Problem von Anonym - 20 Jahre

Suizid Gedanken und Ritzen :(

Hallo Ihr,


Erstmal ein ganz großes Lob an euch. Ich finde es toll, was ihr hier macht :) Ich finde es schön, dass es noch Menschen gibt, die so etwas Tolles machen, ohne Geld dafür zu wollen. Ihr habt meine größte Bewunderung!!

Nun aber zu meinem Problem:
Ich habe seit mehreren Jahren diese schlimmen Suizidgedanken. Ich habe auch schon vor einem Jahr versucht mich umzubringen. Ich wurde aber noch rechtzeitig gefunden, sodass ich noch "gerettet" werden konnte.
Ich bin nun immer noch in Therapie, aber ich rede mit der Psychologin nicht mehr über dieses Thema. Ich möchte es einfach nicht!! Ich geh diesem Thema immer aus dem Weg und weiche dem aus. Ich kann einfach nicht darüber sprechen.
Warum ich diese Gedanken habe?
Ich hatte eine sehr schwere Kindheit. Meine Mutter hat mich immer kritisiert. Ich konnte nichts richtig machen. Ich war nie für etwas nützlich. Ich war immer nur eine Last. Dazu kam dass sie vor 13 Jahren einen neuen Mann geheiratet hat, der mich einfach nicht akzeptieren konnte. Er hat mich immer beschimpft und geschlagen. Als dann mein Bruder auf die Welt kam war ich gerade 11 Jahre alt. Ich habe sofort die ganze Verantwortung für Ihn bekommen, weil beide Elternteile arbeiten mussten. Ich hatte mit 11 schon die Verantwortung für ein Neugeborenes. Ich musste immer auf den Kleinen aufpassen. Ich durfte nichts mehr alleine machen. Überall hin musste ich den Kleinen mitnehmen. Ich meine ich habe meinen Bruder geliebt und liebe ihn heute natürlich auch noch aber mir war das alles zuviel. Ich wollte auch meine Freiheiten haben. Immerhin war er nicht mein Kind. Ich musste nachts aufstehen wenn er geweint hat. Ich musste ihn das Essen gehen. Ich musste ihn ins Bett bringen. Es kam mir so vor als wäre es mein Kind gewesen.

Ich habe einfach das Gefühl, dass dadurch meine ganze Kindheit verloren gegangen ist. Ich hatte keine richtigen Freundinnen mehr. Ich war einfach immer alleine :(
Ich habe heute noch das Gefühl, dass in meinem Leben etwas fehlt. Ich hatte keine richtige Kindheit und erst recht keine schöne. Es ist so als wurde aus meinem Leben ein wichtiger Teil herausgerissen. Ich habe vor 3 Jahren angefangen mich zu ritzen. Ich komme einfach mit mir selbst nicht mehr klar. Ich füge mir Schmerzen zu, weil ich es verdient habe. Ich war meinen Eltern immer eine Enttäuschung. Nichts fanden sie gut. Nichtmal das ich ab der 5. Klasse immer die Klassenbeste war. Ich wollte meine Eltern stolz machen. Doch ich habe es nie geschafft.

Ich frage mich nun, warum ich noch lebe? Meine Eltern wollen mich nicht mehr. Ich fühle mich so alleine. Keiner glaubt an mich. Ich soll immer stark sein. Aber ich kann nicht mehr.

Es will mich keiner verstehen. Deswegen habe ich mich hierher gewendet. Mit der Hoffnung, dass ihr mich eventuell verstehen wollt.

Manchmal braucht man einfach Jemanden, der einem Mut macht oder irgendwelche Tipps gibt.
Möglicherweise habt ihr einen für mich.

Danke schonmal im Vorraus.

Pia Anwort von Pia

Hallo Du,
schön, dass Du Dich an uns gewendet hast.

Ich finde es umso wertvoller, dass Du diesmal die Suizidgedanken angesprochen hast, nachdem ich nun lese, dass Du in der Therapie eher davor flüchtest. Zu gerne würde ich fragen wollen, warum das so ist? Ist es nur, weil Du es Dir selbst nicht erklären kannst oder wehrt sich da was anderes in Dir? Du musst nicht den Anspruch an Dich haben, dass Du ihr genau erklären kannst, warum das so ist, weil dann wärst Du vielleicht auch gar nicht in Therapie. Sie ist dafür da, mit Dir gemeinsam den Grund bzw. die Ursachen dafür herauszufinden. Manchmal sind diese auch ganz absurd und unverständlich. Ich schätze es immer sehr, wenn man offen und ehrlich ist. Wie wäre es, wenn Du das nächste Mal sagst, dass Du selbst nicht weißt, warum sie da sind und dass das ganz schlimm für Dich ist. Es löst ja regelrecht eine Angst aus, wenn man nicht weiß, warum sowas passiert, oder?

Ich fände es jedoch sehr sehr wichtig, dass Du über Deinen Schatten springst und darüber sprichst. Ich weiß nicht, ob Du das DBT von Marsha Linehan kennst? Sie hat eine Therapieform für suizidale Patienten entwickelt, die nun vor allem bei der Behandlung von Borderline-Betroffenen angewendet wird und sehr erfolgreich ist. In deren Therapie gibt es eine klare Rangfolge, nach der man in jeder Therapiesitzung gehen muss und an erster Stelle steht Suizidalität. Das ist einfach das wichtigste, überlebenswichtig. Ich frage mich, ob Deine Therapeutin genug Kompetenzen über diesen Problembereich hat, ansonsten würde ich Dir raten, dass Du noch jemanden anderen ausprobierst, der vielleicht sogar eine DBT-Behanldung anbietet (Sie gehört zu den Verhaltenstherapien). Außerdem frage ich mich noch, ob Du eine gute Vertrauensbasis mit Deiner Therapeutin schaffen konntest? Falls Du das Gefühl hast, dass Du mir ihr nicht richtig darüber sprechen kannst und ihr nicht vertraust, dann wäre ein Therapiewechsel auch eine neue Chance.
Hier ist ein Link, wo Du Dich über DBT informieren kannst:
http://www.borderline-borderliner.de/therapie-borderline/dialektisch-behaviorale-therapie-dbt.htm
(Lass Dich nicht durch die Borderline Diagnose verunsichern, das muss nicht auf Dich zutreffen. Das Konzept ist für mehrere Bereiche anwendbar, vor allem bei Suizidgedanken, was auch ein Symptom einer Borderline-Erkrankung ist.

Es hört sich wirklich so an, als hättest Du keine schöne und adäquate Kindheit erlebt und daher ist es verständlich, dass Du auch noch heute darunter leidest. Es ist auch verständlich, dass Du Dich dadurch nicht gut fühlst. Mir ist aufgefallen, dass viele Deiner Problembereiche auch der Borderline-Symptomatik entspricht und frage mich, ob Du Dich damit auseinander setzen möchtest und einmal Deine Therapeutin darauf ansprichst. Es könnte sein, dass Du dadurch mehr Informationen über die Entstehung, aufrechterhaltenden Faktoren, negativen Grundannahmen gegen das eigene Selbstbild, hohe Ansprüche an Dich selbst, Selbstbestrafungsneigung etc.

Ich würde Dir gerne Mut machen und Tipps geben, nur tue ich mir schwer, weil ich wenig konkrete Fragen herauslesen kann und ich nicht weiß, wie sehr Du schon therapeutisch gearbeitet hast und ob Du überhaupt mir Borderline in Kontakt gehen möchtest. Auch wenn Du es nicht hast, kann Dir da aber vieles helfen. Ich denke außerdem, dass es nie zu spät ist für eine Kindheit. Klar, dass macht Deine Kindheit nicht besser und es wird immer schmerzhaft bleiben und wird dadurch auch nicht legitimiert. Aber trotzdem kannst du noch Dinge machen, die in Dir stecken. Versuch einmal in Dir nach unerfüllte kindliche Bedürfnisse zu kramen und Dir selbst noch welche davon zu erfüllen. Manche behaupten, man hätte auch immer innere Kindheitszustände in sich, das glaube ich auch, zumindest die Erfahrung. Zu diesen Anteilen in Dir solltest Du ganz liebevoll sein, erst Recht nach dem, was Du erlebt hast. Es ist nie zu spät, um noch Freunde zu finden, sich positiv zu verändern und wieder Lebenslust zu verspüren.

Ich weiß leider nicht so genau, wie Deine genaue momentane Situation aussieht, daher tue ich mir schwer etwas dazu zu schreiben, ich kann sozusagen nur im Dunklen tappen. Ein Tipp wäre vielleicht, dass Du schaust, dass Du Dich etwas in Balance bringst, damit Du Dich stärkst. Schau, dass Du genug Bewegung hast, gesunde Ernährung, Schlafhygiene, regelmäßige Arzttermine, eigene Verantwortung für Dich aufbaust und für andere abbaust, Dir eine Tagesstruktur zusammenstellst, angenehme Gefühle sammelst etc. Schau, dass Du Dir für jeden Tag eine schöne Aktivität suchst, egal was, wie klein es auch sein mag. Ein Spaziergang, Musik, Sport, ein Film, einfach mal nichts machen, Lesen etc.
Hier eine Anleitung für den Skill (Fertigkeit) ABC-Gesund:
https://meinwegmitborderline.wordpress.com/dbt/modul-umgang-mit-gefuhlen/skill-abc-gesund/
Außerdem fände ich ein positives Buch hilfreich. Versuche jeden Tag etwas zu finden, was gut war und es hinein zu schreiben. Auch Erkenntnisse, kleine schöne Dinge, etwas hinein malen, Fotos hinein kleben...
Du schreibst, dass Du wenig Freunde hast. Vielleicht kannst Du ein neues Hobby anfangen, dort findet man auch leichter neue interessante Menschen.

Ich hoffe, dass ich Dir ein bisschen weiterhelfen konnte. Ich kann Dir auf jeden Fall sagen, dass es gut ist, dass Du lebst und dass Du noch so viel aus Deinem Leben machen kannst. Es wird auf jeden Fall besser und das wünsche ich Dir sehr. Es wird leichter, auch wenn es sich gerade nicht so anfühlt. Wenn Du noch konkrete Fragen hast oder mehr über die momentane Situation und Therapie schreiben möchtest. Kannst Du Dich gern an mich oder auch an das gesamte Team wenden. Gib bitte nicht auf!

In Notfällen kannst Du Dich auch immer an die Telefonseelsorge wenden - Tag und Nacht!
0800/111 0 111 · 0800/111 0 222
Außerdem auch an den psychiatrischen Krisendienst in Deiner Stadt oder an das Allgemeinkrankheit.

Ich wünsche Dir von Herzen, dass Du Dir eine Chance gibst. Es ist der Hammer, was Du schon alles gemeistert hast. Du hast ein Kind groß gezogen, hattest wenig Unterstützung von Deinen Eltern, warst gut in der Schule, ... ich wette, da könnte man noch viel mehr aufzählen. Bitte bestrafe Dich dafür nicht selbst. Ich glaub fest an Dich!
Alles Liebe
Pia