Problem von Anonym - 24 Jahre

Als Frau im Männerberuf bestehen?!

Hallo liebes Kummerkasten-Team!

ich bin 24 Jahre alt und studiere Maschinenbau. Um mein Problem zu beschreiben, muss ich ein bisschen ausholen: Bevor ich beschloss, ein „Männerfach“ zu studieren, besuchte ich eine Schule, wo man zwar Kochen, Hauswirtschaft, Ernährung und co. lernt, aber sehr, sehr wenig, was man in einem technischen Studium gebrauchen kann. Ausgesucht hatten die Schule hauptsächlich meine Eltern und im Laufe der Jahre merkte ich immer mehr, dass ich etwas ganz anderes machen will und so kam der Entschluss zu meinem Studium. Meine Eltern waren davon nicht sonderlich begeistert, alle hatten Zweifel, ob das nicht etwa nur so eine Laune von mir war und ob ich das als Frau überhaupt schaffen könnte. Da ich ziemlich schüchtern bin, sagten sie: „Da wird dich doch als Frau nie jemand ernst nehmen! Wie willst du denn einmal eine Führungskraft sein, wenn die Mitarbeiter dich nicht respektieren?“ Aber die Technik zog mich fast magisch an, sie war das „andere“, das „männliche“, was mir bis jetzt versagt geblieben war. Ich inskribierte für Maschinenbau und es war eigentlich eine reine „Bauchentscheidung“.

In der Schule war ich immer eine der besten gewesen und auch häufig unterfordert. An der Uni merkte ich dann, dass andere StudentInnen viel mehr Vorwissen mitgebracht hatten als ich. Die konnten kluge Bemerkungen machen, während ich mich gar nicht auskannte. Zum ersten Mal in meinem Leben gehörte ich zu den „Dummen“. Ich hatte damals große Angst, das Studium nicht zu schaffen und nicht gut genug zu sein. Noch dazu bin ich auf ein Stipendium angewiesen, da meine Eltern mich nicht unterstützen können. Bei schriftlichen Prüfungen geht es mir normalerweise gut, aber bei mündlichen Prüfungen ist es mir schon ein paar Mal passiert, dass ich so nervös geworden bin, dass ich mich nicht mehr konzentrieren konnte und auch recht einfache Fragen nicht beantworten konnte.
Wenn ich für Prüfungen lerne und etwas nicht gleich verstehe oder wenn ich bei einer Prüfung durchgefallen bin, ist das jedes Mal ein halber Weltuntergang für mich - ich bekomme Angst, dass ich das Bachelorstudium nicht rechtzeitig abschließen kann um im Masterstudium wieder eine Förderung zu bekommen. Ich bekomme Angst, dass ich nie eine gute Ingenieurin werde und keinen Job finde. Dass mich wirklich keiner ernst nimmt als Frau. Angst, dass ich wegen meiner Schüchternheit nie richtig Karriere machen kann, immer nur „minderwertige“ Arbeit machen muss und schlechter bezahlt werde. Dabei würde ich eigentlich gern Karriere machen. Am liebsten hätte ich eine eigene Firma oder wäre in einer Führungsposition angestellt. Irgendwie spüre ich , dass irgendwo in mir drin eine charismatische Führungsperson steckt, aber meine Schüchternheit steht mir (wie leider so oft) im Weg und ich frage mich, wieso ich mir etwas wünsche, was offenbar gar nicht zu meiner Persönlichkeit passt!
Viele Leute haben mir im Laufe meines Lebens geraten, etwas gegen meine Schüchternheit bzw. die Nervosität bei Prüfungen zu tun. Aber ich kann nicht einfach einen Schalter umlegen und plötzlich ein anderer Mensch sein, wie sich das manche erwartet haben. Eine Therapie kann ich mir nicht leisten bzw. gibt’s die nicht auf Krankenschein. Auch die vielen „Selbsthilfebücher“, die ich mir angesehen habe, brachten nichts, bzw. kommen darin immer dieselben Dinge vor, die mir nicht weiterhelfen. Manchmal weiß ich einfach nicht mehr, was ich noch alles versuchen soll. Meine Schüchternheit wurde zwar im Lauf meines Lebens langsam besser, aber ich denke, das ist viel zu langsam. In ein paar Jahren bin ich hoffentlich mit meinem Studium fertig, aber wenn das so weitergeht, werde ich immer noch viel zu schüchtern sein und womöglich tritt dann doch all das ein, wovor ich mich fürchte.

Judith Anwort von Judith

EDIT: Liebe Unbeannte, Du hast Feedback bekommen:
http://mein-kummerkasten.de/289991/Feedback-zu-http-mein-kummerkasten-de-289842-Als-Frau-im-Maennerberuf-bestehen-html.html
Viele Grüsse,
Judith


Liebe Unbekannte,

Danke für Deine Zuschrift. Ich danke Dir stellvertretend für Tausende von Mädchen und Frauen, und ich hoffe, dass Tausende von Frauen, Männern und auch Müttern und Vätern diese Email von Dir und meine Antwort lesen.

Hier haben wir anhand Deiner Beschreibung ein Paradebeispiel, warum es in unseren Landen noch immer so wenige Frauen in Führungspositionen gibt und warum sich Mädchen nicht zutrauen, vermeintlich „männliche“ Berufe zu studieren.

Ist es fehlende Intelligenz? Nein! Ist es fehlende Neugier? Nein! Sind es fehlende finanzielle Förderungen und Studienplätze? Möglich… Aber das allein? Nein das ist auch nicht der Grund!

Es liegt zu einem grossen Teil daran, dass schon in der Kindheit im Elternhaus den Mädchen eingetrichtert wird, dass sie gewisse Dinge nicht können. Und wenn das Kind dann befangen und schüchtern wird, dann wird dieses Verhalten gleich noch als Beweis dieser absurden Theorie herangezogen! Liebe Unbekannte, das macht mich WÜTEND. Beispielhaft stehen hier Deine Sätze „(…)alle hatten Zweifel, ob das nicht etwa nur so eine Laune von mir war und ob ich das als Frau überhaupt schaffen könnte.“ und „Da wird dich doch als Frau nie jemand ernst nehmen! Wie willst du denn einmal eine Führungskraft sein, wenn die Mitarbeiter dich nicht respektieren.“

So ein Quatsch!

Die logische Konsequenz aus den ständigen Zweifeln, die an Dich herangetragen wurden, ist, dass Du nun selbst an Dir zweifelst. Du hast das Gefühl Dich ständig rechtfertigen und beweisen zu müssen. Gut ist nicht gut genug, und mal eine Klausur zu verhauen ist undenkbar, da das nur allen wieder beweisen würde, dass Du es nicht schaffst. Und „die hatten das ja eh schon vorher gewusst“.

Nochmal: So ein Quatsch!

Liebe Unbekannte, Du schreibst „Dabei würde ich eigentlich gern Karriere machen. Am liebsten hätte ich eine eigene Firma oder wäre in einer Führungsposition angestellt. Irgendwie spüre ich, dass irgendwo in mir drin eine charismatische Führungsperson steckt, aber meine Schüchternheit steht mir (wie leider so oft) im Weg(…)“
Dieser Satz macht mich sehr froh – denn Du hast ein Ziel. Nun streich mal das „eigentlich“ und „vielleicht“ und „aber…“ aus Deinem Denken. Am besten wäre Dir geraten, wenn Du einen Coach hättest. Viele Frauen, die der gleichen Gehirnwäsche unterlegen sind wie Du (nämlich dass sie „das eh nicht können“ etc.) haben einen Coach. Viele Unternehmen stellen Frauen im Rahmen von Entwicklungsprogrammen einen Coach zu Seite, der genau solche alten Denkmuster aufbricht und dadurch das Potenzial freisetzt, was in ihnen schlummert.

Ein Coach kostet natürlich, aber mit der „light“ Variante kannst auch Du arbeiten. Hier sind ein paar hilfreiche Links und Tipps:
http://www.zeitzuleben.de/2228-selbstbewusstsein-und-selbstvertrauen-10-tipps/
http://www.lebenshilfe-abc.de/selbstbewusstsein.html

Dann rate ich Dir, an Deiner Uni mal nachzuforschen, ob es einen psychologischen Dienst gibt. Geh da einfach mal hin, da sitzen normalerweise Therapeuten oder Sozialarbeiter, denen Dein Problem sicher nicht unbekannt ist. Die Beratung ist kostenlos. Vielleicht gibt es an der Uni ein „Frauennetzwerk“ – schliess Dich ihm an und tausch Dich mit anderen Frauen aus. Hier noch ein übergreifender Link:
http://www.scientifica.de/netzwerkfit/meccanica-feminale-2013.html

Und schliesslich: Krankenkassen übernehmen auch Psychotherapien! Du kannst es ja einmal versuchen, ob Du eine Gesprächs- oder Verhaltenstherapie machen möchtest. Kurzfristig hilft es sicher, wenn Du durch schnelle Verhaltensmassnahmen Erfolge einfährst und dadurch auch selbstsicherer und besser im Studium stehst. Aber mittelfristig solltest Du die Ursachen Deiner Unsicherheit erforschen und ein für alle Mal hinter Dir lassen, damit Du so glänzen kannst, wie es Deinem Potenzial entspricht.

Glaub an Dich! Nimm Dich und Deine Fehler an, er warte nicht zuviel auf einmal, und tu, was Dir Spass macht und steh dazu!
Ich wünsche Dir alles Gute, und ich drücke Dir die Daumen. Du packst das schon, da bin ich mir sicher.

Viele Grüsse,
Judith