Problem von Tobi - 17 Jahre

Will nur noch abschließen

Hallo Paul,

Ja, es war schwer keinen Kontakt mehr zu ihr zu haben, mittlerweile empfinde ich ihr gegenüber wenig. Ich bin plötzlich wieder viel glücklicher, (relativ) aber trotzdem einsam.
Mein guter Freund, dessen Problem ich hier schon mal geschrieben hatte, hat doch noch seine große Liebe gefunden und auch wenn es manchmal nerft, das er gleich um Rat fragt, wenn sie mal nicht zurückschreibt oder antwortet finde ich OK, ich frei mich für ihn (abgesehen davon, dass er sich in der Arbeit den Daumen fast abgeschnitten hat). Er ist wirklich ein korrekt er Kerl mit dem mann über alles reden kann.

Mir gehts in der Arbeit auch gut, wurde ins Chefbüro gerufen. Ich war nervös, als mir mitgeteilt wurde, dass es um die Probezeit ging. Letztendlich habe ich sie bestanden :)
Doch trotzdem, es fehlt einfach was in meinem Leben. Mir fehlt einfach ein klares Ziel, ein Antrieb.

Ich muss außerdem ehrlich sagen, dass ich den Sinn für Liebe in Frage stelle. Ich meine, warum hält man an einem Menschen fest, der nix vom anderen wissen will, oder warum dürfen sich Menschen wegen Glaube oder Sitten nicht nahestehen? Warum werden manche Menschen von der Liebe so enttäuscht, dass sie gleich vor Züge springen oder Amok laufen. Manche werden verrückt, werden zu Stalkern. Warum bleiben manche Menschen ihr leben lang allein, wärend andere 3 mal geschieden sind und Kinder haben?
Für mich gibts nur eine Antwort - Schicksal, ich denke, dass jeder sein persönliches hat. Aber wie denkst du dazu?
Ich hab gleich noch eine letzte Frage - was denkst du über Gaben, die manche Menschen ,,haben"?

PaulG Anwort von PaulG

Grüße dich Tobi.

es ist schön, dass du es geschafft hast, standhaft zu bleiben. Einmal wird der Tag kommen, an dem du ihr gefestigt gegenübertreten kannst. Für mich liegt eine große Wahrheit in dem Spruch "Man sieht sich immer zweimal im Leben!" - und ich glaube wirklich, dass du dir dann überhaupt nichts vorwerfen musst. Du hast sie geliebt, das wird dich immer begleiten; aber es war auch vernünftig, jetzt auf Distanz zu gehen. Ich hoffe sehr für dich, dass es dir einmal angenehm sein wird, an diese Zeit zurück zu denken. Im Übrigen wird auch sie bemerken, was sie an dir hatte, auch ohne dich "besitzen" zu können oder zu wollen; du warst schwer verliebt, und wer wollte aus Liebe eine Schuld machen? Ich nicht. Es gibt Stalking, Gewalt, Missbrauch, ja, auch alles aus "Liebe"; das alles meine ich nicht. Ich meine den verzweifelten Anlauf, glücklich zu werden, indem man jemand anders glücklich zu machen versucht. Das gegen allen Verstand, allen Widerspruch, alle Probleme, so wie du es getan hast. Dafür gebührt dir Respekt - und so komme ich zu deiner Sinnfrage.

Ein Stück weit trägt die Liebe in sich den Kern des Irrationalen, des Unvernünftigen. Sich auf einen einzigen Menschen zu fixieren, mit dem man sein Leben teilen will, obwohl die Gefühle des Anderen, und außerdem auch die Kultur dagegen sind: Was soll das nützen? Man mag sagen, es trägt nur zu innerer Zerstörung, Leid und Streit bei. Symptome dieses "Missstandes" sind deine unerfüllte Liebe, aber auch, dass sie vielleicht ihren Ehemann nicht selbst wählen darf; Symptome sind Gewalt in der Ehe, Streit und Krieg aus verletztem Ehrgefühl, sind selbstsüchtige, weltvergessene Handlungen. Mag man sagen, all das. Ich bestreite es in gewisser Weise nicht. Aber: Was wäre die Alternative? Der Großteil der Tierwelt kommt ohne das aus. Auch hier gibt es monogame Verbindungen, gibt es Wettbewerb um die Gunst einer Schönen; und doch bringen ihre Triebe es mit sich, dass man sich im Wesentlichen "nimmt" oder "nehmen lässt", wen und von wem man will. Eine beleidigte Ehre, ein getretenes Selbstwertgefühl, ein Nachtragen und Rächen, kennen Tiere letztlich nicht. Das also unterscheidet den Menschen: Er tut irrationale Dinge, und das aus gutem Willen. Das Christentum ist nur eine Religion, die die Liebe ins Zentrum ihrer Lehre gestellt hat. Liebe in Form von Mitleid, Liebe in Form von Vergebung, Liebe als Aufopferung, als Selbstbescheidung, als gute Werke; aber auch das Geben und Nehmen, das in der Liebe wichtig ist. Meine Antwort, die ich für mich persönlich anerkannt habe, ist also die: Liebe ist die Wurzel unserer Kultur, der Grund für viele Probleme, ja, aber auch die Kraft, die sie überwinden kann. Sie ist die einzige permanente Größe, auf die es ankommt, ohne die niemand sein kann, die nicht bloß Wasser, Essen und Schlaf ist; das einzige Gefühl, das gleichzeitig Nahrung und Hoffnung bedeutet. Das, mit dem wir uns von Generation zu Generation auseinander setzen, um zu gewinnen oder zu scheitern.

Jetzt kann man sich, so wie du, fragen, ob das nicht ungerecht ist: Einige haben kein Problem, Partner zu finden, andere sehr wohl. Und das Bild, das du gewählt hast, drückt es noch drastischer, aber richtig aus. Ich sehe das so: Die Liebe lässt sich nicht erzwingen, sie kommt ungefragt von selbst. Dazu ist es allerdings wichtig, dass man nicht hinter der Tür auf sie lauert, sondern schon mal ans Aufräumen und Essenkochen geht. Ich möchte hier keine Lehrmeinung aufstellen, trotzdem könnte ich mir vorstellen, dass ein häufiges Hindernis die fehlende Geduld und Zuversicht sind. Wer sich permanent bereit hält, verpasst den richtigen Moment; er überfällt einen, wenn man nicht mit ihm rechnet. Und dann muss man bereit sein, alle Vorstellung wegzuwischen, die man sich zuvor ausgemalt hatte. In der Schule haben sie uns mit dem Text von Max Frisch gequält, "Du sollst dir kein Bildnis machen" - in der Tat, nicht von dem Menschen, den man liebt oder zu lieben beabsichtigt; und auch nicht vom liebenden Gott, sagt die Religion. Warum? Weil jedes Detail, auf das man sich festlegt, eine Interpretation bedeutet, eine Erwartung beinhaltet. Weil wir uns den Partner nicht kreieren, sondern auf ihn einlassen müssen. Es ist wohl unmöglich, das voll und ganz durchzuziehen. Aber genau das ist es, was sich in Begriffen wie "Flexibilität" und "Konfliktbereitschaft" äußert, in dem schönen Spruch "Liebe ist Arbeit, Arbeit, Arbeit..." ganz recht - vor allem an sich selber. Dazu zähle ich auch die Bereitschaft, Abstriche zu machen. Und so erklärt sich für dich vielleicht, warum ich das, was du erlebt hast, als große Leistung sehe: Es ist ein Prozess zu beobachten, in dem du allmählich anerkannt hast, was nicht möglich war, und dir Strategien gesucht hast, um deinen Schmerz zu bekämpfen, in Gewinn umzudeuten. Du hast viel gewonnen, und man kann vor deiner Leistung nur den Hut ziehen. Was auch immer folgt, du wirst gekräftigt sein, auch wenn du es selbst noch nicht bemerkst. Eine Strategie ist auch die Hilfestellung, die du deinem Freund bietest. Es freut mich, dass es ihm gut geht und für dich okay ist, Ansprechpartner in Liebesdingen für ihn zu sein. Trotzdem, überfordere dich auch nicht. Es mag sein, dass es sich einmal schwerer erträgt, ihn glücklich zu sehen. Dann wäre es gut, wenn du auch damit offen umgehen könntest. Du schreibst ja, dass das kein Problem darstellt - ich wollte es nur aus Vorsicht nochmal anbringen.

Gaben sind ein schwer zu beurteilendes Phänomen. Ich bin nicht ganz sicher, ob du damit Talente im üblichen Sinn meinst, einige bestimmte, oder auf etwas Übernatürliches anspielst. Im Grunde würde ich von mir nicht sagen: "Ich habe diese und jene Gabe", sondern "Ich habe das Glück gehabt, sie entfalten zu können." Wer mir den Weg bereitet hat, waren Eltern und Lehrer und viele, viele andere Menschen in verschiedensten Funktionen, die mich alle nicht aufgeben wollten, und mich von Anfang an so genommen haben, wie ich bin. Daneben spielt eine nicht unwesentliche Rolle, dass ich gesund und nicht in einem unsicheren Land, oder in ärmste Verhältnisse geboren bin. Und all diese Dinge verpflichten mich, etwas davon weiterzugeben. Wenn man die Art und Weise, wie ich es tue, als Gabe bezeichnet, würde ich das so nicht stehen lassen. Ich bin nicht besonders gesegnet, jeder Mensch ist gesegnet, und das Letzte was ich wollte, wäre, als Übermensch betrachtet zu werden. Helfen und geholfen bekommen kann ich am besten, wenn anerkannt bleibt, dass ich letztlich einer wie viele bin, schwach, aber hoffnungsvoll; so ist jeder Mensch es wert, sich um ihn zu kümmern, denn man weiß ja nie, was in ihm schlummert. Wenn ich eines gern vielen Leuten mitgeben möchte, ist es das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Ich würde mir wünschen, das viel, viel mehr Menschen fühlen, mit einem ganz bestimmten Schatz an Eigenschaften, mit ganz bestimmten Aufgaben in die Welt gekommen zu sein, die sich daraus ergeben; das Gefühl, das man so wie man ist, niemals war und nie wieder sein wird - das wäre schön. Denn so könnten wir am besten daran arbeiten, die Welt zu verbessern. Das nämlich sollte nie vergessen werden: Die Welt ist bereits eine bessere geworden. Es gibt sehr, sehr viel, das im Argen liegt. Doch Ideen kann man nicht erschießen, und so viele gute der letzten Jahrhunderte werden heute gelebt und gelehrt: Darf man nicht auch mal ein bisschen optimistisch sein?

Herzlichen Glückwunsch, dass du die Probezeit bestanden hast! Fühlt sich doch sehr gut an? Jetzt bist du auf dem Stand, etwas geschafft zu haben - und nicht einfach so, sondern gegen Widerstände, für die du nichts konntest, und die dich die ganze Zeit beschäftigt haben. Du hast gekämpft, du hast dich bemüht, und schau, du warst nicht erfolglos. Ich bin sicher, dass du dich in die Richtung entwickeln wirst, die du magst. Ob es nun in dieser Branche ist, oder anderswo. Du hast Recht damit, dass das Fehlen eines Antriebs schwer ist. Jedoch ist das, was du jetzt tust, auch kein Selbstzweck, sondern eine neue Form der Reifeprüfung. Wo du nicht weißt oder wagst, was sonst tun, tust du lieber etwas Solides - sieh es nicht als Vergeudung; sieh es als Zeit der Vernunft. Solange du wach und aufmerksam bleibst, wirst du bald heraus finden, wohin dein Weg führt - privat wie beruflich; aber erhalte dir die Spannung. Es jetzt noch nicht zu wissen, zu dem Was? noch ein Wofür? fügen zu müssen, ist nicht einfach. Doch du beantwortest es nicht, indem du sagst "Dann lieber gar nichts." Verstehst du? Die Steine werden sich dir in den Weg legen. Doch du musst die Ziegel dafür auch brennen, und die Brocken dafür schlagen: Das tust du. Fühl dich dessen stolz - dann wird dein privates Glück auch nicht auf sich warten lassen.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul