Problem von Anonym - 21 Jahre

An Pia Borderline/Achtsamkeit/ Selbstfürsorge/ Glaube

Liebe Pia,

ich habe heute meine Makro vorgestellt (eine Zusammenfassung von allen Verhaltensanalysen. Diese ist ganz gut geworden und es gab wenig Kritik (kleiner Hofffnungschimmer)! Jedoch war es für mich schwer vor 30 Leuten über meine innersten Gefühle, Gedanken, Körperempfindungen, Konsequenzen, Lösungsansätze und Handlunksalternativen zu erzählen, wo mich die Hälfte nicht mal kannte oder nur vom sehen her kannte. Natürlich habe ich den Mund wieder mal nicht aufgekrigt und habe mich nicht über die Art der Pfleger und meines Hauptbezugstherapeuten freundlich und kompetent kritisiert. Das werde ich aber noch unter 4 Augen mit meinem Hauptbezugsbetreuer und der Pflegerin klären. Durch deine Email, die wieder sehr ausführlich und anschaulich war,dafür ein großes Dankeschön, habe ich neuen Mut getankt mich in einer freundlichen Art in der Wochendvisite, die gleich stattfindet meine Standpunkte so zu vertreten ohne das sich mein Bezugstherapeut und Arzt angegriffen fühlt. Die Mail kam sozusagen im richtigen Moment. Das mit dem Buch habe ich schon mal empfohlen bekommen eine Art Dankbarkeits und Tippbuch was in Krisenzeiten helfen soll. Vielleicht werde ich nächsten Donnerstag ein Buch dafür beziehen für positive Dinge und hilfreiche Tips und so der Empfelung meiner Freundin und dir endlich anzunehmen und mir selbst etwas gutes tun im Sinne der Selbstfürsorge. Das Buch soll schön werden und ich mache es in der Ergo nur für mich. Zusätzlich habe ich meine Narbencreme wieder hervorgekramt und werde heute noch ein intensives Schaumbad nehmen und heute mal nichts mehr machen! Einfach froh sein und das Wetter im Klinikpark geniessen :) ( die Sonnencreme nicht vergessen)!
Mit der Achtsamkeit tue ich mir eindeutig schwerer. Im hier und jetzt zu bleiben, nicht in die Vergangenheit abzudrifften ist mir heute ziemlich schwer gefallen. Gibt es tipps und Ratschläge das es besser funktioniert. Ein Buch zur Achtsamkeit , was du mir empfelen kannst vll sogar eine CD die mir Achtsamkeitsübungen vorgibt? Wenn nicht werde ich im internet recherchieren.
Was ich für meine Selbstfürsorge mache sind Gedichte schreiben in denen ich mein erlebtes verabeite. Was ich auch allen kreativen Menschen empfelen würde, weil wenn ich mal die Zeit dafür habe ist das wie balsam für meine Seele.
Ich will lernen und bin total lernbegierig.

Gestern hab ich mich leider geritzt und es geheim Gehalten, weil ich so sauer war auf alle! Ich finds auch wichtig, dass wir alle individuel betreut werden, da wir alle anders sind, was hier scheinbar nicht funktioniert! Meinst du ich soll es noch im Nachinen zugeben? Die können mir ja auch nur helfen, wenn ich ehrlich bin aber ich hab das vertrauen zu allen echt verloren und ich habe das Gefühl ich mache alles allein gegen den Rest und dieses Gefühl nagt ziemlich an mir. Auch meine Außenseiterposition ist sehr schlimm. Ich habe heute geweint Keiner hat mich angesprochen warum oder so! Die Ergotherapeutin war die einzige, die es überhaupt bemerkt hat und hat mich ins Eisbad geschickt, was zwar geholfen hast (kurzfristig) aber mir fehlt das reden, was ich bei den Betreuern in der WG täglich für 1-2 Stunden habe und die wollen auch nicht mit mir reden, da sie meinen eine Therapie reicht. Du bist die einzige die mir im Moment zuhört und ich fürchte ich werde die Therapie, wenn sie weiter so läuft, trotz meiner vorher gesagten Einwände, die therapie abbrechen werde. Alles andere wäre unvernünftig und würde nur an meinen Nerven zehren. Den Therapeuten kann ich leider nicht wechseln. Das haben schon viele versucht die nicht mit einem Mann als Frau klar kommen bei meinem Artzt. Ich komme erstaunlich gut mit Männern zurecht, wenn ich sie nicht gerade sexuell anziehend finde, insofern habe ich mich nie beklagt.

SO jetzt muss ich zur Visite! Noch vorher ein kleines Stoßgebet zum Himmel schicken! Und immer schön ruhig und gefasst bleiben. Hoffentlich krig ich das in 10 Minuten auch noch so hin! Ich stelle mir einfach vor als wärst du an meiner Seite! Das ist ein schönes Gefühl. Einen Menschen zumindest in der Phantasie bei sich zu haben, der einen Unterstützt und auf die dialektik achtet =) Vielen dank dafür!!!!! Und danke für die Mails, die ich meist 3-4 mal lese um alles einzusaugen was du so schreibst. Ich bin Wissenhungrig.

Alles Liebe wünsch ich dir!!

Pia Anwort von Pia

Liebe Unbekannte,
das hört sich schon alles sehr gut an. Das freut mich sehr für Dich und ich finde, Du machst das richtig gut, klasse! Du kannst richtig stolz sein, dass Du das so gut gemeistert hast mit Deinem Vortrag und dass Du freundlich und kompetent kritisiert hast ist auch super, denn dann wissen sie, dass sie mit Dir nicht alles machen können und was Du brauchst und möchtest. Dass Du manchmal noch etwas schüchtern bist ist ganz normal, das kommt mit der Zeit und es war auch wirklich keine leichte Sache, die Du da mit Bravur geschafft hast.

Das mit dem Buch solltest Du wirklich machen, das wird Dir gut tun. Gestalte es selbst und klebe Fotos rein, Du darfst auch andere liebe Menschen etwas reinschreiben lassen und immer wenn es Dir weniger gut geht, dann kannst Du rein schauen. Wichtige Erkenntnisse, Ziele, Ressourcen, Gedichte, alles kannst Du reinschreiben. Später, wenn Du gesund bist, wirst Du es wieder gerne anschauen und stolz auf Dich sein, wie Du das geschafft hast. Manchmal fragt man sich ja, wieso gerade man selbst solch eine Krankheit hat, aber es gibt auch Vorteile. Du lernst enorm viel über Dich selbst und über die Welt. Wie man auf sich achtet, wie man in sich hineinhört, wie man seine Bedürfnisse erkennt und wie man mit all den Gefühlen umgehen kann. Borderline-Betroffene sind meiste sehr sensibel und das wird manchmal zum Verhängnis, jedoch, wenn Du es unter Kontrolle hast, dann wirst Du noch merken, was für Vorteile es mit sich bringt und Du wirst damit manches besser meistern als andere Personen. Vielleicht kannst Du später einmal anderen Personen gut helfen, die ähnliche Sorgen haben wie Du jetzt.

Ich bin auch richtig froh, dass Du Deine Narbencreme herausgesucht hast. Später wirst Du einmal so stolz auf Dich sein und froh, dass Du jetzt diesen Schritt machst. Deine Narben werden immer mehr verblassen und Deine Sorgen hoffentlich damit auch. Du hast da einen sehr wichtigen Schritt in die richtige Richtung gemacht und das ist wirklich toll, jeden Erfolg solltest Du feiern. Das ist die richtige Selbstfürsorge, auch dass Du einfach mal Dein Leben genießt hast, das ist so wichtig. Regelmäßig Pausen und Entspannungen stabilisieren Dich und Du kannst neue Kraft tanken. Versuche Dir das jeden Tag zu gönnen. Gerade macht Du super Fortschritte, jetzt bleibe aber auch dran und übe regelmäßig an Deinen Themen, denn es kann auch zu Rückschlägen kommen, das ist leider so, aber Du kannst jederzeit wieder auf Deine Ressourcen zurückgreifen und wieder auf die gute Seite pendeln. Deine Skills für Notfälle werden Dir dabei auch helfen.

Dass Du Dir mit Achtsamkeit noch schwer tust ist nicht schlimm, daran kannst Du arbeiten. Gehe einfach mal raus und genieße das Wetter, die frische Luft, den Geruch, das was Du hörst und siehst. Einfach mal alles ganz achtsam beobachten, Du wirst so viel entdecken, was ein Mensch, der immer unter Strom steht nicht erkennt. Wenn Du merkst, dass Du abdriftest, dann versuche einen Realitätscheck zu machen. Wo bin ich gerade, wie viel Uhr ist es, welches Datum, was sehe ich, was nehme ich wahr. Die Gedanken an die Vergangenheit kannst Du nicht auslöschen und wenn Du aktiv versucht sie auszublenden, dann wird es auch schwer, weil Du ja dann gleichzeitig daran denkst. Also musst Du lernen sie zu ersetzen. Durch schöne Gedanken und durch Gedanken im hier und jetzt. Du könntest es auch einmal mit Meditation versuchen um zu Dir zu kommen, Übungen findest Du in dem bereits genannten Buch „Imagination als heilsame Kraft“. Ich habe noch eine Website für Dich:
http://www.achtsamkeit-lernen.de/
Ich wüsste noch eine CD die Dir helfen könnte, ich weiß jedoch nicht, ob es zu Dir passt und ich muss zugeben, dass ich sie nicht kenne, aber sie wurde mir empfohlen. Sonst wirst Du bestimmt noch einige gute Bücher finden, ich freue mich, dass Du so wissbegierig bist. Schau doch einfach mal nach:
http://www.beltz.de/de/psychologie/aktuelles/praxispsychologie/praxismaterialien/titel/andere-wege-gehen-audio-cd.html (dort findest Du zu anderen Themen auch einiges und zur Achtsamkeit)

Schade, dass Du Dich ritzen musstest, doch Du arbeitest ja gerade an Dir. Versuche das zu minimieren und lieber auf andere Dinge zurückzugreifen, die Dir entweder gut tun, oder wenn Du etwas brauchst das weniger gut tut, was total nachvollziehbar ist, dann versuche doch Eis oder scharfes Essen etc. Eine kalte Dusche könnte Dir auch gut tun. Von diesen Skills kennst Du bestimmt schon sehr viele, probiere einfach mehrere aus und such Dir die besten für Dich heraus. Ob Du es im Nachhinein noch sagen solltest, das ist natürlich Deine Sache. Ich schätze Ehrlichkeit sehr und wenn Du erklärst, dass Du deswegen auch traurig bist, dann wird das nicht allzu negativ für Dich ausfallen und ihr könnt gemeinsam daran arbeiten, dass es nicht mehr passiert. Klar bist Du sauer und hast weniger Vertrauen, doch ich denk mir immer, dass ich mich auf dieses Niveau nicht herunter lassen sollte und immer gewissenhaft arbeite, dann kann mir keiner etwas vorwerfen und ich bin mit mir selbst im Reinen und zufrieden.

Es tut mir Leid, dass Du die Außenseiterposition erleben musst. Jedoch kannst Du vielleicht auch etwas tun, um das zu ändern. Andere würden sich vielleicht auch wünschen, wenn man ihnen zuhört und sie ermutigt. Vielleicht könntest Du einfach einmal offen auf sympathische Patienten zugehen und mit ihnen reden. Du kannst dann auch von Deinen Schwierigkeiten erzählen und Deinen Erfolgen und Lösungsansätzen. Wenn Du dem anderen Interesse zeigst, dann bekommst Du das hoffentlich auch zurück. Es ist natürlich immer schwer Anschluss zu finden und jeder befindet sich gerade in einer unsicheren Phase, jedoch wäre es gerade deshalb so wichtig sich einander anzunähern. Also trau Dich und sprich doch mal jemanden an, über Therapeuten und Konzepte sich mit anderen ärgern macht viel mehr Spaß und entlastet ungemein. Dass Du weinen musstest und keinen hattest zeigt Dir, dass Du auch Strategien erarbeiten solltest, wie Du in solchen Momenten alleine wieder zu Dir kommst, oder wie Du Dir Hilfe holen kannst. Du darfst Dir Hilfe holen, das ist nicht schlimm. Ich denke, dass Deine Therapeuten Dich auf Deinen Alltag vorbereiten möchten und schauen möchten, wie Du selbstständig damit klar kommst, doch wenn es nicht mehr geht, dann hole Dir bitte Hilfe. Ich hoffe, dass Du dann auch Gesprächspartner bekommst und wie gesagt, wenn Du Dich den anderen Patienten annäherst, kannst Du auch auf diese zurückgreifen.

Ich finde es gut, dass Du Dich so viel reflektierst und nun auch weiß, was Du möchtest und brauchst. Ich würde Dir jedoch raten, die Therapie erst abzubrechen, wenn Du eine andere vernünftige Alternative gefunden hast. Wenn Du eine Zusage eines ambulanten Angebots oder einer anderen Klinik hast, denn nun bist Du gerade noch sehr verletzlich und auf dem besten Weg zur Besserung und es wäre schade, wenn Du jetzt abrutscht. Bitte achte auch Dich und sei ehrlich zu Dir selbst und vielleicht bessern sich die Verhältnisse in der Klinik.

Ich bin richtig glücklich, dass Du nun so positiv berichtest und wirklich etwas verändern möchtest und bereit bist zu arbeiten. Das zeigt mir enorme Stärke und Du kannst wirklich stolz auf Dich sein. Weiter so! Ich wünsche Dir dafür alles Gute und hoffe, dass Du noch einige Begleiter findest, imaginäre und reale. Manchmal hilft es auch einfach mal ein Kuscheltier neben sich zu haben, welches Trost spendet. Ich wünsche Dir, dass Du nun weiter so tolle Fortschritte machst und hoffe Dein Buch wird schön und tut Dir gut. Dafür alles erdenklich Gute.

Liebe Grüße
Pia