Problem von Anonym - 13 Jahre

Bin ich verrückt?

Hallo,
Ich bin 13 Jahre alt und habe ein Problem.
Wie auch jeder andere Teenager schaue ich gerne Filme, lese ich Bücher, etc.
Allerdings habe ich oftmals wie jetzt Probleme nach dem Film (in diesem Falle Twilight).
Ich habe also Twilight geschaut und nun bin ich wie in einem Strudel gefangen.
Ich vergleiche mein Leben mit dem von Bella, fühle mich beobachtet, starre stundenlang in die Leere und träume davon Bella zu sein.
Ich kann nur an Twilight denken.
Und das passiert mir immer, wenn ich Twilight schaue.
Als wäre ich hypnothisiert.
Und es sind nicht einfach Gedanken oder ein Traum...
Ich tue dann a l l e s, wie es Bella tun würde.
Rede so, verhalte mich so, kleide mich wie sie.
Twilight geht mir nicht aus dem Kopf.
Ich weine oft, höre Twilightmusik.
Bin ich verrückt?
Ich wünsche mir nichts sehnlicher als Bella zu sein und ich weiss nicht, wie ich mit diesem Leben zurrechtkommen soll.
Mein Deutschlehrer erklärte uns vor kurzem die Romantik und Autoren, die Selbstmord begingen, weil sie mit diesem Leben ohne Magie, Vampire, Geheimnisse und ähnlichem nicht klarkommen.
Und ich glaube ich bin genauso.
Ich bin so verzweifelt, bitte helfen Sie mir.
Bin ich verrückt?
Ich will doch einfach Bella sein.
Bitte.

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

ich weiß nicht, ob dir die Blaue Blume etwas sagt? Die Blaue Blume ist ein Begriff der Romantik. Wikipedia weiß dazu zu sagen: "Sie steht für Sehnsucht und Liebe und für das metaphysische Streben nach dem Unendlichen." Der eine sucht nach der Unsterblichkeit, der andere nach dem perfekten Partner; kurz gesagt, nach dem, worin sich all unsere Wünsche und Träume vereinen, der Platz, der für uns geschaffen ist, der Punkt, an dem wir feststellen, dass wir angekommen sind. Unsere Bestimmung, unser Ruhepol, unsere Leidenschaft und unsere Ewigkeit. Für dich ist das Bella Swan aus Phoenix, Arizona.

Wenn das so ist: Dann ist es gut! Dann hast du ein Ziel, einen Inhalt. Wichtig ist für dich, zu wissen: Du musst nicht in einem anderen Körper wiedergeboren werden, musst dich nicht erst in Bella verwandeln. Du BIST bereits Bella.

Wenn du versuchst, dich wie Bella zu verhalten - welche Bella meinst du dann: Die etwas farblose, skeptische Bella, die sie ist, als sie nach Forks kommt? Die leidenschaftliche, vor Liebe wie verrückte, die einerseits bei Edward bedingungslos glücklich ist, andererseits wie tot, als er sie verlässt? Wie gehst du mit deinem besten Freund um, wenn er sich in dich verliebt? Wie gehst du damit um, wenn deine große Liebe dich verlässt? Wenn dir Gefahr droht? Es ist nichts Falsches daran, dich in Bella zu spiegeln: Sie gibt die Unsicherheit wieder, wenn etwas Neues beginnt, die Skepsis am Beginn einer neuen Beziehung; die sprühende Freude, wenn man den Traumjungen erobert hat, und die abgrundtiefe Leere, wenn er einen verlässt. Die Komplikationen und Missverständnisse, die zu einer Versöhnung führen; Streit und Widerstände in der Familie, Eifersucht, und trotzdem - hoffentlich - am Ende einen glücklichen, versöhnlichen Abschluss. Ich kann dir nicht sagen, in welcher Phase du dich gerade befindest, deinen Lebensumständen nach. Eine der genannten wird es wohl sein. Wenn Bella für dich ein Vorbild ist, wenn das, was sie am Ende findet, deinen Wünschen entspricht - gut! Wer hohe Ziele verfolgt, kann auch viel erreichen.

Trotzdem gibt es einen Unterschied: Ich wüsste nicht, dass es in unserer Welt Vampire gibt. (Vielleicht muss ich demnächst etwas Anderes feststellen...) Aber wie es so heißt, der Wille ist stark, das Fleisch ist schwach. Auch Edward verhält sich nicht immer so, wie man es erwarten könnte, so sehr wie er sie liebt. Im Gegenteil: Charlie hat Recht! Er bringt seine Tochter, die ihn abgöttisch liebt, in große Seelenqual und Gefahr. Die beiden setzen sich darüber hinweg - aber wer am Schluss Unsterblichkeit gewinnt, dem gibt eben auch der Erfolg Recht. Im wirklichen Leben ist das anders. Ein Junge, der dich so behandelt, an dessen Gefühlen solltest du zweifeln. Es sei denn, er hat gute Gründe. Wie wäre es, wenn er dich verließe? Würdest du dann auch in ein Loch kriechen, Tage, Wochen, Monate? Deine CDs zerbrechen, in den Mülleimer werfen? Gegenüber deiner ganzen Umwelt so abweisend werden? Und selbst diejenigen, die dich zu trösten versuchen, letztlich nicht erhören? Bella und Jake wären auch ein tolles Paar geworden. In Twilight ist alles auf das große Finale ausgerichtet, die Wirklichkeit tritt hinter dem schicksalhaften Paar zurück, das sich schließlich vereinen muss. In unserem Leben verhält es sich nicht so. Was verloren ist, wird nicht wieder das, was es war. Wer einen nicht gut behandelt, ist der Liebe auch nicht wert. Und daneben gibt es viele Chancen, viele interessante Gesichter, viele mögliche Pfade - und gerade wenn eine "große Liebe" einen verlassen hat, sollte man danach suchen, sie wahrzunehmen. Denn im wirklichen Leben kommt man immer wieder auf die Beine, wenn man es möchte. Und die Erlösung ist nicht an einen bestimmten Jungen geknüpft. Für Bella hingegen gibt es, seit sie ihn kennen gelernt hat, im Grunde nur noch ihn. Gut für sie, weil er ihr nichts Böses will - auch wenn seine Natur was Anderes sagt. Leider gibt es in dieser Welt viele Jungs, die sehr stark ihrer Natur folgen, und eben nicht so edel sind wie Edward Cullen. Auf der anderen Seite gibt es viele Mikes und Jacobs, die alle ihre guten und freundlichen Seiten haben; sie sind eben nicht nur Randerscheinungen, sondern im besten Fall verpasste Chancen. Und im schlimmsten Fall das, was man am meisten vermisst, wenn es weg ist. Und nicht mehr wiederkommt. Denn Freunde und Verehrer sind in unserem Leben - sehr zu Recht - nicht immer so ausdauernd und duldsam. Solange Bella Swan für dich also das Endziel deiner Wünsche verkörpert, ist es das höchste, aber ein gutes Ideal. Ob sie wirklich als Vorbild für dein Verhalten taugt, das musst du selbst entscheiden. Edward hat sich nicht ohne Grund in sie verliebt. Aber er kann sich eben auch sicher sein, dass sie zu 100 % von ihm abhängt. Von solchen Konstellationen geht in dieser Welt die größte Gefahr aus. In summa: Du kannst wie Bella werden, in gewisser Weise; aber sei vorsichtig, wie sie sein zu wollen.

Dein Weg wird, wenn du unbeirrt suchst, viel von Bellas haben: Über hundert Hürden und Komplikationen ans erträumte Ziel. Nur braucht es dafür deinen Einsatz - und deinen Realitätssinn. Wahre Romantik, wahre und tiefe Liebe zu erfahren, ist nur möglich, wenn man sich den Menschen, die es gut mit einem meinen, hingibt. Solange dir ein Idealbild im Kopf umher schwebt, das es so nicht gibt - das auch Edward Cullen nicht zur Gänze ist - wird dir die ganze Tiefe des Liebesglücks verwehrt bleiben. Und zur Liebe gehören schließlich auch die Krisenmomente, die Trauer und das Zittern - die dem Ganzen erst wirklich Leben verleihen. Was noch nicht heißt, dass Bella damit vernünftig umgeht. Es ist nicht zweckmäßig, zu warten, bis dein Traumprinz von irgendwoher kommt, um die Scherben aufzusammeln, die er selbst angerichtet hat - so sehr das den Schmerz vergessen macht. Du musst deine eigenen Grenzen kennen und ihre Einhaltung fordern, die Grenzen deines Schmerzes, deiner Trauer, deiner Opferbereitschaft. Aufrichten und dir seine volle Liebe spenden, das kann nur der, dem du dich in echt gibst - mit deinen Schwächen, mit deinen Grenzen, deinen Limits, die er respektieren muss; und denen auch seine Liebe gelten muss. Kein Biss und kein Zauber dieser Welt kann dich unsterblich oder unverletzlich machen, so ist es nun mal. Aber wenn du es willst, kannst du durch deinen eigenen Einsatz schon hier eine Ahnung unfassbaren, unendlichen Glücks gewinnen. Möchtest du das nicht?

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul