Problem von anonym - 23 Jahre

Ist es möglich mit jemand wie mir eine Beziehung aufzubauen?

Liebes Kuka-Team,

herzlichen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt, um euch um die Probleme eurer Mitmenschen zu kümmern.

Mir ist bewusst, dass ich höchstwahrscheinlich selbst schon die Lösung weiß. Trotzdem wollte ich gerne mal eine zweite Meinung hören und wissen, was Du darüber denkst. Damit Du weißt, warum die Situation ein Problem für mich darstellt, möchte ich von den Schattenseiten meines Lebens berichten (keine Sorge- wo Schatten ist, kommt auch hin und wieder die Sonne hin ;-)).

Schon seit ich denken kann, hatte ich ein Problem mit meinem Vater. Er hat seine Wut immer an mir aus gelassen, hat mich geschlagen, mich unter die kalte Dusche gestellt, etc. Außerdem hat er mich immer mit seiner Mutter verglichen und mir vorgehalten: Ich sei ein eingebildetes, egozentrisches, arogantes und überhebliches Ar......- na gut, ich neige dazu egozentrisch und überheblich zu sein (leider- versuche es aber zu unterbinden, obwohl ich sagen muss, dass ich ein bisschen egozentrisch sein muss, schon allein, um persönlich und in meiner künstlerischen Arbeit weiter zu kommen...).
Mein Vater hat auch eine sehr schwere Kindheit gehabt. Er wurde von seinen Eltern selbst misshandelt- schlimmer noch als ich. Und es kann auch gut sein, dass er mit unserer Situation zu Hause total überfordert ist ( Ich habe ein geistig behindertes Geschwisterkind, das sich sehr schwierig verhält. Er schreit häufig auch Nachts, so dass es manchmal richtig schwer ist zu schlafen und benimmt sich geistig gesehen wie 2 1/2 bis 3 Jährige). Außerdem braucht er auch ständig eine Arbeit und Herausforderung, um glücklich zu sein. Als mein Vater arbeitslos gewesen ist, ist es besonders schlimm gewesen. Da gab es kaum einen Tag, an dem er nicht auf mich los gegangen ist. Die ganze Situation hat aufgehört, als ich ihm mit 20Jahren angedroht habe, ihn bei der Polizei anzuzeigen, wenn er mir nur noch ein Haar krümmt. Seit dem gehen wir uns zum größten Teil aus dem Weg...Darüber brauchst Du nicht zu äußern. Es ist halt so passiert wie es ist. Ich habe, nachdem wir uns eine Zeit lang ignoriert haben, versucht eine Beziehung aufzubauen, aber er scheint es nicht zu wollen und das muss ich akzeptieren. Ich hoffe nur, dass er sich nicht bald schon wieder so verhält. Er verliert wieder seine Arbeit (die Firma ist insolvent) und zieht zu uns zurück... Anderer Seits in einem Jahr bin ich eh ausgezogen, weil ich dann studieren gehe :-) (ich muss vorher nur noch eine Prüfung absolvieren). Und in einem Punkt sind sich mein Vater und ich einig: wir scheinen uns förmlich meinen Auszug herbei zu wünschen...Ich hoffe nur, dass er meinen Bruder und meine Schwester in Ruhe- notfalls werde ich ihnen helfen. Das Jugendamt bringt nur Probleme mit sich ( da spreche ich aus eigener Erfahrung).

Nun zu meiner zweite Schattenseite: In meiner Kindheit wollte ich nie angefasst werden. Das erste Mal wurde ich mit 14 Jahren umarmt. Es war für mich damals ein sehr seltsames Gefühl, doch mit der Zeit und einigen anderen Umarmungen habe ich es lieben gelernt und konnte und kann auch sagen, dass ich davon süchtig werde. (Es sind meine Freunde, die mich umarmen, bei meiner Familie fühlt es sich irgendwie komisch und falsch an- ich nehme an das hat mit meiner Vergangenheit zu tun...). Als ich 16 Jahre alt gewesen bin, habe ich ein Praktikum bei meinem Großvater gemacht. Wir haben ein Kunstwerk restoriert und haben alleine im Raum gearbeitet. Er war Rentner, war jedoch für sein Alter sehr fit. Ich hatte Kummer und wollte, dass mich einer in den Arm nimmt und tröstet. Leider hat mein Großvater, die Situation falsch interpretiert und dachte wohl, dass ich dringend einen Freund brauchte und wollte mich auf seine Art "aufklären". Die erste Zeit habe ich mich noch retten können, bin aus dem Fenster gesprungen, weggelaufen und erst als die Gefahr vorüber gewesen ist (also meine Oma vom Einkaufen wieder da gewesen ist) zurück gekommen. Deshalb gab es oft Ärger. Aber ich habe nichts gesagt, da ich mich schämte. Nach einer Zeit ging es mit dem Weglaufen nicht mehr und ich habe von ihm dann gelernt, wie man Männer befriedigt und zwar nicht nur theoretisch... Das schlimmste, was mir damals passiert ist, war die Situation, in der er mich (richtig auf den Mund) küsste. Ich habe dabei etwas empfunden und dieses Gefühl lies sich überhaupt nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Ich meine wie pervers ist das! Er war mein Großvater!!!Nach weiteren Tagen ging dann endlich dieses Praktikum zu Ende. Ein paar Monate später musste ich meinen Großvater versorgen, da meine Oma im Krankenhaus lag (sie ist gefallen und hatte sich, ich glaube den Arm gebrochen). Mein Großvater war so dämlich und hatte sich einen extrem schwarzen Kaffee gekocht (3 Löffel pro Tasse). Meine Familie hat mich also zu ihm geschickt, damit er nicht noch weitere Dummheiten begeht. Von dem, was er mit mir gemacht hatte, wussten sie natürlich nichts...Blöderweise ist es diesmal nicht beim Befriedigen von ihm geblieben. Er hat es gegen meinen Willen auch mit mir getan (französisch) und ich konnte es nicht verhindern zu kommen. Es war die reinste Folter für mich. Auf der einen Seite fand ich es vom Gefühl her wunderschön und auf der anderen Seite habe ich mich soooo geekelt vor mir, vor meinem Großvater und habe versucht mich aller Kraft dagegen zu wehren, aber es nützte alles nichts...Er hat das zum Glück nur zwei Mal gemacht. Trotzdem so hatte ich mir meinen ersten Orgasmus nicht gewünscht...Das klingt mit Sicherheit alles total pervers und ich hoffe, dass Du nicht einen zu großen Schreckt beim Lesen bekommen hast. Aber sehe es als Ehre. Ich habe davon noch niemandem berichtet. Hätte ich es damals irgend jemanden davon erzählt, wäre meine ganze Familie auseinander gebrochen und dafür wollte ich nicht verantwortlich sein. Vor zwei Jahren ist mein Großvater auch gestorben. Er hat mir zumindestens meinen Führerschein bezahlt und meine Arbeit unterstützt. Ich habe es als Schmerzensgeld verstanden. Auch wenn er immer sagte, dass ich davon einen Mann einladen solle, damit ich bald einen Freund. Der Mann war einfach psychisch krank (er hat als er 14 Jahre alt war, seine Familie verloren und ist immer in diesem Alter stecken geblieben) und er hat Mist gebaut. Aber trotzdem bin ich nicht sehr sauer auf ihn. Hätte ich damals nicht so eine Sehnsucht danach gehabt, umarmt zu werden, wäre doch gar nichts passiert. Und keine Sorge, ich denke ich habe es weit gehend verarbeitet. Außerdem ist das alles ja schon 7 Jahre her.

Nun zu dem, was mir eigentlich Kummer bereitet und was Dir im Vergleich zu den Situationen oben lächerlich erscheinen müsste. In einem Kurs in der Hochschule (ich bin dort Gasthörer) gibt es einen total tollen jungen Mann, der sich scheinbar sogar für mich interessiert. Er hat mich das letzte Mal die ganze Unterrichtsstunde über angelächelt. Ich weiß so gut wie nichts über ihn, nur, dass er etwas ausstrahlt, was seine Alterkameraden nicht haben und was mich irgendwie anzieht. Nun ist es so, dass ich einfach nicht weiß, ob es gut wäre, wenn ich eine Beziehung hätte. Oft wünsche ich mir nichts sehnlicher als einen Menschen an meiner Seite zu haben, dem ich vertrauen kann, der für mich da ist und für den ich da sein kann. Oh Mann, hört sich das kitschig an! :-) Aber was ist, wenn ich genauso werde wie mein Vater? Ich habe gestern Morgen folgende Situation erlebt:
Mein kleiner Bruder (15) sitzt momentan sehr oft vor dem PC und spielt. Ich hatte Hausaufgaben auf und mich nervte es, dass er nur sinnloses Zeug macht, anstelle mich arbeiten zu lassen (wir haben nur ein PC). Also habe ich mit meiner Mutter gesprochen und ich habe ihn weggeschickt, wobei er auf mich losgegangen ist. Er hat mich geschlagen und nach einer Weile habe ich zurückgeschlagen und war richtig wütend, weil keiner das Recht hat mich zu schlagen. Irgendwann ist meine Mutter dazwischen gegangen und hat mir natürlich den schwarzen Peter zugespielt, da ich älter bin.
Aber eine solche Situation lässt mich natürlich nachdenklich werden. Was ist, wenn ich einen Freund habe und wir uns heftig streiten, werde ich dann wie mein Vater? Oder was ist, wenn ich Kinder habe, schlage ich die dann auch? Wenn ich richtig sauer, trete ich ja auch schon gegen Wände, um mich abzureagieren, weil es niemandem weh tut. Aber was ist, wenn mal etwas aus den Rudern läuft? Ich wünsche mir so, dass ich nicht so werde wie er... Natürlich bin ich ein eigenständiger Mensch. Trotzdem habe ich Angst, dass ich meine schlechten Erfahrungen an meinen Partner oder meine Kinder weitergebe.

Was ist mit Sex? Wenn ich einen Freund habe, wird er sich doch sicher davor ekeln, dass ich schonmal mit meinem Großvater...auch, wenn es gegen meinen Willen war. Am liebsten will ich ihm darüber auch nichts erzählen. Aber wird er es verstehen, wenn ich etwas Zeit brauche bis ich mich anfassen lasse?

Kann ich einem anderen Menschen, so was wie mir überhaupt zu muten?

Es tut mir Leid, dass Du das lesen musstest, aber ich mache mir einfach so viele Gedanken darum. Aber vielen Dank, dass Du es gelesen hast.

Viele Grüße

Dana Anwort von Dana

Liebe Unbekannte.

Ob man jemandem "sowas wie dich" überhaupt zumuten kann?
Alleine diese Frage treibt mir fast die Tränen in die Augen.

Aus dem, was du hier schreibst, kann ich erlesen, dass du ein ganz wunderbarer Mensch bist. Du bist sehr selbstreflektiert, du hast deinem Großvater sogar vergeben (ein riesiger Schritt, der bei Missbrauchsopfern oft nur nach Jahren von Therapie möglich ist, wenn das überhaupt angeraten wird) und du lebst dein Leben weiter.

Zu dem Thema nur noch eins (da du ja bittest, dass es eigentlich um dein heutiges Problem gehen soll): DU bist sicher in keinster Weise schuld am Verhalten deines Großvaters. Selbst, wenn du nackig vor ihm rumgesprungen wärst, hätte er dich nicht angreifen dürfen! Er hat dich missbraucht und nicht wie ein Großvater gehandelt. Er hätte dich in die Arme nehmen und dich trösten sollen, denn du brauchtest TROST und sonst NIX und gerade in der Familie sollte man den erhalten können, ohne sexuelle Übergriffe! Er war da eindeutig fehlgeleitet. Dass du das inzwischen gut verarbeitet hast, ist ein Wunder und ich habe vor dir sehr hohe Achtung.

Nun zu deinem aktuellen Problem.

Ich möchte erstmal auf die Frage eingehen, ob du vielleicht werden könntest wie dein Vater, wenn du selbst mal eine Familie hast. Meine Antwort: DU mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht.
Warum?
Es gibt durchaus viele Menschen, die die bekannten Muster selbst aufnehmen und auch weiter geben. Man sieht es an deinem Opa und an deinem Vater. Beide waren nicht in der Lage, ihre eigene Kindheit abzuhaken und es bei ihren Schutzbefohlenen besser zu machen. Das ist die eine Variante. Und dann gibt es die Variante der Selbstreflektierten, die gerade anders herum handeln. Die, die geschlagen wurden oder eine wirklich schlimme Kindheit hatten und die absolut wunderbaren Familienväter oder -mütter wurden, weil sie es einfach anders machen wollten als ihre Väter/Mütter. Ich habe in unmittelbarer Nähe (Familie) zwei Menschen, die das so praktizieren. Es kommt also ganz auf dich an. Es ist ein Unterschied, ob du dich wehrst, wenn dir Gewalt begegnet oder ob du eigene Kinder hast, die dich mal nerven, die du aber sehr liebst. Du bist dir über deine Vergangenheit bewusst, so bin ich mir sicher, dass du es auch schaffen wirst, in deiner eigenen Familie Gewalt außen vor zu halten.

Solltest du merken, dass du Schwierigkeiten bekommst, deine Wut zu bündeln und richtig zu kanalisieren, gibt es ja immer noch die Möglichkeit, das mal in einer Verhaltenstherapie anzusprechen und zu lernen, die richtigen Ventile dafür zu suchen und zu finden. Du wirkst wortgewandt und klug, ich denke, dass du auch in der Lage sein wirst, deine Wut zu kommunizieren, statt sie körperlich werden zu lassen. Hab vor Familiengründung keine Angst.

Nun zu dem jungen Mann, der dir gefällt:

Ich kann deine Ängste verstehen, sicher sind sie auch nicht ganz unbegründet, aber es kommt stark auf den Menschen an, der mit dir eine Beziehung eingehen will. Ist es jemand, der gerne schnellen, unkomplizierten Sex möchte und ansonsten eher an der Oberfläche bleibt, dann ist es wohl eher kein Partner für dich. Ist es aber ein tiefgründiger Mensch, dem DU als Mensch wichtig bist, so wird er sich mit dir GERNE auseinander setzen. Ich gehe mal davon aus, dass dieser zweite Typ eher das ist, was du willst. ;)

Gehe es mit ihm ruhig an. Signalisiere ihm gerne, dass du Interesse hast und lass es dann langsam angehen. Immer so viel, wie du merkst, dass es dir gut tut. Wenn ihr euch dann etwas besser kennt, solltest du ihm schon sagen, was los ist, damit er weiß, wie er im Bereich Sexualität mit dir umgehen muss, damit es dir gut geht. Absolut falsch wäre es, ihm nichts zu sagen und ihn dann auflaufen zu lassen, wenn er Sex möchte. Er muss dich kennen lernen. Dich mit all deinen Facetten. Allerdings hat alles seine Zeit. Es wäre falsch, ihm beim ersten Date gleich alles mitzuteilen und ihn mit "so...und nun überleg, ob du mit mir näheren Kontakt willst!" zu konfrontieren. Das kommt alles später und der Zeitpunkt wird sich dir offenbaren, wenn er da ist.

Hab keine Angst, Interesse zu zeigen, hab keine Angst vor einer Beziehung. Prüfe einfach gut, ob dieser Mensch zu dir passt. Passt er nicht, ist ja noch nichts passiert und du kannst den Kontakt beenden oder umbauen (bitte nur Freunde/Kumpel). Passt er, kannst du in deinem Tempo den Weg weiter mit ihm gehen. Gib immer so viel von dir preis, wie der Vertrauensstatus zu der Person ist. Je mehr Vertrauen er sich verdient hat, desto mehr kannst du ihm von dir preisgeben. Sollte es zur Ansprache kommen (Was ist los? Passt was nicht? Warum bist du manchmal so abweisend?), kannst du ja vorsichtig klarstellen, dass es in deiner Vergangenheit Dinge gab, die dich manchmal hemmen und weshalb du einiges an Zeit brauchst. Ist er ein guter Partner, wird er dir die Zeit geben (bis zu einem gewissen Grad natürlich). Du selbst kannst doch die Signale deuten, seine Reaktionen...und du kannst immer wieder sehen: "passt das? Oder ist er nichts für mich?" Du selbst hast das dann ja in der Hand. Lass dich nicht überrumpeln, bleibe Herr über dich selbst. Lass nichts mit dir machen, das du nicht möchtest, nur um "gute Laune" zu garantieren.

Trotzdem solltest du nicht davor zurück schrecken, jemanden, den du magst, etwas näher an dich und deine Seele zu lassen. Du selbst kannst doch bestimmen, wie weit du gehen möchtest.

Liebe Unbekannte, ich wünsche dir, dass du einen Partner bekommst, der es schafft, deine Wunden zu heilen. Einen Partner, der dich auf Händen trägt und dem du uneingeschränkt vertrauen kannst. Einen Partner, der MIT dir lebt, der FÜR dich lebt...und der versteht, was in dir vorgeht. Einen Partner, der dich ohne Abstriche liebt. Und diese Liebe hast du auch verdient! Soviel zu der Frage, ob du dich anderen "zumuten" kannst. Diese Überlegung treibt mir immer noch die Gänsehaut auf den Rücken. SIe ist so traurig...und so falsch... Du bist es wert, geliebt zu werden. Du bist ein toller Mensch, der andere Menschen bereichern kann! Jemand, der dich als Partnerin bekommt, hat mit Sicherheit, wenn er etwas Geduld hat und dir Zeit lässt, eine wunderbare Person in seinem Leben.

Hab keine Angst.

Alles Liebe und Gute für dich!

Dana