Problem von Anonym - 18 Jahre

"Trinkstörung" bei Essstörung

Liebes Kummerkastenteam,

Ich bräuchte Rat zu einem Problem, über das ich bisher nicht viel im Internet finden konnte. Seit etwa 5 Jahren habe ich eine diagnostizierte Essstörung (EDNOS, da mein Gewicht für Magersucht immer noch etwas zu hoch lag). Deswegen war ich auch unter anderem bis vor kurzem in Therapie. Es ist ein ständiges auf und ab, nicht nur mit dem Gewicht. Manchmal belastet es mich fast gar nicht, phasenweise dann wieder sehr.

Bei den meisten Essgestörten, die ich kenne ist es so, dass sie richtig, richtig viel trinken. Bei mir es es das genaue Gegenteil. Schon relativ am Anfang meiner Krankheit habe ich aus Spaß probiert, wie lange ich ohne zu (essen und zu) trinken auskomme. Erst wenn es mir richtig schlecht ging konnte ich mir erlauben etwas zu trinken. Irgendwann wurde das zur Gewohnheit, ein Durstgefühl kenne ich nicht mehr. Mit viel Überwindung komme ich auf 0,5 Liter pro Tag, viel zu wenig, ich weiß. Vor kurzem wurde ich auch mit einer Nierenkolik ins Krankenhaus gebracht. Mehrere Ärzte haben mich gewarnt und versucht mir klar zu machen, dass ich, wenn ich nicht mehr trinke, meine Nieren total kaputt mache und mein ganzer Körper darunter leidet. (Man merkt es schon an meiner Verdauung, der Haut und beim Blutabnehmen. Mein Kreislauf hat deswegen auch schon öfter schlapp gemacht.)

Anfangs konnte ich das Flüßigkeitspensum auch zuhause noch halten. Jetzt ist es relativ unterschiedlich, manchmal schaffe ich für meine Verhältnisse viel, manchmal nur sehr wenig. Da esse ich noch lieber, anstatt zu trinken. Ich weiß nicht, wieso ich mich so dagegen wehre. Selbst in den guten Phasen, in denen mir das Essen nicht so schwer fällt, kann ich nicht mehr trinken. Meine Panik dadurch so viel zuzunehmen war auch unbegründet, da ich nach den Infusionen und dem vielen Trinken im Krankenhaus auch nicht viel mehr gewogen habe als davor.

Mir war das alles nie so bewusst, bis zu dem Krankenhausaufenthalt. Die Macht der Gewohnheit eben. In der Therapie habe ich deswegen nie darüber geredet. Ich wüsste gerne was ich tun kann, ohne wieder eine Therapie anzufangen. (Meine Vorherige ist komplett abgeschlossen, dort kann ich nicht wieder hin.) Mir ist klar, wie wichtig es ist zu trinken (und auch zu essen), aber ich schaffe es einfach nicht. Ich nehme meine 2 Liter Flasche schon überall mit hin, damit ich ständig etwas da habe. Habe verschiedene Getränke, Tees und Säfte probiert, aber es gibt nichts wovon ich leicht mehr trinken kann. Außerdem muss ich dann ständig auf die Toilette, was mich tierisch nervt. Meine Eltern sind mir auch keine große Hilfe dabei, wenn sie mich daran erinnern sollen. Es gibt ja auch Apps die einen daran erinnern, die habe ich aber einfach meistens wieder weggeklickt, wenn eine Meldung kam. ("Nicht jetzt, ich trinke dann später was..")

Ich hoffe ihr könnt mir vielleicht einen brauchbaren Tipp geben. Ich komme mir so blöd vor, weil ich niemanden mit dem Problem kenne und es doch eigentlich etwas überlebenswichtiges ist. Ich müsste "einfach nur" trinken. Die Essstörung belastet mich eigentlich schon genug, zumindest trinken zu können wäre schön.

Viele Liebe Grüße und ein Dankeschön im voraus.

Pia Anwort von Pia

Liebe Unbekannte,
vielen Dank, dass Du Dich mit Deinem Problem hier gemeldet hast und ich hoffe, dass ich Dir ein Stück weit helfen kann, denn eine genaue Lösung kann ich Dir leider nicht schildern.

Erstmals möchte ich Dir sagen, dass das keinesfalls ungewöhnlich ist. Auch wenn Du im Internet noch nichts von einer Trinkstörung gelesen hast und noch niemanden kennst, dieses Problem tritt häufig auf. Es ist genau wie die Essstörung im Prinzip und am besten könntest Du diese Störung verstehen, wenn Du mit ihr arbeitest, genau wie mit Deiner Essstörung. Mir würde interessieren, welche Beweggründe Du für Deine Essstörung hast? Ist es "nur" das Abnehmen? Das kennst Du, viele Magersüchtige trinken literweise Wasser um Hungergefühle zu unterdrücken und den Stoffwechsel anzuregen. Wenn aber hinter Deiner Störung etwas steht wie ein nicht Verdienen von Nahrung und Trinken, ein nichts aufnehmen wollen, etc. dann ist das sehr gut nachvollziehbar. Die Trinkstörung ist bekannt und intensiviert meist eine Essstörung.

Dass Du von Getränken wie Wasser, ungesüßten Tee, light-Getränke überhaupt nichts zunimmst weißt Dein Verstand und auch Getränke mit einem höheren Nährwert können in Maßen auch nicht wirklich dick machen. Da ist vielleicht bei Dir etwas, was Dich hindert zu trinken. Ich hätte Dir gerne vorgeschlagen, dass Du etwas trinkst, was Dir leicht fällt oder ich habe auch schon an die App gedacht, aber Du hast anscheinend schon einiges probiert.

Hast Du denn schon einmal mit dieser Störung gearbeitet? Versucht Ursachen zu erarbeiten? Was Deine Gefühle vor, während und nach dem Trinken sind? Macht es bei verschiedenen Getränken einen Unterschied? Woran könnte das liegen? Für Dich ist wahrscheinlich mit der Essstörungstherapie das Essen auch immer ein Thema und die Mahlzeiten werden bewusst eingenommen. Kannst Du bei dem Planen und dem Einnehmen der Mahlzeiten auch genauso viel Aufmerksamkeit dem Trinken schenken? Sodass Du bei jeder Mahlzeit auch etwas trinken musst. Fange wieder an zu trinken und übernimm Dich nicht am Anfang. Trinke jeden Tag ein bisschen mehr und am besten gut über den Tag verteilt und langsam.

Du schreibst, dass Du versucht hast so lange wie möglich nichts zu trinken. Das ist oft ein Grund für solch eine Störung, wenn man aus irgendeinem Grund sich etwas verbietet oder einfach mal gegen den Strom schwimmen möchte. Dass Dein Durstgefühl dadurch durcheinander kommt, das ist klar. Vielleicht hast Du die Erfahrung gemacht, dass Du in der Therapie Deiner Essstörung Dein Hunger- und Sättigungsgefühl wieder bekommen hast, das kannst Du auch mit dem Durstgefühl schaffen. Das ist jedoch eine Übungssache und verlangt viel Geduld, Mut und Disziplin. Vor allem Disziplin. Ich merke, dass Du Dich bemühst, aber dann ist da doch diese Stimme in Dir, die sagt, dass Du auch später noch was trinken kannst. Genauso wie bei der Essstörung. Daher rate ich Dir, sei streng in Deiner Gesundung und bleibe dran. Durchbreche den Teufelskreis und trinke kontinuierlich wieder ausreichend. Es wird nicht einfach sein, aber Du kannst es schaffen!

Wenn es nicht klappt und Du merkst, dass da viele Gründe dahinter liegen und Du mit dem Erlernten zu Deiner Essstörung auch nicht daran arbeiten kannst, dann würde ich Dir wirklich raten, wieder professionelle Hilfe aufzunehmen. Meines Wissens kann man nach einer abgeschlossenen Psychotherapie danach noch ca. 2x im Quartal zu einem psychologischen Gespräch kommen, frage dazu am besten Deinen ehemaligen Therapeuten. Ansonsten kannst Du Dich an eine Beratungsstelle (evtl. spezialisiert auf Essstörungen) oder an einen neuen Therapeuten wenden.

Es ist leider genauso schwierig und hartnäckig wie eine Essstörung, aber wenn Du es wirklich schaffen möchtest, dann kannst Du lernen auch mit dieser Störung gut zu leben. Ich hoffe sehr, dass Du dran bleibst und mutig versuchst wieder das Trinken anzufangen, bis sich das normale Durstgefühl wieder einstellt. Es ist, wie Du schon erlebt hast, sehr gefährlich zu wenig zu trinken. Bitte achte gut auf Dich und hole Dir ggf. Hilfe. Wenn Du noch Fragen hast, oder meine Fragen beantworten möchtest, kannst Du mir gerne ein Feedback schreiben.

Alles Gute!!!!
Liebe Grüße
Pia