Problem von Anonym - 16 Jahre

Re3 Komme einfach nicht weiter

http://mein-kummerkasten.de/293517/Re2-Komme-einfach-nicht-weiter.html


Lieber Bernd,

es ist wohl so, dass jedes Bild und jeder Erklärungsansatz deinerseits eine neue Frage aufwirft, die mir auf der Seele brennt. Die ich dann wohl einfach mal schreiben werde, brems mich einfach wenn es zuviel wird.

„Und nun bin ich vielleicht bei Dir: zunehmender Frust, dieser Welt, die es niemandem mehr gestattet, auch nur annähernd "einen Überblick" zu bekommen, um ihr gerecht werden zu können?
Zunehmender Frust auch darüber, von der Welt nicht gerecht gesehen und behandelt zu werden?“
Ja! Und ich habe auch Ideen was man verändern müsste. Und zwar hauptsächlich, dass sich die Menschen untereinander wieder etwas wert sind. Es nervt mich unglaublich, jeden Tag auf neue spüren zu müssen: „Du kannst nichts, du bist nichts“. Aber als Individuum kann man da nicht vielmehr als sich selbst verändern?
Um genau die Aspekte (die du in das Bild gezeichnet hast) geht es zum großen Teil. Uns wird bspw. jeden Tag erzählt, dass das Abitur eh nichts mehr wert ist (es haben ja so viele) und dass uns das gewiss nicht sagt, dass wir irgendetwas können. Und, ähhm, sie haben recht. Wir können auch nichts mehr, ich habe meine letzten Jahre verschwendet. Aber woran liegt das denn? An uns Schülern? Was sollen wir denn mit der Situation anfangen?! Wenn es bei allen immer nur darum geht, einigermaßen durch den Tag zu kommen. Aber egal, bringt ja doch nichts sich darüber aufzuregen.
Nur mein Problem an der ganzen Sache ist: Das löst sich ja nicht einfach auf, wenn ich in einem Jahr dann endlich fertig bin. Wie kann man denn überhaupt damit umgehen? Meine Mutter bspw. ist fast 50 und sie muss sich immer noch zwischen „ich mache das was mein Herz mir sagt“ und „ich mache das was meine Kinder ernährt“ entscheiden!
Andererseits ist das ja auch wieder so eine Sache. Damit meine ich, was du in der zweiten Nachricht geschrieben hast:

„Nun geht es wohl darum, dass Du nicht wieder "der Welt dienen" solltest, sondern vielleicht auch ein wenig "biblisch" denken darfst:"(Du) der Mensch mache sich die Welt Untertan!"“

Man kann die Umstände nicht verändern. Und theoretisch hat man ja die Möglichkeit, mit alldem umzugehen. Immerhin soll es ja Menschen geben, die in sich so frei sind, mit alldem umgehen zu können. Also was kann ich an mir verändern, damit ich mich nicht dem Umständen „unterwerfe“, bzw. das alles noch unterstütze (und das tue ich ja zwangsläufig :( ) ? Ich dachte schon an Einsiedlerei, aber das ist sicher auch nicht das Wahre. ;)
Und ähm ja, es kann doch nicht sein, dass ich mich von alldem so beeinflussen lasse, dass es mir physisch schlecht geht? Klar spielen da noch tausend andere Dinge mit, aber trotzdem klingt das für mich falsch. Kann ich überhaupt Grund unter den Füßen spüren, wenn der mir immer wegschwimmt? Oder schwimmt der mir gar nicht weg, sondern ich habe einfach kein Gleichgewichtsgefühl?

Liebe Grüße

Bernd Anwort von Bernd

Liebe Unbekannte,

Es ist schön und richtig, dass Du "Erklärungsansatz" schreibst! Denn Du siehst es komplett richtig: die 43 Jahre Altersunterschied machen mich nicht ein Stückchen weiser, als Du es bist! Das einzige, was ich Dir voraus haben mag? Mein Leben ist gespickt mit Schlüsselerlebnissen, die Deine Gefühle von Einsamkeit oder "Verlorenheit" stückchenweise bestätigen können!
Ohne, dass ich auch nur einen Schritt weiter in der Lösung des Problems wäre, als Du?
Aber mit der Erfahrung, dass es in unserem Leben auch diese Abschnitte braucht, um das absolut Positive und Schöne auch erkennen, achten und lieben zu lernen!

Ich weiß nicht wirklich, warum! Aber bei dem folgenden Lied kam mir der ganze Weltschmerz, der Dich wohl auch in einer Weise bedrückt, wieder zum Bewusstsein?:

http://www.myvideo.de/watch/6179513/White_Lion_When_The_Children_Cry

Du schreibst:
"Ja! Und ich habe auch Ideen was man verändern müsste. Und zwar hauptsächlich, dass sich die Menschen untereinander wieder etwas wert sind. Es nervt mich unglaublich, jeden Tag auf neue spüren zu müssen: „Du kannst nichts, du bist nichts“. Aber als Individuum kann man da nicht vielmehr als sich selbst verändern?
Um genau die Aspekte (die du in das Bild gezeichnet hast) geht es zum großen Teil. Uns wird bspw. jeden Tag erzählt, dass das Abitur eh nichts mehr wert ist (es haben ja so viele) und dass uns das gewiss nicht sagt, dass wir irgendetwas können. "

Ich schäme mich und bin gleichermassen stolz, weil meine erste Auszubildene mir genau zu diesem Thema "ohne Abi bist du nichts!?" So was von vors Schienbein getreten hat, dass ich wohl vor dieser Art von Arroganz nun geheilt bin: Ich hatte "natürlich" eine Abiturientin gesucht!
Eine Absolventin der Werkrealschule wie Sauerbier "angeboten" bekommen: "versuche es! Es kostet nichts! Das erste Ausbildungsjahr wird von der Arge bezahlt!"
Es dauerte knappe 3 Monate, bis die Auszubildende mehr als die 400 € - Kraft auf die Reihe brachte = sie mehr als vollständig ersetzte!
Und noch viel mehr = Dankbarkeit für eine Chance und Identifikation mit der Arbeit haben uns letztendlich dann 5 Jahre zusammen gehalten: während der Berufsausbildung und (dort durfte ich dann etwas zurückgeben) in den zwei Jahren Abendschule, wo sie das Fachabitur nachholte!
Nun studiert sie und ich bin stolz darauf, dass ich "das Wagnis" damals eingegangen war!
Mein Schlüsselerlebnis hier?
Nicht das "glatte Durchrutschen" macht uns wirklich stark und schützt uns vor Angriffen!
Vielleicht ist es sogar so, wie in der Physik?: je länger wir ungebremst durchrutschen, um so härter ist der Bremseffekt bei jedem auftretenden Hindernis?

Du schreibst: "Wir können auch nichts mehr, ich habe meine letzten Jahre verschwendet. Aber woran liegt das denn? An uns Schülern? Was sollen wir denn mit der Situation anfangen?! Wenn es bei allen immer nur darum geht, einigermaßen durch den Tag zu kommen. Aber egal, bringt ja doch nichts sich darüber aufzuregen."

Vielleicht bringt es nichts, sich aufzuregen? Aber bitte "finde Dich nicht einfach ab" mit dieser Deiner Einschätzung über Dich selbst!
Du hast Unrecht! Deine letzten Jahre waren ganz sicher nicht verschwendet!
Joachim Ringelnatz schrieb einmal über sich selber, dass er "etwas schief ins Leben gebaut" ist!

Lies seine Gedichte, und Du wirst erkennen, wie viel näher er an seiner Gegenwart war, als all die
(aal)glatten Gestalten, die dummerweise in der Zeit Geschichte geschrieben haben.
Verwechsle bitte nie diese zwei Begriffe: "Unangepasst" und "Unnütz"!
Es ist der Grund, warum ich Dir schreiben mag: Du scheinst den verzweifelten Mut aufzubringen, "unangepasst" bleiben zu wollen!
Du hast bereits erkannt, dass viele unser "gesellschaftlich vorgegebenen Normen" unnütz und z.T. sogar menschenverachtend sind! (IQ, BMI, Vitamin "B", schön, schlank, bekannt, reich, jung, stark, gesund?)

Du schreibst: " Meine Mutter bspw. ist fast 50 und sie muss sich immer noch zwischen „ich mache das was mein Herz mir sagt“ und „ich mache das was meine Kinder ernährt“ entscheiden!"
Wenn es zwischen diesen zwei Dingen eine "Herzensentscheidung" gibt, gebe ich es postwendend auf! Dann schreibe ich hier über Dinge und Gefühle, an denen ich wohl selber meilenweit "vorbei fühle"?
Ich sehe zwischen "was mein Herz sagt" und "was mein Kind ernährt" keinen Spielraum! Es ist naturgegeben deckungsgleich!

Was leider in unserer Gesellschaft die Natur verleugnet, ist oft der elterliche Ergeiz?
Auch dazu habe ich ein Schlüsselerlebnis :-(
Selber hatte ich mit 18 Jahren das Schwimmen leistungsmäßig angefangen, um im Abi die Eins zu bekommen und Sport studieren zu können. War nach 5 Monaten Training auch sowohl in der Schule als auch im Verein jeweils der zweitbeste Brustschwimmer.
Im Vergleich allerdings wesentlich zu alt :-)
Mein Ältester konnte mit etwa 5 Jahren schon gut schwimmen.
Ein geniales Alter, um in diesem Sport bald "Erfolgserlebnisse" einzusammeln!
Ich ging mit ihm zum Schwimmverein! Schwimmtraining ist wirklich hart! Er schwamm mir entgegen und hatte die Tränen schon in den Augen! Und ich schaute weg, damit seine Tränen kein Ziel mehr hatten :-(

Danach habe ich ihn darauf angesprochen und wir haben uns darauf geeinigt: meinem Ergeiz opfert er sich noch für eine Trainingsstunde! Und wenn er dann "Nein" sagt, gilt es ohne "Wenn und Aber"!

Nun bin ich irgendwie stolz darauf, dass er "Nein" gesagt hat!
Scheiß auf alle Medaillen und Pokale, die er hätte gewinnen können: dafür hat er mir sein Lied geschenkt:-)

Du schreibst: "aber trotzdem klingt das für mich falsch. Kann ich überhaupt Grund unter den Füßen spüren, wenn der mir immer wegschwimmt? Oder schwimmt der mir gar nicht weg, sondern ich habe einfach kein Gleichgewichtsgefühl?"

Du und Deine Altersgenossen haben Recht! Es ist vieles falsch! Meine und meiner Eltern Generationen haben komplett falsche Signale gesetzt: Wohlstand und Wohlergehen!
Wachstum als Glaubensbekenntnis! (Wer nicht wächst, ist schon tod!?)
Obwohl wir auch wildwucherndes Wachstum (Krebs) in allen tödlichen Konsequenzen kennengelernt hatten.
Mir kommt es auch oft so vor, als ob unsere Gesellschaft auf Treibsand gegründet ist.

Dein Gleichgewichtsgefühl ist in Ordnung!

Was Du hoffentlich bald finden wirst?: einen festen Untergrund ohne allen Schlick und Schleim!

Es mag Dir selber im Augenblick physische Schmerzen bereiten! Aber Deine "Unangepasstheit"!
Deine Kritikfähigkeit!

Deine Fragen:

sie bewirken sicherlich nicht nur bei mir ungeheuer viel!

Alles Liebe,

Bernd