Problem von anonym - 31 Jahre

Meine Arbeit macht mich krank

Hallo,

mein Problem ist: meine Arbeit macht mich krank. Ich habe Musikpädagogik studiert und nach vielen Jahren Tätigkeit als Honorarlehrkraft habe ich endlich an eine der städtischen Musikschulen ein Festanstellung gefunden. Ich habe früher mein Beruf geliebt und inzwischen ist es nur "Augen zu und dirch".
Was mich immer wieder komplett überfordert sind die Ansprüche und Erwartungen der Eltern. Es muss alles Spaß machen, schnelle Erfolge haben und alles bitte aber ohne Stress und Druck. Und es muss alles ohne regelmäßiges Üben klappen. Dazu kommt das immer mehr Kinder verschidene Auffälligkeiten zeigen. Damit meine ich nicht Agressionen oder ADHS oä. Sondern viele sind gar nicht in der Lage mit Niederlagen umzugehen, viele haben keine Charakterzüge (damit meine ich: bei vielen Schülern bin ich nach Jahren immernoch nicht ganz hinterher gekommen was für menschen die sind). Geschweige das mehrere Kinder und Eltern die seit Jahren bei mir Unterricht haben mich nicht grüßen.
Alles klappt irgenwie doch, meine Schüler nehmen erfolgreich an Musikwettbewerben teil, bleiben lange Zeit bei mir im Unterricht, manche haben auf eine Musikhochschule geschafft...Nur mein Wunsch einfach als Mensch geseh zu werden wird wohl nie erfüllt sein.
Gibt es hier jemanden der auch als Lehrer arbeitet? Wie geht ihr mit Problemen um?
Danke

Dana Anwort von Dana

Liebe Unbekannte,

mir wurde dein Problem zugespielt, da ich ebenfalls Instrumentallehrerin bin (Pianistin). Bei mir ist es etwas anderes gelagert, ich bin seit 15 Jahren erfolgreich selbständig und habe ein eigenes Klavierstudio, daher kenne ich manche Probleme dann vielleicht nicht so (gerade das Suchen nach einer Festanstellung), aber ansonsten bin ich aus dem Metier und hoffe, dir etwas helfen zu können.

Zuerstmal: herzlichen Glückwunsch, dass du deine Schüler so weiter bringen kannst, dass sie 1. lange bei dir im Unterricht bleiben, 2. Wettbewerbe bestreiten können (ich nehme an, es geht da vor allem um Jugend Musiziert) und 3. sogar nach deiner Ausbildung die Hochschule besuchen. Ich weiß, was das für eine Leistung ist, sind das doch auch meine Ziele und ich weiß, wie viel harte Arbeit da dahinter steckt. Das kannst du für dich verbuchen, das ist eine tolle Leistung! Sieh das und achte dich da selbst! Das ist wirklich toll!

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass du innerlich etwas unsicher bist. Du suchst nach Bestätigung, die nur selten kommt und du wunderst dich, wie wenig die Menschen auf dich zugehen. Leider muss ich dir aus meiner Erfahrung sagen: das ist normal. Die Eltern sehen dich als Lehrkraft der Kinder, die das studiert hat, die das können muss, die bezahlt wird und wo es einfach laufen soll. Beispiel von mir: ich schreibe all meinen Schülern (und das sind 38 Stück) zum Sommer eine Beurteilung. Eine Seite Text. Ich erkläre, wie das Jahr war, was gelernt wurde, was nächstes Jahr an Zielen kommen muss, Kritik, Lob...und von 38 Schülern kam von FÜNF Eltern ein Danke. Die anderen Eltern lesen die Beurteilung zwar gerne, aber das wars dann auch schon. Es gibt sogar Eltern, die nach einem großen und erfolgreichen Konzert der Schüler gerade mal ein "Tschüss..." aus den Zähnen quetschen, obwohl das Kind gut gespielt hat und der Unterricht wirklich erfolgreich läuft. Da dann traurig und resigniert in sich selbst zu versinken, ist nicht gut und auch nicht notwendig.

Sei nicht unsicher! Du machst deinen Job gut! Sei du selbst, sei stolz auf das, was du tust! Und vor allem: erwarte nichts von anderen Menschen. An Erwartungen scheitert die Welt. Jeder Mensch tickt anders. Ich bin mit vielen meiner Schülereltern per Du, weil man sich dann auch schon lange kennt, ein Alter ist und so weiter. Und eine Schülerinnenmama ärgere ich in der Beurteilung immer, denn sie guckt sehr genau. Und wenn da steht "hat sich bemüht", dann ist das für sie ein sicheres Zeichen, dass es NICHT gut war. Ich schreibe aber, wie ich es meine. Und bemüht heißt bemüht. Dann schrieben wir Mails und sie meinte dann nur: "Jaaaa und sei mal stolz auf mich, dass ich nicht ausgeflippt bin, als du "bemüht" geschrieben hast!!!"...und ich schrieb nur: "Jaja...und sei DU mal stolz auf mich und dankbar, dass ich jedes Jahr mir diese Mühe mache."

Kurz darauf klingelte das Telefon und sie hat sich mehrfach entschuldigt, weil ihr das gar nicht in den Sinn gekommen war. Und genau das isses. Es kommt den Eltern oft nicht in den Sinn. Ob das daran liegt, dass die Menschheit heute so ist (was ich nicht allgemein glaube) oder ob das daran liegt, dass die Sensibilität einfach nachlässt und jeder nur seine eigenen Ziele verfolgt..ich weiß es nicht. Aber es ist kein böser Wille. Bestimmt sind auch nicht alle Eltern und Kinder von dir so. Zieh dir deine positiven Gefühle aus denen, die nicht so sind.

Dass dich Schüler nicht grüßen oder ihnen Charakterzüge fehlen, liegt an IHNEN, nicht an dir. Du kannst ihnen Dinge mit auf den Weg geben, aber sie nicht komplett verwandeln.

Wichtig ist, dass DU davon überzeugt bist, was du tust. Und dass du dich auch mal direkt wehrst, wenn Schüler zB unhöflich zu dir sind und dich nicht grüßen. Ich habe auch ab und an Schüler, die still und heimlich ins Studio kommen, ohne ein Wort. Dann breche ich mit dem vorigen Schüler ab und sage: "Huuuch, da hat sich einer reingeschlichen, OHNE ein Hallo....alsoalso..." Dann kommt ein schwaches "Hallo..." aus der Ecke. Und beim nächsten Mal kommt entweder schon gleich eins oder ich mache das Spielchen nochmal. Wenn mich einer unterwegs nicht grüßt, spreche ich das im Unterricht an. Ohne großen Vorwurf, einfach so, dass man keine Angst vor mir haben muss, wenn man mich unterwegs trifft. Klappt dann auch.

Dass sich Schüler oft nicht so verhalten, wie du es gerne hättest oder erwartest, liegt einfach auch an deren Unsicherheit. Es sind Kinder. Steh da drüber! Sie mögen dich, sonst würden sie nicht so lange bei dir lernen. Zieh deine Bestätigung da heraus und sei selbstbewusst. Kopf hoch, Schultern gerade, du kannst was! Ich denke nur an mein letztes Jugend Musiziert, wo zwei Schülerinnen von mir gespielt haben, die auch gut weit gekommen sind. Die eine Familie hat sich so herzlich bei mir bedankt, hat mir was ganz Tolles geschenkt...und die andere? Ich weiß nicht, ob da überhaupt ein Danke gekommen ist...so unterschiedlich kann das sein. Und trotzdem kommen die Kinder so gerne zu mir und trotzdem arbeiten sie eifrig. Die eine hat jetzt alle Sachen aufgegeben, um mehr am Klavier sitzen zu können. Da vergisst man dann das fehlende Danke und freut sich einfach darüber dann. Du hast deine Freunde und deine Familie, die dich als Mensch sehen. In Akademien und Musikschulen ist das zum Teil einfach völlig anders.

Ich kann mir meine Schüler zB aussuchen, weil ich mein eigener Chef bin. Ich teste sie, ich teste auch das Elternhaus und wähle dann oder lass es sein. Das geht bei dir in der Musikschule nicht. Du kriegst, was kommt. Und selbst bei mir gibt es die von dir genannten Fälle und so denke ich mir, dass das bei dir noch gehäuft vorkommt. Aber du hast jede Chance der Welt, das bei deinen Schülern auch anzusprechen! Rede mit ihnen! Versuche, ihr Vertrauen zu gewinnen, das ist wichtig. Die meisten meiner Schüler, von 5 bis 22, erzählen mir alles. Ich weiß von manchen Schülern Dinge, die sie ihren Eltern nicht sagen - und das ist wichtig. Lehrerin UND Freundin. Versuche, keine zu große Distanz aufzubauen, frag sie, wie es ihnen geht, nimm SIE als Menschen - vielleicht nehmen sie dich dann auch mehr als Menschen. Aber erwarte es nicht. Ich habe Schüler, die mich inzwischen als Zweitmama sehen und mich sogar mit zum Campen nehmen wollen (ohgott...) und ich habe Schüler, bei denen ich JAHRE brauche, bis sie mir mal etwas von sich erzählen. Das ist ganz unterschiedlich und hat eigentlich NIE etwas mit dir persönlich zu tun, sondern mit der Art und Weise der Mädchen und Jungs.

Es gibt nur eine Sache, die wirklich deine Aufgabe ist: wenn Schüler nicht mit Niederlagen umgehen können. Das ist eindeutig mit dein Job, hier gegenzuwirken. Versuche, sie weiter zu motivieren, spiele mit ihnen Niederlagen durch, überlegt zusammen, wie dann reagiert werden kann, rede mit den Eltern, denn das ist auch definitiv ein Erziehungsdefizit. Ich hatte mal einen Schüler, der kam eines Tages in den Unterricht und sein Heft, aus dem er gerade spielte, war in der Mitte fast komplett durchgerissen. Ich fragte, was das denn sei und er antwortete errötend, dass er zu Hause "ausgerastet" sei. Ohja, das sah man. Nach einem intensiven Gespräch (der Kleine war 9) fand ich heraus, dass er sich einfach zu großen Druck machte und die Mutter immer im Nacken saß. Wir "warfen sie aus den Übeeinheiten" daheim, sie durfte nicht im selben Zimmer sein. Sie verstand das auch, seitdem läuft es. Sprich mit deinen Schülern, frag sie nach ihren Problemen, mach dich mit ihnen richtig bekannt. Sei nicht nur Lehrerin, sei auch Freundin und Vertraute. Und dann klappt das auch mit dem Vertrauen seitens deiner Schüler, mit dem Grüßen draußen und damit, dass sie dich eben nicht nur als Lehrerin sehen.

Ganz wichtig: schau, dass du den Spaß an der Sache zurück bekommst. Denn das überträgt sich sofort. Wenn ich mies drauf bin, sind es meine Schüler meist auch. Es sorgt für Unsicherheit. Und wenn du unzufrieden mit dir selbst oder deinem Beruf bist, der dir ja Berufung sein sollte, dann überträgt sich das, man merkt dir das an, auch wenn du das nicht willst. Habe einen festen Standpunkt, zB mit dem Üben. Bei mir gibt es das nicht, dass nicht geübt wird, die Regel ist: täglich ans Klavier! Spätestens beim zweiten Durchhänger gibt es ein Gespräch. Ich versuche dann mit den Schülern zu ergründen, woran es liegt. Manchmal ist es die Literatur, manchmal einfach kein Bock, manchmal sind es Schulsachen...aber am meisten ist es die fehlende Zeit-Koordination. Da schiebt man das Klavier nach hinten und plötzlich ist es schwubbs Abend und Klavier ist nicht gemacht. Ooooups... Ich habe dafür den Übeplan eingeführt. Eine bestimmte Anzahl an Minuten, die ein Kind üben soll (die Anfänger 10min und dann gesteigert je nach Können bis zu einer Stunde oder länger) und dann wird genau aufgeschrieben, was in den Minuten passieren soll. Viele Kinder fordern das sogar ein, weil sie merken, dass sie daheim dann eine größere Sicherheit beim Üben bekommen, da sie genau wissen, was ich fordere und wie ich es fordere. Auch die Eltern sehen dann, was ihre Kinder bringen sollten.

Fordere das ein! Geh nicht darauf ein, wenn es heißt: "Och, das muss aber mit weniger Üben gehen"...NEIN, muss es nicht! Deine Schüler spielen ein Instrument und da ist etwas Arbeit mit verbunden. Die Arbeit kann man auflockern und spaßig machen (zB indem man es etwas mehr als Spiel aufzieht oder Literatur sucht, die gerade dem Kind gut passt), aber getan werden muss sie. Lass dich da nicht abspeisen, das wird dann sogar eher als Schwäche ausgelegt. Die Eltern sind übrigens verständiger als man denkt, wenn man ihnen klar macht, welche positiven Seiten das Üben hat und was es beim Kind bewirkt. Zeit fürs Instrument ist IMMER da, man muss sie nur finden. Ich lasse mir manchmal von Kindern, die meinen, zu viel Stress zu haben, den Tagesablauf auf die Minute schildern. Und siehe da, es gibt manchmal STUNDEN mit Leerlauf. Da wird dann rumgehangen. Das sollen Kinder auch dürfen, aber da kann man dann auch etwas Üben einschieben. Die Eltern sehen das auch ein, man muss sich halt vor ihnen behaupten. Sei da nicht scheu, habe Mut! Es ist dein Instrument, was du den Kindern vermitteln willst.

Du bist gut in deinem Fach und du hast eigentlich auch Spaß dran. Vermittle das! Zieh deine Bestätigung aus den Erfolgen bei Konzerten und Wettbewerben, freu dich dran, dass du anscheinend so gut unterrichtest, dass deine Schüler wirklich gut werden, also kannst du nicht alles falsch machen! Lass dich auf deine Schüler ein, nimm auch sie mit in deine Berufung auf. Wir haben doch echt einen tollen Beruf. Ich liebe ihn...und du wirst ihn sicher auch wieder lieben lernen.

Ich wünsche dir weiterhin alles Gute und hoffe, du konntest aus dem ganzen übersprudelnden Zeug von mir etwas heraus ziehen...wenn man mich da mal ansticht, explodiert es und das dann zu sortieren und zu ordnen, ist etwas schwierig. :D

Alles Liebe,

Dana