Problem von Anonym - 18 Jahre

Gewalt, Kinder, nervender Chef, Ratlosigkeit

Hallo liebes KK Team,
ich schreibe euch, zum zweiten Mal, weil ich nicht mehr ein noch aus weiß.
In letzter Zeit ist mir alles zu viel. Ich schaffe es nicht mehr mein Leben allein zu bewältigen. Manchmal liege ich abends im Bett und bekomme unvermittelt Heulkrämpfe, frage mich, warum ich jeden Morgen aufstehe, sehe keinen Sinn mehr darin. Vor ein Paar Wochen habe ich schon Mal geschrieben, aber es hat sich nichts geändert, nur weil niemand Zeit hatte zu antworten (was ich verstehe). Schon wenn ich anfange zu schreiben, muss ich Tränen schlucken...
Mein Vater kommt fast täglich betrunken nach hause und brüllt jeden an, der ihm begegnet. Wenn ich was dazu sage (wozu ich mich verpflichtet fühle), rastet er völlig aus, wirft mit Gegenständen nach mir. Neulich hat er sogar seinen Ledergürtel geholt... Er war vorher ein ganz normaler lieber Vater... (ich war deshalb sogar bei der Polizei, aber wollte nur beratung, was die nicht kapiert haben)
Ein Beispiel: Vor fast 7 Wochen hat er eine Teekanne nach mir geworfen, weil ich gefragt habe, ob er überfordert ist. Davon habe ich unter dem Fuß eine Schnittwunde. Dann hatte ich nach zwei Wochen solche Schmerzen, dass mein Chef mich zum Arzt gebracht hat. Der Arzt war sehr schockiert, meinte das hätte genäht werden müssen, hat das aber in einer kleinen Not-OP so weit hingebogen... Dann hatte ich Krücken. Papa ist ausgerastet, meinte „Du Weichei!“, hat mir die Dinger weggenommen und aus dem Fenster geworfen. Ich habe sie wieder geholt, aber dann hat er das raus gefunden und sie zum Sperrmüll gebracht. Er brüllt mich jedes Mal an, wenn er merkt, dass ich humple, meint ich sei selbst schuld und soll mich nicht so anstellen,,. Ich habe mir von der Mutter meiner Freundin Schmerztabletten geben lassen, damit ich nachts schlafen kann. Wie viele von den Dingern ich in der letzten Woche geschluckt habe... Sie versetzen auch ein Bisschen in Trance, helfen also gleich doppelt. Ich müsste noch Mal zum Arzt, aber ich trau mich nicht, weil ich über Papa versichert bin und wenn der die Rechnung kriegt,,,.
Ich weiß nicht wie ich reagieren soll, wenn mein Vater so ist, oft werde ich selbst aggressiv, oder sage gar nichts mehr... Ich würde ihm den Rücken kehren, aber ich habe vier kleine (halb)Geschwister (13, 10, 5 und 4 Jahre). Ich mache mir Sorgen um sie und fühle mich verantwortlich. Sie sind jetzt schon völlig verängstigt...
Papa schafft es nicht sich um seine Kinder zu kümmern:
kein Frühstück, kein Schulbrot, kein regelmäßiges Taschengeld, Mittagessen selbst kaufen (Wie sollen vier Kinder von unter 20 Euro in der Woche essen?), kaum Regeln und die beiden Kleinen bringt der Große zum Kindergarten...
ich räume oft das ganze Wochenende auf, wische kotze auf, bringe Flaschen weg, mache den Haushalt... Aber der Zustand wird schlimmer, statt besser. Das bedrückt mich sehr. Ist denn alles umsonst?? Ich möchte nicht zum Jugendamt gehen, obwohl ich weiß, dass sie da sind um zu helfen, dann wäre die Hölle los... ich schaffe es aber auch nicht alles allein und gehen wäre egoistisch...
Eigentlich müsste ich in der Woche bei meinem Jahrespraktikum sein und bin dann nicht zu hause. Aber in letzter Zeit nehme ich mir oft frei, oder melde mich krank, weil ich Angst habe was zu hause passiert. Ich habe meinen Chefs erklärt, dass mein Vater was gegen Ärzte hat. Dann vor einer Woche hat mein Chef bei mir angerufen, weil ich da keine Tabletten mehr hatte und nicht vermeiden konnte, dass er merkt, wie scheiße es mir geht. Papa muss ihn sehr angebrüllt haben, denn er war echt schockiert. Ich habe gesagt, dass mein Vater bestimmt betrunken war und nur dann so ist. Aber mein Chef ist Psychologe und Streetworker... Er fragt mich seit dem oft, wie es zu hause war und sagt, wenn ich will, soll ich mich an ihn wenden. Ich sage immer nur „Es ist ok. In jeder Familie gibt es mal schwere Phasen.“. Ich will kein Mitleid.
Mein Vater war richtig sauer, als ich abends zwei Tage nach dem Anruf (also vor 5 T.) nach hause kam, hat seinen Ledergürtel gepackt und versucht auf mich einzuschlagen. Beim ersten Versuch konnte ich mich losreißen und im Badezimmer einschließen, aber als ich nach einer halben Stunde raus kam, stand er vor der Tür, meinte er hätte früher seine Strafe ausgestanden, hat mich richtig festgehalten, mit der brust auf den Klodeckel gedrückt, mein t-shirt hochgezerrt und ich weiß nicht wie oft es geklatscht hat. 40 50 60 mal?. Danach ist er wortlos aus dem Haus gegangen. ich habe mich gefühlt, wie ein hilfloses kind. Dass er solche Kräfte hat. Ich verstehe dass er sauer war, aber das... Meine Geschwister bekommen so was natürlich mit... Ich habe auch angst, wenn er das bei ihnen macht... es passiert ja schnell, dass Lehrer mal zu hause anrufen... sie sind doch noch so klein, durch die Gegend geschubst zu werden ist eins, aber so was, bei Kindern...
Seitdem habe ich mich still verhalten, einfach alles gemacht, was ich konnte und keinen Ton zu meinem Vater gesagt. Und er hat nichts geworfen, nur zwei Mal vor die Tür gekotzt, nicht mal in die Wohnung...
Als ich mich aber vorgestern auf der Arbeit umziehen musste, weil jemand mich mit kaltem Tee besudelt hat, war das eine totale scheißsituation... Ohne nachzudenken, hab ich s wie immer gemacht, weggedreht: T-shirt aus, trocken machen, anderes T-shirt an, das hatte ich verdreht und deshalb ist es schmerzhaft hängen geblieben und ich habe halblaut *autsch* gesagt... Natürlich haben dann alle geguckt und meinen Rücken gesehen... die azubi hat gefragt, wo ich denn reingefallen bin, aber man merkt, wenn Leute versuchen etwas offensichtliches zu überspielen, diese bedrückte stimmung danach... Mir ist in dem Moment nichts eingefallen als „ist doch eh alles egal“ musste fast weinen. weiß nicht warum. Das geht doch niemanden was an... Mein Chef hat dann natürlich direkt gesagt „wir müssen uns mal unterhalten“ und irgenwelche Pläne vorgeschoben, aber er hat natürlich gefragt, wo die Verletzungen herkommen, und hat sich das noch mal genauer angeguckt und auch meine Rippen abgetastet (bevor was falsches rüberkommt: Es ist seine Arbeit. Ich fand das nicht schlimm), obwohl ich gesagt habe, dass ich nur nen abhang runter geschrammt bin. Er hat mir dann seine Handynummer gegeben, meinte wenn ich ihm doch was erzählen möchte, kann ich jeder Zeit anrufen. Ich möchte aber nicht, dass mein Chef sich da in irgendwas reinhängt! Ich will kein Mitleid und kein Jugendamt!
Eigentlich muss ich mich jetzt auch dringend um meine weiterbildung kümmern, aber ich schaffe das nicht. Ich weiß nicht, was ich will, und bin mit dem Kopf ohnehin wo anders. (meine Mutter ist seit Jahren nichts von zu hören, von ihr wird nix kommen.)
Mich überfordert das Alles. Ich versuche alles, damit es allen möglichst gut geht, aber ich kann nicht mehr. Ich weiß nicht, was mit meinem Vater los ist, nicht, wie es weitergehen soll mit meinem Praktikum, studium habe ich schon geknickt und wann soll ich meine Freunde treffen.... ich weiß gar nichts mehr. Wie kann ich das ändern, wie mit allem umgehen? (ich kann und will meinen Chef da nicht reinziehen)
Ich hoffe ihr findet diesmal Zeit mir weiter zu helfen, sonst weiß ich nicht mehr was ich tun soll.
In Hoffnung
Rainbow (das ist ein Pseudonym, wer weiß wer das hier liest...)

Judith Anwort von Judith

Liebe Anonyme,

Danke fuer Dein Vertrauen, es ist super, dass Du uns schreibst. Damit hast Du einen RIESEN ersten Schritt getan.

Du schreibst, Du moechtest kein Mitleid. Aber ich kann nur sagen: Was Du mit Deinem gewalttaetigen und alkoholkranken Vater durchmachst, das ist schrecklich, und es tut mir leid, das zu lesen. Du brauchst dringend Hilfe und Unterstuetzung. Du tust niemandem, nicht Deinem Vater, nicht Deinen Geschwistern und am allerwenigsten Dir selbst einen Gefallen, wenn Du weiterhin in dieser Coabhaengigkeit bleibst und gute Miene zum boesen Spiel machst.

Du schreibst: "Ich möchte nicht zum Jugendamt gehen, obwohl ich weiß, dass sie da sind um zu helfen, dann wäre die Hölle los... ich schaffe es aber auch nicht alles allein und gehen wäre egoistisch..."
Meine Liebe - die Hoelle IST bei Euch bereits los! Dein Vater verpruegelt Dich mit einem Guertel, er uebergibt sich regelmaessig im Suff uns beleidigt und schikaniert Dich und schuechtert Dich ein, wo er nur kann. Sicher braucht auch Dein Vater Hilfe und eine Entzugskur, aber als allererstes musst Du fuer Deine minderaehrigen Geschwister und Dich Hilfe holen. Ich bitte Dich, geh zum Jugendamt und lass Dich beraten. Die Leute dort werden kompetenter sein, als die Polizei, und ganz individuell fuer Deine Situation Hilfe haben.

Aber bitte, tu etwas. Vertrau Dich dem Jugendamt an, beschoenige nichts, und hol Hilfe.

Das was Du beschreibst, ist ein schlimmes Umfeld fuer Dich, und noch viel, viel schlimmer fuer Kinder.

Wenn Du weiterhin schweigst und versuchst, den Scherbenhaufen irgendwie zusammen zu halten, wird alles nur schlimmer: Deine Ausbildung leidet, die Kinder geraten auf die schiefe Bahn, und wer weiss, was Dein Vater noch alles machen wird.

Hier ist ein Link, der an sich sehr viel Information hat und auch weiterfuehrende Adressen und Anlaufstellen gibt.
http://www.gewaltschutz.info/index.php?kap_seite=7,1

Alles Gute.
Judith