Problem von Anonym - 14 Jahre

Ich kann nicht mehr... Was soll ich noch tun

Hallo,
ich bin's noch mal. Zunächst möchte ich sagen das ich sehr dankbar bin hier endlich Hilfe zu bekommen! Und ich fände es auch toll wenn Paul wieder meine Frage beantwortet, weil ich finde das er das wirklich sehr gut macht! Leider ist in der letzten Zeit alles schlimmer geworden: ich habe mir den Unterarm geritzt und ich hatte einen Nervenzusammenbruch in der Schule... Ich habe so gezittert, mir war übel, ich habe nur geweint und war wie betäubt, ich konnte nichts mehr an Informationen aufnehmen und wollte niemanden mehr sehen, hören, nichts mehr fühlen und einfach nur weg. Hätte ich eine Klinge in der Schule mit gehabt hätte ich mich wahrscheinlich wieder geritzt :( Ich wünschte es wäre nicht so! Das macht nicht nur mich sondern auch meine Familie und Freunde traurig! Na ja, Freunde habe ich eigentlich keine... Alle Freunde die ich mal hatte, bei denen hab ich allen verkackt. Ich habe bei echt JEDEM verkackt, in jeder Hinsicht :( Es kam halt alles auch wegen meinem gelüge, meinem gehetzte, Gedränge, meiner gesamten Art... Ich hasse mich so sehr dafür das ich so bin wie ich bin! Schlimmer noch: ich habe mittlerweile nach meinem ganzen Mist den ich schon gebaut hab einfach keine Lust mehr zu leben. Ich möchte nur noch sterben, auch wenn es meine Eltern total traurig machen würde aber ich sehe keinen anderen Weg mehr die Unzahl an Problemen normal zu lösen... Ich habe mal gelebt, knapp 15 Jahre aber jetzt kann ich einfach nicht mehr... Ich denke leben ist nichts für mich, ich quäle mich, mir geht jeder Mensch auf den Zeiger obwohl ich sie nicht kenne und sie mich auch nicht, ich enttäusche meine Eltern, bin nicht gut in der Schule und zudem noch ein asperger autist :o nur leider kann ich mich nicht einfach so von einer Brücke stürzen weil ich Angst vor schmerzen haben! Schon wenn ich daran denke tut mir der gesamte Körper weh. Außerdem gibt es einen Jungen in meiner Parallelklasse, ich nenne ihn nur "N" weil dies sein Anfangsbuchstabe von seinem Vorname ist. Ich war mal in seiner Klasse, wir haben uns auch bombig verstanden und irgendwann habe ich mich total in ihn verliebt aber ich wollte zu viel in zu kurzer Zeit und das hat ihn in die enge getrieben! Ich habe ihn total überfordert und genervt weil ich wissen wollte was er für mich empfindet bis er dann irgendwann auch mal zurück gefeuert hat und zwar wie! Ich muss dazu sagen ich war zwischendurch mal 4 Monate in einer klinischen "Anstalt" und kein Kontakt zu ihm hatte aber man braucht nicht glauben das er sich auch nur ein winziges bisschen beruhigt hatte. Ich wollte mit ihm reden aber er hat mir bitterböse Nachrichten geschrieben die wirklich unter die Gürtellinie gingen und ich war so schüchtern und habe nicht so böse reagiert (also leider erst viel später) und dann hat er Screenshots von unseren Unterhaltungen gemacht und hat sie in irgendwelche klassenchats gestellt wo dann jeder über mich gelacht hat und alle gesagt haben ich soll von der Brücke springen :( Ich war so am Boden zerstört das ich aus Verzweiflung meine Kumpels aus der Klinik rangezogen habe, die ihn dann beschimpft haben aufs übelste und daraufhin hat er seine Kumpels rangezogen die mich dann beschimpft haben... Irgendwann ging das soweit das sich meine Klinik Kumpels vo mimt abgewendet haben und der Junge N. erst recht!! Wir haben schon lange kein Wort mehr miteinander gewechselt aber dieser Streit tobt jetzt schon seit 2 Jahren und er ist immer noch nicht bereit das wir uns wieder versöhnen :'( In der Klinik habe ich dann jemanden neuen kennengelernt, ich nenne ihn W. Mit ihm ist ähnliches passiert, nur nicht so krass. Auch W wurde von mir bedrängt und aufs übelste zugespamt :( Ich habe nicht gemerkt das er keinen Kontakt mehr wollte und habe ihn deshalb fertig gemacht weil er dann irgendwann nicht mehr mit mir geredet hat. Leider sehe ich meine Fehler immer erst zu spät ein und deshalb hab ich jetzt nur noch zu einem einzigen Mädchen aus der Klinik Kontakt, die wohnt aber auch nicht hier *--* mittlerweile habe ich wieder jemanden gefunden den ich liebe, M. Er weiß schon von meiner Liebe aber hat selbst gesagt das es zwischen uns beiden nichts wird. Ich habs akzeptiert aber ich schreibe ihm trotzdem in der Hoffnung das aus uns beiden vielleicht doch noch was wird?? :) Das traurige an der ganzen sache ist einfach das ich die Leute immer so sehr bedränge und nerve und diese Art ist eine der vielen die ich an mir nicht ausstehen kann! Jetzt habe ich Angst das ich irgendwann so ausraste und mir die Pulsadern aufschneide! Aber andererseits habe ich zu viel Mist gebaut um es wieder irgendwie auszubaden. Es gibt so viele Leute bei denen ich mich entschuldigen sollte!!! o.O Nicht nur bei N, W und M. Oder bei den Leuten aus der Klinik. Auch bei den Klassenkameraden von N und W (gehen beide zusammen in meine Parallelklasse) und bei W will ich's erst recht nicht mehr versuchen weil ich denk das ich bei ihm endgültig verkackt habe! Ich habe mit einfach so viele Feinde an dieser Schule gemacht ich will nicht mehr. Aber wenn ich schon wieder die schule wechseln würde, dann wäre das schon mein 5 wechsel und ich habe Angst vor Mobbing! Andererseits könnte ich noch mal bei 0 anfangen und diese ganzen Lügen würden nicht mehr existieren! Ich weiß auch nicht ich will einfach nur sterben, einfach nur tot sein!!! Ich kann nicht mehr ich bin so am Ende mit meinen Kräften... Bitte helft mir! BITTE ich hab keine Ahnung wie lange es noch dauert bis ich meine Angst vor den Schmerzen überwunden habe! Ich kann schon nachts gar nicht mehr schlafen!! GAR NICHT MEHR! Ich sehe schrecklich im Gesicht aus! Na ja das zu ich ohnehin schon... :( Sonst hätte ich längst nen Freund oder so. Keiner mag mich und ich fühle mich schrecklich! Um meinen Text noch mal kurz zusammenzufassen:
-Bringt es was sich noch mal bei den Leuten aus der Klinik zu melden und sich zu entschuldigen?
-Sollte ich mich bei N entschuldigen?
-Ist es günstig vielleicht doch noch mal die Schule zu wechseln?
-Was soll ich tun wenn ich mich wieder Ritzen will :(
-wie kann ich mir das ganze gelüge abgewöhnen???
Ich wäre so dankbar über eine Antwort!!!!
LG

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

es stimmt mich schon mal froh, dass du immerhin weiter nachgedacht hast, weitere Unfertigkeiten aufgedeckt hast. Auch hier erlebe ich dich sehr stark in deiner Selbsterkenntnis: Du hast viel Kritik an dir selbst geübt, die mit Sicherheit so nicht richtig ist. Denn zu einem Streit gehören nun mal immer zwei. Es liegt nicht alles immer nur an dir! Auf der anderen Seite ist es besser, als wenn du trotzig darauf beharren würdest, dass immer nur Andere schuld sind. Also auch hier wieder meine Bitte: Es ist noch nicht aller Tage Abend. Im Gegenteil, dein Text hat wieder einmal bewiesen, dass du einen - wenn auch kleinen - Schritt in die richtige Richtung gemacht hast. Es mag sich überhaupt nicht so anfühlen - aber wie ich sagte, der Weg ans Licht ist lang. Lass die Strickleiter jetzt nicht los, sondern hör mich noch einmal zu. Und ich hoffe, du bist noch wohlauf, wenn du es tust. Ich konnte dir leider nicht eher antworten, da es mir ein Bedürfnis ist, ausführlich zu schreiben - und nicht immer fällt mir gleich das Passende ein. Was ja auch noch nicht heißt, dass das dann hilfreich ist, verstehst du?

Sieh mal, die Fragen, die du ans Ende deines Textes gestellt hast: Nummer eins und zwei - JA! Mach das! Probiere es wenigstens. Wenn sie nicht darauf eingehen - gut, dann wird euer Verhältnis davon nicht besser. Aber du hast es versucht, und was sie dir darüber hinaus noch vorwerfen, findet bei ihnen statt. Eure Leben müssen sich dann nicht mehr berühren. Wenn sie dich dann noch hineinlassen - genauer gesagt: Nicht dich, sondern ein negatives, aber falsches Bild, was sie von dir haben - dann ist das ihre Sache. Für dich geht von diesem Moment der Entschuldigung etwas Neues ist. Denn wenn es auch nichts bessern sollte, ist es doch wenigstens eine Art, Klarheit zu schaffen. Es lebt sich leichter damit, zu wissen: Okay, ich habe diese Personen enttäuscht, aber ich kann die Vergangenheit nicht rückgängig machen. Das ist einfacher, als wenn du dich immer wieder fragst, ob es noch eine Möglichkeit gäbe, wie ihr euch vertragen könntet. Falls sie es nicht wollen, ist es so. Aber dann ist es auch nicht allein deine Schuld.

Denk daran: Du hast dort in der Klinik mit Menschen zu tun gehabt, die selbst mit Problemen kämpfen, die selbst nicht immer sicher sind, warum sie das tun, was sie gerade tun. Wenn Depressionen einen quälen, Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, dann lässt sich das nicht von jetzt auf gleich abstellen. Darum ist es zwar lobenswert, wenn du meinen Rat beherzigst, und von deinem Schwindeln Abstand nehmen willst. Jedoch heißt die Entscheidung allein noch kein Gelingen - das muss ich hier noch einmal deutlich machen. Das Ziel wird erreicht über viele kleine und große Rückschläge, Durststrecken und Unsicherheiten, ob es anders nicht doch einfacher wäre. Diese gilt es durchzustehen. Und ich glaube durchaus, dass du schon jetzt geschafft hast, dich ein Weniges zu verbessern. Möglicherweise bist du noch nicht am Ziel deines Strebens, aber du bist auf dem Weg. Und da du nun einmal noch sehr unter Strom steht, deine Ängste und Zweifel und dein Schmerz sich nicht auf Knopfdruck beenden lassen, aus diesem Grund darfst du es als großen Gewinn ansehen. Kritisiere dich nicht dafür, dass du nicht hundert Prozent gepackt hast - sondern sieh es als hoffnungsvolles Zeichen, dass du schon zwanzig Prozent drauf hattest. Selbst wenn es bloß zehn oder fünf waren - ein Anfang ist ein Anfang. Und deine Mitpatienten sind vielfach selbst umgetrieben von Ängsten und Verklemmtheiten, die sie nicht ausschalten können, für die es keine unmittelbare und logische Erklärung gibt - da werden Dinge gemacht, die man bereut und doch nicht lässt, werden Sachen erzählt, die verlockend erscheinen, obwohl man weiß, dass man sich in Widersprüche verstrickt. Das alles sind Kennzeichen des Ringens mit Problemen, wobei der Mensch langsam aus seinem Käfig hervortritt, und noch nicht weiß, ob man ihm draußen etwas zuleide tun wird. Wenn die Leute sich dann gefestigter fühlen, werden sie von Schuldgefühlen übermannt, manches verdrängen sie, anderes überspielen sie - und etliche möchten irgendwann einfach keinen Kontakt mehr zu denen, die sie an diese Zeit erinnern. Das geht nicht nur dir so, das hat auch nicht zwingend etwas mit deiner Person zu tun. Nimm dir das bitte zu Herzen.

Das mit dem Ritzen hat zwei Seiten: Erstens ist es vielleicht auch ein Hinweis, dass du dich wieder mehr dem Leben zugewandt hast, dass du den körperlichen Schmerz dem seelischen vorziehst. Doch es wird dich nicht weiterbringen, und es ist hochgefährlich. Um es zu stoppen, solltest du zunächst alle Gegenstände außer Reichweite bringen, mit denen du unvermittelt einen Schnitt tätigen könntest, wenn es dich überkommt: Messer, Scheren, Bleistift-Spitzer, Cutter, Pinzetten. Schließe sie irgendwo ein, gib sie jemandem zur Verwahrung, oder lege sie wenigstens so weit weg, dass du noch einmal zu dem Gedanken gezwungen bist: "Halt! Was mache ich da gerade?", wenn du danach greifen möchtest. Wenn es niemanden gibt, dem du sie zur Aufbewahrung geben möchtest, kannst du dir ein paar Schmuckkartons anschaffen, solche, die man ineinander stellen kann - vielleicht hast du sogar schon welche. Lege die gefährlichen Gegenstände in das innerste Kästchen, mach es zu, stelle es in das nächstgrößere, schließe auch dieses, und immer so weiter. So wirst du es dir jedes Mal genau überlegen, was du gerade vorhast, wenn du eines dieser Dinge benötigst. Weil du alle Schatullen vorher öffnen musst. Und dich fragen, ob das richtig ist. Jedes Mal, wenn du die Schere oder den Spitzer nach Gebrauch wieder zurück tust, verschließt du damit symbolisch deinen Schmerz und deine ungute Lösungsstrategie - das Ritzen - wieder. Und erinnerst dich daran, dass dieses Kapitel enden soll, dass du etwas zwischen es und dich gestellt hast: Deinen Willen zur Besserung. Und wenn es dich doch überkommt, versuche rasch, die Wunde zu versorgen - oder besser noch, versorgen zu lassen. Denn die Spuren der Schnitte, die womöglich bleiben, können später wieder Anlass zu Schuldgefühlen werden - die unberechtigt, aber hinderlich sind. Ganz abgesehen von der Gefahr, die von einer Infektion ausgeht. Sollte es dazu kommen, dass du dich selbst verletzt, lege dir Möglichkeiten zurecht, wie du der Scham danach begegnen kannst. Das kann ein Stück Schokolade sein, ein Spaziergang, dein Lieblingslied - es sollte aber etwas Positives sein. Etwas, was dich ans Leben erinnert und daran, dass es wegen kleiner Fehltritte nicht vorbei ist. Schaffe dir ein Belohnungssystem, das greift, wenn du nicht in Schuld- und Schamgefühlen versinkst, sondern dich aufraffst und ermutigst.

Ob ein Schulwechsel wirklich sinnvoll ist, das kann ich schwer sagen. Grundsätzlich kann ein Schulwechsel gut sein, wenn man von Neuem anfangen möchte. Es ist aber auch so, dass dein Problem dich bisher überall hin begleitet hat, dass sich das nicht ändern wird. Du wirst nicht bei Null anfangen, weil es das eigentlich nicht gibt. Wo immer du hingelangst, bist du die Person, die du gestern auch noch warst. Und diese Person ändert sich zwar, aber deswegen muss sie trotzdem immer wieder zu Dingen Stellung nehmen, die in der Vergangenheit waren. Wir sind nun einmal eine Summe all unserer Erlebnisse, daran ist nicht zu rütteln. Mobbing kommt an allen Schulen vor - und es gibt immer einen Grund. Zwar könnte es sein, dass du in deiner neuen Schule dann gut aufgenommen würdest. Allerdings wird es auch dort manchmal Streit geben, wirst du vielleicht zeitweise einen schwierigen Stand haben - das kannst du nicht vermeiden. Jeden trifft es, dass hämische Sätze hinter seinem Rücken gesagt werden, dass jemand sich einen dummen Scherz mit ihm erlaubt. Wenn solche Vorfälle sich zu Mobbing auswachsen, ist es oft auch falsch, einfach zu verschwinden - man muss sich dem stellen. Und das traue ich dir zu. Auch hier wieder meine Empfehlung: Sprich darüber. Und zwar mit Lehrern, Eltern, und bekunde immer wieder aufs Neue, dass dir die Kontrolle zwar schwer fällt, aber du den Wunsch nach Verbesserung hast. Es erleichtert die Leute, wenn sie wissen, dass man kooperiert. Du hast den großen Vorteil, deine Probleme nicht wegzuschieben, sondern schonungslos ehrlich zu dir zu sein - manchmal jedoch zu ehrlich. Deine Situation muss sich im Ganzen verbessern, wenn du die Schule wirklich angenehm empfinden willst. Auf einer neuen Schule würdest du dich nur anfangs etwas besser fühlen - bis dort wieder Sachen vorfallen, die du nicht gleich einordnen kannst. Es kann dir nützen, aber nur dann, wenn du bereit bist, dem die Stirn zu bieten, was dich peinigt - Anderen, aber auch dem in dir selbst. Und dieses in dir selbst ist die verlogene kleine Stimme, die behauptet, es gäbe keine Zukunft, du wärst nicht des Lebens wert, wärst hässlich, wärst unfähig. Das stimmt nicht! Es stimmt einfach nicht. Du hast dich in dich zurückgezogen, hast einen Käfig um dich errichtet - berechtigterweise, um dich zu schützen. Aber dieser Käfig ist nicht Teil von dir. Für dich selbst ist er unsichtbar, deshalb denkst du, man würde dich um deiner selbst willen ablehnen. Das Problem ist aber, dass die Anderen nur schwer ausmachen können, was du bist und was das Unheimliche, das sich an dich geheftet hat. Es kommt aus deiner Geschichte, ist die verständliche Reaktion auf Quälereien, Demütigungen und Enttäuschungen. Doch nur wenn du unterscheidest, dass die Wunden in deiner Seele deine guten Eigenschaften nicht beeinträchtigt haben, dass du etwas zu bieten hast, wirst du das erwerben, was du brauchst: Selbstbewusstsein. Und Hoffnung.

Woraus besteht dein Leben? Die Nächte wach und weinend zuzubringen, dich morgens irgendwie in die Schule zu schleppen, irgendwie zu überstehen, nachmittags schon wieder völlig erledigt zu sein? Darunter gemischt: Sticheleien, Einsamkeit, das Gefühl, hässlich zu sein? Wie soll es dir da gut gehen? Mach mal etwas ganz Anderes. Besieh dir die Teile deines Gesichts. Schön sieht es aus, oder? Weißt du noch, wie es lächelnd und erwartungsvoll blickte? Weißt du noch, wie diese Augen gestrahlt haben? Wie dieser Mund war, als seine Mundwinkel noch nach oben weisen konnten, lächeln konnten? Als die Tränen sich noch nicht in deine Wangen gegraben hatten? Mach dich doch mal wieder richtig schön. Träume doch mal wieder von der Liebe. Probiere etwas Neues aus. Mach dich zurecht, überrasche mal alle. Nicht, um dich bei ihnen beliebt zu machen. Sondern einfach, weil sie damit nicht rechnen. Wenn es dir schwerfällt, auf Fragen hin nicht die Wahrheit zu sagen, ist die erste Methode: Bleibe knapp. Und dann: Lass dein Gesicht spielen: Wann hast du zuletzt gelacht? Weißt du noch, wie es geht, seine Gefühle durch Lächeln und Lachen und Kichern zu zeigen, statt durch ständig verhärmte Gesichtszüge? Tue Dinge, die dem Leben angehören. Lege dir eine neue Haarfarbe zu. Geh durch die Geschäfte. Mach einen Kuchenteig. Damit du das Ergebnis essen kannst. Und damit du ihn mit deinen Händen fühlen, kneten, vielleicht auch darauf einschlagen kannst. Power dich aus - versuch auch, etwas mehr für die Schule zu machen. Es geht nicht, wirst du sagen, vor allem das Letzte. Aber wäre es nicht toll, mal wieder zu glänzen? Ein Erfolgserlebnis zu haben? Es geht nicht alles sofort. Es dauert noch lange. ABER: Was die Baustellen sind, ganz konkret, was dich noch begleiten wird, das weißt du. Versuche, ein winziges Stück des großen Etwas, das sich Leben nennt und dir so fremd geworden ist, abzutrennen, und wirf deine letzte Kraft darauf. Und wenn es nur ein einziger Vokabeltest ist. Und wenn du nur dein Zimmer aufräumst, oder ein Blech Weihnachtsplätzchen machst, oder die Katze streichelst, oder deine Stifte sortierst. Setze dir kleine Ziele, kleinste, winzige - und hefte dich so darauf, bis es nur dich und das Ziel gibt.

Depressionen sind tückisch. Sie machen vergessen, dass das Leben weitergehen muss. Dass es Anforderungen gibt. Und dass nicht alles besser wird, wenn man irgendwo ein neues Bühnenbild aufschiebt, wie etwa eine neue Schule. Der Mensch auf der Bühne ist derselbe, und er soll immer noch seinen Text können. Wenn er wenigstens einen Satz halbwegs elegant aufsagen kann, wird man ihn immerhin nicht auslachen. Um zu leben, muss man leben. Und das Leben ist da. Du kannst es nur festhalten, indem du einfach mal machst. Für jeden Tag braucht es ein Ziel - das erfüllt werden will, und wenn alles drum herum in Asche fällt. Du sollst damit aufhören, dich selbst zu bezichtigen. Aber du solltest dich auch nicht verschonen, wenn es um die Dinge geht, die jeder tun muss. Sie werden immer bleiben. Nur wenn man sich entscheidet, wieder am Leben teilzunehmen, teilt sich die Fülle des Lebens auch an dich aus. Hier ist die Stelle, an der du dich nicht schonen darfst. Was war, und was noch verbesserungswürdig ist, das bist nicht du - sondern nur unschöne Gewohnheiten, Nachwehen von Erfahrungen, die oft noch brennen, sich einschleichen, die aber nicht von Grund auf zu dir gehören. Wirf dir nicht vor, was du tust - sondern versuche zu entwickeln, was du sein möchtest.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul