Problem von Anonym - 19 Jahre

Alles kommt auf einmal und ich weiß keinen Ausweg mehr.

Hi,

ich arbeite im Krankenhaus und mache dort mein FSJ. Bei uns auf der Station sterben ca. 5 Menschen im Monat. Ich weiß, dass sich das schrecklich anhört, aber man lernt damit von Zeit zu Zeit umzugehen. Vor einem Monat ist ein Patient gestorben, mit dem ich mich richtig gut verstanden habe und ihn seit 3 Monaten kenne. Er ist mir richtig ans Herz gewachsen, habe ihn in seinen letzten 4 Tagen versorgt, mich um ihn gekümmert und habe gehofft, dass es schon wieder mit ihm wird. Das schlimme ist, dass er nicht sterben wollte und mir das auch gesagt hat. Er hat sich vor seinem Tod immer wieder aufgebäumt, hat bitterlich geweint, um Hilfe gerufen. Ich meine, er hat alles verstanden, war vom Kopf her fit, bloß sein Körper wollte mit seinen 55 Jahren einfach nicht mehr.

Als er dann verstorben ist, habe ich immer wieder über den Tod nachgedacht, musste auch viel weinen, mein Herz ist richtig schwer geworden. Ich habe mich gefragt, was das Leben eigentlich bringt? Man wird geboren und am Ende stirbt man. Ich weiß nichts mit meinem Leben anzufangen. Klar weiß ich, dass das was zwischen Geburt und Tod das Leben ist, man soll es genießen. Aber wozu? Ich sterbe doch eh am Ende.

Vor 3 Wochen ist dann eine Bekannte von mir wegen eines Autounfalls gestorben. Sie ist betrunken auf einer Landstraße nach Hause gelaufen und ist plötzlich auf die Fahrbahn getreten. Ein Auto hat sie erfasst und sie ist dann am nächsten Tag im Krankenhaus verstorben.
Wir waren 7 bis 8 mal zusammen feiern, sie hat auch mit anderen bei mir geschlafen; man kannte sich halt. Trotzdem hat es ganz schön weh getan. Ich finds schrecklich, dass man auf einmal nicht mehr da ist, nicht mehr lebt, nichts mehr machen kann und dass es so schnell gehen kann.
Da denke ich mir, dass ich erst das Leben an sich nicht geschätzt habe, weil man eben so oder so stirbt, aber nach dem Ereignis mit der Bekannten ist mir ganz anders geworden. Man sollte wirklich sein Leben schätzen, weil man nicht weiß, wann es vorbei ist.

Dann haben wir vor einer Woche einen 22 jährigen Patienten auf die Station bekommen. Er hatte auch einen Unfall gehabt und so ziemlich alles gebrochen und verletzt, was man sich vorstellen kann. Er lag lange Zeit auf der Intensivstation und ist nun bei uns. Er kann hören und sehen, sich aber weder selbst bewegen, noch sprechen. Nun versorge ich ihn morgens meistens, rede viel mit ihm, mache Späße, damit er sich vielleicht ein wenig wohler fühlt.
Er hat außerdem durch den Unfall Spastiken in den Armen und Händen. Ich versuche dann immer seine Finger ein bisschen zu lockern, sage "Gib mir mal 5 " und er versucht dann wirklich seine Finger auseinander zu machen und grinst dann immer viel dabei. Dadurch, dass wir meistens schlecht besetzt sind, fehlt mir die Zeit, mich mit ihm zu beschäftigen. Das versuche ich aber trotzdem und bin immer so lange es geht bei ihm im Zimmer. Ich glaube, das merkt er auch. Immer wenn ich im Zimmer bin, fängt er an zu lächeln, und wenn ich seine Hand nehme, drückt er immer ganz fest zu.
Gestern hat er das auch gemacht, hat meine Hand fest gedrückt und angefangen zu weinen. Mir wurde auch ganz anders. Ich weiß, dass er mich mag und das tut mir so unheimlich weh.

Mir schwirren ganz viele Gedanken im Kopf rum, ich bin traurig und wenn ich von der Arbeit komme, ist mir schlecht, bekomme Heulkrämpfe, mein Herz tut mir weh und alles fühlt sich so unheimlich schwer an. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll..
Vorallem bei der Vorstellung, was so ein scheiß Unfall machen kann! Dieser junge Mann kann vielleicht nie wieder richtig reden, nie wieder laufen, sich nicht selbst versorgen.
Ich habe die Tage dann bei Facebook geschaut und ihn dann auch wirklich dort gefunden. Und uff.. er scheint ein ziemlich lebenslustiger Mensch zu sein, da gabs Fotos mit ihm beim Fallschirmspringen, Motorradfahren, Party machen… sein Leben am genießen eben.
Ich habe ihn auch richtig in mein Herz eingeschlossen, sodass ich mir vielleicht viel zu viel Sorgen mache? Das Problem an der ganzen Sache ist einfach, dass er zu seinem Glück hoffentlich bald in die Reha kommt, ich aber jetzt eine Woche wegen eines Seminars nicht arbeite. Ihn dann vielleicht nie wieder sehe? Ich möchte ihn aber weiterhin unterstützen und ihm helfen, dass es ihm ein bisschen besser geht. Das belastet mich alles ganz schön.

Geredet darüber habe ich bis jetzt mit meiner Schwester, was mir auch gut getan hat. Jedoch versteht sie mich in manchen Punkten nicht und blockt dann auch ab.

Wenn das alles nicht schon viel zu viel wäre, habe ich noch ein Problem.
Ich bin seit 1 ½ Jahren mit meinem Freund zusammen und gestern hatten wir ein Gespräch über unsere Beziehung, weil alles irgendwie nicht läuft. Durch sein Studium und meine Arbeit sehen wir uns vergleichsweise zu früher eher wenig. Mit meinen o.g. Problemen kommt er nicht zurecht, kann mich nicht unterstützen oder mir helfen. Ich habe das Gefühl, in ein Loch zu fallen und keiner kann mich herausziehen. Meine Gefühle für meinen Freund werden immer weniger, das schlimme ist, dass es mich nicht stört. Das habe ich ihm gestern auch gesagt, weil ich offen gegenüber ihm sein wollte.
Er hat dann nur ganz locker gesagt „Tja, dann war’s das jetzt wohl, oder?“ und oah, das konnte ich dann wiederum nicht verstehen. Er ist die Person, die die Beziehung aufrecht erhalten will, hat mir gesagt, dass wir das schon schaffen und ich uns noch eine Chance geben soll. Aber nach so einem Spruch? Das hat mich richtig umgehauen. Wir haben uns jetzt darauf geeinigt, dass wir es noch einmal versuchen, obwohl meine Gefühle im Moment einfach nicht da sind. Ich weiß aber jetzt schon, dass es nichts wird. Ich habe aber einfach Angst, alleine zu sein. Niemanden zu haben, morgens alleine aufzuwachen und abends alleine einzuschlafen. Ich weiß, dass sich das doof anhört und dass ich da durch muss.

Bitte helft mir.

Florian Anwort von Florian

Hallo Ratsuchende


Ich möchte vorweg meinen Hut vor Dir ziehen. Nicht viele Menschen schaffen es einer Arbeit, wenn auch nur auf ein FSJ begrenzt, nachzugehen in der regelmäßig mit sterbenden Menschen umgegangen werden muss und diese Arbeit dann noch weiterzuführen.


Der Umgang mit dem Tod ist nicht einfach. Zwar wird dieser nach und nach mehr akzeptiert, aber bei jedem neuen Todesfall wird diese Akzeptanz über den Haufen geworfen und muss immer wieder neu aufgebaut werden. Dies zeigt sich auch in den fünf Phasen des Sterbens nach der Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross. Dabei treten, ob beim Sterbenden oder beim Angehörigen, immer wieder fünf Phasen auf: Das Nichtwahrhabenwollen, Zorn, Verhandeln, Depression und schließlich Akzeptanz. Die Reihenfolge ist zwar nicht festgelegt, die Akzeptanz ist meistens aber die letzte Phase.
Nach diesem Modell befindest Du Dich derzeit in der Phase der Depression. Darin fragt man sich häufiger nach dem Sinn von etwas. Egal ob es der Sinn des Lebens, der Geburt oder des Todes ist. Es entstehen viele verschiedene Ängste und schließlich auch etwas wie Räue.

Interessant ist, um auf die Frage nach dem Sinn des Lebens einzugehen, was sich Sterbende im Bezug auf ihr Leben dachten. Die Sterbebegleiterin Bronnie Ware veröffentlichte 2011 welche Gedanken Sterbende vor ihrem Tod beschäftigte. Es ging meistens nur um die eigene Lebensbilanz. Vier der Fünf Kategorien an Gedanken zur eigenen Lebensbilanz handelte nur von Versäumnissen:

Am meisten Beschreiben wurde z.B. das Versäumnis zu häufig nach den Vorstellungen anderer gelebt und nicht nach den eigenen Wünschen gelebt zu haben.
Andere wünschten sich weniger Alltägliches getan und erlebt zu haben. Man hätte sich mehr Zeit für sich und nahestehende Menschen gewünscht. Ein weiteres Versäumnis war seinen Gefühlen zu wenig Raum gegeben zu haben. Andere wünschten sich mehr Zeit für Freunde oder sogar mehr Freunde.

Diese letzten Gedanken der Sterbenden zeigt eigentlich nur eins: Man wünschte sich mehr Lebensfreude. Die begrenzte Zeit des Lebens sollte also bestmöglichst nach eigenen Vorstellungen genutzt werden.
Ähnlich faste es auch Konfuzius auf, der sagte: "Die Lebensspanne ist dieselbe, ob man sie lachend oder weinend verbringt." Und ich möchte Dir in diesem Zusammenhang jetzt nur eine Frage stellen: Willst Du sie weinend verbringen?


Das Du um die Menschen trauerst Die von Dir gehen ist erstmal in Ordnung. Nicht in Ordnung ist es jedoch, wenn Du dadurch Dein eigenes Leben vernachlässigst oder hinten anstelltst. Dein Leben hat trotz dieser Vorfälle für Dich Priorität. Wenn Du nach einem harten Arbeitstag und nach vielleicht sogar einem solchen Sterbefall besser gelaunt sein willst und auch lachen willst, dann solltest Du alles dafür tun Dir das zu ermöglichen.
Alles andere ist eine Niederlage und schadet Dir mehr als das es Dir nützt. Würdest Du weitertrauern und zwar für den Rest Deines Lebens, Du könnstest dort nicht mehr weiterarbeiten, wärst ständig deprimiert und könnstest Dein Leben nicht so führen wie Du es 1. willst und 2. verdient hättest!

Also nutze die Botschaft die viele Sterbenden versuchen zu übermitteln und gib Deinen Leben den Sinn, denn Du für richtig hälst. Dadurch erhält auch der Tod dieser Personen einen wirklichen Sinn.


Nehmen wir diese Gedanken und gehen zu Deinem zweiten Problem über:

Fändest Du es sinnvoll die Beziehung und alles was sich daraus entwickeln könnte zu beenden?

Wenn ja, beende sie und nutze die dann wieder freiwerden Zeit und Energie für etwas anderes.

Wenn aber nicht, dann versuche die Beziehung nach Deinen Möglichkeiten zu erhalten. Suche nach neuen oder anderen Wegen euch beide wieder häufiger zu treffen und wieder neuen Schwung in die Beziehung zu bringen.


Von selbst ändert sich nichts zum Positiven. Also Entscheide, Handle und nehme die Konsequenzen (ob gut oder schlecht) so an wie sie kommen. Ansonsten wäre auch dies eine Niederlage und Dein Leben würde sich weiter danach richten, was andere für richtig halten. Es wäre somit wirklich sinnlos. Nur durch die eigenständige Entscheidung etwas zu tun oder nicht zu tun, sowie die Ausführung desselben, ergibt sich der Lebenssinn.


Verschaffe Dir also einen Sinn!


Ich wünsche Dir viel Glück dabei.


Alles Gute

Florian