Problem von L. - 14 Jahre

Bin ich Bisexuell?

Liebes Kummerkasten-Team,

Das ist nun das zweite Mal, dass ich euch mein Problem schicke. Ich verstehe es natürlich, dass ihr sehr viel zu tun habt und nicht jedes Problem bearbeiten könnt. Damit ich nicht alles nochmal schreiben muss, habe ich einfach den Text vom ersten Mal kopiert und eine weiter Information hinzugefügt:

Zu erst möchte ich euch sagen, dass Ich es toll finde, was ihr hier leistet! Ihr helft Menschen ganz uneigennützig und ohne irgendeinen Vorteil daraus zu ziehen, außer dem guten Gefühl, dass man hat, wenn man weiß, dass man jemandem helfen konnte...
Jetzt zu meinem Problem:
Ich weiß nicht genau, wann es angefangen hat mich zu beschäftigen... Vlt. ungefähr vor einem Jahr.
Ich habe gemerkt, dass ich mein beste Freundin sehr mag. Mehr als andere Freundinnen.
Ich begann also mich zu fragen, ob das "mögen" nicht vielleicht doch eine Art "lieben" ist...
Immer, wenn ich an sie denke habe ich so ein Gefühl... Man kann es nicht wirklich beschreiben. Es ist, wie wenn man sagt: Mir wird warm, wenn ich an sie/ihn denke... Nur wird mir nicht direkt "warm" wenn ich an sie denke, es ist eben wie gesagt ein bestimmtes Gefühl.
Ein paar Monate nachdem ich dies entdeckt hatte, fing ich an, auch andere Mädchen anders anzusehen. Ich fing an sie "süß", oder "cute", oder "niedlich" zu finden, ihre Figur toll zu finden o.ä.
Während der Zeit, die seit dem vergangen ist, war ich in verschiedene Jungs verliebt und/oder fand sie süß, aber dieses "meine beste Freundin sehr gern mögen/eventuell in sie verliebt sein" verging nicht...
Was ich jetzt schreibe, habe ich erst erfahren, als ich das Problem schon abgeschickt hatte:
Die Mutter meiner besten Freundin, hat ihr verboten mich zu sehen, und das nur wegen einer Situation, bei der wir uns nicht an eine Abmachung hielten. Meine Eltern finden diese Maßnahme komplett falsch und, dass ihre Mutter SEHR überreagiert hat. Ich weiß nicht was ich machen soll. Ich habe sie seit zwei Monaten nicht mehr gesehen und vermisse sie sehr. Wie kann ich ihre Mutter davon überzeugen, dass wir uns wieder sehen dürfen?

Ich habe da außerdem ein paar Fragen... Ich fände es echt klasse, wenn ihr es schafft, sie mir zu beantworten:
1. Wie finde ich heraus, was ich tatsächlich für sie empfinde?
Ich bin ratlos....
2.Wie soll ich mich ihr gegenüber verhalten? Soll ich es ihr sagen?
Ich will meine Freundschaft zu ihr nicht gefährden, geschweige denn zerstören...
3.Wie soll ich es jemandem anvertrauen? Sollte ich mich "outen"?
Ich kann mir einfach nicht vorstellen, es jemandem zu erzählen. Nicht mal meinen Eltern, obwohl diese überhaupt kein Problem mit Homo- oder Bisexualität haben. Ich habe genauso wenig ein Problem damit, wenn dass jemand ist, oder ich selbst Bisexuell bin.
Aber ich habe da noch eine andere Freundin... Sie kenne ich noch länger als die Freundin, die ich so mag... Sie sagte einmal zu mir, sie fände es nicht schlimm, wenn Jungs schwul sind, aber sie könne es nicht verstehen, wie Mädchen auf Mädchen stehen können. Und das sagte sie nicht so, als könnte sie es einfach nur nicht verstehen, sondern, als fände sie es nicht in Ordnung. Ich fände es sehr schlimm, wenn sie ihre Freundschaft zu mir beendet, wenn sie erfährt, dass ich Bisexuell bin.

Es tut mir leid, dass dieser Text jetzt so lang geworden ist...
Ich weiß, ihr habt sehr viel zu tun, hoffe aber trotzdem, dass ihr Zeit findet, mir diesmal zu helfen.

Vielen Dank und liebe Grüße,
L.

PaulG Anwort von PaulG

Liebe L.,

gerade als ich dein Problem las, dachte ich mir: Es ist nicht leicht, eine Definition zu finden, was "Liebe" eigentlich ist.

Jeder empfindet es anders, jeder geht unterschiedlich weit. Bei jedem ist der Punkt, an dem er sagt "Ich liebe sie / ihn!", anders beschaffen. Mancher ist sehr schnell mit so einer Aussage bei der Hand, manche brauchen lange, und sind sich dann immer noch nicht sicher. Ich weiß von Jungen und Mädchen, die durchaus eine Beziehung mit jemandem eingehen, bei dem sie sich nicht zu 100 % sicher sind, weil sie ihn oder sie einfach supernett und anziehend finden, ohne dass sie jetzt direkt von Liebe sprechen wollen; das mit dem Gedanken: Gefühle werden sich entwickeln, wenn Potential da ist. Und das finde ich auch im Grunde nicht schlecht. Es ist viel besser, als wenn man nur mit jemandem zusammenkommt, weil man ihn oder sie nicht enttäuschen will, aber eigentlich rein gar nichts empfindet. Für Leute, die es so machen, wie ich es beschrieben habe, ist es manchmal einfacher, weil für sie "Liebe" besonders definiert ist. Wenn man unter Liebe versteht, dass man vor lauter Nachdenken und Schwärmen kaum mehr schlafen kann, wenn man völlig im Rausch ist - nun: Da gibt es viele, die sagen "Bei mir ist das anders." Zum Beispiel, weil es leiser kommt, unauffälliger, nicht so plötzlich, weil sie mehr Wert auf Vertrautheit und Geborgenheit legen, und nicht auf wilde Leidenschaft und Drama. Manche brauchen auch das. Aber du siehst: Was du für deine Freundin empfindest, ob das tatsächlich Liebe ist, in einer ihrer vielen Nuancen, oder einfach ein besonders Gefühl der Verbundenheit mit deiner Besten - das kann auch ich dir nicht beantworten. Doch du kannst der Antwort näher kommen, indem du dich fragst: Wie liebe ich eigentlich? Welche Dinge sollen für mich erfüllt sein, damit ich wirklich befriedigt bin? In der Liebe?

Als ich vierzehn war, habe ich stundenlang mit meiner damaligen Freundin telefoniert. Ich war wie auf Wolken nach meinem ersten Kuss. Und ich konnte nur an sie denken. Das ist sicherlich irgendwo normal, wenn man frisch verliebt ist. Aber es ist eben auch nicht bei absolut jedem so. Ich werde demnächst 21, und ich liebe heute anders, als ich mit vierzehn geliebt habe. Vielleicht einfach, weil ich ein paar Jährchen älter bin. Vielleicht aber auch, weil ich inzwischen gemerkt habe, worauf es für mich in der Liebe ankommt. Dass die ganze Aufregung und der Herzschmerz für mich nicht so wichtig sind, wie einfach zu wissen, da ist jemand, zu dem ich kommen kann. Könnte es sein, dass es für dich ähnlich ist? Wie ist für dich der Gedanke, deine beste Freundin wäre deine feste Freundin? Wirkt das auf dich eher komisch - oder fühlst du dich stark von dieser Vorstellung angezogen? Da ihr euch ja bereits sehr gut versteht, viel voneinander wisst, ist es auch so, dass eure große Vertrautheit durch eine Beziehung nicht gebrochen würde. Ihr wärt euch so nah, wie viele Paare es erst nach Jahren sind. Das wäre ein großer Vorteil. So viel würde sich ja gar nicht ändern. Du fühlst vielleicht große Dankbarkeit für sie, möchtest sie nicht verlieren, ihr vieles sagen, was du an ihr magst - und sie umgekehrt. Vielleicht ist diese große Nähe wirklich ein Ausdruck von Liebe, die bei dir aufgekommen ist. Vielleicht aber auch nicht. Ich kann es dir nicht zuverlässig sagen. Denn selbst wenn du jetzt mit einem Mädchen zusammen wärst, müsste das noch nicht heißen, dass es für alle Zeiten feststeht. Du bist in einer Lebensphase, in der sich vieles ganz neu ordnet, viele Fragen aufkommen, die nur die Zeit beantworten kann - und meist erst dann, wenn schon wieder ganz andere wichtig sind. Habe keine Scheu, dir zu sagen: Ich weiß es im Moment nicht. Du hast die Freiheit dazu.

Es gibt Jungen, die gemeinsam mit einem Freund ihren Körper entdecken. Und es gibt Mädchen, die zuerst mit einer Freundin Zärtlichkeiten austauschen. Ohne dass das bedeutet, dass sie homosexuell sind. Was empfindest über den Körper deiner Freundin? Findest du sie einfach attraktiv, in dem Sinn, wie man einen Freund bewundert, womöglich beneidet? Oder hast du schon das Bedürfnis gehabt, ihren Körper zu fühlen? Und wenn ja, wie oft? Stellst du dir Berührung mit ihr vor - oder vermisst du nicht so sehr das, was ihr nicht hattet, als das, was ihr (im Augenblick) nicht habt? Wie würde es sich für dich anfühlen, wenn deine Beste einen Freund hätte? All das sind Fragen, die du dir stellen kannst - auch diese müssen aber noch keine befriedigende Antwort liefern.

Da ist natürlich zur Zeit das Problem, dass ihr euch nicht sehen dürft. Wenn du dir zutraust, ihre Mutter darauf anzusprechen, dann könntest du sie bitten, ob ihr nicht erstmal wieder telefonieren dürft. Und wenn das gut klappt, ihr es zeitlich ein bisschen beschränkt, dann dürft ihr es vielleicht bald wieder ausbauen. Wobei ich jetzt nicht weißt, ob ihr noch telefonisch Kontakt habt. In diesem Fall wäre es das Beste, entweder deine Eltern noch einmal zu fragen, ob sie für euch ein gutes Wort einlegen könnten - oder einfach abzuwarten. Natürlich könntet ihr euch auch heimlich treffen, könntet vorgeben, euch jeweils mit jemand Anderem verabredet zu haben. Das ist aber erstens sehr unsicher, zweitens eine ungute Lösung, wenn da von deiner Seite wirklich mehr sein sollte, und du sie umso mehr vermisst. Ich denke wirklich, dass ihre Mutter mit der Kontaktsperre überreagiert hat - auch ohne zu wissen, worum genau es ging. Jedoch lässt sich letztlich nur mit viel Geduld und gutem Zureden etwas erreichen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es immer so weitergehen soll, auch von Seiten ihrer Mutter. Bis dahin gibt es dir vielleicht die Zeit, dich gedanklich zu sammeln, auch mal mit anderen Leuten (oder auch Jungs) etwas zu unternehmen, um dir über deine Gefühle klarer zu werden.

Ich möchte an dieser Stelle klar stellen, dass alle sexuellen Orientierungen für mich absolut gleichwertig sind. Zur Vorsicht rate ich nur deshalb, weil ein vorzeitiges Outing, das man etwas später doch anders sieht, leicht zu unschönen Missverständnissen führen kann. Daher wartest du vielleicht besser damit, bis du dir ganz sicher bist. Es bietet sich schon an, deine Eltern einzuweihen - erst einmal nach dem Motto: "ich denke da so über Einiges nach..." Das ist aber keine Pflicht, weil es dir ja helfen soll. Wenn du dir nicht ganz sicher bist, wie deine Eltern reagieren würden - bezeihungsweise, ob ihre Reakiton hilfreich wäre ,egal wie sie ausfällt - dann muss es jetzt nicht sein. Auch für andere Leute gilt das, falls es nicht jemanden gibt, dem du wirklich fest vertraust und es gern berichten möchtest. Da fühl dich ganz frei. Nur notwendig ist es (noch) nicht. Ich denke auch, du solltest probieren, dir nicht so viele Sorgen zu machen, ob deine Freundin noch zu dir stehen würde, solltest du tatsächlich lesbisch oder bi sein.

Ich sage dir einmal, wie es mir geht: Zwar habe ich überhaupt nichts gegen Homosexualität, wie schon gesagt. Es ist einfach eine andere Form der Sexualität, die sich ja niemand aussucht, und die ebensoviel Freude und Wärme mit sich bringen kann. Es gibt homosexuelle Paare in meinem Bekanntenkreis, von denen sich manche "gemischten" Pärchen eine dicke Scheibe abschneiden könnten. Oft ist es so, dass die Überwindung von Vorurteilen, das Aufeinander-angewiesen-sein gegen Widerstände, eine größere Nähe schafft. Bei all diesem Wissen wäre es für mich aber trotzdem noch eine Umstellung, wenn mein bester Freund (den ich schon eine Ewigkeit kenne), mir gestehen würde, schwul zu sein. Oder sich sogar in mich verlieben würde. Das Wissen darüber, dass jede Form von Liebe ihre Berechtigung hat, ist die eine Seite der Medaille; auf der anderen befindet sich das Gefühl der Fremdheit und Unsicherheit, das jeden befallen kann, gegen das man ankämpfen muss - das man sich aber auch zugestehen sollte. Mal angenommen, deine andere Freundin hätte diesen Satz zur Homosexualität niemals gesagt, und du wärst dir sicher, auf Mädchen zu stehen, und würdest es ihr einfach frei gestehen: Was wäre dann? Auch wenn sie es akzeptieren würde, wäre sie vielleicht erst einmal verstört, und würde ein bisschen Abstand brauchen. Das hat nichts mit ihrer grundsätzlichen Bindung zu dir zu tun, es ist etwas Menschliches, das du ihr erlauben müsstest. Wie wichtig du ihr bist, sollte sich dann in der Tat daran zeigen, dass sie am Ende ihr Befremden fahren lässt und zu dir steht, ihrer besten Freundin, die du immer warst und noch immer wärst.

Wenn die Liebe zu Mädchen, oder die zu Jungen und Mädchen, in dir angelegt ist, wirst du es irgendwann deutlich merken. Möglicherweise nicht jetzt, aber es wird einmal soweit sein. In diesem Fall müsste irgendwann die Stunde der Wahrheit kommen. Wenn deine Freundin es dann nicht schaffen würde, sich zu dir zu bekennen, ob du nun lesbisch, hetero oder bi bist, dann würde das so oder so das Ende eurer Freundschaft bedeuten. Du könntest deine Orientierung niemals verändern oder verleugnen, nur weil es ihr anders lieber wäre. Sollte sie wirklich Vorurteile in sich haben, die sie um deinetwillen nicht überwinden kann, dann könnte das nichts daran ändern. Im Moment hemmt dich diese Angst vielleicht auch etwas auf deiner Suche, was deine Orientierung ist, und mischt sich in deine angenehmen Träume. Dass ihr euch nicht sehen könnt, macht es nicht gerade einfacher. Daher kann es sein, dass jetzt nicht die günstigste Zeit ist, um eine endgültige Aussage zu treffen. Wenn du es deiner Freundin gestehen möchtest, sollte das besser warten, bis sich zwischen euch und ihrer Mutter die Wogen geglättet haben - ob du zuvor eine eindeutige Antwort findest, müssen wir hier offen lassen. Ich kann dich im Grunde nur ermutigen, dich nicht deiner Angst hinzugeben: Kennst du nicht deine beste Freundin am besten? Meinst du nicht, dass diese eine Aussage, die du genannt hast, nicht viel bedeutet - gemessen an allem, was ihr gemeinsam habt und euch verbindet? (Zumal sie ja gar nicht von ihr selbst stammt!) Gib dir die Zeit, die du brauchst, bis sich deine Gefühle klären, und erlaube dir solange, in jede Richtung zu träumen, die dir angenehm ist - ob Junge, Mädchen, oder beides. Denn alles ist gleich gut - und wenn du dir sicher bist, was irgendwann sein wird, dann wird es sich für dich gut anfühlen. Solange versuche, noch ein wenig beiseite zu schieben, was dir Angst macht, und vertraue auf die Tiefe und Beständigkeit eurer Freundschaft. Hab deine Freude an dem, was dir gefällt, was es auch ist - und öffne dich für das, was es dir sagen will. Ich weiß nicht, was es ist. Aber die Zeit wird es zeigen, und dann wird es wunderschön sein.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul