Problem von Anonym - 21 Jahre

Vermissen lenkt mich vom Studium ab

Hallo ihr Lieben!
Danke schon mal im Voraus, dass ich euch mit meinen Problemen belämmern darf.
Zu meiner Person: Ich bin 21 Jahre alt und habe im letzten Schuljahr ein BFD in einer Schule gemacht und ich kann es nur als das schönste Jahr meines Lebens bezeichnen. Meine Schulzeit war nicht so toll. Mir ging es oft ziemlich schlecht. Ich hatte Probleme mit Mobbing und dadurch sehr wenig Selbstbewusstsein. Seit Kindergartentagen habe ich das Gefühl einfach anders zu sein als andere Menschen und ich glaube, dass mich noch nicht einmal meine Familie richtig verstehen kann. Ich bin ein sehr emotionaler und nachdenklicher Mensch, manchmal sehr schüchtern und einfach kein Partytyp. Meine Familie und auch andere Verwandten machen sich Sorgen, weil sie der Ansicht sind, dass ich meine "ganze Jungend verpasse." Das macht mich sogar meiner Familie gegenüber unsicher und einfach schüchtern. Ich kann nicht aus mir raus gehen, weil ich jedes Mal als kindisch abgestempelt wurde. Ich bin wie schon gesagt sehr emotional und auch impulsiv. Wenn ich mich zum Beispiel total freue oder traurig bin oder sonst irgendwie emotional geladen muss das einfach raus. Auf viele Menschen wirke ich deswegen etwas seltsam und eigenartig und Viele gehen zu mir auf Distanz oder fangen an über mich zu lästern. Dann war ich nach dem Abi in dieser Schule und ich konnte zum ersten Mal ich selbst sein. Ich hatte immer das wunderbare Gefühl von allen gemocht und teilweise sogar geliebt zu werden. Von Kindern und Erwachsenen. Ich hatte so viel Spaß da und es war einfach wunderschön. Gerade die Erwachsenen aus meiner Klasse haben mir immer zugehört und waren immer für mich da. Sie haben oft gemeint, dass ich ruhig meine Gefühle zulassen darf, dass gerade das mich sympathisch und liebenswert machen würde. Es hat einfach gepasst und ich hab alle dort sehr lieb gewonnen. Es sind wirklich so tolle Menschen! Ich hab mich noch nie irgendwo so wohl gefühlt und jetzt ist es ja schon seit gut einem Jahr leider vorbei. Mittlerweile studiere ich und gehe diese Klasse auch noch besuchen so oft es geht. Nichtsdetsotrotz kann ich sie einfach nicht vergessen. Mir fällt es so schwer loszulassen. Ich muss jeden Tag an sie denken und vermisse sie IMMER schrecklich. Mir gelingt es einfach nicht abzuschalten und genau darin liegt das Problem. Dass ich andauernd an sie denken muss führt dazu, dass ich mich nicht richtig auf mein Studium konzentrieren kann. Ich könnte viel besser sein, wenn ich es nur schaffen würde mich zusammenzureißen und mich einfach nur mit dem Lernstoff auseinandersetzen würde.
Aber nein: Stattdessen schweifen meine Gedanken immer zu dieser Klasse. Mir bewusst zu sagen: "Stopp! Ich denke jetzt nicht daran." oder mir irgendwelche Zeiten einzuräumen in denen ich an sie denken darf, hat nicht geklappt. Ich hab sogar schon versucht mir einzureden, dass sie ohne mich besser dran sind und es ihnen ohne meine Wenigkeit besser geht, einfach, damit es für mich leichter ist (War eine blöde Idee, ich weiß). Das wird sowieso jedes Mal wenn ich sie besuche widerlegt, weil sich alle auf mich stürzen, mich umarmen und dann Sachen kommen wie: "Ich liebe dich!", "Schön, dass du da bist!", "Wir freuen uns!", "Bitte bitte komm doch morgen wieder!" usw. Das ist zwar unheimlich schön für mich, aber führt auch dazu, dass ich andauernd an sie denken muss! Ich weiß: das hat sich vielleicht alles etwas lächerlich angehört, aber ich hab bisher noch nie erlebt, dass Menschen so lieb zu mir waren. Habt ihr vielleicht eine Idee wie ich das aus meinem Kopf bekommen kann, sodass es mir leichter fällt mich auf das Studium zu konzentrieren? Ich hab wirklich Angst, dass ich deswegen Klausuren verhaue. Ich hab sie bisher zwar alle bestanden, aber ich hab das Gefühl, dass es in diesem Semester fast noch schlimmer geworden ist. Über eure Hilfe würde ich mich sehr freuen! Danke und liebe Grüße!

Anna Anwort von Anna

Liebe Anonyme,

vielen Dank für Dein Vertrauen uns gegenüber und vor allem auch für Deine Offenheit. Ich finde es sehr beeindruckend, wie es Dir gelingt Deine Gefühle und Gedanken in Worte zu fassen und denke, das ist eine Fähigkeit, die Dir in vielen Bereichen Deines Lebens noch oft weiterhelfen wird.

Dass es Dir zur Zeit nicht so gut geht, weil Du die Menschen aus dem Jahr vermisst und auch dass Du Dir Sorgen machst, ob Du Dein Studium richtig gebacken bekommst, kann ich sehr gut nachvollziehen. So leid es mir tut, dass Du in der Schule so belastende Erfahrungen sammeln musstest, desto mehr freut es mich für Dich, dass Du in Deinem BFD-Jahr so viele schöne Erfahrungen mit so vielen Menschen sammeln konntest. Und auch, wenn Du Deine Sehnsucht nach dieser Zeit schon beinahe als Qual empfindest, es freut mich sehr für Dich, dass die schönen Erfahrungen nicht an dem Ort und in der Zeit geblieben sind und Du noch immer Kontakt zu diesen Menschen hast.
Zunächst einmal: sich Sorgen zu machen, dass man sein Studium nicht schafft, weil man emotional auch mal woanders als nur bei den Klausuren ist, ist ganz normal und ich schätze, dass es sicher jedem Studenten so geht. Das Studium ist wie die Schulzeit auch - eine Zeit voller (innerer) Veränderungen, eine Zeit, in der man sich selbst besser kennenlernt und meist mit allem beschäftigt ist, nur nicht mit dem Studium selbst. Und das ist auch vollkommen okay so, was sag ich da, es ist sogar notwendig! Das Studium ist die Zeit des Experimentierens und des sich selbst besser Kennenlernens. Dazu gehört es auch, erstmal die Schulzeit und die Zeit zwischen Schule und Studium zu verarbeiten, dazu gehört es vielleicht auch mal in ein Loch zu fallen, zu zweifeln, das Fach zu wechseln, eine Krise durchzumachen und Klausuren einfach mal Klausuren sein zu lassen.

Von einer Krise bist Du in Deinem Fall vielleicht aber noch weit entfernt. Mach Dich nicht verrückt. Du hast bisher alle Klausuren bestanden. Ist doch super! Selbst wenn Du mal eine nicht bestehst, das ist doch auch kein Beinbruch. Und wieso solltest Du die Menschen von damals vergessen wollen? Es ist doch total toll, dass Du noch Kontakt zu ihnen hast und sie sich immer noch total freuen, wenn sie Dich sehen. Ich habe auch noch Kontakt zu Freunden aus meiner Schulzeit und es ist einfach wie damals, wenn wir uns treffen. Gerade in der ersten Zeit vom Studium leiden Viele unter Sehnsucht - sie vermissen ihr altes zuhause, die Familie, die Freunde aus der Gegend, die Gemeinschaft, die sie vielleicht in der Schule oder wie Du bei einem BFD gefunden haben. Viele fahren so oft es geht nach Hause oder telefonieren mit Eltern und Freunden. Und gerade Du, die in der Schulzeit schlimme Erfahrungen gesammelt hat und bis zu diesem BFD nie eine richtige Gemeinschaft für sich finden konnte, vermisst genau diese Leute doch am allermeisten.
Halte den Kontakt zu ihnen weiterhin. Du hast dort sicher viele echte Freunde gefunden und eine Zeit und einen Ort, der Dir für den Rest Deines Lebens ein Lächeln aufs Gesicht zaubert und Dir Kraft gibt. Versuche aber auch, Dich auf Deine neuen Kommolitonen einzulassen. Eine Uni ist nicht wie eine Schule, wenn man jemandem nicht mag, kann man ihm meist aus dem Weg gehen und starke Gruppen wie eine Klassengemeinschaft bilden sich nicht, da man in jedem Semester neue Leute um sich rum hat. Auch das Studium kann zu einer der schönsten Zeiten Deines Lebens werden. Muss es nicht, es kann auch einfach nur ganz okay sein, aber auch dort kann lernt man sehr viele neue Menschen kennen, interessante Menschen, fremde Menschen, unterschiedliche Menschen. Da gibt es sicher welche, mit denen Du Dich gut verstehen kannst und die Dich mögen wie Du bist. Dass das möglich ist, hast Du ja im BFD gesehen. :-)
Lade doch mal jemanden von dort zu Dir an die Uni ein, zeige ihm/ ihr Dein neues Leben und geht in der Stadt mal gemeinsam weg. Oder andersrum - verknüpfe Kontakte von der Uni zu Menschen aus dem BFD. Lass sich die Welten miteinander vermischen. Du musst die eine nicht aufgeben, um in der anderen leben zu können.

Zum Schluss möchte ich Dir noch zwei Links empfehlen. Das eine ist ein Übungsheft, das Dir vielleicht ein wenig weiterhelfen kann, das andere ein Link zum Thema Hochsensibilität, wo ich mir vorstellen könnte, dass Du davon betroffen bist:
https://www.amazon.de/Das-kleine-%C3%9Cbungsheft-Beziehungen-Bibliothek/dp/3941837702/ref=pd_sim_14_10?ie=UTF8&dpID=51yDpPBuR1L&dpSrc=sims&preST=_AC_UL160_SR126%2C160_&psc=1&refRID=WV0D7F83VSM6D3J92QZY
http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/53/Hochsensibilitaet.html

Ich wünsche Dir alles Gute!

Viele Grüße,

Anna