Problem von Zeira - 19 Jahre

Wie werde ich mein Selbstmitleid los?

Hallo liebes Kummer-kasten-Team, ich habe seit längerer Zeit Probleme mit mir selbst.
Ich reflektiere ständig alle Fehler und Entscheidungen, die ich seit meinem vierzehnten Lebensjahr gemacht habe und schaffe es nicht mich meinen aktuellen Sorgen und Problemen
zu stellen. Der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Ständig fange ich an zu weinen , weil alte Emotionen in mir hoch kommen. Ich hasse meinen Busen und wünsche mir, obenherum wieder ohne Busen zu sein. Ich ziehe immer so viele Jacken darüber wie möglich. Der Gedanke als Frau wahrgenommen zu werden stört mich und ich vermisse die Zeit in der ich über die Felder rennen konnte , ohne das alles wackelte. Manchmal kriege ich deswegen Hassgefühle, oder fange an zu weinen. Ich will auch später keine Kinder bekommen und einen Partner möchte ich auch nicht. Ich will mit Geschlechtern und Sexualität nichts zu tun haben. Genauer gesagt ich will nicht damit nicht in Verbindung gebracht werden. Aber wenn es nur das wäre hätte ich kein Problem! Als ich sechzehn Jahre alt war, fand ich meine zwölfjährige Schwester sexuell anziehend. Was mich innerlich immer mehr fertig machte. Ich begann mich von ihr zu distanzieren, um sie zu schützen. Ich ging ihr aus dem Weg , grüßte sie kurz wenn ich sie sah und zog mich den Rest des Tages in die Ecken, des Hauses, oder Gartens zurück, in denen sie gerade nicht war. Am Abend und beim Mittagessen saßen wir wie eine ganz normale Familie am Essens-tisch , oder vor dem Fernseher. Es war hart sie jeden Tag zu sehen, ich war andauernd hin und her gerissen zwischen schlechtem Gewissen, Selbsthass und Einsamkeit. Ich schämte mich zu sehr um mit meinen Eltern darüber zu sprechen und zu meinem Jugendpsychologen zu gehen der mich seit Kindertagen kannte traute ich mich nicht. Ich hatte Angst das er mit meinen Eltern darüber sprechen würde. Ich hätte sie nicht mehr ansehen können. Außerdem hatte ich Angst davor meine Familie verlassen zu müssen und in einer Wohngruppe für Jugendliche, oder sowas ähnlichem zu landen. Ich kam doch so schwer klar mit anderen in meinem Alter. Ich bin Aspherger Autistin. Heute frage ich mich ob es nicht besser gewesen, denn durch meine Einsamkeit habe ich mich noch weiter von den anderen Menschen entfernt, als früher. Vor etwas mehr als einem halbem Jahr habe ich einer Therapeutin in der selben Praxis meine Geschichte erzählt. Die Anziehungskraft meiner Schwester gegenüber , sie ist jetzt fünfzehn, ist mittlerweile zwar verschwunden, aber ich fühle mich nicht wirklich gut. Ich würde so gerne mit jemandem über diese schwere Zeit sprechen. Aber mit wem? Ich habe Angst das meine Eltern damit nicht klar kommen , wenn ich es ihnen sage. Ich habe Angst davor auszuziehen und auf mich alleine gestellt zu sein!Ich bin mittlerweile neunzehn, aber die Vergangenheit lässt mich einfach nicht los und ich versinke immer aufs Neue im Selbstmitleid, anstatt mich um meine Zukunft zu kümmern und eine Ausbildungsstelle zu suchen. Vielleicht könnt ihr mir einen Rat geben , wie ich mein Selbstmitleid los werde?
Zeira

Anna Anwort von Anna

Liebe Zeira,

vielen Dank für Dein Vertrauen uns gegenüber und für die detaillierte Beschreibung Deiner Situation. Dass es Dir zur Zeit sehr schlecht geht, kann ich gut nachvollziehen und ich glaube, dass die Last, die Du da mit Dir herumzutragen scheinst, sich nicht nur groß anfühlt, weil Du Dich für selbstbemitleidend hälst, sondern tatsächlich groß ist.
Das ist ein wichtiger Unterschied.
Die ganzen Schuldgefühle, die Dich immer wieder heimsuchen, zum Beispiel wegen Deiner Schwester, die Angst, dass was nicht mit Dir stimmt und Du nicht so bist, wie Du sein solltest - all das wird größer und größer, wenn Du Dir weiterhin einredest, nur in Selbstmitleid zu verfallen, anstatt etwas "Wichtigeres" tun zu müssen. Die Ängste und Sorgen, die Du hast, sind nicht unwichtig oder einfach beiseite zu schieben, sie sind vielmehr Zeichen für einen tiefen Konflikt in Dir. Dich belastet das Gefühl, nicht normal zu sein, die Angst, nicht dazu zugehören, die Sorge, das irgendwas nicht stimmt und das dumpfe Ahnen, dass Du Dein Leben nicht so führst, wie Du solltest.
Zunächst einmal ist es unheimlich wichtig, loszulassen und die Dinge (Gefühle, Ängste, Deinen Körper, Deine Lebensumstände, Deine sexuellen Wünsche und Gedanken) erstmal einfach so hinzunehmen wie sie sind. Du kannst sie nicht ändern. Du kannst sie nur hinnehmen, betrachten und für Dich und Dein Leben sinnvoll einordnen. Erst dann eröffnen sich Lösungsmöglichkeiten. Du bist begleitet von dem ständigen Gefühl, nicht so zu sein, wie Du sein solltest. Aber was ist es denn, was nicht den Erwartungen entspricht? Oder noch viel wichtiger: Was für Erwartungen hast Du eigentlich an Dich und Dein Leben?
Ich würde Dir empfehlen, die Therapie, die Du erwähnt hast, weiterzuführen, wenn Du Dich bei der Therapeutin wohlfühlst. Sich mit sich selbst zu beschäftigen ist für die seelische Gesundheit absolut notwendig und je mehr Du versuchst, so zu sein, wie Du nicht bist und versuchst, Deine Ängste und Sorgen nur zu verdrängen, um "endlich mal was Sinnvolles zu tun", desto größer und aufdringlicher werden sie.
Du stehst im Moment vor einer unheimlich schwierigen Lebensaufgabe, einem Konflikt, der Dich vielleicht die nächsten Jahre noch beschäftigen wird - wer bin ich eigentlich und wo ist mein Platz in der Welt? Ein harter Prozess - begleitet von Ängsten, Sorgen und Panik, die ganz normal dazu gehören. Vielleicht bringt es Dir ein bisschen Atemluft und Befreiung, Dich über Deine Situation zu informieren, mal zu schauen, "was die Welt dazu sagt" und vielleicht über Dein Stöbern auf interessante Lebensstile und Orientierungen zu stoßen. Informiere Dich über Depressionen, Psychologie, sexuelle Orientierungen, über Themen, die Dich vielleicht im Innersten bewegen und versuche ein wenig über den Tellerrand zu schauen und dieses "So und nicht anders hat was zu sein" über Bord zu werfen.
Empfehlen kann ich Dir, wenn Du Lust hast, Dich interaktiv mit Dir selbst zu beschäftigen, diese Reihe an Übungsheften:
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Ich hoffe auf jeden Fall, dass ich Dir ein wenig helfen konnte.
Viele liebe Grüße und alles Gute,

Anna