Problem von Kathrin - 31 Jahre

kurz vor´m Burn Out

Liebes Kummerkasten-Team,

erst Mal toll, dass es euch gibt. Das ist wirklich eine prima Sache.

Mein Name ist Kathrin und ich bin 31 Jahre alt. Ich bin eigentlich ein sehr optimistischer Mensch und bin sehr lebensfroh, vielleicht sogar etwas zu quirlig :-)

Ich habe mich schon immer für tausend Sachen interessiert und bin auch immer ganz schnell für neue Sachen und Wege zu begeistern.
Doch manchmal habe ich das Gefühl, nichts so wirklich gut und gründlich zu können und zu machen. Aber ich kann mich einfach nicht auf 2 Sachen konzentrieren und alles andere weglassen - und ich habe für mich beschlossen, dass ich das auch nicht will und lieber mit einem guten Zeitmanagement mehrere Sachen in den Griff kriegen will.

Doch meine momentane Situation geht wirklich einfach nicht mehr so weiter. Ich bin dann jemand, der alles ganz genau analysiert und möglichst auch hart und ehrlich mit sich selbst ist und dann eigentlich auch immer schnell wieder eine Lösung oder einen Kompromiss findet. Doch jetzt sehe ich gar keine Lösung und weiß doch, dass sich etwas ändern muss. Wo fange ich an zu erzählen?

Ich arbeite derzeit in 2 Teilzeitsjobs - und zwar als Bibliotheksangestellte in 2 wissenschaftlichen Bibliotheken. Gelernt habe ich Buchhändlerin. Das war auch mein absoluter Traumberuf. Ich liebe die Literatur und Bücher und bin in diesem Beruf aufgegangen. Doch dann hat unsere Filiale zugemacht - und außerdem hat sich das Berufsbild des Buchhändlers so sehr geändert, dass es kaum noch eine Berufung sein kann. Es gibt nur noch die großen Filialisten, in denen es nur noch auf den Umsatz ankommt, nicht mehr auf die Literatur und schon gar nicht auf die Menschlichkeit.
Deswegen war mein Plan, in einer Stadtbibliothek unterzukommen. Dann hätte ich die Bücher und den Kontakt zu Menschen, aber der Umsatzdruck wäre weg. Natürlich ist das nicht so einfach, denn solche Stellen gibt es nur sehr wenig. Weil ich ja aber wieder arbeiten musste, bin ich dann in den 2 wissenschaftlichen Bibliotheken untergekommen. Das ist auch so nicht so schlecht, aber die Erfüllung ist es eben auch nicht. Ich verwalte da Zeitschriften und bestelle wissenschaftliche Artikel. Weil mir die Nähe zur Literatur aber gefehlt hat, habe ich noch ein Fernstudium aufgenommen. Dieses Studium ist meine absolute Erfüllung, mein Traum, den ich niemals begraben möchte.

Nun ist es natürlich zeitlich nicht so leicht, das alles unter einen Hut zu kriegen. Ich arbeite 40 h pro Woche und bin noch dazu gut 2 Stunden pro Tag unterwegs (wenn man auch die Wegstrecke zwischen den Arbeiten mitrechnet). Pause ist meistens im Bus oder ich esse im Büro noch ´ne Kleinigkeit.

Noch dazu hab ich natürlich auch ein paar Hobbies und ganz liebe Freunde. Weil ich einen kaputten Rücken hab, ist auch Sport für mich ganz wichtig. Nur wenn ich regelmäßig ins Fitness oder zum Klettern gehe, geht es meinem Rücken gut. Sonst leide ich sehr und krieg gar nichts mehr auf die Reihe.

Trotz dieser vielen Sachen hab ich das bisher alles einigermaßen auf die Reihe bekommen. Nicht ganz optimal; ich hab z.B. fürs Studium immer ein bisschen länger als vorgesehen gebraucht und das Fitnessstudio ist immer mal wieder ausgefallen - aber im Großen und Ganzen hat es geklappt und ich habe auch endlich das erste Modul vom Studium abgeschlossen.

Dann hatte auch das ganz große Glück, dass ich mich vor 2 Monaten sehr verliebt habe. Einen lieben Partner an meiner Seite zu haben, danach habe ich mich in den letzten Jahren immer sehr gesehnt und möchte meinen Schatz auch nicht mehr hergeben. Doch hier kommt bezüglich der Zeit erschwerend hinzu, dass es eine Fernbeziehung ist - 280 km trennen uns. Noch dazu fahre ich fast jedes Wochenende (3 x pro Monat) zu ihm, denn meine Wohnung hier ist nicht rollstuhlgerecht - mein Freund ist Rollifahrer. Wenn wir mal hier sind, dann im Hotel - deswegen kommt er natürlich nur so alle 2 Monate mal zu mir.
Ich bin aber sehr, sehr glücklich mit ihm und natürlich gibt mir diese Liebe auch viel Kraft.

Ja, und nun fängt alles irgendwie an zu bröckeln - also nicht die Liebe, das ist toll; aber ich krieg das zeitlich alles nicht mehr hin. Ich hab das Gefühl, wenn alles so weiter läuft, bin ich in einem halben Jahr im Burnout.

Wenn alles ganz normal läuft; also ohne Kranksein, Urlaub, Wochenendbesuche in der Heimat, dann hab ich einen optimalen (wenn auch anstrengenden) Plan. Ich arbeite von Montag bis Donnerstag von ca. halb 8 bis 18 Uhr – Montag gehe ich einkaufen und räume auf und wasche Wäsche; Dienstag geh ich ins Fitness; Mittwoch lerne ich abends, Donnerstag lerne ich morgens vor der Arbeit und habe abends ein bisschen Zeit für Freunde – Freitag arbeite ich meistens bis 12 und fahre danach entweder zu meinem Freund oder hab einmal im Monat ein bisschen Zeit für was Anderes. An den Wochenenden lerne ich entweder bei meinem Freund oder besuche Studienveranstaltungen oder lerne zu Hause – und treffe mich natürlich auch mit Freunden.

Klingt alles ganz gut; ABER:
So optimal läuft es natürlich nicht immer.
Schon wenn ich mal krank bin oder Urlaub habe, muss ich das auf beiden Arbeiten größtenteils nacharbeiten – ich habe nur eine Urlaubsvertretung für das allernötigste. Dann komm ich z.B. nicht zu den großen Sachen auf der Arbeit; wie z.B. die Bestandsaufnahme im neuen Katalogsystem. Dafür müsste ich dann eigentlich Überstunden machen – und schon bricht alles andere zusammen. Oder in meiner anderen Bibliothek mache ich Minusstunden; wenn ich mal Montag krank bin oder Urlaub habe. Denn die „normalen“ Montage bin ich 8 Stunden da; wenn ich Urlaub hab, bekomme ich aber nur 4 Stunden gutgeschrieben, weil das meine offizielle Arbeitszeit ist. Schon hab ich 4 Minusstunden, die ich kaum nacharbeiten kann.
Nun deutet es sich schon an, dass ich auf einer Arbeit Ärger krieg, weil die Bestandsaufnahme nicht vorwärts geht. Ich habe zwar erklärt, warum ich nicht dazu komme und meine 20 h Arbeitszeit nicht reichen; aber die Bibliothek dort ist eh das „Stiefkind“ und man will da nicht reininvestieren.

Es macht mich einfach auch unzufrieden, dass ich so viel Zeit in die Arbeit investieren muss, die mich nicht wirklich ausfüllt und wo ich den ganzen Tag ganz allein bin, obwohl ich gern mehr Zeit zum Studieren hätte. Wenn ich irgendwann mal das Studium fertig hätte, könnte ich irgendwann wieder etwas arbeiten, was mich mehr ausfüllt – was mit Menschen (optimaler Weise mit Kindern) und mit Literatur.

Natürlich ist es auch anstrengend, kaum ein Wochenende zu Hause zu sein. Ich lerne viel im Zug oder morgens, wenn mein Schatz noch schläft. Doch gründlicher wäre es mal zu Hause am Schreibtisch.

Doch was soll ich ändern? Wie ich es drehe und wende, gibt es derzeit keine Lösung.
Meine Jobs brauche ich, um Geld zu verdienen. Einen anderen Job finde ich momentan nicht; zumindest nicht auf die Schnelle – zumal ich ja auch nicht weiß, was ich anderes arbeiten soll bis mein Studium fertig ist. Auf den Sport kann ich nicht verzichten und auch nicht noch weiter einschränken, weil es mir sonst körperlich wieder schlechter geht. Und auf meine Freunde (und mein liebes Patenkind) und auf Partnerschaft zu verzichten, kann ja auch keine Lösung sein (auch hier ist es zeitlich schon sehr eingeschränkt). Ich versuche schon, eine Wohnung zu finden, die barrierefrei ist, damit mein Freund mich öfter hier besuchen kann, doch das ist auch nicht einfach – zumal mir auch hier wieder die Zeit zum Suchen und erst Recht zum Besichtigen fehlt. Auch für die Frage, ob wir zusammen ziehen, ist es nach 2 Monaten noch viel zu früh.

Aber ich kann bald nicht mehr. Gerade auf der einen Arbeit, in der meine Chefin mich schon sehr unterstützt und sehr menschlich ist, sitze ich manchmal den ganzen Nachmittag und hab keine Energie mehr, surfe im Internet (und schreibe an den Kummerkasten). Dann habe ich deswegen ein fruchtbar schlechtes Gewissen. Aber ich bin keine Maschine, die den ganzen Tag funktioniert.

Ich habe auch Angst, das im Endeffekt nichts mehr klappt – auf beiden Arbeiten lässt die Leistung nach; zum Studieren komme ich immer weniger und brauche immer länger und werde niemals fertig; zum Sport gehe ich so selten, dass es schon fast nichts mehr bringt und meine Freunde vernachlässige auch.

Mal ganz zu schweigen, von solchen „laufenden“ Sachen – Arztbesuche, `ne neue Hose kaufen, Steuererklärung machen – ich weiß nicht, wann ich das machen soll.

Bitte entschuldigt, dass meine Mail so lang geworden ist, doch das Schreiben hilft mir in solchen Momenten immer sehr. Ich hab dann das Gefühl, dass alles in meinem Kopf besser sortiert ist.

Vielen Dank, wenn ihr euch trotzdem Zeit für eine Antwort nehmt.

Ganz herzliche Grüße
Kathrin

Christian Anwort von Christian

Hallo Kathrin,

es verlangt meine gesamte Hochachtung ab deinen Fleiß und Mühe im ausreichenden Maße zu würdigen. Du hast dir da wirklich super viel vorgenommen, es sind erstrebenswerte Ziele die du nennst, aber auch Notwendigkeiten denen du nachkommen musst. Ich kann mir vorstellen, dass es deine Woche voll ausfüllt, ja man vielleicht noch ein paar zusätzliche Stunden benötigen würde. Aber diese zusätzlichen Stunden hast du nicht…

Der Nachteil von so vollen Terminkalendern wie deiner ist, dass es keinen Puffer für Änderungen oder Überschreitungen gibt, jeder Termin muss quasi eine zeitliche Punktlandung sein da du sonst die Zeit an anderer Stelle einbüßen musst, wie ich das gelesen habe. Diese Fahrweise kann meiner Meinung nach aber nicht über einen langfristigen Zeitraum gut gehen, ich denke da hilft auch kein Zeitmanagement weiter sondern nur noch das setzen von Prioritäten. Sicher würde dies im Endeffekt bedeuten, dass du an manche Stelle kürzer trittst oder sogar manche Sachen komplett streichen würdest. Ich habe schon gelesen, dass es in deinem Naturell liegt möglichst alle Dinge anzupacken – nichts liegen lassen und los zu powern. Die Frage die sich mir dabei stellt: „Zu welchem Preis das alles?“ Die Symptome weisen eindeutig auf eine Überlastung hin und wenn du es zulässt, dass dich der Stress krank macht, dann treten deine Befürchtungen ein nichts mehr zu schaffen, nicht mehr weiter zu kommen.

Du fragst dich jetzt bestimmt: Hat mich der Kummerkasten-Onkel überhaupt verstanden? Ich verstehe es sehr gut wie es ist, wenn man wirklich an allem interessiert ist. Ich bin ebenfalls Student, Arbeite, Schreibe, Lese hier die Probleme und schalte ich nur einmal den TV-Sender ARTE ein, dann habe ich wieder etwas Neues worüber ich im Anschluss gerne viel intensiver lesen würde und fast vergessen habe ich meine Freunde, die ich beiläufig viel zu wenig sehe. Ich wende seit einigen Monaten das Eisenhower-Prinzip sehr erfolgreich an, welches es mir ermöglicht meine Arbeitswoche relativ erfolgreich zu meistern, charakteristischerweise fällt dadurch auch einiges hinten runter! Allerdings habe ich dieses Eisenhower-Prinzip etwas abgewandelt in y-Achse: Privat und Dienst und in der x-Achse eilig und nicht eilig. Ich habe keinen Zyklus der 52 Wochen im Jahr homogen ist viel mehr ist es ein 2-Wochen Zyklus da eilig und nicht eilig bei Aufgaben oder Ziele wie das Glied einer Fahrradkette einmal ganz oben steht und dann erstmal wieder nach hinten weg läuft, bis es irgendwann wieder auftaucht… Ich führte bei mir feste Zeitstunden ein in denen ich Dienst schiebe oder mich privaten Angelegenheiten widme. Die Zeit von Freitag 22 Uhr und Montag 10 Uhr halte ich mir dagegen grundsätzlich immer frei egal wie viel in der Woche ist.

Hier in dem Text steht natürlich nur meine Meinung, ich erhebe nicht den Anspruch, dass sie die beste Möglichkeit für alle ist. Ich würde dir empfehlen an manchen Stellen einfach weniger zu machen und damit meine ich auf gar keinen Fall bei Freunden oder bei deinem Freund! Vielleicht bietet das Bafög-Amt Fördermöglichkeiten die dich temporär entlasten können und einen finanziellen Ausgleich bringen? Jedenfalls ist es ein menschliches Bedürfnis mal die Seele baumeln zu lassen und im Internet zu surfen, Mails zu schreiben oder einfach so mal seine Zeit zu vergeuden! Es sollte möglich sein ohne anschließend quälend schlechtes Gewissen.

Ich wünsche dir alles Gute, bleibe Gesund und möge die Liebe bei euch ewig bestehen! Schreib ruhig wieder, wenn du magst.
Christian