Problem von Anonym - 13 Jahre

Amok, Mord und Selbstmordgedanken

Hallo
Zu Anfang habe ich eine Bitte: Bitte nehmt mich, trotz meines jungen Alters, ernst. Lange habe ich überlegt, ob es einfach nur an der Pubertät und der manchmal damit verbundenen Depressionen liegt. Aber ich glaube, ich bin psychisch krank.
Würde ich nichts dagegen tun, würde es immer schlimmer werden. Es wird immer schlimmer. Irgendwann wird es einen riesigen Knall geben.
Ich habe Depressionen, denke mehrere Stunden am Tag über Suizid nach. Meine Mutter ist eine schlimme Frau, es ist die Hölle für mich. Mein Vater betrachtet mich als Gelegenheitstochter, er wohnt nicht mehr "zuhause". Er ist ein Arsch.
Ich kann niemandem vertrauen, ich denke immer, sie verarschen mich nur.
Ich bin arrogant geworden; wenn ich Menschen beobachte, kommt es mir so vor, als würde ich einem Hamster dabei zusehen, wie er in seinem Hamsterrad rennt. Er weiß gar nichts, er ist einfach nur dumm. Er versteht nichts, bleibt nur stur bei seinen Ansichten und Vorurteilen.
Und da komme ich auch schon auf die Amokgedanken. Sie leben alle in ihrer kleinen, eigenen, wunderschönen Welt ohne Feinde, und Leute wie ich sitzen vergessen, verloren, heulend und allein in der Ecke. Ihr Lachen tut mir weh. Aber was soll ich sagen, Versager wie ich haben es nicht anders verdient.
Es bereitet mir Freude mir vorzustellen, mit einer oder mehreren Waffen in die Schule zu gehen und systematisch einfach, naja... Schon klar was ich meine.
Ich habe ein bisschen im Internet gesucht. Ich habe Leute ausgelacht die verzweifelt nach Gründen und Motiven gesucht haben. Die verzweifelt an ihren Shooter-Games-Theorien und Mobbingideen festhalten.
Ich wurde nie gemobbt, habe nie ein einziges Shooter Game gezockt oder Let's plays geschaut, und trotzdem wäre ich längst Amok gelaufen, hätte ich eine Waffe.
Wenn ich in der Küche stehe und ein Messer sehe, zuckt meine Hand schon bei dem Gedanken, es meiner Mutter... ich denke "Mordgedanken" erklärt den Rest. Bei meiner Mutter ist es Rache, aber bei der Sache mit dem Amoklauf, wo es mir nicht um die Personen sondern nur ums Prinzip geht, was ist damit?
Ich bin jung, ich weiß. Aber ich musste schnell groß werden, eine Kindheit hatte ich nie.
Ich bin nicht das, was andere "Asis" (Assis?) nennen. Ich gehe auf ein Gymnasium, spreche Hochdeutsch, meine Familie hat Geld, und ich habe keinerlei Kontakt zu Drogen, Gewalt oder etwas in die Richtung. (das dazu, was meine Mutter Asis nennt)
Ich habe Freunde, auch wenn ich denen sowas nie erzählen könnte. Ich vertraue ihnen einfach nicht.
Im Moment würde ich das hier am liebsten wieder löschen, es kommt mir sinnlos und lächerlich vor.
Aber ich weiß dass es nicht richtig wäre, Menschen dafür zu töten, was mein gestörtes psychisches Etwas von ihnen hält.
Ich weiß auch gar nicht was ich hier erwarte. Tipps? Hilfe? Beratung? Keine Ahnung.
Falls ich Antwort bekomme - danke dafür.
Liebe Grüße, oder was man in diesem Fall eben so schreibt.

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

ich möchte dich ernst nehmen und danke dir für deine Offenheit. Ob du psychische Probleme hast, lasse ich mal dahingestellt. Das kann und will ich nicht beurteilen. Es wäre für mich auch kein Grund, dir voreingenommen zu begegnen. Natürlich muss man keine Ego-Shooter gespielt haben, um zum Amokläufer zu werden; wir wissen nicht mehr, als dass viele Amokläufer Ego-Shooter gespielt haben. Zwangsläufig ist es deswegen nicht. Bei dir hat sich einfach viel Wut und Verbitterung angestaut, und das ist ja auch nur verständlich. Was mich überrascht, ist: Wie passt es für dich zusammen, dass du "kein Assi bist" - und trotzdem scherst du die Anderen so über einen Kamm?

Man merkt deinem Text an, dass du nicht umsonst auf dem Gymnasium bist; du ordnest deine Gedanken strukturiert und hinterfragst dich selbst, und die Rechtschreibung ist erste Sahne. Ich finde, die logische Konsequenz aus diesem Talent müsste doch sein, dass du etwas aus dir machen willst - dein Abitur machen oder eine Ausbildung, die dir zusagt, und im Ende alles besser machen als deine Eltern? Und weißt du was, ich habe irgendwie das Gefühl, dass du auch genau das vorhast. Worin deine Eltern versagt haben, hat dich bisher nicht aufgehalten, es wird dich auch weiter nicht aufhalten. Aber deine Familie ist zerrüttet, du erträgst viel Stress und Ärger, es ist nachvollziehbar, dass dich diese Fantasien verfolgen. Nur ob du sie umsetzen würdest, selbst wenn du eine Waffe hättest, da bin ich mir nicht so sicher. Du hast selbst gesagt, dass es nur deine eigene Beurteilung ist, was du von den Anderen hältst. Das ist irgendwie richtig - aber deswegen bist du nicht gestört. Lass es uns logisch betrachten: Der beste Weg, den Hamsterrädern einen Tritt zu versetzen, ist, dich selbst mehr zu schätzen. Wofür es allen Grund gibt.

Wenn du dich hier im Kummerkasten umsiehst, wirst du rasch merken, dass es das "verdammt perfekte Leben der Anderen" nicht gibt. Jeder hat seine Sorgen und Nöte, und auch wenn nicht jedes Problem bedrohlich oder krass ist, kann man das den Betroffenen trotzdem nicht vorwerfen. Ein Liebeskummer kann genauso schlimm sein wie ein Streit in der Familie, eine schlechte Note genauso niederschmetternd wie, betrogen zu werden; und dass nicht jeder unter Missbrauch, Vergewaltigung und Prügeln zu leiden hat, dafür können wir ja wohl nur dankbar sein. Was können "die Anderen" dafür, dass ihr Leben in dieser Hinsicht "perfekt" ist? Es stimmt, du hast im Leben - bisher - nicht das größte Glück gehabt. Aber dir ist alles an die Hand gegeben, es anders und besser zu machen als deine Eltern. Könnte das nicht ein besserer Ehrgeiz sein, als Rache? Die kleine, eigene, wunderschöne Welt ohne Feinde - die ist nicht vorhanden. Es gibt sie nicht. Viele, viele Leute verstecken ihre Probleme hinter dem "Pokerface", hinter einer Fassade. Du weißt nie, was den- oder diejenige, die sich eben noch überlegen lächelnd verabschiedet hat, zuhause vielleicht Entsetzliches erwartet. Genauso wie du bemüht bist, keine Schwäche zu zeigen, wie ich annehme, so ist es jeder Andere auch. Und dass nicht jeder Mensch mit dem geschlagen ist, was dich belastet, kannst du ihnen nicht zum Vorwurf machen. Es heißt weder, dass sie deswegen dein Problem nicht verstehen können, noch haben sie es sich ausgesucht.

Ich glaube, dass dein Wille, zu leben und es allen zu zeigen, viel größer ist als die Todessehnsucht. Dass es dich immer wieder übermannt, kann ich verstehen. Aber weist du dir wirklich permanent eine Schuld zu, fühlst du dich wertlos und am Ende? Oder gibt es nicht vielmehr die andere Seite, die ausruft "Ich bin im Recht!", und die in den Amokgedanken einen Höhepunkt findet? Wenn du diese Fantasien als nützlich erachtest, dann kannst du sie dir erlauben, das ist kein Problem. Aber ich schätze dich als so vernünftig ein, dass du weißt, dass ein Amoklauf das Gegenteil von dem bewirken würde, was du dir wünschst. Denn zur Verbrecherin zu werden, wäre ja der eindrücklichste Beweis, dass du vor deinem eigenen Anspruch versagt hast. Dich hinweggesetzt hast über das, was du im Grunde weißt, nämlich dass es nicht gerechtfertigt ist, die Anderen arrogant und verächtlich anzuschauen. Sie haben sich ihr Los nicht ausgesucht, selbst wenn es perfekt wäre, was es nicht ist; du kannst an deinem etwas ändern, sie können dir sehr wohl Hilfe und Verständnis entgegen bringen. Als eine Art Schutzpanzer ist das, was du Arroganz nennst, durchaus begreiflich; aber du musst dir im Klaren sein, dass ein Amoklauf nirgends Verständnis ernten würde. Und das ist es doch, was du dem Rest vorwirfst: Keine Rücksicht, Blindheit, Übergehen und Missachten? Dann zeige ihnen, dass man dich nicht zu Recht missachtet! Aber der Griff zur Waffe wäre nie eine Lösung. Nur weil du Gewalt anwendest, bist du nicht im Recht.

Du bist keine Versagerin - und ich wollte dich auch nicht ins Gebet nehmen, sondern mit dem Verstand herleiten, was ich denke. Du hast es bereits richtig erkannt - aber es liegt nicht daran, dass du blöd oder krank wärst. Du schwankst zwischen einem wütenden "Recht haben wollen", und einem verzweifelten Gefühl der Wertlosigkeit. Du hilfst dir nicht, wenn du damit immer und völlig hinterm Berg hältst - du hast auch ein Recht, schwach zu sein. Wenn ich dir aber einen Rat geben kann, dann den: Kämpfe und beweise allen, dass du eben nicht wertlos bist! Und es gibt die Seite in dir, die das längst weiß. Du bist in ungünstigen Umständen angekommen, aber du hast bis jetzt schon sehr viel daraus gemacht. Und wirst es noch weiter tun. Irgendwann kommt die Zeit, wo dich die Beschränktheit deiner Eltern nicht mehr kümmern muss, du auf eigenen Beinen stehst, und erfolgreich bist. Die Voraussetzungen dafür sind in dir gegeben. Und irgendwann ist dann auch der Tag, an dem deine Eltern stolz sein wollen - und du ihnen klar machen kannst, dass es dafür wenig Anlass gibt. Dass, was du geschafft hast, dein Verdienst ist, und sich nicht auf ihre Unterstützung gründet. Ich glaube, dass so auch dein Wunsch ist - weiterzumachen, und dich zu beweisen. Damit will ich deine Ängste und Selbstmordgedanken nicht klein machen, sie müssen ernst genommen werden. Andererseits sehe ich bei dir die besten Bedingungen, dich aus dieser Stimmung zu holen, und dich ans Licht zu bringen. Das ist deine große Fähigkeit, die du nutzen wirst, da bin ich mir sicher. Weder bist du zur Verliererin geboren, noch haben die, die wirklich blind sind für das Leid Anderer, einen Vorteil davon; das Leben wird sie scheren. Du aber wirst weiterkommen. Willst du das? Schon, oder? Und dazu ist es nicht falsch, in Gedanken wieder und wieder Messerstiche auszuteilen. Oder Schlimmeres. In Gedanken! Ich schätze dich viel zu vernünftig und ehrgeizig ein, als dass du dich auf dieses Niveau herablassen würdest. Du bist zu klug, du kannst es bis ganz nach oben schaffen. Und du hast bestimmt viele Talente, die ich jetzt nicht ahnen kann. Zu guter Letzt muss ich also sagen: Ich fände es schade, würdest du sie verschenken. Das Leben ist für dich. Du wirst es meistern. Oder siehst du das anders?

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul