Problem von Sophie - 18 Jahre

Schuldzuweisungen an sich selbst

Mein Problem ist, dass ich mir immer die Schuld für Dinge gebe, wofür ich garnicht kann und das ich viele Situationen falsch verstehe. Beispiel hat mich mein Freund an einem Abend sitzen lassen und mir kommt es so vor die damals, als mein Papa mich immer alleine gelassen hatte. Dann werde ich meistens traurig und danach folgt die Wut. Und zwar die Wut auf mich selbst, dass ich mich immer so fertig mache. Meistens kommt es soweit, dass ich mir selbst weh mache, indem ich mir an den Haaren ziehe oder mich selbst schlage. Ich weiß nicht ganz ob das ein Problem ist, weil wenn ich es tue, hab ich es ja auch irgendwie verdient.
Ich möchte nicht traurig sein und mich bei meinen Mitmenschen ausheulen, denn meistens verstehen die das eh nicht oder sie machen sich zu viele Sorgen.
Zur Psychologin gehe ich auch schon, aber da ist der Antrag noch nicht durch und ich weiß auch nicht wirklich ob ich ihr das erzählen soll. Das passiert ja nicht immer, sondern nur in manchen Situationen.

Florian Anwort von Florian

Hallo Sophie


Du glaubst Dich selbst bestrafen zu müssen und es auch noch verdient zu haben, wenn Du Schuldgefühle wegen etwas hast. Das ist durchaus ein Problem, insbesondere dann wenn die Selbstbestrafung daraus besteht sich selbst zu verletzen bzw. sich selbst Schmerzen zuzufügen, wie Du es z.B. durch das Haareziehen und das Schlagen von Dir selbst machst.

Ich kann Dir daher dringend empfehlen es Deiner Psychotherapeuting bzw. Psychiaterin mitzuteilen, sobald der Antrag genehmigt wurde. Gerade weil Du das nur in bestimmten Situationen machst ist es für Deine Psychologin ein sehr wichtiger Anhaltspunkt, der ihr dabei helfen kann Dir besser zu helfen und Dich besser zu therapieren. Die Therapeutin, die ja Deine Seele ergründen muss, um Dich optimal zu behandeln, kann dies nur wenn sie alle Besonderheiten (wie diese) kennt. Diese kann sie jedoch nur kennenlernen wenn Du sie offenlegst und ihr mitteilst.
Also trau Dich ruhig ihr das mitzuteilen. Es wird Dein Schaden nicht sein, ganz im Gegenteil.


Bis es soweit ist, kannst Du ja einmal versuchen das Thema Schuld etwas anders zu betrachten. Du schreibst ja selbst, dass Du Dich auch schuldig fühlst für Dinge für die Du gar nichts kannst. Das bedeutet Du fühlst Dich schüldig und fühlst Dich schlecht, für eine Situation oder einen Umstand, für den Du jedoch nicht verantwortlich bist und ihn auch nicht verursacht hast. Wo liegt in Deinen Augen der Sinn dahinter, Dich dann trotzdem schuldig zu fühlen? Glaubst Du vielleicht, Du hättest mit Deinem Verhalten noch etwas daran ändern können? Oder sind die Schuldgefühle nicht eher ein Ausdruck von Mitgefühl, d.h. Du hast es gerade besser als andere und fühlst Dich deswegen schuldig? Welches Gefühl, außer Schuld und Wut, empfindest Du noch oder glaubst Du solltest Du empfinden? Denke einmal an eine Situation zurück in der Du Dich schuldig gefühlt hast, Dich vielleicht auch selbst bestraft hast, aber Dich nicht als Verursacher davon gesehen hattest und stell Dir dann diese Fragen. Die Antworten könnten Dich selbst überraschen.

Geh nochmal einen Schritt weiter und frage Dich selbst einmal kurz: Welchen Sinn hat die (Selbst-)Bestrafung? Ändert sich dadurch etwas an der Situation? Wird dadurch was geschehen ist ungeschehen gemacht? Löst es Probleme? Oder werden dadurch die Lösungen für die Probleme nur unnötig aufgeschoben? Entstehen vielleicht auch neue Probleme dadurch?
Wäre es sinnvoller seine Energie darauf zu verwenden eine Lösung zu finden und nicht eine Strafe zu fällen?
Ich will mit diesen Fragen darauf hinaus, dass die Bestrafung aufgrund einer Schuld niemals wirklich sinnvoll ist. Denn das Problem selbst bleibt davon unberührt stehen. Wenn Du Dich selbst also bestrafst, änderst Du das Problem nicht. Es bleibt bestehen. Wenn Du allerdings anstelle davon das Problem selbst zu lösen versuchst, hast Du wiederum auch keinen Grund mehr Schuldgefühle zu haben. Denn Du tust ja dann etwas, ungeachtet dessen ob das Problem von Dir verursacht wurde oder nicht, um das Problem aus der Welt zu schaffen.

Geh noch einen weiteren Schritt und hinterfrage einmal die Frage nach der Schul an sich: Welchen Sinn hat es sich zu fragen ob jemand an dieser Situation oder diesem Problem schuldig ist? Wird dadurch das Problem gelöst oder weiteren Problemen vorgebeugt? Was nützt es zu wissen wer an etwas Schuld ist? Dient die Schuldfrage nur dem Zweck den Schuldigen verurteilen zu können oder was lässt sich darüber hinaus aus der Antwort "gewinnen"?
Und in wieweit kann man die Schuldfrage einwandtfrei beantworten? Ist der Schuldige vielleicht nicht zu seinem Handeln, durch die Umstände oder andere Personen, gezwungen worden so zu handeln? Sind dann nicht diese Umstände und deren Verursache, sowie die anderen Personen genauso schuldig? Und was ist mit den Umständen und Verursachern die dem vorausgingen?
Mit diesen Fragen lässt sich die Schuldfrage ad absurdum führen. Denn zum einen klärt sich damit auf wie unnütz die Frage nach der Schuld ist und zum anderen wie ungenau wir sie eigentlich immer wieder beantworten. Nehmen wir das von Dir genannte Beispiel: Du hast Deinen Freund an einem Abend sitzen gelassen. Dieser eine Satz lässt zunächst nur einen Schuldigen zu, nämlich Dich. Was aber, wenn man darauf achtet, was Dich so handeln lies? Nehmen wir einmal an, Du hättest ihn sitzen gelassen, weil eine Freundin von Dir ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Plötzlich bist nicht mehr Du alleine schuld, sondern auch Deine Freundin. Allerdings, wenn wir jetzt sagen das Deine Freundin von einem Auto erfasst wurde, ist nun auch noch der Autofahrer schuld. Dieser wiederum ist vielleicht zu schnell gefahren, weil er dringend noch etwa einkaufen musste, da seine Frau vielleicht nicht mehr dazu kam. So ist nun die Frau des Autofahrers schuld daran, dass Du Deinen Freund hast sitzen lassen. Diese Kette von Umständen und Schuldigen lässt sich bis in alle Ewigkeit weiterführen. Wenn man wollte und alles nachvollziehen könnte sogar bis zur Entstehung des Menschen und darüber hinaus.
Es klingt natürlich für einen Menschen absurd jetzt z.B. die Frau des Autofahrers zu beschuldigen. Wäre aber dieser eine Umstand nicht gewesen, wäre alles was danach geschehen ist völlig anders verlaufen. Somit ist dieser eine Umstand schuldig an allen daraus resultierenden Umständen und an allen die wiederum daraus resultieren. Es ist wie eine Reihe von Dominosteinen, die man umwirft sobald man nur den ersten zum fallen bringt.
Daraus ergibt sich die Erkenntnis: Schuld lässt sich zum einen nie wirklich an einer Person festmachen, da diese häufig nur auf die gegebenen Umstände reagiert, und die Ursache liegt häufig weiter in der Vergangenheit als man sich es vorstellen kann. Somit ist die Frage nach einem Schuldigen eigentlich hinfällig und absurd. Ich hoffe ich konnte das einigermaßen verständlich erklären.

Insgesamt lässt sich also für Dich folgendes sagen:

Du kannst gar nicht alleine für etwas verantwortlich sein, also auch niemals die einzige Schuldige sein.
Dir hilft es nicht Dich selbst schuldig zu sprechen, da dadurch niemals das Problem gelöst.
Dir hilft es nicht Dich selbst zu bestrafen, da auch dadurch kein Problem gelöst werden kann oder etwas Geschehenes ungeschehen wird.

Dir kann es stattdessen helfen, wenn Du eine Lösung für das Problem suchst, erkennst und darauf hinarbeitest.


Ich hoffe ich konnte Dir damit helfen. Vergiss nicht Dich Deiner Therapeutin zu öffnen und ihr Dein Problem mitzuteilen.

Ich wünsche Dir alles Gute

Florian