Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

ich danke dir für deine Offenheit und dein Vertrauen in uns. Ich kann wirklich gut verstehen, dass dieses Erlebnis dich beschäftigt. So etwas zu verarbeiten, ist sehr, sehr schwer. Immerhin ist es gut, wenn seitdem nicht so Schlimmes mehr passiert ist. Hat dein Bruder denn öfter solche Ausfälle? Du hast zwar geschrieben, dass es ein Problem von ihm ist. Aber das allein entschuldigt ihn ja nicht. Leider wirst du nicht darum herum kommen, mit deiner Mutter zu reden, wenn es sich bessern soll.

Vielleicht möchtest du nicht direkt mit deiner Mutter sprechen, das ist verständlich. Gibt es denn jemand in eurer Verwandtschaft, dem du dich anvertrauen könntest, und der oder die mit deiner Mutter reden könnte? Oder eine Freundin der Familie? Das wäre auch sinnvoll, falls du etwas Angst hast, dass sie dir nicht glaubt. Andererseits ist es ja bekannt, dass dein Bruder dieses Problem hat - oder? In jedem Fall darf sowas nicht mehr passieren. Ein Gespräch bildet den ersten Schritt, um etwas dagegen zu unternehmen. Dein Bruder muss merken, dass so ein Verhalten nicht geht, und dass er kein Recht hat, dir sowas anzutun. Darüber hinaus hast du ja Angst, dass es wieder vorkommen könnte? Ich glaube dir, dass du nichts lieber möchtest, als es einfach vergessen. Doch diese schlimme Situation macht dich immer noch fertig, und das ist nicht gerecht. Es wäre auch viel zuviel verlangt, wenn man sagen würde: "Vergiss das doch einfach." Denn sowas geschieht nicht einfach mal so, es ist wirklich grausam. Ob dein Bruder sich bewusst war, was er tut, oder nicht: Es muss gesagt werden. Du solltest offen erzählen, was vorgefallen ist, und dass du weiter darunter leidest. Zwar wird es nicht einfach werden - aber sobald es raus ist, geht es dir schon etwas besser.

Richte deinen Schmerz lieber nicht gegen dich selbst - denn dir ist Leid zugefügt worden, du hast das nicht verdient. Dein Todeswunsch zeigt, wie dringend es ist, dass all das ans Licht kommt. Ich fände es wirklich schade, wenn du dich weiter so quälen müsstest, denn du kannst nichts dafür. Glaub mir, alles kann besser werden, wenn du es erst geschafft hast, davon zu berichten. Man wird dir anmerken, dass du es nicht einfach so erzählst - so wie auch ich es merke. Deine Mutter liebt auch dich und wird auf dich hören, es ist ja im Interesse der ganzen Familie. Da ist noch so viel, was du im Leben erreichen, und woran du Spaß haben kannst. So viele Leute, die entsetzlich traurig wären, wenn du nicht mehr da wärst. Ich bitte dich wirklich, dir nichts anzutun. Denn es wäre furchtbar, würdest du gehen wegen dieser Sache, die du nicht gewollt hast.

Ich wünsche dir, dass du die Weihnachtstage möglichst ruhig verbringen kannst. Und ich bin mir sicher, dass du die richtigen Worte findest, um von diesem Erlebnis zu erzählen. Sei dir stets im Klaren, dass du im Recht bist. Ganz egal, ob er dein Bruder ist, und ob es ein Problem von ihm ist, dass er sich nicht unter Kontrolle hat. Er darf so etwas nicht tun, es ist nicht okay. Ich wünsche dir viel Mut und Kraft, um darüber zu sprechen, und dass du dich bald sicherer fühlst.

Alles Gute, Frohes Fest und Liebe Grüße,

Paul