Problem von Mareike - 17 Jahre

Ich hab Angst vor mir selber

Ich weiß ehrlich gesagt nicht wo ich anfangen soll. Es ist irgendwie alles so durcheinander , letztes Jahr im August hatte ich meinen Abschluss an der Hauptschule. Ich hab dort meinen Realschulabschluss gemacht und war auch echt stolz da alle gesagt haben ich schaffe das nicht. Aber ich hab es geschafft mit echt guten Noten! Nur seid September geht es irgendwie nur noch Berg ab. Ich arbeite jetzt, sechs Tage die Woche in einem Betrieb der mir nicht gefällt aber ich versuche die Zähne zusammen zu beißen da ich das Geld brauche. Nur mittlerweile habe ich das Gefühl es stimmt etwas nicht mehr mit mir? Ich bin immer müde und so hat es angefangen, ich war immer müde und hatte keine Lust in der Berufsschule meine Hausaufgaben zu machen. Ich hatte keine Lust mehr meine Freunde zu sehen oder meine Familie. Ich hab mich einfach nur noch in mein Bett gelegt und geschlafen. Für mich war das so eine Sinnlosigkeit überhaupt noch aufzustehen es interessiert keinen. Für andere geht der Tag ja trotzdem weiter. ich hab dann immer öfter angefangen zu weinen ohne Grund. ich hab über nichts nachgedacht und dann brach es einfach so heraus? Es ging dann soweit das ich auch keine Lust mehr hatte zu leben. Ich hab versucht mich zu übergeben weil ich wollte das die Übelkeit verschwindet. Und im November Anfang Dezember bekam ich dann eine Panik Attacke. Ich hasse es raus zu gehen , mit Menschen zu reden. Ich hab das Gefühl jeder starrt mich an und lästert über mich auch wenn mich niemand ansieht. Ich denke dann immer was wenn ich einen Fehler mache oder mir was peinliches passiert? Jeder würde mich auslachen. Nur egal wem ich das erzähle jedes mal höre ich das ist eine "Kopfsache" ich hab das Gefühl alle denken ich sei verrückt? Aber ich zwinge mich nicht zu diesen Gedanken. Ein paar von meinen Freunden hab ich schon seit dem Abschluss nicht mehr gesehen. Es kommen immer Sachen wie "ich muss lernen" jedesmal? Ich arbeite und gehe auch noch zur Schule ich muss auch lernen, dann sehe ich diese Leute immer auf Party Fotos mit deren neuen Freunden. Ich fühle mich oft einfach wie eine zweite Wahl oder eine Notlösung. Andere hätten diese Freundschaft schon längst beendet, ich hab Angst diesen Menschen weh zu tun. Ich hab einfach Angst das ich alleine ende, und so wie es mir jetzt geht kann ich nicht in den Spiegel sehen ohne mich zu hassen. Ich weiß einfach nicht mit wem ich noch reden soll.

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Mareike,

letztes Jahr im Mai habe ich mein Abi gemacht. Davor war es selbstverständlich, die Mitschüler jeden Tag zu treffen. Wir haben miteinander geredet und Sachen unternommen, weil wir es gar nicht anders kannten. Von den vielen Freundschaften waren einige, die immer halten werden; viele sind sich aber auch fremd geworden, wo man es nie gedacht hätte. Es ist seltsam: Jahrelang stand es außer Frage, wer mit wem und wie eng. Heute gehen alle ihre eigenen Wege, und nicht wenige reisen irgendwo in der Welt herum. Mit einem Wort: An die hundert Leute, die eine Stufe waren, haben alle gemeinsam, stillschweigend entschieden, dass jeder erstmal seiner Wege gehen muss. Und viele gute Freunde, so sehr sie sich bemühen, halten es doch nicht so lange und viel miteinander aus, wie das vorher der Fall war. Neulich erst erzählte ich einem Lehrer, der meine alte Klasse ziemlich gut kannte, genau das. Er lächelte hintergründig. "Das ist immer so", sagte er zu mir.

Ich möchte das aufgreifen, was du eingangs geschrieben hast. Du kannst dir wirklich auf die Schulter klopfen: Du hast eine große Leistung vollbracht. Und auch wenn du das, was du jetzt machst, nicht den Rest deines Berufslebens ausüben möchtest, ist es doch sinnvoll, wenigstens etwas zu tun. Es steht dir ja frei, dich nochmal woanders umzuschauen. Aber im Augenblick ist es besser für dich, wenigstens etwas zu tun zu haben, und Geld zu verdienen. Mit einer Ausbildung in der Tasche lässt sich doch mehr anfangen, als wenn du das Begonnene jetzt aufgibst? Es ist keine einfache Zeit. Und das liegt nicht etwa daran, dass "Lehrjahre keine Herrenjahre sind". Sondern daran, dass für dich mit der Schule etwas Vertrautes und Gewohntes geendet hat, mit festen Abläufen und Gesichtern. Bei allem Streit, den es vielleicht mit Mitschülern gab, bei allen Freundschaften, die gewechselt haben, und allem Ärger mit Lehrern - man hatte doch immer das Gefühl, das irgendwie einschätzen zu können, oder? Jetzt hat dich das Leben voll im Griff. Du hast deinen Abschluss gut gemacht, und das gegen die Erwartungen Anderer. Das darf dich wirklich sehr stolz machen. Nun aber solltest du dir auch erlauben, ein wenig verunsichert zu sein, und nach dem Sinn zu fragen. In der Schule wird einem mehr Verantwortung genommen, als man manchmal sehen mag - auch, was Aufgaben betrifft, die im Beruf ständig wechseln, und von deren Ausgang vielmehr abhängt. Dass du dich letztens Jahr noch in die Arbeit gekniet hast, verpflichtet dich nicht, jetzt immer weiter "zu beißen"; durch den großen Wechsel, der sich vollzogen hat und noch immer vollzieht, ist etwas Unsicherheit (und auch Angst) nicht fehl am Platz. Du tust dir selbst den größten Gefallen, wenn du dich dafür nicht hasst. Denn bei allem, was dich beschäftigt, hast du deine Aufgaben und selbst gesetzten Ziele doch immer gut bewältigt, und einen Sinn für die Wirklichkeit bewiesen. Deine Arbeit zeigt genau das, auch wenn du sie nicht liebst. Und nichts als Aufgeschlossenheit und Tiefsinn sprechen aus deinem Text. Sei etwas freundlicher zu dir. Wenn du dich selbst nicht überzeugen kannst, dich nicht zu hassen - kannst du es von mir annehmen?

Von dir hat eine Art Schüchternheit Besitz ergriffen, eine Angst, peinliche Situationen zu erleben, und nicht zu genügen. Ein bisschen ist es, als wäre man wieder ein Kind, das manche Dinge zum ersten Mal selbst tut. Aber das ist kein Beinbruch, sondern ein Zeichen der Umstellung, für das du dich nicht verdammen musst. Wichtiger ist es, sich kleine Dinge vorzunehmen, und immer neue, nicht allzu schwere Ziele zu setzen, und diese zu erarbeiten. Dazu zählen Unternehmungen, Einkäufe und Anrufe, die es dir wieder zur Gewohnheit werden lassen, nicht mehr bei allem zu denken: Huch, wie wirke ich bloß? Man neigt dazu, sich selbst im Alltag der Menschen größeres Gewicht zu geben, als man hat. Aber die vielen Leute, mit denen man es zu tun hat, sehen unzählige Gesichter, so wie man selbst; man ist nur das kleinste und am wenigsten komplizierte. Man tut nichts Verbotenes, man ist nicht peinlich; die Scham, die man fühlt, wächst in einem selbst. Weil man glaubt, jeder würde nur darauf warten, dass man ein Zeichen der Schwäche zeigt. Das ist aber nicht so. Stattdessen deutet man in jedes Zucken der Mundwinkel, und jeden komischen Blick ein Zeichen der Missbilligung - der Missbilligung von sich selbst, als Person. Versuche, dich in kleinen Schritten und Portionen dem auszusetzen; denn helfen kann dir nur, es zu üben. Aber wenn du gleich aufs Ganze gehen willst, und dich für etwas ablehnst, das verzeihlich ist, wirst du dir am wenigsten helfen.

Wenn du eine große Müdigkeit fühlst und lieber im Bett bleiben möchtest, ist das nicht grundsätzlich schlecht. Denn es kostet dich auch Kraft, soviel auszuhalten. Jedoch, je mehr man im Bett liegt, statt seine Probleme anzugehen, desto mehr wachsen sie in einem. Die Decke über dem Kopf kann es kurze Zeit ausblenden, was einen quält; aber wenn man aufsteht, ist nichts verschwunden, sondern nur gewachsen. Das ist dann eine kleine Depression, die du am besten bekämpfst, wenn du versuchst, diese Phasen des Rückzugs zu begrenzen: Zum Beispiel, nur zu einer bestimmten Zeit tagsüber zu schlafen, und nicht so lange. Lieber irgendwas zur Hand nimmst, aufräumst oder einen Spaziergang machst, ein bisschen dein Zimmer verschönerst, statt dich zu verkriechen. Zwar ist das verständlich, aber es nimmt die innere Angst und Unruhe nicht von dir, sondern gibt ihr zusätzliche Nahrung. Wenn sich gerade niemand findet, um etwas zu unternehmen, muss das nicht heißen, dass du die letzte Geige spielst; vielen geht es vielleicht ähnlich wie dir! Stempel dich nicht selbst zum Versager, nur weil du nicht auf das größte Interesse stößt: Denn es liegt nicht an deiner Person, es sind einfach die Umstände, die gerade herrschen. Und wenn du ehrlich bist, würde die Auseinandersetzung mit dem anderen, vermeintlich schöneren Leben der alten Freunde doch noch mehr weh tun, wenn du sie ständig um dich hättest, oder? Viele Freundschaften, die sie jetzt schließen, werden nicht halten. Und viele Erlebnisse nicht beständig sein. Jeder hat seine Art, diese Zeit im Leben zu bewältigen. Du eher eine stille, nachdenkliche, sie vielleicht eine wilde und ungestüme, die ihre inneren Zweifel verbergen soll. An dir ist nichts Falsches; du hast stets das Richtige getan, und nichts Unverständliches, und tust es noch immer.

Hab keine Angst vor dir selbst, denn du wirst nicht zum Zombie. Der Schmetterling ist am Schlüpfen, und das geht nicht einfach. Ich kann dich aber nur ermutigen: Suche nach Ausgleichen und Bewährungsproben, um deinen Gefühlen besser begegnen zu können - und werte dich nicht ab für etwas, das nicht schlimm ist. Das sagt sich einfach, ich weiß - aber ich hoffe, dich wenigstens etwas beruhigen zu können. Ich wünsche dir, dass es dir bald besser geht und du in diesem Jahr erreichen kannst, was du dir wünschst.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul