Problem von Tobi - 19 Jahre

Verwirrt

Hallo Paul G.,

tja, Weihnachten ist rum, es is seit dem letzen Mal sehr viel passiert.
Du wolltest wissen was aus der Sache mit Helena geworden ist, nun, da gibts nix mehr zu sagen, wir ham uns einmal getroffen und das war auch das letzte Mal. Sie schaffte es einfach nicht von ihrem Ex loszukommen, ich hatte einfach keinen Bock mehr ständig nur ihr gejammer darüber zu hören, Zeit hatte Sie sonst auch nie. Ich hab mittlerweile fast keinen Kontakt mehr zu ihr. Mehr gibts nicht darüber zu sagen.

Beruflich is alles Okay, ich versteh mich mit allen besser den je.
Ich hab das Rauchen angefangen, so hab ich auch ne Menge neuer Leute kennengelernt.
Und so saß ich eines Tages im Raucherraum auf der Arbeit und sah da dieses Mädchen sitzen - Irina.
Sie hatte grad mit ner anderen Kollegin Nummern getauscht und so hab ich spaßeshalber einfach gefragt ob Sie mir ihre auch gleich gibt wenn Sie schon dabei ist. Eigentlich wars mir egal, aber zu meiner Überraschung gab Sie sie mir sofort. Mir kommt immer noch das Lachen wenn ich drüber nachdenke.
Als ich dann mal wenig zu tun hatte, dachte ich mir ich schreib Sie mal an.

Es passte von Anfang an, Sie schaut die selben Serien wie ich, mag die gleiche Musik. Wir haben von da an die ganze Zeit miteinander geschrieben, sie ist von der Art her genauso wie ich, Sie hat ne sehr gute Allgemeinbildung, der Gesprächsstoff is uns nie Aussgegangen.
Wir trafen uns in der Arbeit so oft es ging, da unser Unternehmen recht groß ist viel es nie auf wenn ich mal kurz das Büro verlies, eines Tages meinte Sie, wenn wir schon beide so gern Techno hören sollten wir mal zusammen auf ne Technoparty gehen.
Haben wir das WE drauf auch gemacht, wir hatten viel Spaß, kamen uns auch ein wenig näher.
Ich lernte Sie immer besser kennen, ich weiß Sachen über Sie die sonst niemand weiß.
Wir kamen dann auch zum Thema Beziehung, sie sagte, dass sie ein Problem damit hat Beziehungen einzugehen. Ich wollte natürlich wissen warum. Sie öffnete sich, so hab ich erfahren, das ihr Exfreund fast an einer Überdosis gestorben wäre und er als er aus dem Koma wieder aufwachte Sie dafür verantwortlich gemacht hat. Das hat Sie sehr mitgenommen, es ist erst 1-2 Jahre her, Sie fühlte sich sehr Schuldig, Sie hat nach paar anderen großen Enttäuschungen angefangen sich selbst zu verletzen - den Moment als ich die Narben gesehen hab werd ich nie vergessen.
Ich hab angefangen auf Sie einzureden, das Sie keineswegs dran Schuld ist, das Sie sich deswegen nicht abschreiben soll, dass Sie nach vorn Blicken soll.

Eines Tages meinte Sie, dass Sie jeden Tag daran denken muss, was ich ihr gesagt hab. Ich konnte meine Erfahrungen die ich gemacht hab auch gut nutzen, um ihr zu helfen. Sie kennt meine Geschichte genauso gut wie ich ihre.
Irgendwann kamen wir auf die Idee, ob Sie nicht mal zu mir kommt und wir uns einen schönen Abend machen, ich hatte Gefühle für Sie entwickelt.
Der Abend war toll, irgendwann lagen wir im Bett, sind uns näher gekommen.
Da lagen wir da, ich strich ihr mit der Hand die Haare aus dem Gesicht und Sie schaute mich mit ihren hübschen braunen Augen an. Irgendwas stimmte nicht, ihre Augen verrieten Sie. Wir sind danach noch zu Freunden gefahren, alle meinten wir passen super zuammen.
Ich dachte jeden Tag an Sie, alles war wie immer. Dann fing Sie wieder mit dem Thema Beziehung an. Ich gestand ihr, dass ich Gefühle für Sie hätte. Sie meinte nur: Wie wichtig bin ich ihr denn schon? Ich hab ihr einen halben Roman geschrieben wie wichtig Sie mir doch sei. Sie war baff, sie wusste einfach nicht mehr, was Sie sagen soll.
Dann kam nur ein: Ich habs wirklich versucht es zuzulassen, aber ich kann das einfach nicht. Das war es also was ich in ihren Augen gesehen hab....
Danach kam nur noch: Ich will dich nicht verlieren.

Ich war einfach nur noch am Boden, ich wusste einfach nicht mehr was ich jetzt noch denken soll. Warum Gefühle zu jemanden aufbauen, wenn sowieso alles immer auf das selbe hinausläuft. Wieder kamen diese Gedanken: Hab ich es nicht verdient? Was hab ich falsch gemacht? - Es liege nicht an mir, hab ich mir mal von ihr sagen lassen.

Wir haben immernoch viel Kontakt miteinander, da ist einfach zu viel Vertrauen um jetzt einfach abzuhauen. Ich kann mit ihr über so ziemlich alles reden.
So hab ich erfahren, das Sie eine Freundschaft Plus mit jemanden hat,
sowas käme bei mir absolut nicht infrage, Zärtlichkeit ohne Gefühle? Sowas kann auf dauer nicht funktionieren finde ich. Dann plötzlich ein Hilferuf von ihr, Sie fühle sich plötzlich bei ihm geborgen, sie hat Gefühle bekommen - Sie will den Kontakt abbrechen, Sie will die Gefühle unterdrücken.

Paradox, ausgerechnet ich soll ihr jetzt einen Rat geben, ich hab Sie ermutigt nicht abzuhauen, Sie will es auch nicht - Herz sagt ja Kopf sagt nein. Sie ist sehr verwirrt, hat Angst wieder verletzt zu werden, doch unterbewusst hat Sie dieses Verlangen - nach ihm.

Tja, warum passiert sowas immer mir, zurzeit habe ich das Gefühl ich treffe nur auf Seelische Wracks, Sie machen einen tollen ersten Eindruck, lernt man Sie erst richig kennen, sehe ich wie kaputt Sie wirklich sind.
Ich bin überzeugt davon, dass irgendwann schon die richtige dabei ist, aber das Problem ist, dass mir die Zärtlichkeit, die Verbundenheit zu jemanden einfach fehlt, ich sehne mich danach. Genau das ist aber das Problem, es heißt doch: Braucht man Liebe bekommt man Sie eben nicht. Mir fällt auch auf dass ich mich immer mehr schwer tue wirklich Gefühle zu entwickeln, es sind einfach immer diese riesigen Zweifel da, die mich auffressen.
Ich hab erst diesen einen Satz gelesen der mir richtig aus der Seele zu sprechen scheint: ,,Wenn man Gefühle nicht nährt, dann spürt man sie immer weniger."

Ich muss über diesen Satz schon die ganze Zeit nachdenken.

Tja, machmal frag ich mich wirklich was das Schicksal mit mir vor hat, meine größte Angst ist es, das ich irgendwann emotional so verschlissen bin, dass ich vielleicht meine große Chance verpasse.

Ich wünsche dir schonmal einen Guten Rutsch ins neue Jahr Paul.

Liebe Grüße Tobi

PaulG Anwort von PaulG

Lieber Tobi,

leider erreicht meine Antwort dich erst im neuen Jahr, da ich über die Festtage und Neujahr Probleme mit meiner Internetverbindung hatte, und auch über dein Problem erst einmal nachdenken musste. Ich hoffe auch für dich, dass du gut "hinübergerutscht" bist, und dass 2017 positiv für dich begonnen hat.

Was wir festhalten müssen: Deine Problematik hat sich inzwischen deutlich verändert. Du hast nicht nur inzwischen einige Erfahrungen mit Frauen gesammelt, sondern bist auch insgesamt selbstbewusster und kontaktfreudiger geworden. Zu Beginn unseres Austauschs warst du sehr fixiert auf ein bestimmtes Mädchen und auf ein romantisches Verständnis von Liebe, das nicht falsch ist, aber gefährlich werden kann, wenn man außer Acht lässt, dass Liebe immer auch Enttäuschungen mit sich bringen kann.

Egal, ob wir von Irina sprechen, oder von Helena - ich habe bei beiden Frauen das Gefühl, dass sie dir kein bisschen böse wollen, aber sich selbst nicht so sicher sind, was eigentlich ihr Ziel ist. Bei dir hingegen ist von Anfang an klar: Du bist auf der Suche nach der großen Liebe. Alles, was du einer Frau erweist, ist darauf gerichtet, bei ihr dasselbe starke Gefühl zu erwecken. Was man dir hoch anrechnen kann, ist, dass du keine zu etwas drängst. Andererseits könnte das Problem auch in der Kommunikation liegen. Es schadet nichts, wenn du recht schnell deutlich machst, dass du vorhast, mehr als ein zufälliger Bekannter einer Frau zu werden - und wenn du das auch im Kontakt durchhältst. Du musst ihr nicht stürmisch deine Liebe gestehen, und sie auch nicht mit Komplimenten überhäufen. Aber sie sollte wissen, dass du dich in sie verliebt hast, und dass das, was du ihr tust, aus Liebe geschieht. So kommt sie nämlich auch nicht auf den Gedanken, das selbstverständlich zu nehmen (dieser Versuchung erliegen wir alle gern), sondern empfindet es auch als Verpflichtung, dich vor klare Fakten zu stellen. Weder Helena noch Irina ist das gelungen, und ich vermute, auch deshalb, weil du beiden erst relativ scheibchenweise und spät deutlich gemacht hast, wohin es von deiner Seite eigentlich gehen soll.

Es mag sein, dass ihre Probleme psychischer Art sind. Wer aber schlechte Erfahrungen gemacht hat, oder unter Depressionen leidet, der sollte sich immer auch klar sein, dass es sehr bequem sein kann, sich auf gehabte oder bestehende Probleme zurückzuziehen, um die Fragen seiner Mitmenschen nicht beantworten oder keine Verantwortung übernehmen zu müssen. Wenn du die Bedeutung nicht unterstreichst, die du für jemanden haben willst, gerätst du in Gefahr, dass die Person zu spät realisiert oder sich gar nicht fragt, ob sie diese Bedeutung für dich auch haben möchte, und ob du für sie das sein sollst. Zwischen "süß" und "nett" können Welten liegen, und du hattest das Pech, bislang primär "nett" gefunden zu werden. Sicherlich hatten beide Mädchen für dich in irgendeiner Form Gefühle; vielleicht hast du es ihnen aber auch leicht gemacht, keine Entscheidung zu treffen, weil du zwar interessant bist, dich aber nicht interessant genug gemacht hast. Das erreichst du weder, indem du devot bist und auf alles eingehst, noch, indem du (was du ja zu Recht vermeidest) den Macho raushängen lässt. Wir Männer erleben das ja auch: Es ist bequem, sich nicht festlegen zu müssen. Dass man damit jemandes Gefühle verletzt, ist oftmals zweitrangig - es sei denn, man wird vor eine klare Wahl gestellt.

Du kannst stolz auf dich sein, beiden Mädchen mit ihren psychischen Problemen zur Seite gestanden zu haben. Zwar hast du immer noch nicht erreicht, was du wolltest, aber etwas ebenfalls sehr Wichtiges gewonnen: Die Erfahrung, dass du für Frauen interessant bist, und einen Kontakt halten kannst, aus dem dann mehr werden kann. Im Übrigen, täusche dich nicht: Dass du dich so rücksichtsvoll verhältst, macht ja auch die Runde, und so hast du bei deiner nächsten Freundin gleich etwas Gesprächsstoff. Wo ich entschieden Einspruch erheben möchte, ist, dass die Liebe - oder die Fähigkeit dazu - sich quasi "verbraucht". Jede Beziehung ist anders, und jeder Mensch gibt dir andere Dinge, und setzt dir auf andere Weisen auch zu. Bisher hast du eher platonische Lieben erlebt; aber du hättest ja auch diese nicht haben wollen, wenn Helena und Irina nicht in ihrem Wesen und ihrer Persönlichkeit etwas gehabt hätten, was dich anzog. Selbst wenn du nur mitnimmst, welche Eigenschaften du dir bei deiner künftigen Partnerin wünschst, mit welchen Dinge du dich vielleicht arrangieren kannst und mit welchen auf keinen Fall, ist das schon viel wert. Im Moment durchzieht der Frust deine Tage, wieder nichts ans Ziel gekommen zu sein. Aber es ist immerhin besser, zu wissen, dass es greifbar ist, statt es in weiter Ferne zu wissen und nur träumen zu können. Und nicht zuletzt - vielleicht ist auch in deiner "Beziehung" zu Irina das letzte Wort nicht gesprochen. Welchen Rat du ihr geben kannst - wobei du das vermutlich schon hast - kann ich dir schwer sagen, da ich sie nicht kenne. Wenn du es aber wissen möchtest, was ich tun würde, und was meiner Meinung nach euch beiden am besten täte, dann sind es genau meine Worte von vorhin: Schreib ihr, dass du das alles gerne für sie getan hast, aber dass sie reflektieren soll, was sie mit ihrer Unentschlossenheit anrichtet. Liebe ist nämlich immer auch mit Verantwortung verbunden. Man kann nicht auf allen Hochzeiten tanzen, und man muss abwägen, wer oder was einem wichtiger ist. Und dafür einstehen, wenn jemand nicht alles bieten kann, was man sich gerade wünscht. So wie du es ja auch für sie getan hast. "Ich kann mich nicht entscheiden" ist oft genug ein anderer Ausdruck für "Ich will mich nicht entscheiden" - und das zu merken, ist schmerzhaft. Aber man kann es dem Menschen, der der eigene Partner sein soll, auch nicht ersparen, ehrlich zu sein - auf die Gefahr hin, dass es nicht leicht für ihn ist. Aus diesem Grund bist du ja als Partner da, um zur Seite zu stehen. Aber mehr als anbieten kannst du es nicht.

Ich kann dir nur raten, im neuen Jahr mit ungebrochener Energie dein Ziel zu verfolgen, und dich nicht von deinen Erfahrungen einschüchtern zu lassen. Denn andere Männer hätten vielleicht eher einen Schlussstrich gezogen als du, und etwa Irina mit ihren Problemen allein gelassen; das hast du nicht getan. Du hast genau das Verantwortungsbewusstsein, um das es geht, dass man einen Menschen, dem man einen Platz in seinem Leben eingeräumt hat, und der einen in sein Leben gelassen hat, auch begleiten muss. Du aber hast letztlich sogar noch ein schlechtes Gewissen, ohne dass es einen Grund gibt. Es ist nun mal nicht daran zu rütteln, dass Irina und Helena sehr unentschlossen und wenig hart gegen sich selbst sind; das können nur sie selbst ändern. Du aber hast nun gelernt, wo du künftig auch eine Ansage machen musst, damit die Leute wissen, in welchen Verhältnissen sie sich bewegen. Du kannst nicht unbegrenzt die Schulter zum Anlehnen sein, denn dann fällst du selbst ins Bodenlose. Wenn du deine Wünsche (und Rechte) nicht auch benennst, erzeugst du die Versuchung, so zu tun, als gebe es sie nicht. Und irgendwann wird dir dann nur noch bleiben, die Flucht zu ergreifen, weil du in der Tat völlig verbraucht bist. Und es wird für beide Seiten nur Schmerz bedeuten. Ich glaube, das ist es, was Irina eigentlich meinte - auch wenn sie selbst nicht ganz ehrlich zu sich ist: Sie macht genau das mit dir. Sie bringt die Liebe an einen Punkt, an dem sie vor sich selbst fliehen muss, weil sie vergiftet ist von unrealistischen Ansprüchen, Bequemlichkeiten und schönen Lügen, von aufgeschobener Sehnsucht und hinuntergeschlucktem Ärger. Und daher solltest du auch im Hinterkopf behalten: Wenn dich das Leben an diesen Punkt führt, dann gehe den entscheidenden Schritt und brich die Zelte ab. Nur so kann, wenn die Person merkt, was falsch gelaufen ist, vielleicht irgendwann ein Neuanfang gelingen. Bist du mit Irina jetzt an diesem Punkt? Tut der Kontakt zu ihr dir noch gut, oder kannst du, wenn sie sich nicht klar für dich entscheidet, ihre Unentschlossenheit eigentlich nicht mehr schultern? Ein Mann, ein Wort, Tobi - auch das gehört zur Liebe, auch wenn es für dich selbst schmerzhaft ist. Schluss machen aus Liebe und trotz Liebe - auch das gibt es. Aber du allein musst und kannst entscheiden, was dieser Kontakt für dich bedeutet, und was daraus noch werden kann oder soll.

Ich wünsche dir ein gutes Jahr, voller sinniger Erkenntnisse und schöner Erfahrungen. Vergiss nie - Beziehung ist etwas Beidseitiges. Wenn du nicht betonst, was du brauchst und wie viel du höchstens leisten kannst, oder dich darin korrigierst, bereitest du im Endeffekt einem Verhältnis den Boden, in dem du, ohne es zu wollen, ein Stück weit ausgenutzt wirst. Ich hoffe, du kannst weiterhin zu dir stehen, und findest den Mut, auf Menschen zuzugehen, und besitzt weiter die Größe, für Andere da zu sein - einfach, weil du glaubst, dass sie es wert sind. Denn das ist etwas Besonderes.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul