Problem von Betty - 20 Jahre

Bitte helft mir!

Liebes Ku-Ka Team,
ich hoffe, ihr könnt mir weiterhelfen. Es gibt eine Sache, die mich sehr bedrückt. Ich war schon immer recht schüchtern und zurückhaltend, was jedoch nie ein großes Problem war. Doch in letzter Zeit frage ich mich oft, ob das noch normal ist. Normalerweise geht man in meinem Alter auch gerne mal abends weg oder war schon mal in einer festen Beziehung. Leider ist dies bei mir nicht so. Ich finde es furchtbar und belastend, abends auszugehen, stattdessen verbringe ich meine Zeit lieber daheim in meinem Zimmer (Ich muss dazu sagen, dass ich bisher auch noch nicht die richtigen Freunde gefunden habe). Auch hatte ich noch nie ansatzweise einen festen Freund, was mir schon ein bisschen zu denken gibt. Bei vielen Themen merke ich, dass ich inzwischen gar nicht mehr mitreden kann. Ich habe insgesamt eine große Angst vor der Zukunft und vor dem Erwachsenwerden. Am liebsten würde ich immer noch ein Kind sein. Während die anderem dem 20. Geburtstag nur so entgegenfiebern, habe ich mich lieber verkrochen und gedacht, dass eine Welt zusammenbricht. Ich besitze z.B. noch immer Kuscheltiere, die ich auch nie hergeben würde und finde Sachen toll, die eigentlich in meinem Alter nicht mehr interessant sein sollten.
Ich merke langsam, wie sich das alles negativ auf mein Hobby auswirkt. Ich betreibe Tennis als Leistungssport und hatte eigentlich immer Spaß daran, doch seit einiger Zeit wirken sich meine Schüchternheit und meine Sorgen auch auf dem Platz aus. Manchmal bin ich so ungeduldig und nervös, dass ich am liebsten sofort vom Platz verschwinden würde, obwohl ich mich doch eigentlich darauf gefreut hatte. Ich bin momentan echt verzweifelt, weil ich merke, dass ich Spiele verliere, die ich normalerweise locker gewinnen müsste. Der Spaß schwindet langsam auch so dahin.
Ich hoffe, ihr könnt mir eine Anregung geben, wie ich da wieder herauskomme, denn die ganze Situation zieht mich echt tief runter. Vielen Dank schon mal!

Liebe Grüße
Betty

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Betty,

in deinem Text meine ich eine rote Linie zu sehen: Du schreibst sehr ehrlich und analytisch über deine Gefühle, und gleichzeitig nennst du sie nicht altersgemäß und unrichtig. Das, was dich bewegt, hast du zwar erkannt; aber was es dir zusätzlich schwer macht, damit umzugehen, ist deine Beurteilung, dass alles, was du nicht bist und fühlst, "normal" wäre. Jetzt frage ich mich (und dich): Warum denn eigentlich?

Du bist eine junge Frau von 20 Jahren, und es ist keine Schande, mit einer gewissen Unsicherheit und Angst in die Zukunft zu sehen. Ich sage es dir ja auch nicht als gereifter Mann, sondern ich bin auch nicht älter, und kenne das Gefühl. Wann man erwachsen ist, lässt sich sehr schwer eingrenzen. Es gibt Leute von 50 Jahren, die zweifellos erwachsen sind, wenn man nach dem Alter geht. Es gibt Leute, die sind 30 und wissen noch nicht mehr, als vor zehn Jahren. Du stehst im Moment in einer Phase des Übergangs, in einer Grauzone zwischen dem, was Kindheit und Schule bedeutet haben - bei allem Ärger, auch Sicherheit, Struktur und Verlässlichkeit - und dem, was man "selbstbestimmtes Leben" und "die weite Welt" nennt, "Karriere" und "Weg zum Erfolg": Kurz, alles, was wir uns unter Erwachsen-sein vorstellen. Diese Begriffe, die ich genannt habe, sind sehr übliche Bilder dafür, und dennoch treffen sie nicht ganz zu. Denn sie erheben den Anspruch, dass die geistige Entwicklung mit etwa 20 abgeschlossen sein müsste, alle kindlichen Ängste und Fragen überwunden und abgestreift; dass das nicht gehen kann, ist nur logisch. Hier hat die Gesellschaft eine Forderung, die der Mensch nicht erfüllen kann. Betrachtest du es wirklich als erstrebenswert, vollkommen gefestigt und abgeklärt, einem exakt geplanten Leben entgegen zu gehen? Oder wäre es dir nicht lieber, dir erlauben zu können, hin und wieder zu zweifeln? Angst zu haben, und sagen zu dürfen: Ich will jetzt nicht! Ich kann das noch nicht! Ich verstehe das nicht! Ich habe jetzt keinen Nerv dafür! Zutiefst kindliche Sätze und Bedürfnisse, die doch ihr Recht haben, und nie verloren gehen sollten. "Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch", resümierte einst Erich Kästner. Und es zeigt sich, dass das zum Besten der Menschen ist. Vor diesem Hintergrund hat alles, was noch aus der Kindheit rührt, und dir Sicherheit gibt, seine Berechtigung, nichts ist überholt. Würde es dir was nützen, die Kuscheltiere in einen Sack zu stecken, und weg zu werfen? Alles abzulehnen, was du doch gern hast? Nicht wirklich, oder? Die Anderen fiebern dem 20. entgegen, weil sie das Erwachsen-sein an Zahlen festmachen; du dagegen hast innerlich erkannt, dass das nicht geht. Es ist für dich der Übergang in ein neues Jahr, was aber nicht magisch einen neuen Menschen aus dir macht, sondern ein Feld eröffnet, einer zu werden. Älter werden ist nicht nur, mehr Freiheit zu kriegen, sondern auch, mehr Verantwortung tragen zu müssen. Ersteres haben sie vor allem im Blick, das Zweite du. Und beides ist doch gut so, oder? Aber auf lange Sicht gewinnst du mehr.

Du hast geschrieben, dass es für dich eine Belastung darstellt, abends auszugehen. Das, was in der Tat für viele in unserem Alter normal, und mit keiner besonderen Grenzerfahrung mehr verbunden ist: In Clubs und Discos zu gehen, abzutanzen und zu feiern. Ich verrate dir was, mir geht es nicht anders als dir. Die Frage ist jetzt: Willst du das, was ein großer Teil der Anderen macht, zur Norm erheben, und dir einreden, das sei richtig und erstrebenswert? Oder krass ausgedrückt, wer das nicht tut, der hätte nie gelebt, und wäre nie jung gewesen? So ist oft die Begründung derjenigen, für die das zum Standard gehört. Es ist ein Weg, sich zu entwickeln, aber nicht der einzige, und nicht für jeden richtig. Wenn du es als unangenehm empfindest, was liegt daran? Du musst es nicht, und wenn es dich stört, entgeht dir auch nichts. Du tust dir einen größeren Gefallen, dahin zu gehen, wo du es interessant findest, und einschätzen kannst, was dich erwartet. Dinge mit Druck und innerem Widerstand, Scham und Belastung zu machen, die dir nicht gefallen (was ja noch nicht heißt, dass das immer so bleiben muss), das wird dir nichts nützen. Ich habe den Wunsch für dich, dass du dich frei machen kannst von dem, was angeblich "normal" und "die Regel" ist; dass du mehr die sehen kannst, die jetzt für dich im Schatten stehen, und denen es ähnlich geht wie dir. Es ist keine Schande, noch keine feste Beziehung gehabt zu haben, und nicht gerne weg zu gehen. Nur: Hast du insgeheim den Wunsch, du wärest freier und mutiger und belastbarer? Wünschst du dir einen Freund? Wenn dem so ist, wirst du am ehesten dahin kommen, wenn du dich nicht unter Druck setzt. Wenn du dich darauf konzentrierst, was dir Spaß macht. Wo du nicht mit dem Herzen dabei bist, das wird dir nicht gut tun. Erlaube dir, zuhause zu bleiben, wenn du darauf mehr Lust hast. Du wirst Möglichkeiten finden, Leute kennen zu lernen und interessante Erfahrungen zu machen - wenn es aber keine Clubs sind, was liegt daran? Zuerst muss es dir gefallen, und niemandem sonst. Ideen, was, und die Lust dazu, werden sich am besten einstellen, wenn du nicht das, was dir eigentlich Bauchschmerzen bereitet, als einzigen Weg betrachtest.

Ähnlich ist es in deinem Sport: Du stehst Spielgegnern gegenüber, die auch keine perfekten Menschen sind; sie tragen nur eine andere Maske, hinter der sie ihre Zweifel und Unsicherheiten verstecken. Diese Maske ist vielleicht aggressiver, härter, unnahbarer als deine - aber der Knackpunkt findet bei dir statt. Wenn dein Gegner auf den Platz tritt, meinst du die Ruhe und Sicherheit selbst zu sehen; eine strahlende Figur, die vor Normgerechtigkeit strotzt, und mitnichten gegen die Ängste kämpft, die dich plagen. Noch bevor du aufgeschlagen hast, hast du das Spiel innerlich verloren gegeben, weil du dich vor der Normalität verneigst, die keine ist. Deine Spiele sind jedoch das Aufeinandertreffen von zwei Wegen, von jemand anders mit dir, die genauso viel wert ist, und eben nur ihre ganz eigenen Ängste und Denkweisen mitbringt. Die Angst des Gegners ist anders gestaltet, seine Zweifel verarbeitet er oder sie anders, seine Unsicherheit findet - vielleicht - auf anderen Feldern statt; und trotzdem sind sie da. Es mag sein, dass du dem Tennis gerade nicht den Raum geben kannst, den es verlangt, wenn du es als Leistungssport betreibst. Dann wäre die Frage, ob es möglich ist, dir eine Auszeit zu geben, oder lieber die Spiele durch reines Training auszugleichen, bei dem du zur Ruhe kommen, und deine Fähigkeiten neu entdecken kannst. Denn du bist ja keine schlechtere Spielerin geworden, aber du hinterfragst viel mehr, was in dir eigentlich auf dem Platz steht, und ob "die Komische da" das Match gewinnen kann. Dadurch wirst du fahriger und spielst nicht mehr so offensiv, wie du es gewohnt warst. Natürlich kann es leicht passieren, dass du so immer weiter in deine Zweifel rutschst: Schlechtes Spiel, weniger Selbstbewusstsein; und immer so weiter. Du weißt am besten, ob es für dich Sinn macht, so weiter zu verfahren, oder ob du besser den Leistungsdruck etwas rausnehmen solltest. Soweit das geht. Es nützt dir ja nichts, im entscheidenden Moment immer nervös zu werden, weil du zwar am Spiel weiterhin Spaß hast, aber die Person, die es zu schlagen gilt, nicht mehr so siehst, wie du sie früher gesehen hast. Was ja keineswegs bedeutet, dass es so bleiben wird.

Es ist okay, dass du dich zurückziehst - aber du solltest darauf achten, weiterhin unter Menschen zu kommen, und einen Ausgleich zu deiner inneren Ruhelosigkeit zu suchen. Du musst nicht abends ausgehen, aber gut wäre es, sich ab und zu was vorzunehmen, einfach nur, damit du weißt, dass es geht. Dein Ziel sollte es sein, das zu tun, was dir gefällt, und auf dich zu achten, wann dir etwas zu viel wird. Wo du nicht mit dem Herzen zustimmst, das kann dich nicht glücklicher machen. Was es nicht mit sich bringen sollte, ist, dass du dich völlig einigelst und innerlich abwertest. Daher, mach dir einen Plan, worauf du Lust hast, und nimm dir regelmäßig was vor. Versuche, den Sport in eine Form zu bringen, die es für dich angenehmer macht, und etwas den Druck raus nimmt. Denn deiner spielerischen Leistung ist auch so nicht geholfen, wie es jetzt läuft, falls es anhält. Ich glaube aber, dass, wenn du es planmäßig angehst und dich nicht so unter Druck setzt, du schon bald aufgeschlossener sein wirst. Vergiss dabei nie: Man lernt nie aus! Wer jetzt glaubt, erwachsen zu sein, ist das am wenigsten. In dieser Hinsicht bist du sehr viel reifer und näher an der Wirklichkeit, als viele es sind. Dazu, und zu deiner realistischen Einschätzung und klaren Beschreibung, was dich umtreibt, kann ich dich nur beglückwünschen. Das wird was - hab Vertrauen, dass was draus wird.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul