Problem von Michelle - 16 Jahre

Burn Out oder schlimmer?

Hallo erstmal.

Ich will hier erstmal meine Situation schildern: Momentan bin ich 16 Jahre alt, weiblich und gehe auf eine Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe.
Zu meiner Vergangenheit: Ich wurde schon früher immer gemobbt wegen einer banalen Sache, meine Körpergröße. Bis zur 7. Klasse ging das Mobbing. Eigentlich hat es mir nicht großartig was ausgemacht, denke ich. Allerdings hat sich mit ca. 10 Jahren mein Leben schlagartig verändert. Mein größter Bruder, nennen wir ihn X (damals 16J.), hat versucht Selbstmord zu begehen. Mein anderer großer Bruder, nennen wir ihn Y (damals 13J.), und ich kamen durch Zufall in sein Zimmer und sahen in da auf dem Fensterbrett. Wir konnten ihn davon abhalten. Seitdem hat er schwere Depressionen. Er hatte schon 3 Ausbildung versucht anzufangen, ist jedoch gescheitert. Ursache Mobbing. Er war auch schon in vielen Therapien, doch niemand konnte ihm helfen. Er hat praktisch gesehen vor allem Angst. Wie eine Art Zwangsstörung. Er hatte teilweise sogar vor uns Angst, dass wir uns gegen ihn wenden. Dann als ich 13J. und mein anderer Bruder Y 16J. hatte er Depressionen, hat Abi hingeschmissen. Nie war irgendeine Auffälligkeit. Er war immer ein guter Schüler, musste nie lernen, schrieb haufenweise Einsen. Er ist nämlich HB (Hochbegabt). Ich weiß nicht genau, wie ich alles erklären soll, es ist zu viel zum Schreiben.

Die wichtigen Fakten: Meine Brüder hatten Depressionen, mein Bruder Y konnte sich wieder auffange (durch eine erfolgreiche Therapie) und hat eine Ausbildung gefunden. Mein anderer Bruder X hingegen.. wie ein hoffnungsloser Fall.

Zu meinen Eltern: Meine Eltern machen die Situation auch nicht besser. Meine Mutter ist total gestresst, weil sie 2 Kinder hat, die ständig selbstmordgefährdet sind. Meine Eltern streiten sich praktisch täglich und wollten sich eigentlich trennen.. aber sie müssen zusammenbleiben, weil sonst das Geld für das Haus fehlen würde. Also bleiben sie zusammen und streiten sich weiter.

Zu meiner Person: Ich stehe von Montag bis Freitag jeden Tag 4:30 Uhr auf. Der Grund: Hausarbeit. Dann gehe ich zur Schule. Ich bin keine schlechte Schülerin, überwiegend Einsen und Zweien, ohne lernen. Für's Lernen hätte ich gar keine Zeit, komme ich nach Hause von der Schule (meistens so 17 Uhr, kommt drauf an, ob ich Instrumental-, Chor- und/oder Quartettprobe hatte) folgt Hausarbeit. Kochen, putzen, staubsaugen, Wäsche waschen. Abends kann ich kaum schlafen. Pro Tag vielleicht 4-5 Stunden. Ich liege abends oft im Bett und frage mich, warum mir das alles passiert. Am 22. Oktober ist dann mein Opa und am 30. Oktober ein guter Freund unserer Familie gestorben. Ich kann meine Situation gar nicht genau schildern. Es ist alles so schlimm. Aber ich will nicht jammern, weil ich weiß, dass es genug Leute gibt, denen es schlimmer geht. Aber ich fühle mich so müde und ausgenutzt. Ich muss immer allen zuhören und ihnen den Rücken stützen, obwohl ich selber keine Kraft dafür habe. Trotzdem mache ich es. Jeden Tag wache ich mit Kopf- und Rückenschmerzen auf und gehe damit auch wieder zu Bett. Mein Leben kommt mir leer vor. Ich denke oft darüber nach, dass es im Leben doch eigentlich nichts sinnvolles gibt. Dann merke ich, dass ich schon wieder zu viel rumjammer... ich habe mich auch schon geritzt.. nicht, weil ich Aufmerksamkeit wollte oder den Schmerz von der Situation vergessen wollte. Ich wollte mich selbst bestrafen. Ich weiß nicht, ob ich depressiv bin... aber ich glaube, ich jammer nur zu viel. Von Therapeuten halte ich nicht viel. Die versuchen einem nur die Welt schönzureden. Es gibt doch einfach nichts im Leben, was mir wirklich einen Sinn gibt, zu leben? "Leben bedeutet Leiden." - Wie's im Buddhismus so schön heißt. Ich habe manchmal das Gefühl mit jedem Tag, den ich länger auf der Welt bin, zu sehen, dass es doch eigentlich keinen Sinn hat. Wofür leben wir? Wofür sterben wir? Warum handeln wir so? Dazu kommen dann noch Liebensprobleme.. die machen mich noch mehr runter.. es gibt ca. 8 Jungs, die auf mich stehen.. viele davon sind Zockerkumpels. Einer davon, nennen wir ihn "L" ... den mag ich auch. Ich glaube auch, dass ich ihn liebe, nur kann ich's ihm nicht zeigen. Wir haben schon öfter darüber geredet.. nur keiner von uns kann den ersten Schritt machen... ich weiß nicht, ich fühle mich in jeder Lebenssituation absolut hilflos.

Warum ich das hier schreibe? Weil ich mit niemanden darüber reden kann. Niemand kennt meine wirklichen "Gefühle" und Sorgen. Falls ich welche habe. Keiner könnte es verstehen. Manchmal fühle ich einfach nichts.. dann fühle ich mich wie eine leere Hülle, gefangen in dem Leid dieser Welt.

Ich möchte keine Antworten. Ich möchte keine Vorschläge, wie ich meine "Probleme" lösen könnte. Ich will nur, dass mich jemand versteht.

Jemand mir sagen kann: Für was lohnt es sich zu leben?

Judith Anwort von Judith

Liebe Michelle,

Danke für Dein Vertrauen. Du schreibst: "Ich möchte keine Antworten. Ich möchte keine Vorschläge, wie ich meine "Probleme" lösen könnte. Ich will nur, dass mich jemand versteht (...) Jemand mir sagen kann: Für was lohnt es sich zu leben?

Dannoch schreibst Du einen langen Text, in dem Du ausführlich die Schicksalsschläge Deiner Familie und Deine Probleme durch die körperliche und seelische Überbelastung schilderst.

Tut mir leid, aber das kann ich nicht einfach unbeantwortet lassen.

Der Schlüssel für mich zu Deinem Problem liegt gleich bei der Aussage, dass Du Dich ritzt, um Dich zu betrafen. Und dass Du denkst, dass Du einfach zu viel jammerst, Du denkst, Du müsstest Dich nur mal nen bisschen zusammen reissen, anderen geht's noch viel schlechter.

Alle dürfen leiden, allen wird geholfen. Ausser Dir.

Merkst Du, wie ungerecht das ist? Daran muss Du dringend etwas ändern, liebe Michelle. Du kannst nicht das Leid der anderen tragen, Du kannst nicht nur Rücksicht nehmen. Natürlich solltest Du helfen, aber ein 4:30 bis 22 Uhr Tag, ist unzumutbar, wenn man 16 ist, in die Oberstufe geht, und noch 3 musikalische Hobbies hat. Du kannst nicht die Verantwortung für das Glück anderer übernehmen.

Sprich mit Deiner Mutter und Deinem Vater und sag ihnen klipp und klar, dass Du nicht mehr alles machen kannst. Vielleicht machst Du einen Vorschlag: Z.B. vor 6 Uhr und nach 20 Uhr ist Haushaltsarbeit für Dich tabu. Vielleicht könnt ihr gemeinsam überlegen, wie ihr etwas Geld spart und eine Haushaltshilfe engagieren.

Du fragst "Für was lohnt es sich zu leben?"
Michelle - es gibt so viel. Wenn man die Zeit und Ruhe hat, es zu geniessen. Die Liebe, gutes Essen, Musik, die Natur, die Familie, ein super Job, anderen helfen, Reisen & Kulturen kennen lernen... So viel, was das Leben schön macht. Sag STOPP, setz Grenzen, und nimm DirZeit für Dich.

Ich wünsche Dir viel Stärke und alles Gute. Auch für den Rest Deiner Familie.
Judith