Problem von Anonym - 17 Jahre

Motivationslosigkeit & Träumerei

Lieber KuKa,

ich liege in letzter Zeit sehr viel nur im Bett herum. Mein Leben ist langweilig, es git nichts, dass mich anspornt oder mir außerordentlich viel Freude gibt.
Ich bring es zu gar nichts. Es fällt mir schwer mich dazu zu motivieren, mein Zimmer aufzuräumen, das Bad zu putzen, Hausaufgaben zu erledigen etc.
Hobbies habe ich keine. Wenn ich nach Hause komme, lege ich mich meist gleich ins Bett und bleib da erst mal ein paar Stunden.
Ich fange an, mich in meine Phantasie hineinzusteigern. Während ich im Bett liege oder Ewigkeiten das Bad putze, denke ich mir praktisch mine eigenen Phantasiegeschichten aus, die ich dann auch richtig miterlebe, ähnlich wie einen Traum.
Nur das ich halt wach bin. Aber ich fange an wild herumzuspringen(wenn ich zB im Bad bin)un schließe die Augen, um mir alles richtig vorstellen zu können.
Gelegentlich flüstere ich vor mich her, meistens stelle ich mir aber nur gedanklich vor, dass ich in diesen "Träumen" etwas sage.
Ich habe erfundene Leute, die ich in meiner Phantasie, in diesen Tagträumen immer wieder treffe.
Ich verbringe echt viel Zeit praktisch woanders und komme mir etwas verrückt vor.

In meinem richtigen Leben finde ich einfach irgendwie nicht das was ich suche.
Ich bin eher introvertiert. Gegenüber anderen Leuten trau ich mich nicht so viel. Manchmal schon, aber wenn, dann mögen mich die Leute meist trotzdem nicht.
Ich fühle mich nutzlos und scheisse und als zu wenig.
Manchmal denke ich, dass ich mit meinem Leben vielleicht zufriedener wäre, wenn ich mehr Freunde hätteund mehr Sachen , die mir Spaß machen, mit ihnen unternehmen würde.
Ich bin total unfähig. Ich bin nicht mal in der Lage zu kellnern oder bei Burger King zu arbeiten. Ich kann mir in diesen Situationen nichts merken, nicht denken und wirke total dumm und hilflos wie ein Kind.
Meine sozialen Kompetenzen lassen echt zu wünschen übrig. Gerade wenn mich irgendwas beängstigt, komme ich total falsch rüber und beleidige andere, ohne es zu wollen, indirekt.

Ich weiß nicht, was ich machen soll. Bitte schreibt mir jetzt nicht" Geh raus, unternimm etwas, dass dir Spaß macht" oder "Du darfst nicht so denken, denk einfach anders". Für mich ist das alles nicht so einfach, wie das auf andere wirkt und für sie vielleicht wäre oder ist.

Vielen Dank fürs Lesen :)

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

du hast geschrieben:

"Ich fühle mich nutzlos und scheisse und als zu wenig. ... Ich bin total unfähig. ... und wirke dumm und hilflos wie ein Kind. ..."

Diese Sätze, die du in deinem Inneren bejahst, machen es dir sehr schwer, etwas zu verbessern. Lass mich doch mal aufzählen, was alles positiv ist:

Du erkennst dein Problem, dass du dich zurückziehst und antriebslos bist; du möchtest etwas ändern. Du hast eine ungewöhnliche, aber wirksame Strategie gefunden, die Zeit zu füllen, was immerhin für eine blühende Fantasie spricht - das ist eine große Gabe. Du tust dir zwar schwer damit, aber wenigstens putzt du das Bad und erledigst deine Aufgaben. Und wo nicht, bist du dir bewusst, dass es an dir liegt und dadurch ein Problem entsteht. Der Wille, etwas zu verändern, ist das Entscheidende; das Schwierigste ist für dich, herauszufinden, wie - und dich zu trauen.

Bevor du dich mit Gewalt zu irgendwas zwingst, musst du dir erst klar werden, was konkret deine Zeit füllen könnte. Also überleg dir doch erstmal, was für ein Hobby in Frage käme. Welche Sportart würde dich interessieren? Oder eher was Kreatives? Wo würdest du gerne mal hingehen, mit der Möglichkeit, Leute zu treffen? Hättest du Lust, dich sozial zu engagieren? Wenn du es nicht direkt weißt, also noch nicht anfangen kannst, ist das auch okay. Baue auf dieser Frage keinen Druck auf, sieh es als Spiel: Es ist spannend, den Wunsch nach Veränderung einzubringen, und tausend Möglichkeiten zu haben, die man zuerst sortieren muss. Was du gut kannst - und da gibt es sicher Einiges - weißt du, und wenn nicht, willst du es nicht wissen; verkauf dich nicht als wertlos und langweilig. Denn das bist du nicht. Das Leben wartet auf dich, aber es kann und darf noch lange warten, wenn du dich nicht bereit fühlst. Was immer du unter Zwang angehst - ob du selbst diesen Zwang bereitest, oder Andere -, kann dir nicht gut gelingen. Natürlich hast du Recht, es wäre sinnvoll, mehr Beschäftigung und einen Freundeskreis zu haben. Aber was immer du tust, musst du gern tun, damit es dich wirklich ausfüllen kann. Und nur dann wirst du Leute kennen lernen. Wenn die Zeit noch nicht gekommen ist, anzufangen, dann erkenne das an. Gib dir eine Weile, dich zu sammeln und zu ordnen. Sag nicht: "Es muss, und zwar jetzt!", sondern "Mal schauen - ich würde ja gerne, aber ich überlege noch..." Versuche, die Frage nach dem Was mit Neugier zu betrachten, nicht mit Zwang.

Deine Träume sehe ich nicht als Flucht, sondern als Vorbereitung auf das, was kommen wird, und was du dir wünschst. Du wappnest dich für neue Begegnungen, du testest dich aus, soweit es eben geht. Dass die Wirklichkeit immer anders, immer unvorhergesehen ist, weißt du selbst. Deswegen ist das, was du tust, um dich zu beschäftigen, noch lange nicht schlecht. Es ist sogar sinnvoll. Wenn du alles, was du dir ausdenkst, mit dem Vorwurf verknüpfst, komisch und abnormal zu sein, wirst du schwerlich auf einen grünen Zweig kommen.

Genau diese innere Haltung ist auch für Andere ersichtlich. Es kommt vor, dass man verletzt, ohne es zu wollen - dann kann man es klären. Ist die andere Seite dazu nicht bereit, hat sie eben Pech gehabt. Deshalb musst du dir nicht zum Vorwurf machen, dass dir das Normalste der Welt passiert ist. Da sind Dinge, die du erst oder noch erlernst, so wie wir alle noch lernen; wenn du von dir erwartest, gleich eine Kompetenz mitzubringen, die du nirgends erworben haben kannst, wirst du an dir selber scheitern. Habe den Mut, anzuecken - denn du probierst dich ja noch aus. Unter der Schale steckt eine interessante Persönlichkeit, und so unsicher und ungeschliffen sie auch wirken mag, ist es doch sichtbar: Da wartet jemand darauf, zu schlüpfen. Und du wirst sicher auch Geburtshelfer finden. Aber am ehesten dann, wenn du nicht den Anspruch hast, dass jeder, der an die Schale klopft, auch stehen bleibt. Das Eiküken kann noch keinen vollendeten Gesang ertönen lassen, es braucht Geduld und Nachsicht, und die kann es erwarten. Egal, ob es sieben Jahre alt ist oder siebzehn. Schäm dich nicht, denn du bist schwer in Ordnung; lass dir auf die Welt helfen, auch wenn es weh tut, und mancher Handgriff nicht sitzt.

Nachdem ich das geschrieben habe, hoffe ich, dass es nicht als ein "Denk einfach anders" rüber kommt. Ich sehe das Problem nicht in mangelnder Bereitschaft, anders zu denken. Sondern in genau den Schwierigkeiten, die du ausgemalt hast: Du nennst dich wertlos und gering, dein Wunsch muss dir als ein fernes Ziel erscheinen, das oben auf einem hellen Hügel thront. Du dagegen versinkst unten im Schlamm - und ich wünsche dir, dass du davon abkommen kannst, dich immer noch tiefer hineinzutreten. Was dir Schwierigkeiten bereitet, ist kein Beweis, dass du nutzlos wärst oder dumm. Höchstens ist es ein Beweis, dass du selbst dich dazu herabstufst, in deinem Denken. Du hast dir dein Problem nicht ausgesucht, und es kann niemand verlangen, dass du es sofort abschaffst. Dafür brauchst du auch Zeit, und einen Schutzraum. Ich denke, dass du dies erreichen könntest, wenn du den jetzigen Zustand nicht mehr als grundsätzlich schlecht ansiehst. Was tut es, ob die Welt um dich herum meint, dass du die Schritte, die du gehen möchtest, schon vor Jahren hättest gehen sollen? Jeder hat sein Tempo, jeder hat seinen Weg. Es gibt nichts, was man machen muss, oder zu einem bestimmten Alter und Zeitpunkt "gemacht haben sollte". Es ist dein Leben, und du kannst nur dann etwas daraus machen, wenn du es dir nicht diktieren lässt. Es ist dein Weg, und der ist gut. Erlaube dir, die nächsten Schritte zu überdenken, zu verwerfen, Irrwege zu gehen. Versuche, positivere Sichten zu entwickeln, aber fühl dich nicht aufgefordert, es hier und jetzt zu tun. Das ist nicht mein Ziel. Mein Ziel ist es, dir zu helfen, von deinen Zweifeln an dir selbst zu lassen. Zumindest ein Stückchen.

Ich weiß nicht, was dir helfen könnte, wenn du gar nicht in Betracht ziehst, dich selbst mehr zu schätzen. Das ist nicht mit einem "Klick - und weg!" zu machen, da hast du Recht; man muss sich Zeit lassen. Aber zu der grundlegenden Einsicht, dass du weder blöd noch nervig, noch inkompetent bist, sondern die Erfüllung deiner Wünsche tatsächlich verdienst, zu dieser Einsicht kannst nur du dir verhelfen. Ich möchte keine Forderung stellen - ich möchte dir mitgeben, dass du rundum okay bist. Und auch, wenn du dich an verschiedenen Jobs oder Hobbys versuchst, kannst du diese Haltung nicht mitbringen. Sie muss sich festigen - vielleicht schmerzhaft - und wird immer wieder mal erschüttert werden. Aber deshalb bist du nicht zurückgeblieben, nicht weniger wert. Du bist im Gegenteil sehr reflektiert und selbstkritisch, das sind gute Eigenschaften. Aber es wäre schade, wenn sie dir auf Dauer im Weg stünden. Was meinst du, gibt es nicht doch Hoffnung? Wenn du ein bisschen freundlicher mit dir umgehst?

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul