Problem von Louisa - 15 Jahre

Bulimie - HILFE!

Hallo liebes Kummerkasten-Team!

Euch erwartet jetzt eine etwas längere Mail, da ich versuchen werde alles ganz genau zu schildern. Ich stecke momentan einfach mit meinen Problemen fest und weiß nicht mehr weiter.

Ich hab seit knapp einem dreiviertel Jahr eine Essstörung und neige auch öfters dazu mein Essen wieder zu erbrechen, d.h. ich habe sogar schon eine Bulimie.
Ich bin mir schon sehr früh im Klaren gewesen, was Magersucht und Bulimie bedeuten. Früher ist meine Familie immer mit einer weiteren Familie, guten Bekannten, in den Urlaub gefahren. Die Eltern dieser Familie haben zwei Töchter. Eine in meinem Alter, nennen wir sie einfach mal Sophia und eine 4 Jahre ältere Tochter, die ich jetzt Julia benenne werde.

Vor gut 5, 6 Jahren waren wir mit dieser Familie im Urlaub in Spanien, wo sich aufdeckte, dass die ältere Tochter Julia an Bulimie leidet. Meine Mutter hat mir davon nicht sehr viel mitgeteilt und als ich sie erst nach einem halben Jahr wieder sah, sah sie im Vergleich zum damaligen Urlaub (wo sie wirklich sehr dünn war) total gesund aus, wenn nicht sogar ein wenig pummelig. Zu der Zeit befand ich mich in der Grundschule und war auch leider selbst ein wenig dicklicher, litt sogar an beginnender Adipositas.

Ich wurde in der Schule zwar nicht gemobbt, aber die ein oder anderen Bemerkungen der Mitschüler fiel schon. Zwar seltener, aber es war immer sehr verletzender für mich. Ich begann mich selbst für mein Aussehen zu schämen und wollte etwas ändern, was ich aber nicht so richtig in die Wege geleitet bekommen habe.

Ein Jahr später ist meiner Mutter ein kleines Kind unter das Auto gekommen, was noch am Unfallort verstarb. Meine Mutter traf an diesem Unfall keine Schuld, jedoch wurde auch zu diesem Zeitpunkt gehässig über mich geredet. Das soll jetzt nicht so dargestellt sein, als hätte ich keine Freunde gehabt und als wäre das jeden Tag so gegangen, denn so war es wirklich nicht. Allerdings bin ich in solchen Angelegenheiten etwas überempfindlich. Ich bin auch schon mit 5 Jahren eingeschult worden, da ich einen IQ von 139 habe, so war ich im Grunde genommen immer das Kücken in der Klasse, was ich auch heute noch bin.

Ich kam darüber hinweg und vergaß das eine Weile. Der Wechsel aufs Gymnasium stand mir bevor und dort waren ziemlich alle meiner Mitschüler total in Ordnung. Ich war noch immer nicht die dünnste, aber das kümmerte mich zu diesem Zeitpunkt eher weniger. In der siebten Klasse ging es dann ins Landschulheim, spätestens dort fing für jeden von uns die Pubertät an. Ich akzeptierte bis dahin, dass ich etwas dicklicher war und machte mir keine großen Sorgen. Doch als mein Schwarm dann ein anderes, superschlankes Mädchen küsste, war ich zu tiefst gekränkt und begann mir wieder Gedanken über mein Aussehen zu machen. Ich versuchte mich gesünder zu ernähren, trat einem Sportclub bei und ging unabhängig davon noch Joggen. Ich nahm zwar ein wenig ab, aber das Wahre war es nicht gerade.

In der 8. Klasse war es dann ziemlich ähnlich; ich versuchte mein Gewicht anhand von einer gesunden Ernährung und Sport in den Griff zu bekommen.

Anfang diesen Schuljahres aber hat sich irgendwas in mir geändert. Ich habe beschlossen auf Süßigkeiten weitgehend zu verzichten. Aus Süßigkeiten, wurde dann alles, was viel Zucker enthält, Fleisch, fettige Sachen, dann ließ ich das Frühstück ausfallen und versuchte meine Pausenbrote zu entsorgen, ohne dass meine Mutter, was davon mitbekam. Geschweige denn, meine Mitschüler. Ich begab mich ins Internet, suchte nach den besten Methoden und probierte einiges aus. Klar, dass man da auf Pro-Ana/-Mia Seiten stößt. Ich las mir alles sorgfältig durch, nahm mir die Tipps zu Herzen und begann mich in die immer wieder sinkenden Zahlen auf der Waage zu verlieben. Ich bekam Komplimente und mir passten auf einmal meine alten Jeans wieder. Ich hab bei locker 60 kg begonnen und bin mittlerweile, am Ende des Schuljahres bei 46 kg. Intensiv zog ich mein Ding aber erst seit 2012 durch.

Eines Tages hab ich viel zu viel Kuchen gegessen und da dachte ich mir, was kann es schon schaden, wenn ich einmal versuche den Kuchen durch Erbrechen wieder los zu werden, im Internet schildern ja auch zu genüge Mädchen wie das funktioniert. Ich habs versucht, und war erfolgreich. Aber ich war nicht nur einmal erfolgreich. Ich habs immer öfter getan und es als letzte Rettung angesehen, falls ich mich mal nicht beherrschen konnte. Letzten Montag im Sportunterricht fragte meine Sportlehrerin meine beste Freundin, die nichts von meiner Essstörung bzw Bulimie weiß, ob ich denn normal essen würde oder ob sie allgemein was wüsste. Meine Freundin reagierte dem Thema gegenüber aber eher harmlos und antwortete, dass ich normal essen würde, was ich in der Schule meistens auch versuche. Meine Sportlehrerin möchte nun in den kommenden Tagen mit mir reden und ich habe Angst, dass diese etwas an der morgen bevorstehenden Notenkonfferenz den anderen Lehrern gegenüber über meinen Gewichtsverlust in der letzten Zeit sagt.

Des weiteren kam der größte Schock erst vorhin. Meine Mutter teilte mir mit, dass die jüngere Tochter, der Familie mit der wir immer in den Urlaub gefahren sind (also die kleine Schwester, der damaligen Magersüchtigen), die ich Sophia genannt habe, mit 34 (!!!) kg und einem Puls von 45 im Krankenhaus liegt. Sie würde anscheinend seit Februar nicht mehr gescheit essen. Natürlich habe ich sie in der Zwischenzeit gesehen und natürlich ist mir das aufgefallen, da ich ja selbst magersüchtig bin, aber ich konnte wirklich nicht abschätzen, dass es so schnell gehen kann und vor Allem, dass es so gefährlich werden kann. Gleich nachdem meine Mutter mir das erzählte, fragte sie mich wie viel ich denn wiege. Ich log und antwortete mit 50 kg. Meine Eltern schauen nämlich in letzter Zeit auch genauer darauf, was und ob ich esse. Mein Vater erwähnt häufiger, dass an mir nichts mehr dran sei. Bei so Sachen wird er auch gleich immer lauter und bekommt einen aggressiveren Ton. Ich weiß nicht mehr weiter. Ich bin mir wirklich all dem bewusst, was ich mache. Ich weiß über die Folgen bescheid und finde es eigentlich auch sehr schwach von mir, aber ich kann teilweise einfach nicht anders. Ich habe schon oft überlegt meiner Mutter oder gar meinem Vater alles zu erzählen und eine Therapie zu beginnen, aber ich will nicht zunehmen, ich finde mich ja immer noch zu dick. Ich möchte das alles nicht aufgeben, fühle mich so aber auch schlecht. Was soll ich tun?

Über eine schnelle Antwort würde ich mich sehr freuen.

Liebe Grüße, Louisa.

Judith Anwort von Judith

Liebe Louisa

Vielen Dank fuer Deinen ausfuehrlichen Bericht. Du schreibst toll, wenn ich meiner Antwort ein kleines Kompliment voraussenden darf. Sehr gut verstaendlich, sehr einfuehlsam und auch schluessig. Ich habe einen wirklich guten Ueberblick ueber Deine letzten Jahre bekommen.

Ich finde auch, dass Du sehr gute Chancen hast, geheilt zu werden. Du hast erkannt, dass Du ein Problem hast und Du analysierst auch die Gruende selbst. Das ist toll, nicht jeder kann das! Du hast die Gabe, Dich ein stueckweit selbst zu beorbachten, und das ist nicht einfach. Dir gelingt es sehr gut, und das ist der erste Schritt zur Heilung.

Lass mich ueber ein paar Dinge, ueber die Du schreibst, noch ein paar Worte verlieren.
In der Grundschule warst Du eher dicklich, vielleicht uebergewichtig und wurdest gehaenselt. Als Du aufs Gymnasium kamst, kam noch Zurueckweisung von den Jungs hinzu, und so etwas praegt, das ist ganz klar! Du hast nun selbst dafuer gesorgt (mit ungesunden Methoden), dass Du abnimmst. Vielleicht haette sich das auch so zurechtgewachsen. Viele sind als Kinder dicker, aber dann, nach der Pubertaet, ist man ganz normal. Hier ist wichtig, dass Du verstehst, dass Duennsein an sich noch keine Garantie fuer Erfol, Liebe oder Beliebtheit ist! Und es ist wirklich wichtig, dass Du Deinen Stoffwechsel normalisierst. Ich bin keine Aerztin oder Ernaehrungsberaterin, aber ein staendiges Auf und Ab in der Kalorienzufuhr ist nicht gut, und kann den Jo Jo Effekt nur verschlimmern. Noch ein Grund mehr, dass Du Dich schnell um ein gesundes Mittelmass im Essen bemuehst.

Du schreibst, dass Du Dich in die immer weiter sinkende Kilozahl verliebt hast. Das ist der Inbegriff der Sucht, liebe Louisa! Und was ist das tolle Gefuehl? Macht? Kontrolle? Erleichterung? Erfolg? Bestaetigung von Willensstaerke? Vielleicht ein bisschen von allem? Aber Louisa, das Gewicht, der eigene Koerper, ist nicht der richtige Schauplatz, um diese Gefuehle auf Kosten der eigenen mentalen und psychischen Gesundheit auszutragen! Und auch wenn Du mit Deinem Gewicht noch nicht an der Grenze zur Zwangsernaehrung im Krankenhaus bist - die Anlagen, das Suchtverhalten, das zeigst Du! Und da bitte ich Dich dringend, mit jemandem zu sprechen. Vielleicht mit Deiner Sportlehrerin?

Deine Eltern merken ja auch etwas. Sie wissen, wie eine Essstoerung aussieht, beide Toechter der Freunde leiden darunter. Dein Vater schlaegt einen aggressiven Ton an, aber ich koennte mir vorstellen, dass er dies aus Angst und Ratlosigkeit tut. Sicher werden Dir Deine Eltern helfen!

Du bist eine junge, intelligente Frau. Du hast Freunde und liebende Eltern. Ich hoffe sehr, dass Du das Selbstbewusstsein findest, dass Dir zusteht! Sei stark, aber nicht, indem Du hart zu dir selbst bist. Sei stark, indem Du geniesst, Deine Meinung klar sagst, lernst, mit Fehlern umzugehen ohne Dich minderwertig zu fuehlen, und Dich so zu lieben, wie Du bist.

Das ist nicht leicht, aber es ist der richtige Weg und wird Dich allemal gluecklicher machen.

Also, bitte gib Dir einen Ruck und rede mit jemandem, und mach eine Therapie.

Toi toi toi!!
Judith