Problem von Lena - 17 Jahre

Freiheit mit Verantwortung

Noch zwei Monate, dann bin ich endlich frei, volljährig, verantwortlich. Und ich habe Angst davor.
17 Jahre lang wurde ich von den Eltern unterdrückt. Ich wurde geschlagen, mit voller Absicht psychisch zerstört und wenn ich sie darauf anspreche, ihre Gründe für ihr strikt autoritäres Verhalten genannt haben möchte, sprechen sie mich schuldig. Sie verdrehen meine Aussagen, sagen mir, ich würde sie verleumden - gegenüber Freunden, Bekannten, der Schule. Sie haben es geschafft, dass ich meinen eigenen Erinnerungen nicht mehr traue - jeden Tag frage ich mich, welche Schuld ich daran trage, wie groß sie ist, was ich hätte verhindern können.
Sie akzeptieren mich nicht mehr als Familienmitglied - genauso wie meine acht Jahre ältere Halbschwester (sowie mein Halbbruder), die (so wie ich in naher Zukunft) mit 18 Jahren aus dem Haus geworfen wurde. Den einzigen Kontakt zu ihr, den mir die Eltern nicht verbieten können, findet über Facebook statt. Wir wohnen im Osten - sie im Westen, so weit wie möglich weg von dieser Familie.
Es begann letztes Jahr, als ich den Eltern eröffnete, dass ich mit 18 Jahren ausziehen wollen würde. Ich nannte ihnen Gründe der fehlenden emotionalen Bindung, Kommunikation, des fehlenden Verständnisses gegenüber meinen Bedürnissen, des gestressten, lauten Klimas, der einschnürenden Hierarchie. Sie waren schockiert und enttäuscht von meinen Vorwürfen, die ich zuvor nie so ausgesprochen hatte - sich als Kind gegen seine Eltern zu richten, vor allem wenn man noch unter einem gemeinsamen Dach zu leben hat, ist reichlich schwer.
Sie wollten mir für den Fall des Auszugs ein wenig Unterhalt zugestehen: 300 € im Monat für Wohnung, Nahrung, alles. Ich erkundigte mich, und auch das Jugendamt stimmte mir zu: Ich habe Anspruch auf 670 €, sobald ich 18 Jahre alt bin und ich Gründe habe, die den Auszug rechtfertigen. Darunter zählen bspw. die Kamera in der Wohnstube oder auch das Verbot, dass Mutter gegenüber meinem Freund (mit dem ich mittlerweile ein Jahr zusammen bin) verlauten ließ, dass er das Grundstück nicht betreten darf (als ich fragte, warum, sagte sie (wie immer), "weil ich die Mutter bin").
Bis heute sagen sie mir, ich hätte Unrecht, doch trotz dessen wollen sie mir das Geld überlassen - damit der "Terror" endlich aufhört.
Nun stehe ich vor vielen neuen Herausforderungen: Während ich mein Vor-Abitur schreibe, muss ich eine Wohnung finden, aus- und einziehen, ein neues Konto eröffnen, meinen Führerschein machen ... und - über alldem schwebend - die Eltern ertragen, wie sie mir mit ihren sarkastischen Bemerkungen über alles, was passiert, diesen sowieso schon stressigen Lebensabschnitt zur Hölle machen.
Wenn ich ihnen begegne, bin ich entweder stumm oder gleichgültig. So kenne ich mich nicht und so möchte ich nicht sein, aber jede Gefühlsregung, jedes Wort wird gegen mich verwendet - ich habe solche Angst vor diesen Menschen. Diese Menschen, die mich abgerichtet haben wie Hunde. Diese Menschen, die mich nie ernst genommen haben. Diese Menschen, die ein perfektes Kind verlangen (ich habe nie Unrechtes getan, habe einen Schnitt von 1,4) und es wohl nie erhalten werden. Diese Menschen, die zu allem imstande sind.

Ich wollte diesen Teil meines Lebens erzählen, damit er nicht mehr ganz so schwer auf meinem Herzen liegt, mich nicht mehr so stark bis in die Nacht hinein plagt. Und ich hoffe auf eine baldige Antwort.

Die Arbeit, die das Kummerkasten Team hier leistet, finde ich bemerkenswert. Es ist so schön mit anzusehen, was ein bisschen Zuhören, Verständnis und einige Worte bei einem Menschen ausrichten können. Vielen Dank für die Hilfe!

Liebe Grüße, Lena

Delia Anwort von Delia

Hallo liebe Lena,

schön, dass du uns geschrieben hast.
Es ist absolut verständlich, dass du Angst hast und dass du noch gar nicht so genau weißt wie du dein Leben alleine regeln sollst. Vor allem wenn du dich nebenbei noch um dein Abitur kümmern musst. Ich versichere dir aber, dass es funktionieren kann. Ich sage nicht, dass es einfach oder nicht stressig wird, aber es ist auf jeden Fall möglich.

Eine Wohnung zu finden ist leider nicht so einfach wie man es gerne hätte. Hast du denn schon angefangen? Informiere dich am besten frühzeitig im Internet über mögliche Wohnungsangebote und mit welchem Preis du ungefähr zu rechnen hast. Die Mietpreise selbst sind sehr unterschiedlich und auch abhängig davon ob du z.B. in einer Großstadt oder auf dem Land wohnst. Von daher gibt es in der Kategorie keine universellen Aussagen, die man treffen könnte. Da hilft nur vergleichen und sich anschließend Wohnungen persönlich anschauen.

So ein Umzug an sich ist natürlich auch erst einmal stressig, vor allem wenn man die neue Wohnung erst renovieren muss. Das kostet Kraft und Nerven und natürlich auch Geld, aber wenn man nicht in jedem Raum die schicksten Farben oder die tollste Tapete haben möchte, ist auch das in der Regel kein Problem. Das sind alles Sachen, die man lernt wenn man das erste Mal umzieht und am Anfang klappt vielleicht nicht alles so wie man es sich anfangs gewünscht hat, aber man kommt zurecht und lernt, sich seine Wohnung so einzurichten, dass man sich wohlfühlt.

Solche Aspekte wie Konto eröffnen, sich ummelden (am besten so schnell wie möglich nach dem Umzug), Telefon/Internet anmelden ect. sind eher Kleinigkeiten, die an sich nicht viel Zeit kosten. Wichtig ist nur, dass du dich nach den Öffnungszeiten der diversen Stellen erkundigst.

Momentan ist für dich alles ein riesen großer Berg an Aufgaben und du weißt gar nicht genau wie du ihn bewältigen sollst. Das ist aber im Falle eines ersten Umzugs normal und du wirst während des Umzugs merken was du noch brauchst und was für dich das beste ist. Lass dich davon also nicht zu sehr runterziehen.
Du wirst wahrscheinlich am Anfang auch noch nicht alle Sachen beisammen haben wie z.B. Kochgeschirr, Möbel und so weiter. Auch das ist normal und mit der Zeit kauft man sich immer mal wieder etwas dazu was man so braucht. Glaube also nicht, dass nach dem Umzug alles sofort fertig sein muss.

Jetzt mal zu der Beziehung zu deinen Eltern: Dass sie sich bereit erklärt haben, dir deinen Unterhalt zu bezahlen, ist auf jeden Fall schon einmal eine gute Basis. Ich drücke dir die Daumen, dass es zumindest in der Hinsicht keine Probleme geben wird.
Es ist wirklich schade, dass du unter solchen Bedingungen aufgewachsen bist und dich dadurch so beeinträchtigt fühlst. Ich kann deine Situation nicht bewerten, aber ich kann verstehen, dass du deinen Eltern gegenüber jede Menge aufgestaute Emotionen hast und es eine Menge gibt, die dich beschäftigt. Wenn du ausziehst, wird sich dieser Teil deines Lebens nicht einfach erledigen, er wird nicht verschwinden oder sich auflösen. Vielleicht wird er mehr in den Hintergrund rücken, aber er wird trotzdem immer da sein und auf gewisse Art und Weise dein Handeln beeinflussen.
Deswegen möchte ich dir ans Herz legen, deine Gefühle und Gedanken nicht zu verdrängen, sondern dich damit zu beschäftigen. Natürlich nicht ständig und auch nicht direkt nach deinem Einzug, sondern im Laufe der Zeit wenn du dich dafür einigermaßen bereit fühlst. Setz dich damit auseinander, wie du dich in deiner Familie gefühlt hast, wie deine Verwandten mit dir umgegangen sind und was du aus der ganzen Situation gelernt hast.
Und wenn du merkst, dass du diese ganzen Geschehnisse nicht selbst verarbeiten kannst, dass du immer noch unter ihrem Einfluss stehst, dann scheue dich bitte nicht davor, dir professionelle Hilfe in Form eines Therapeuten zu suchen um mit ihm oder ihr gemeinsam deine Vergangenheit aufzuarbeiten.

Du hast dich selbst metaphorisch als einen Hund beschrieben, der von deinen Eltern abgerichtet wurde. Du hast sicherlich deine Gründe dich selbst so zu bezeichnen, aber ich kann dir versichern, dass du genau das nicht bist. Vielleicht wurdest du so behandelt, aber ich lese aus deinen Worten Selbstständigkeit, Stolz und Intelligenz heraus. Dein Wille wurde nicht gebrochen und du wirst lernen, dich so zu verhalten wie du selbst es gerne möchtest.
Und wenn wir mal bei der Metapher des Hundes bleiben: Dann kommt jetzt die Zeit, in der der Hund seinen Käfig verlässt, nicht wahr? Tu dies nicht mit eingezogenem Schwanz oder in Demut gegenüber den Aufgaben die noch vor dir liegen. Es wird nicht alles einfach und du wirst einiges Herausforderungen zu bestehen haben, aber du hast dann endlich ein eigenes Zuhause. Ein richtiges Zuhause, in dem du dich wohlfühlen kannst und keine Angst haben musst von deinen Eltern aus irgendwelchen Gründen belästigt zu werden. Du wirst dich entspannt auf dein Bett legen können ohne damit rechnen zu müssen, dass jemand in dein Zimmer stürmt und etwas von dir verlangt oder dich fertig macht.

Und zuletzt: Vergiss bitte nicht, dass du nicht alleine bist. Du hast bereits seit über einem Jahr einen Freund, der dir sicherlich gerne zur Seite stehen wird. Er kann dir natürlich einige Aufgaben nicht abnehmen, aber er kann dich begleiten und dich unterstützen.
Außerdem hast du Halbgeschwister, die zwar nicht in deiner Nähe wohnen, aber die für dich trotzdem durch Telefon, Internet ect. erreichbar sein werden. Auch sie kannst du fragen wenn du Fragen zu Wohnungen, Einrichtung, Bürokratie oder sonstigem hast. Sie haben das ganze ja bereits hinter sich und können dir sicherlich bei einigen Dingen weiterhelfen.

Liebe Lena, ich bin mir sicher, dass du das schaffst! Du bist eine junge und kluge Frau und hast noch ein ganzes Leben vor dir, das nicht von deinen Eltern bestimmt wird. Verzweifle nicht an den Herausforderungen, die in Zukunft auf dich warten werden, sondern freue dich auch auf deine neue Unabhängigkeit.
Wenn du magst, kannst du uns natürlich auch gerne berichten, wie es mit deinem Umzug und deinem selbstständigen Leben so läuft.

Alles Gute!