Problem von Anonym - 18 Jahre

Mutter neuer Freund

Meine Eltern waren für 25 Jahre verheiratet doch nun ist meine Mutter vor etwa 1Jahr ausgezogen. Sie wohnt alleine, doch habe ich ein eigenes Zimmer bei ihr und ich hatte auch eine sehr enge Beziehung zu ihr. Rechtlich gesehen sind meine Eltern immer noch verheiratet. Meine Mutter ist von ihrem Wesen sehr kindlich und naiv und übernimmt ungern Verantwortung. Vor ca. 3 Monaten im Oktober ging ich zum Abendessen zu ihr und ich kam ca. 15 min früher als eig. geplant an. Ich ging in die Wohnung und sah meine Mutter nackt durch die Wohnung laufen. Und normalerweise ist das nichts besonderes ich mein sie kann ja grad geduscht haben oder so... Dann wollte ich in mein Zimmer und sie meinte "geh da nicht rein" ich dann "wieso nicht" und sie wieder ganz nervös "da ist ein Freund drin". Und dann wars natürlich offensichtlich und ich bin aus der Wohnung gestürmt. Seitdem habe ich so einen Hass auf sie, normalerweise bin ich niemand der nachtragend ist und extrem wütend wird aber in dem Fall bin ich es das erste Mal. Ich musste dann meinem Vater von der neuen Beziehung meiner Mutter erzählen, und sie hat meine Privatsfaehre missachtet was ich ihr sehr übel nehme. Ich hatte schon mit der Trennung massive Probleme und besuche seitdem einen Therapeuten. Und ich hatte mich langsam an die Situation gewöhnt doch das hat nochmal alles wieder schlimmer gemacht. Ich habe sie auf das übelste beleidigt was wirklich nicht mir entspricht aber so empfinde ich und ich hab das Gefühl sie so sehr zu verletzten wir ich verletzt wurde. Momentan habe ich keinerlei Kontakt zu ihr und scheinbar ist es ihr auch wirklich egal. Den 25ten Dezember werde ich mit meinem Vater allein verbringen, da meine Brüder da bei meiner Mutter sein werden. Das macht es nochmal viel schlimmer, da weihnachten sehr wichtig für mich ist, und dies aber nun nicht mehr schön werden wird das es wohl einsam sein wird.
Ich bin unglaublich Emotional bei diesem Thema und komme sehr schwer zu recht und weis nicht wie ich hiermit umgehen soll. Und viele andere denken sich wohl. "das ist doch nicht so schlimm" aber für mich fühlt es sich schrecklich an
Bitte helft mir

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

es wäre doch ziemlich billig, dich mit einem "ist doch nicht so schlimm" abzuspeisen. Deine Eltern waren lange verheiratet, du hast den größten Teil deines bisherigen Lebens nie in Frage stellen müssen, dass sie zusammen sind. Es ist begreiflich, dass ihre Trennung für dich schmerzhaft war und ist. Wer weiß, wann du vom neuen Freund deiner Mutter erfahren hättest, hätte sie den Zeitpunkt wählen können?

Hier sind zwei gleichermaßen wahre, berechtige Standpunkte, die nicht miteinander können: Das Eine ist, dass die Trennung deiner Eltern eine offene Wunde bei dir ist, in die jetzt nochmal heftig gestochen wurde. Man kann nicht erwarten, dass du flexibel genug bist, das mit ihrem Neuen sofort zu verkraften. Andererseits wissen wir: Dass deine Eltern nicht mehr zusammen leben, gibt ihr durchaus das Recht, sich anderswo umzusehen. Du hast gemerkt, dass es ihr peinlich war - und vermutlich hätte sie es weiter geheim gehalten, wenn du nicht zufällig dahinter gekommen wärst. Es ist ein Vertrauensbruch, ja, weil sie es nicht offen zugegeben hat; weil du auch nicht weißt, wie lange das schon geht; und nicht zuletzt sind deine Eltern auf dem Papier noch verheiratet. Trotzdem, was du gesehen hast, nimmt nur voraus, was sowieso passiert wäre. Oder hattest du gehofft, dass deine Eltern sich wieder zusammen raufen? Oder schärfer gefragt: Würdest du das jetzt noch wollen?

Zugegeben, die Situation war ziemlich delikat, in der du es mitgekriegt hast. Ob es die Art deiner Mutter ist, solche Dinge lieber zu verschweigen, also der Verantwortung auszuweichen - oder ob es ihr schlicht peinlich war -, das lasse ich mal dahingestellt. Wahrscheinlich ist es beides. Lass uns doch mal die Dinge auf den Tisch holen, die dir das Ganze erleichtern:

Du bist volljährig und wohnst nicht permanent bei deiner Mutter. Darüber hinaus hast du die Möglichkeit, über die Festtage bei deinem Vater zu sein - vielleicht wirst du selbst bald ausziehen. Es ist doch sehr angenehm, dass du es nicht ständig mitkriegen musst? Ich würde sagen, es gibt keine Verantwortung, die du hast, oder eine Schuld, die du abzutragen hättest. Deine Reaktion war verständlich. Dass du sie beleidigt hast, kann nicht daran gemessen werden, wie du sonst auftrittst. Es war einfach eine extreme emotionale Lage, und es ist gut, wenn du dir Luft machen konntest. Wichtiger finde ich, dass du versuchst, dich in Zukunft mehr im Zaum zu halten. Klar, es wird weiter für Ärger sorgen - aber mehr, als dass du Burgfrieden hältst, wird von dir ja nicht erwartet. Möglicherweise wird euer Verhältnis nie mehr so eng sein, wie es war. Aber du gehst ohnehin deinem eigenen Leben entgegen, das dich - ob du es willst oder nicht - ein wenig von deiner Mutter entfremdet. Besser, du weißt vorher, woran du bist. Wissen wir, ob sie morgen oder nächste Woche von ihrem neuen Partner getrennt ist? Ob das Ganze anhält? Und wie es zustande kam? Ich glaube, du willst es auch gar nicht wissen. Zumindest würde es deine Wut vergrößern. Es ist eine gerechte Wut, die man dir nachsehen kann. Die Trennung hat nun mal etwas zerstört, dass dir lange als unverbrüchlich galt. Jetzt weißt du nicht nur, dass es komplett vorbei ist, sondern dass deine Mutter ihren Mann (und ein Stück weit auch euch) ersetzt. Dieser physische Beweis - und wie gesagt, es war ein recht heftiger, selbst wenn Nacktheit für sie nicht das Tabuthema überhaupt ist -, dieser Beweis tut weh. Niemand erwartet von dir, dass du es verzeihst, oder dich mit ihrem neuen Freund gut verstehst. Worum es geht, ist nur, dass ihr auf Dauer halbwegs normal miteinander umgehen könnt. Also, deine Mutter und du. Was aus ihrer Beziehung wird, weiß man noch nicht. Klar gehören dazu zwei Seiten. Falls deine Mutter sich stärker von der Familie absetzen will, ist das genauso ihre Verantwortung - aber wir wissen es nicht. Ich sorge mich mehr, dass dir die Sache mehr schaden könnte, als sie es wert ist. Wenn du dich nämlich zu sehr in deine Wut hineinsteigerst, wird es dich nicht weiter bringen, sondern belasten. Wenn du die Möglichkeit hast, im Rahmen deiner Therapie das zu bearbeiten, möchte ich dir dazu raten. Denn die Rolle, die deine Mutter in deinem Leben spielt, hat ohnehin abgenommen. Ich fände es gut, wenn du ihr nicht soviel Platz zum Unguten einräumen müsstest. Das braucht Zeit und ist nicht einfach - aber es wäre in deinem Interesse.

An Weihnachten wird es nicht einfach, das kann sein. Es wäre doch aber irgendwie schade, wenn du dir das Fest auf Dauer verleiden würdest? Denk dran: Im nächsten Jahr kann wieder ganz was Anderes, Blödes kurz vor Weihnachten passieren. Aber was auch immer passiert, so wie jetzt das mit deiner Mutter, hat nichts mit Weihnachten an sich zu tun. Krass zwar, dass sich ausgerechnet zum Fest der Liebe solche Dinge ereignen. (In deinem Fall hält es ja schon etwas an.) Vielleicht ist es auch nur zu logisch, so angespannt wie alle sind. Aber der Wunsch, der sich mit Weihnachten verbindet, und was es dir bedeuten soll, sind unabhängig davon, was Andere daraus machen. Es wäre schön, wenn du auch in Zukunft versuchen könntest, einen "Weihnachtsfrieden" zu schließen, und dich ansonsten mit aller Kraft denen zu widmen, die du gern um dich hast. Sinn der Sache ist es nicht, dass du deiner Mutter etwas vorheucheln sollst. Aber wenn du Weihnachten in stiller Wut auf sie verbringst, und nicht wenigstens sagen kannst "Alles Gute!" (um dann doch zu tun, was dir gefällt), dann wird dich das Jahr für Jahr einholen. Und es war ein unglücklicher Zufall, was du erlebt hast, so schlimm es sich anfühlt und so richtig es ist, dass du es erfahren hast. Zwar ist es mehr als nachvollziehbar, dass du wütend bist. Es wäre aber ungerecht, würde dir dieses Erlebnis Weihnachten vergiften. Heute wie in Zukunft.

Ich wünsche dir trotzdem frohe Festtage und einen guten Start ins neue Jahr. Auch deine Mutter hat eine Verantwortung, die ihr nicht nachgesehen werden darf. Aber dir wünsche ich, dass du sie guten Gewissens lassen kannst, wie sie ist; du änderst es nicht. Ein Weihnachten, wie ihr es als Familie hattet, wird es so nicht mehr geben. Jedes ist anders, und für dich kündigt dieses Fest die Zeit an, wo du es viel mehr selbst gestalten kannst. Wäre es nicht toll, diese Chance zu ergreifen?

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul