bestätigen konnte, doch als ich die Worte vom Arzt übersetzt habe, glaubte sie mir nicht und sagte, dass ich lüge und mir das alles ausgedacht habe um sie fertig zu machen. Sie habe überhaupt keine Anfälle, sondern verliert lediglich ab und an ihr Bewusstsein, wenn sie hohen Blutdruck hat.
Ich weiss einfach nicht wie ich an sie rankommen soll. Gleichzeitig macht sie mir ein schlechtes Gewissen, das sie immer alleine ist und keiner es mitbekommen würde, wenn ihr was passiert. Vor einem Monat hat sie wieder einen Anfall gehabt und ist dabei mit dem Kopf gegen das Heizkörper gefallen. Sie hatte Glück und kam nur mit ein paar blauen Flecken davon, aber Tabletten zu nehmen will sie trotzdem nicht, stattdessen wollte sie, dass ich zu ihr ziehe um auf sie aufzupassen. Ich kann doch nicht alles aufgeben, was ich mir selber, ohne ihre Hilfe erarbeitet habe und zu ihr ziehen. Sie hat eine Möglichkeit durch Therapie und Tabletten ihre Lebensqualität zu verbessern, doch das will sie nicht.
Gestern hatte ich einen üblen Streit mit ihr. Sie warf mir vor, dass ich nie für sie da bin und ihr nie helfe obwohl sie immer für mich da war, wenn ich Probleme hatte. Sie ist meine Mutter und ich will ihr helfen. Ich will, dass sie glücklich und zufrieden ist. Ich möchte sie an meinem Leben teil haben lassen und auch an ihrem Leben teil haben, sie ohne Angst besuchen und mich auf sie freuen. Manchmal denke ich, dass ich vielleicht zu egoistisch bin und mehr an sie denken sollte, sie hat doch niemanden.
Ich habe versucht das Ganze so kurz wie möglich zu halten und viele Sachen nicht erwähnt, hoffe aber trotzdem einen Rat zu bekommen.
Danke vielmals im vorraus.

Sascha Anwort von Sascha

Hallo Anna,

als ich deinen ausführlichen Text durchgelesen habe, bin ich bei diesen beiden Sätzen erschrocken: "Manchmal denke ich, dass ich vielleicht zu egoistisch bin und mehr an sie denken sollte, sie hat doch niemanden." und "Sie warf mir vor, dass ich nie für sie da bin und ihr nie helfe obwohl sie immer für mich da war, wenn ich Probleme hatte." Deine Gedanken und Ängste sind unbegründet. Du leistest so viel für deine Mutter, warst praktisch immer für sie da obwohl es alles andere als leicht für dich ist oder war. Im Gegensatz zu ihr, wie beispielsweise die Geschichte mit dem Zug. Eines kann ich dir sagen, viele andere in deiner Situation hätten da schon längst aufgegeben. Kein Wunder belastet dich diese Situation, sehr wahrscheinlich würde es uns allen so gehen.

Du bist praktisch 24 Stunden am Tag für deine Mutter da und willst trotz allem nur das Beste für sie, ohne dafür je Dankbarkeit von ihrer Seite zu erfahren. Stattdessen versucht sie dir noch ein schlechtes Gewissen einzureden oder stellt andere Vorwürfe in den Raum. Ich finde es daher gut und richtig, dass du deiner Mutter bereits zu einer Therapie geraten hast. Denn das scheint mir die einzige Hilfe zu sein, die du ihr derzeit bieten kannst. Als außenstehender wirkt ihr Verhalten so, als gäbe es etwas was sie selbst noch nicht verarbeitet hat und es nun an allen anderen auslässt. Allerdings muss sie auch von sich aus bereit sein Hilfe anzunehmen, ansonsten bringt auch die beste Behandlung nichts.

So wie du es geschrieben hast, scheint ihr die Einsicht sich selbst Hilfe zu suchen derzeit aber zu fehlen. Du kannst zwar versuchen einmal eine Woche bei ihr zu bleiben und ausführlich mit ihr zu sprechen. Ich bezweifle aber ob es wirklich etwas bringt, zumal du ja auch eine gewisse Angst davor hast. Ich empfehle dir daher eine klare Ansage zu machen (zwecks Psychologische Beratung) und dann den Kontakt vorerst komplett abzubrechen. Das klingt auf den ersten Blick hart, aber vielleicht erkennt sie dann was sie dir mit ihrem Verhalten angetan hat. Dein Mutter ist Erwachsen und kann oder muss auch ohne dich leben können. Vielleicht wird sie dir eines Tages dankbar sein, dass du ihr die Augen geöffnet hast. Wenn es so wie bisher weitergeht, ist weder sie noch du glücklich. Du musst dich schließlich auch um dein eigenes Leben kümmern.

Für dich wäre es gut, wenn du während dieser Zeit jemanden zum reden hast. Ich denke dabei an eine psychologische Therapie, wo du deinen Kummer von der Seele reden kannst und gut beraten bist. Auch ein guter Freund oder eine gute Freundin mit der du über solche Dinge sprechen kannst kann manchmal schon wahre Wunder bewirken. Wichtig ist einfach, dass dir jemand in dieser Zeit zur Seite steht.

Liebe Grüsse und alles Gute auf deinem weiteren Weg
Sascha