Problem von Sophia - 18 Jahre

Ich habe mich selbst verloren

Hallo liebes Kummerkastenteam,
vielen Dank für die wertvolle Arbeit, die ihr hier leistet. Das ist ganz große Klasse.
Ich schreibe euch heute zum wiederholten Mal, aber das ist in Ordnung, ihr habt viel zu tun.
Es ist nur so, dass ich langsam aber sicher keinen Ausweg mehr finde.
Ich fange mal vorne an: Ich war immer sehr zufrieden mit meinem Körper, mit dem was ich bin, wie ich mich gab. Es gab Leute die mich mögen und welche, die mich nicht leiden konnten – war eben so. Und wenn ich Lust hatte eine Tafel Schokolade zu futtern, tat ich das eben.
Heute ist das anders. Irgendwann kamen meine Eltern und meinten zu mir, ich solle abnehmen, ich sei zu fett. Genau so haben sie es gesagt, obwohl mein Gewicht streng genommen nicht einmal im Bereich des „Übergewichts“ lag.
Oh, ich habe mich aufgeregt. Ganz lange geheult habe ich und dann habe ich mich zu etwas entschlossen: Ich werde ihnen zeigen, wie ich abnehmen kann.
Und das tat ich. Ich aß weniger, machte mehr Sport, googelte nach Diät-Tipps.
Und kam irgendwann auf gewisse Seiten, Pro-Ana-Seiten. Ich las auf ihnen, ich fand mich darin wieder, fühlte mich angesprochen. Heute weiß ich, dass das sozusagen der Anfang vom Ende war.
Ich probierte die Tipps aus, die es da gab, testete jede erdenkliche Diät, ohne wirklich ganz zu verstehen, um was es dabei eigentlich ging. So ging das immer weiter und ich nahm auch ab, insgesamt 15 Kilo.
Damit sind wir im Jetzt angekommen, und bei meinem eigentlichen Problem.
Während dieser ganzen Zeit habe ich mich verändert, bin größer geworden, stärker, mögen manche sagen. Aber in meinem Herzen fühle ich mich genauso wie damals, als mir meine Eltern sagten, ich sei zu fett. Ich kann mich nicht im Spiegel anschauen, es stößt mich so unglaublich ab, dass ich jedes Mal zusammenzucke, wenn ich an einem spiegelnden Schaufenster vorbeilaufe. Wenn ich über die Straße gehe, bilde ich mir ein, dass mich alle anstarren und darüber tuscheln, wie das Fett an meinen Oberschenkeln wabbelt. Ich traue mich nicht, im Klassenraum aufzustehen und auf die Toilette zu gehen, weil mich dann alle sehen können. Alles an mir ist hässlich, ich kann das genau fühlen, aber egal was ich tue, es wird nicht besser.
Jedes mühsam abgenommene Gramm kommt wieder, entweder durch Fressattacken, die mich vor allem Abends heimsuchen, oder, noch schlimmer, einfach so.
Ich habe meinen Ernährungshorizont immer weiter eingeschränkt, in schwarz und weiß, erlaubt und nicht erlaubt. In den letzten Wochen bestand die weiße Liste aus Magerjoghurt und Gemüse. Im Moment ist die weiße Liste leer. Essen stößt mich ab, und doch erwische ich mich am Kühlschrank, aus Gewohnheit. Ich fühle mich wie ein Sklave meiner selbst, als wäre ich willenlos. Ich glaube, ich habe komplett die Kontrolle über mich selbst verloren, vor allem, weil in letzter Zeit die Fressattacken immer schlimmer werden. Und ich habe so furchtbare Angst, dass ich dadurch zunehme, dass ich abends regelrechte Nervenzusammenbrüche und Albträume bekomme.
Wie kann ich da jemals wieder herauskommen? Ich bin wirklich verzweifelt.
Ich wäre sehr dankbar wenn ihr mir antworten würdet.

Anita Anwort von Anita

Liebe Sophia,

ich bin froh, dass du nicht aufgegeben hast, dich zu melden!
Du hast schon ganz richtig erkannt, du hast ein Problem und kommst da nicht selbst heraus. Aber mach dir keine Sorgen, wir holen dich schon aus diesem Teufelskreis heraus.
Ich denke, dass der Auslöser für dich, unzufrieden mit deinem Körper zu sein, durchaus deine Eltern waren. Beim Lesen konnte ich jetzt nicht heraushören, wie das Verhältnis zu deinen Eltern ist, dass du dich so sehr, von dieser wirklich dummen Aussage beeinflussen lässt. Hörst du oft auf Ratschläge, spielt ihre Meinung eine besonders große Rolle (klar, sie sind deine Eltern, aber mit 18 ist man nicht mehr unbedingt so abhängig.)?
Ich will gar nicht lange Analysieren oder drum rum reden, sondern falle mit der Tür in dein Haus.
Ich denke du solltest als erstes einen Arzt aufsuchen. Nicht erschrecken, jeder Arzt wird froh sein, dich „behandeln“ zu dürfen. Wobei das wohl doch eher auf eine Beratung herauslaufen wird.
Es ist nur ganz wichtig, dass jemand einmal deinen Körper untersucht, festhält, wieviel du wiegst, ob dein Körpergewicht gesund ist und auch zB Haare, Nägel, Knochen etc gesund sind. Weil du dich ja recht einseitig ernährt hast. Du kannst ja dann den Arzt fragen, ob er dich weitervermitteln kann, also Adressen von Ernährungsberatern oder sogar Verhaltenstherapeuten hat .
Denn es ist wichtig, dass du einmal mit jemandem redest, der dir erklärt wie du dich richtig, gesund ernährst und dir auch hilft, das umzusetzen (zB mit einem Essensplan für die Woche) , dazu gehört auch Fleisch, oder sogar Schokolade! Ja, genau. Ein Körper braucht auch Zucker und glaub mir, die Seele einer Frau auch ;-)
Es wäre natürlich toll, wenn eine Ernährungsberatung ausreichen würde. Aber schreck bitte nicht davor ab, bei einem Therapeuten um Rat zu fragen. Der wird dich wohl weniger in Essensfragen beraten können, aber er wird Wunder bewirken bei deinem Selbstbewusstsein, dir ein gutes Körpergefühl geben können, und dir auch helfen dein Selbstwertgefühl wieder aufzubauen und zu verteidigen.
Deine Fressattacken würden aufhören, dich würden 2 Kilo (und glaub mir, JEDER Mensch schwankt zwischen 2 Kilos!!!!) nicht mehr die Bohne nerven und du könntest essen genießen. Das Beste ist aber, du bist gesund und bleibst es auch, weil alle Diäten dieser Welt sind es nicht wert, unglücklich zu sein oder sich den Körper kaputt zu machen.
Gegen Sport treiben kann man dagegen absolut nichts einwenden :-) Es tut, so wie Schokolade, Körper und Geist gut, solange man es nicht exzessiv treibt. Du wirst dich gut fühlen danach, und es sollte dir auch reichen als Rechtfertigung für eine zweite Portion Essen oder Nachtisch.

Liebe Sophia, bitte lass mich wissen, wenn du noch weiter Hilfe brauchst. Ich hoffe du wirst dich bei einem Arzt melden und dir helfen lassen. Vielleicht auch mit der Unterstützung von einer Freundin, die dich begleiten kann, oder mit dir Sport treibt und einfach auf dich aufpasst.

Ich wünsche dir alles Gute.
Liebe Grüße
Anita