Problem von Anonym - 19 Jahre

Rückfrage eheliche Vergewaltigung

Lieber Bernd,

der Satz „vor einiger Zeit hatte ich mit meiner Mutter ein Gespräch, in dessen Verlauf ich erführ, dass mein Vater vor kurzem gegen ihren Willen Sex mit ihr hatte“ ist meiner Schwierigkeit mit der Situation umzugehen geschuldet.
Was mir meine Mutter gesagt hat, war, dass er sie vergewaltigt hat. Dass sie "zwei Tage nicht sitzen konnte" und Schmerzen hatte.

Was ich daraus machen will, dass er Sex gegen ihren Willen mit ihr hatte. Vielleicht, weil das nicht so schlimm klingt, wie Vergewaltigung? Vielleicht, weil eine Vergewaltigung in meinem Kopf immer der brutale Akt verbunden mit schwerer körperlicher Misshandlung ist. Und nicht „nur“ Sex gegen den Willen einer Frau?

Ich habe geschrieben, dass ich keine Details kenne. Ich weiß nicht, wie ihr Protest aussah. Hat sie „Nein“ gesagt, sich körperlich gewehrt, hat er sie festgehalten, oder durch sein bloßes Körpergewicht „gezwungen“?
Wann ist eine Vergewaltigung eine Vergewaltigung? Sind auch liebende Ehemänner dazu fähig?

Alles was ich habe ist ihre Aussage: „Er hat mich vergewaltigt“. Und, dass sie keine Konsequenzen daraus zieht, sondern es bei einer Entschuldigung bewenden lässt. „Normal“ weiterlebt, ohne sich helfen zu lassen, das Geschehene zu verarbeiten.

Ich weiß nicht, ob ich mit dem, was ich erfahren habe auch „normal“ weiterleben kann. Das ist so fernab unseres Famlienalltags, fernab der Beziehung zu meinem Vater. Ich wüsste gar nicht, wie ich ihn damit konfrontieren soll, geschweige denn meine Eltern zu einer Eheberatung zu bewegen.
Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll.

Bernd Anwort von Bernd

Liebe Unbekannte,

in dem Augenblick, in dem Deine Mutter Dir gesagt hat, dass sie sich vergewaltigt gefühlt hat, ist das so! Da wollte und werde ich niemals daran rumdeuteln!
Das stimmt, was Du sagst: mit dem Wort ist einerseits eine ganze Abfolge von "Kopfkino" bei dem verbunden, der dieses Wort hört: ein Wort und jeder von uns stellt sich eine ganze Abfolge von unendschuldbaren scheußlichen Taten vor!
Und andererseits ist es auch ein wohl relativ eng definierter strafrechtlicher Tatbestand.
Mord oder Totschlag? Tot ist das Opfer allemal. Und doch ist in der rechtlichen Wertung ein Unterschied von 10 Jahren bis Lebenslänglich vorgesehen!
Was ich sagen will (und was wohl ähnlich auch das feedback sagen wollte) mündet wohl auch in Deine Frage:
"Wann ist eine Vergewaltigung eine Vergewaltigung? Sind auch liebende Ehemänner dazu fähig?"

Um mit Deiner letzten Frage zu beginnen: ich denke ehrlich, dass man in einer Partnerschaft auf viele Weisen "Nein" sagen kann und auch darf.
Und ein liebender Partner wird auch Dein bloßes Zurückzucken richtig deuten, wenn Dir gerade nicht nach körperlicher Nähe ist. Und ein liebender Partner wird jedes Zeichen auch unbedingt achten!
Anders geschrieben: ich sehe in Deinem Vater keinen "liebenden Ehemann"! Eher erkenne ich nach dem, was Du voprher bereits beschrieben hattest, einen frustrierten Familienvater der sich in der Ehe/Familie gefangen fühlt. Angst vor gesellschaftlichen Vorurteilen und/oder das Unvermögen, das Scheitern der Ehe einzugestehen und sich zu trennen.

Du verstehst die Reaktion Deiner Mutter nicht?
Vielleicht sehe ich das ein wenig übertrieben: es ist trauriger Alltag, dass sich Frauen und sogar schon 13-Jährige Mädels "selbst Gewalt antun", indem sie ihren "Partnern" gestatten, wozu sie eigentlich (noch) nicht bereit sind!
"Ich habe Angst dass er Schluß mit mir macht, wenn ich nicht mit ihm schlafe!" ... ist einer der Sätze, die Du immer wieder hier lesen kannst!
Oder bei ein wenig Älteren: "das gehört doch bei einer Partnerschaft halt einfach dazu (wird doch erwartet)"!

Spürst Du, liebe Unbekannte, wie viel "Nein" eigentlich schon in solch einem Satz steckt?

Du spürst es! Ich spüre es! Und Deppen akzeptieren das "Nein" nicht!

Es gibt so viele "Beziehungen", in denen die Partner sich eigentlich gegenseitig belügen: es "Liebe" nennen, was nur gesellschaftliche Konvention ist. Und "Zusammengehörgkeit", was eigentlich eher die Angst und das Unvermögen ist, allein zu leben.
"Nein" denken, aber es still mit sich geschehen lassen.
Zurück zu Deiner Frage:
Wann ist eine Vergewaltigung ine Vergewaltigung?

Wenn dann ein Partner dieses "NEIN" auch einmal laut und deutlich ausspricht, ist es für die Partnerschaft schon oft viel zu spät!

Du glaubst ich übertreibe?

Schau Dich einmal in Deinem Bekanntenkreis um.

Wieviele kennst Du, die sich von ihrem Partner getrennt haben, ohne dass schon "die Ablösung" vor der Tür gewartet hat? Das nenne ich z.B. auch: " die Angst und das Unvermögen, allein zu leben".
Ist immer blöd für den verlassenen Partner. Aber so sind wohl die meisten von uns gestrickt: aushalten mit dem was man hat, bis sich etwas "besseres" findet.
Und das nennen wir dann "Treue"?
Das ist "Verlogenheit". Sonst nix!
Und deshalb können auch Ehemänner die ihren Frauen Gewalt antun keine "liebenden" Ehemänner sein!

Wie Deine Eltern damit umgehen und dass Du Deinen Vater nicht darauf ansprechen kannst, ist die eine Seite.

Wichtiger ist wohl, dass Du selbst einen Weg findest, mit der Erfahrung und dem mittelbar Erlebten umzugehen!

Vielleicht solltest gerade Du Dir Rat und Hilfe holen.
Weil es gerade die Rolle ist, in der wir als mittelbar Betroffene so sehr ohnmächtig sind.
Das kann manchmal vielleicht schlimmer sein, als selber Opfer zu sein?

https://www.frauen-gegen-gewalt.de/index.php?dok_id=62

Alles Liebe,

Bernd