Anwort von PaulG

Grüße dich liebe Anonyme!

Er muss dich wirklich sehr lieben! So sehr, dass er ständig Angst hat, er könnte zu kurz kommen. Neben den Freunden, die er dir verbietet. So sehr, dass er deine Zeit verplant, ohne sich für dich Zeit zu nehmen. So sehr, dass er vor lauter Kontrollieren gar nicht mehr merkt, wenn du ihm von dir aus schreibst.

Entschuldigung, dass ich es so provokant sage. Ich glaube dir, dass er dich liebt und es ernst mit dir meint. Aber ich muss dich auch bitten, es nicht als Kleinigkeiten abzutun. Der Ausdruck "Kindergarten" wird dem wirklich gerecht: Es sind Regeln, die aufzustellen ihm nicht zusteht. Wenn er trotzdem noch eifersüchtig ist, dann deswegen, weil du es ihm nie recht machen kannst. Weil sogar vollständige Kontrolle nicht genug ist. Er muss sich an der eigenen Nase fassen; sonst werdet ihr euch verlieren, und das ist nicht deine Schuld.

Wenn ihr eine Fernbeziehung führt, kann das zu Eifersucht führen. Aber man muss lernen, damit umzugehen. Das Fruchtbare an einer Fernbeziehung ist ja gerade, dass man den Anderen vermisst, und sich die gemeinsamen Zeiten umso schöner macht; dass man frühzeitig lernt, einander zu vertrauen; und dass einem schnell klar wird, wenn es nicht mehr geht. Solange man die Fahrten noch gerne unternimmt, solange man dem nächsten Treffen noch entgegen fiebert: Solange ist es gut! Glücklicherweise gibt es heute die Möglichkeit, ständig in Kontakt zu sein - via WhatsApp zum Beispiel. Aber heißt das, dass man das auch muss? Eher nein, würde ich sagen.

Ob du ihn noch liebst, ist schwer zu beurteilen. Ich würde mal sagen: Wie kann es dir gelingen, wenn hinter lauter Konflikten, wo keine sein sollten, die Liebe verschwindet? Euch bleibt wenig Raum, euer Zusammensein zu genießen, wenn so grundsätzliche Dinge zum Streit führen. Das ist auf die Dauer kein Zustand, oder? Erst wenn ihr euch nicht mehr über Fragen streitet, die kein Thema sein müssen und sollten, dann könnt ihr euch wirklich aufeinander einlassen, und eure Beziehung - trotz der Distanz - entspannt betrachten. Dazu kann es erst kommen, wenn ihr euch geeinigt habt. Im Klartext: Wenn er dir die Freiräume lässt, die du brauchst, und die du dir wirklich nehmen darfst.

Du hast ein Recht, mit den Leuten zu schreiben, die du bestimmst - und auch, wann und wie lange. Es wäre etwas Anderes, wenn du nie mit ihm schreiben würdest. In Wahrheit aber trifft ihn dieser Vorwurf: Er reagiert nicht auf dich - und will trotzdem wissen, was du den Rest der Zeit machst. Er sagt, dass er dich liebt - aber wenn das so ist, muss er dir auch so weit vertrauen! Nicht nur, dass ihn Manches einfach nichts angeht, deine Privatsphäre ist - das, was er von dir möchte, sollte er selber auch leisten. Würdest du ihm verbieten, mit anderen Frauen Kontakt zu haben? Jetzt nicht in dem Sinn, dass er dich betrügt. Sondern die Arbeitskollegin, eine Schulfreundin, eine lang nicht mehr gesehene Kusine zu treffen? Eine Bekannte der Familie? Jemand, die ihn irgendwie unterstüzen will - ohne mit ihm was anzufangen? Ich denke, du würdest ihm das nicht verbieten - es ist normal und es ist in Ordnung. Du vertraust ihm, dass er weiß was er an dir hat, und nicht fremdgeht. Aber tut er das umgekehrt auch? Offenbar nein. Und das geht soweit, dass er nicht nur alles von dir wissen will, sondern auch Kontakte verbietet, was ihm nicht zusteht.

Denke einmal in die Zukunft. Stell dir vor, ihr werdet Eltern und euer Kind hat Probleme in der Schule. Wird es dann für ihn okay sein, dass du dich mit dem Lehrer eures Kindes triffst, um etwas zu besprechen? Dass du mit dem Vater eines Freundes oder einer Freundin telefonierst, weil man das manchmal muss? Dass du auf einen Ausflug mitgehst, weil noch eine weibliche Begleitperson gesucht wird? Denk nach, ob du bejahen kannst, dass er das dulden würde! Wenn dem nicht so ist, läuft wohl ganz eindeutig etwas falsch?

Es ist schön, dass die Familie deines Freundes dich akzeptiert und gern hat. Allerdings geht es hier um dich und darum, ob du in deiner Beziehung glücklich bist. Ob Dritte ein Problem hätten, wenn sie scheitert, ist erstmal nicht deine Sorge. So hart das klingt. Es muss dir gut gehen, du musst gerne mit ihm zusammen sein - und nicht so tun als ob, damit jemandes Weltbild nicht ins Wanken kommt. Es gibt nur die eine Möglichkeit: Dass du es ihm klar machst, dass etwas nicht in Ordnung ist. Und vielleicht muss er es immer wieder hören. Du verdienst ein Privatleben (wozu auch männliche Freunde gehören können), und dass du Zeit für dich hast. Dass er dir schreibt, wenn du es brauchst. Klar, häufig vergisst man es, oder ist echt nicht da, oder sieht es nicht. Aber wenn er permanent das unterlässt, was er von dir fordert, ist das nicht okay. Für die Frau, die man liebt, im Großen und Ganzen erreichbar zu sein, ist schon wichtig - oder?

Dein Freund sollte merken, dass das, was ihn stört, kein Anlass zum Streit ist. In der Frage, ob du selbst entscheiden darfst, wen du triffst, und dass deine Nachrichten nicht sein Bier sind, es sei denn du teilst sie ihm selbst mit; in dieser Frage gibt es keinen Kompromiss. Wenn er das nicht möchte, ist es eine Überlegung wert, ob du wirklich mit ihm zusammen bleiben willst. Denn für dich muss es sich gut anfühlen. Wenn er dir nicht entgegen kommt in den Dingen, die selbstverständlich sind, ist es seine Sache. Du musst dich nicht fragen, ob du zu hohe Ansprüche hast. Die Antwort ist: Nein! Deine Ansprüche sind banal und verständlich. Er ist es, der dir nicht das Recht einräumt, dass er sich selber gibt.

Ob - und wenn ja, wie weit - sein Verhalten durch seine Herkunft und Religion begründet ist, kann ich nicht sagen. Ich will es eigentlich auch gar nicht, denn mein Ziel ist keinesfalls, eure Beziehung zu gefährden; ich möchte dir sagen, dass du keinen zu hohen Anspruch hast, und deine Kritik berechtigt ist! Wenn ihr auf Dauer zusammen bleibt, vielleicht heiratet (da du den Ausruck Schwiegertochter ja gebraucht hast), könnte es aber ein Thema werden: Wie wichtig ist dir Religion? Wie es bei ihm auch aussehen mag, darf es trotzdem kein Grund sein, dir Vorschriften zu machen, die du nicht annehmen musst. Denn ihr seid Partner, keiner höher, keiner tiefer - wie ihr das Thema Religion behandelt, ist euch überlassen. Wozu es nicht führen darf, ist dass du in eine Rolle gerätst, die du nicht möchtest. Frage dich - bist du eigentlich dabei? Welche Formen soll das in Zukunft annehmen? Es ist wichtig, dass du ihm seine Grenzen aufzeigst. Die haben nichts damit zu tun, ob du ihn liebst oder nicht; es steht dir einfach zu, dass er sie einhält! Es ist an ihm, dir zu glauben, dass du ihn liebst - auch wenn es Bereiche gibt, die nur dir gehören. Deine Freunde, deine Tage, deine Zeiten. Die Aufmerksamkeit und das Verständnis, die du von ihm brauchst, so wie er deine möchte.

All das kannst du nur klären, indem du es ihm deutlich sagst. So wie es jetzt ist, tut es dir ja nicht gut, oder? Wenn er weiß, woran er ist, dann kann sich zeigen, was aus euch wird. Und dafür wünsche ich euch alles Gute - dass die Dinge sich in euer beider Sinn entwickeln; dass ihr eine gute Basis findet.

Liebe Grüße,

Paul