Problem von Anonym - 21 Jahre

Ich verstehe die Liebe nicht

Hallo Liebes Kummerkasten Team,

Die Überschrift bzw. Rubrik irritiert etwas. Also ich habe kein Liebeskummer. Eher generell ein Problem mit der Liebe bzw. Gesellschaft. Ich bin persönlich der Überzeugung das partnerschaftliche Liebe überbewertet ist. Diesen ganzen romantische Quatsch kann ich nicht begreifen. Ich meine ich kann es ja verstehen wenn man verliebt ist, aber wieso steigert man sich so rein. Die Beziehungen halten doch sowieso nicht lange, wieso sollte man soviel Zeit damit investieren? Wenn man Kinder hat ist es etwas anderes (finanzielle Absicherung und man möchte dass das Kind in einer heilen Familie aufwächst)
Betrügt sich der Mensch nicht damit selbst?

Sorry ich will jetzt nicht herzlos rüber kommen. Aber schon als kleines Kind fand ich das seltsam?

PaulG Anwort von PaulG

Grüße dich liebe Anonyme!

Da ich zu denen gehöre, die neben der Liebe auch die Liebe zu zweit propagieren, nehme ich mich deiner mal an :)

Die Antwort ist: Vielleicht hast du Recht! Vielleicht ginge es uns besser, wenn wir das Gefühl des Verliebt-Seins einfach nur genießen könnten - ohne uns groß zu sorgen, ob was draus wird, oder ob es hält. Wenn man froh sein könnte, mit jemandem zusammen zu sein - sich aber auch ohne viel Schmerz wieder trennen. Wenn es kein "Du oder keine" gäbe, kein "Sie oder niemand", kein "Ich kann nicht ohne dich!", kein "Warum tust du mir das an?", und kein "Für immer und ewig." Stattdessen einfach nur: Fühlt sich gut an - mal gucken.

Von den Liedern, die im Radio laufen, sind neunzig Prozent Liebeslieder. Und fast alle handeln entweder vom Verliebt-sein, dem himmelhohen Gefühl, dass man den perfekten Partner gefunden hat; oder sie handeln von Trennung, von purer, abgrundtiefer Verzweiflung. Interessanterweise gibt es relativ wenige Lieder, die davon handeln, wie glücklich man mit seinem langjährigen Partner ist. Man hört stets nur "Oh, was wäre ich ohne dich!" - oder: "Was soll ich nur ohne dich machen?" Aber nirgends: "Wie schön, dass du da bist." Kein endlich, kein noch, kein wieder - einfach nur: Da.

Für uns, die wir Romantiker sind, steht hinter all dem jedoch die Sehnsucht, an den Punkt zu kommen, der in solchen Lagen eben weit entfernt ist: Die Sicherheit einer Beziehung, die trotz aller Probleme, die gelegentlich auftreten, so stabil ist, dass man sorgenfrei sein kann. Und die gleichzeitig genug der Liebe beinhaltet, um nie langweilig zu werden. Nach dieser Liebe zu suchen, ist aufregend - und auch der Schmerz gehört dazu. Aber die Endstation einer chaotischen Zugfahrt, hat auf unerklärliche Weise auch ihr Gutes. Wenn man nämlich wirklich stark liebt, würde ich sagen, stellt sich die Frage gar nicht, ob der Partner der Richtige ist. Man glaubt es einfach zu wissen. Und wenn einem die Natur soweit in die Hände gespielt hat, dass man sich gut ergänzt, kann es klappen. Zwar nie perfekt, nie so, wie man es sich vorstellt. Aber immerhin.

Der große Stellenwert, der der Romantik, oder auch der Tragik einer Paarliebe, eingeräumt wird, gilt gar nicht so sehr ihr selbst; wir haben keinen Gefallen daran, uns abzumühen. Wir wollen dahin, wo all das nicht nötig ist. Aber dann eben auch eine gute Geschichte zu erzählen haben. Das alles ist zeitweilig. Natürlich kann man die freie Liebe praktizieren, oder man kann es weitgehend von sich weisen; oder man kann wechselnde Beziehungen haben. Ich frage mich nur, wird nicht genau dadurch, der Liebe als solcher ihr Reiz genommen? Romantiker streben nicht nach dem Theatralischen, sondern nach dem Unspektakulären. Du hast sicher Recht, sie legen sich dabei auch Steine in den Weg. Aber auch nur, weil sie wissen, dass es einmal vorbei sein soll. Wir wollen wissen, dass vor der Banalität etwas Aufregung stattgefunden hat. Wir nennen unsere "wilden Jahre" das eigentliche Leben - und beschwindeln uns damit selbst: Das eigentliche Leben dauert an, auch wenn diese Jahre vorbei sind. Wenn man fest darin steht, hat man mehr Zeit für andere wichtige Sachen. Die Liebe gehört dazu - aber manches kommt neben ihr zu kurz. Insofern hast du auf jeden Fall Recht. Wir können nicht ohne Liebe sein, aber nur von Liebe lässt sich nicht leben. Das ist absolut richtig von dir, das zu bemerken.

Wilhelm Busch - der selbst nie eine wirkliche Partnerschaft hatte, aber treffende Worte für sie besaß -, hat es einmal so beschrieben:

Die Liebe war nicht geringe,
Sie wurden ordentlich blaß;
Sie sagten sich tausend Dinge
Und wussten noch immer was.

Sie mussten sich lange quälen,
Doch schließlich kam's dazu,
Dass sie sich konnten vermählen.
Jetzt haben die Seelen Ruh'.

Bei eines Strumpfes Bereitung
Sitzt sie im Morgenhabit;
Er liest in der Kölnischen Zeitung
Und teilt ihr das Nötige mit.

Beide Teile dieser Geschichte können nicht ohne einander. Das ist Romantik. Jede Liebe braucht ihren Knacks, den man mit Mühe wieder gekittet hat; jede Beziehung braucht ihre Riffe, an denen sie beinahe zerschellt wäre. Aus purer Vernunft könnte die letzte Strophe sich nicht ereignen - so sind wir Menschen nicht. Zumindest die meisten. Jetzt drängt sich natürlich die Frage auf, ob das schon der letzte Akt des Stücks war. Hierzu sei ein anderer kluger Kopf zitiert, nämlich Kurt Tucholsky. Wir sparen uns die Übersetzung für Provinzlerinnen und Provinzler, die nicht einmal berlinern können ;) :

Es wird nach einem Happy End
Im Film jewöhnlich abjeblendt.
Man sieht bloß noch in ihre Lippen
Den Helden seinen Schnurrbart stippen-
Da hat sie nun den Schentelmen.
Na,und denn-?

Denn jehn die beeden brav ins Bett
Naja.....dis is ja auch janz nett.
A manchmal möchte man doch jern wissen:
Wat tun se, wenn se sich nich kissen?
Die könn ja doch nich immer penn.....!
Na, und denn-?

Denn säuselt im Kamin der Wind.
Denn kricht det junge Paar 'n Kind.
Denn kocht se Milch. Die Milch looft üba.
Denn macht er Krach. Denn weent sie drüba.
Denn wolln sich beede jänzlich trenn.....
Na, und denn-?

(...)

Denn sind se alt.
Der Sohn haut ab.
Der Olle macht nu ooch bald schlapp.
Vajessen Kuß und Schnurrbartzeit-
Ach, Menschenskind,wie liecht det weit!
Wie der noch scharf uff Muttern war,
Det is schon beinah nich mehr wahr!
Der olle Mann denkt so zurück:
Wat hat er nu von seinen Jlück?
Die Ehe war zum jrößten Teile
Vabrühte Milch und Langeweile.
Und darum wird beim Happy End
Im Film jewöhnlich abjeblendt.

Glücklich, wer sich das ersparen kann. Aber beneidenswert auch der, der es drauf ankommen lässt. Ich weiß nicht, welches Konzept erfolgreicher ist. Wir könnten nach Belieben einen weiteren Teil des Schwanks erfinden, denn warum sollte die nächste Generation nichts gelernt haben? Ich erlaube mir mal, das zu tun.

Der Sohn denkt sich: Mein alter Vater,
Was der nun einmal hat, das hat er.
Was der an meiner Mutter findet,
Was die zwei eigentlich verbindet -
Scheint's nicht zu geben, wenn sie streiten.
Den Weg will ich drum nicht beschreiten.

Und erstmals hat er sich verliebt.
Er denkt: Na, wenn das mal nichts gibt!
Sie ist perfekt! - Doch schon hat sie
Ihn abserviert. Vielleicht er sie?
Und so geht's weiter manche Male,
Es scheint, dass rings um ihn schon alle

Glücklich sind. Nur er ist's nicht!
Und weiß bloß nicht, woran das liegt.
Die Frau, die schließlich bei ihm bleibt -
Wenn du ihn fragst, wie er's beschreibt,
Ist eigenartig. So ganz still.
Als ob er dir bloß sagen will:

Ich bin durch all die ganzen Krisen
Zwar gegangen, doch von diesen
War meine Liebste jede wert!
Wie hab' ich sie nur je entbehrt?
Er nimmt sie sanft in seinen Arm,
Wie stets, wenn er nach Hause kam;
Sie spüren nicht die Hitze mehr,
Doch feste Wärme. Es ist schwer
Dahin zu kommen, doch es klappt.
Wohl euch, die ihr's gefunden habt!

Diejenigen unter uns Romantikern nämlich, die den Traum verwirklicht haben. Aber die Gedanken sind frei. Jenseits davon mögen Träume liegen, die ebenso gut sind. Wie auch immer: Noch ist nicht aller Tage Abend.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul