Problem von Anonym - 20 Jahre

Macht es Sinn?

Hallo Zusammen,
ich hatte schon öfters mal an euch geschrieben, bezüglich meiner Schüchternheit.
Habe sie bis jetzt immer noch nicht wirklich gelöst auf andere Menschen zu zugehen und sie einfach anzusprechen. Mir fällt es auch verdammt schwer mit einem Menschen zusprechen bzw. die richtige Worte/Fragen zufinden, da ich nicht weiß was ich sagen soll.
Erst wenn ich den Menschen etwas mehr kenne oder mehr Zeit mit den jenigen verbracht habe, kann ich mich "etwas" mit der Person unterhalten. Besonders schwer fällt es mir bei Mädchen, da bei mir auch das Schamgefühl im "weg" ist. Denn wenn ich was falsches oder was mir unangenehm ist sage, dann werde ich sofort knall rot.
Das erstmal zur Vorgeschichte.
Momentan mache ich eine Ausbildung und hatte letztens ein Lernstandgespräch mit meinen Kursleiter.Dort wurde das übliche besprochen wie was sind meine Stärken/Schwächen ect.
Und zu meinen Schwächen hat mein Kursleiter intensiver nachgefragt, da ich Kommunikation und Schüchtern als meine Schwäche angeben.Er hat mich nach meiner Vergangenheit "ausgefragt" und ich habe ihn alles relevante Sachen erzählt:
Das meine Schüchterheit erst angefangen hat seit meine Eltern sich geschieden haben und seit dem auch Probleme habe mit Menschen zusprechen bzw. anzusprechen.
Meine Mutter ist damals weggezogen und wohne seit dem bei meinen Vater (ist gute 7-8 Jahre her).Vor 4 Jahren ungefähr ist meine Mutter verstorben (verkraftet habe ich es immer noch nicht, aber kann damit leben).Mein Kursleiter meinte darauf, dass ich seit dem kein Vertrauen mehr aufbauen kann zu anderen Personen, da mein inneres ich sagt "Halt Stop !" dein Vertrauen könnte wieder gebrochen werden.
Seit dem denke ich nur noch dran und für mich ergibt es einfach nur Sinn.Mir wird dann nach und nach klar, warum ich wahrscheinlich noch keine Freundin habe und auch nicht wirklich viele Freunde habe. Denn ich kann kein richtiges Vertrauen aufbauen und dann nur mit den hinter gedanken es wird sowieso wieder gebrochen.
Ich weiß noch nicht wirklich wie ich damit umgehen soll und wie ich es schaffe wieder den Personen vertrauen zuschenken ohne diesen hinter gedanken.

Schuldige das ich jetzt soviel geschrieben habe, ich musste dass jetzt einfach loswerden, jemanden erzählen und vielleicht könnt ihr mir Tipps geben oder helfen.

Mit freundlichen Grüßen

Kevin

Anna Anwort von Anna

Lieber Kevin,

vielen Dank für Dein langjähriges Vertrauen uns gegenüber. Es ist bemerkenswert, wie selbstkritisch und offen Du Dich und Deine Gefühle hinterfragst und finde es gut, dass Du Ängste und Sorgen, ob bewusst oder unbewusst, nicht einfach hinnehmen willst.

Du hast direkt von zwei Erlebnissen berichtet, die absolut prägend gewesen sein müssen und im Leben eines Menschen, dann auch noch im Leben eines so jungen Menschen, viele Fragen und viele Ängste aufwerfen und sicherlich nur sehr, sehr schwer zu verarbeiten sind. Wie viele Menschen leiden als Erwachsene unter der Scheidung ihrer Eltern, die sie als Kinder miterleben mussten. Und besonders schlimm ist es, den Tod eines Elternteils akzeptieren zu müssen, vor allem in einem Alter, in dem man an sowas eigentlich noch gar nicht denken sollen müsste. Mit der Scheidung Deiner Eltern und dem Tod Deiner Mutter hast Du mehr durchgemacht als viele andere in Deinem Alter und ich denke, das sollte Dir auch entsprechend bewusst sein. Aber dazu später mehr.
Schüchternheit ist die Angst gesehen zu werden. Schüchternheit ist die Sorge gesehen zu werden und als nicht gut genug abgestempelt zu werden. Sie kann sich auf das Äußere beziehen, auf ein Körperteil mit dem man unzufrieden ist oder auf eine Verhaltensweise, die man nicht steuern kann, wie zum Beispiel rot zu werden, zu stottern, zu zittern etc. Sie kann sich aber auch auf das Innere beziehen. Man will Menschen dann erst gar nicht nahe genug heran lassen, weil man Angst hat, sie könnten entdecken, wer man wirklich ist und das ist in der eigenen subjektiven Sichtweise meistens nichts Schmeichelhaftes. Schüchternheit ist eine Schutzvorrichtung, die uns davor bewahren soll, verletzt zu werden und diese Angst hat man nie umsonst, denn sie entsteht erst aus einer schweren Verletzung, die man mal erleiden musste. Aber Schüchternheit ist auch kein Urteil für den Rest Deines Lebens, sondern eine Verhaltensweise, die zwar aus Erfahrung entstanden ist, aber sich auch durch positives Erleben und Selbstwertstärkung wieder zurückbildet. Wenn Dein Unbewusstes verstanden hat, dass Schüchternheit nicht mehr nötig ist, wirst Du sie automatisch ablegen.

Schüchternheit zu überwinden ist nicht immer so leicht und oft ein langer Weg, an dessen Ende nicht nur Selbstbewusstsein steht, sondern man auch zu sich selbst gefunden hat. Im Folgenden gebe ich Dir mal den Link zu einer Leseprobe von dem Buch "Soziale Angst. Soziale Phobie" mit einem Test, über den Du vielleicht herausfinden kannst, wo Du mit Deiner Schüchternheit eigentlich stehst. https://www.angst-panik-hilfe.de/PDF-Dateien/angst-soziale-angst-leseprobe.pdf
Ich denke, es ist nun wichtig, dass Du Dich mit Deiner Angst genauer beschäftigst und versuchst, sie zu beobachten und darüber vielleicht sogar zu verstehen. Mache die Angst selbst zum Gejagten und verfolge sie bis sie Dir offenbart, was sie eigentlich will. Und dann kannst Du überlegen, was es bräuchte, um sie langsam und Stück für Stück abzubauen. Denn es ist jetzt auch wichtig, dass Du versuchst, Dich, so, wie Du bist mit allen Ängsten und Sorgen, anzunehmen und erstmal zu akzeptieren. Du hast diese Angst nun und das auch nicht ohne Grund. Es sollte im Folgenden nicht darum gehen, endlich nicht mehr schüchtern zu sein, sondern darum wieder Vertrauen in die Menschen um Dich herum zu fassen. Und das ist ein großer Unterschied, wenn Du mal darüber nachdenkst.
Auch möchte ich Dir noch einige Übungshefte empfehlen:
http://www.amazon.de/gp/product/3955500888/ref=s9_simh_gw_p14_d0_i12?pf_rd_m=A3JWKAKR8XB7XF&pf_rd_s=desktop-1&pf_rd_r=0YCNM5GZRK0PFZ78MTF5&pf_rd_t=36701&pf_rd_p=862808927&pf_rd_i=desktop
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Und um noch einmal darauf zurückzukommen, was ich am Anfang geschrieben habe, und zwar, dass es Dir bewusst sein muss, was Du bisher alles erleben musstest. Mit einem solchen Erfahrungshintergrund denke ich, ist es nicht verkehrt, einen Therapeuten aufzusuchen und mit ihm oder ihr in einem ersten Gespräch abzuklären, ob es nicht sinnvoll wäre, eine Therapie zu beginnen. Hier soll es nicht darum gehen, Dich zu ÄNDERN, sondern darum, die Erfahrungen, die Dich mit Sicherheit sehr stark geprägt haben, aufzuarbeiten. Eine Therapie soll immer eine Hilfe sein, keine Belastung.
Hier gebe ich Dir mal einen Link zu dem Thema:
http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/31/Professionelle-Hilfe-Wie-finde-ich-einen-Psychotherapeuten.html

Lieber Kevin, ich hoffe, ich habe das Meiste angesprochen, auch, wenn ich sicherlich noch lange nicht genug gesagt habe. Aber ich hoffe sehr, dass ich Dir einigermaßen helfen konnte und wünsche mir für Dich viel Mut, Stärke und Geduld auf Deinem Weg zu Dir selbst. :-)

Viele Grüße,

Anna