Anwort von Nuala

Liebe Michelle,

super, dass du dich an uns wendest! Das ist sicher ein guter Zeitpunkt, um den Prozess zu deinen Gunsten zu verändern.
Ehrlich gesagt schrillen bei mir gleich mehrere Alarmglocken. Wörter wie "Blockade", "Kotzgrenze" und "Kalorienüberschuss" klingen schon ziemlich ungesund und auch abwertend dir gegenüber... doch eines nach dem Anderen.

Also das Eine ist, dass es erst mal eine häufige Stressreaktion des Körpers ist, keinen Appetit zu haben bzw. wenig zu essen. Wenn das nur vorübergehend ist und nicht zu wenig Nährstoffe aufgenommen werden, ist das noch nicht so schlimm.
Du schreibst, dass es dir durch ihn auch besser geht. Das ist gut und ich glaube dir gerne, dass du dich in nächster Zeit wieder "aufstellen" würdest, wenn nicht euer aktuelles Problem wegen deines Gewichtes zwischen euch stehen würde.
An dieser Stelle kann ich dich darin bestärken, weiter das zu tun, was sich für dich stimmig und wohltuend anfühlt! Gerade nach einer kräfteraubenden Phase ist es wirklich wichtig für Körper, Geist und Seele, zur Ruhe zu kommen und die Sachen machen zu können, die Spaß und Genuss verheißen.
Ausgewogene Ernährung gehört natürlich auch dazu - klar. Noch grundlegender finde ich es, genau auf den eigenen Körper zu hören und das zu essen, was er wirklich braucht. Also wenn du z.B. merkst, dass du gern eiweißhaltige Lebensmittel essen möchtest, solltest du dich nicht zügeln! Dein Körper hat seine ganz eigene Weisheit und ist dein bester Ratgeber - nicht irgendwelche Kalorientabellen. Du kommst damit viel eher aus deinem natürlichen Takt und wirst dir selbst fremder. Das ist gefährlich! Denke an Essstörungen, die fangen leider ähnlich an. Falls du merken solltest, dass dein Essverhalten schon irgendwie gestört sein könnte, solltest du dir professionelle Hilfe suchen, um die tieferen Ursachen herauszufinden und dir zu einem für dich passenden Essverhalten zu verhelfen.
Es ist definitiv NICHT ratsam, extra mehr Kalorien aufzunehmen, nur um zuzunehmen!

Die andere Alarmglocke schrillt bei mir, wie dich dein Freund behandelt.
Ihr seid frisch zusammen, erst drei Monate, und du sprichst von Liebe, zumindest von deiner Seite. Ich will ihm nicht absprechen, dass er dich sehr gern hat. Doch eines fällt mir leider negativ auf: Er sieht in dir wohl gerade einen Menschen, mit dem er aktuell keinen Sex haben möchte, weil du nicht seine Vorlieben verkörperst (im wahrsten Sinne des Wortes!). Hm, frag dich selbst: Wenn du deinen Partner liebst, doch dieser zeitweise zu - oder abgenommen hätte, würdest du ihn derart ablehnen? Es ist ja in Ordnung, manche Dinge nicht so schön zu finden. Das darf auch gern vorsichtig angesprochen werden, sofern sich daran realistisch etwas verändern ließe (z.B. mehr Körperpflege).
Nur: Er weiß doch genau, dass dein Abnehmen vom Stress kommt! Das bedeutet, dass ihm bewusst sein dürfte, dass es kein für immer festgelegter Status ist.
Und: Du schreibst, dass du schon immer schlank warst, d.h. Rippen und Knochen waren sicherlich schon zu Beginn eurer Beziehung fühlbar. Also ist das irgendwie seltsam, dir das jetzt so vorzuhalten. Anders wäre es, wenn du vorher deutliche weibliche Rundungen gehabt und dich gezielt "heruntergehungert" hättest, dann würde ich ihn eher verstehen.

Und was mich an der Sache am meisten stört: Anstatt dir liebevoll beizustehen, sich selbst zurückzunehmen (auch sexuell!) und dir zu helfen, endlich stressfreier zu werden, entspannen zu können, macht er dir neuen Stress! Er macht dich indirekt dafür verantwortlich, dass er keinen Sex mehr mit dir will und erzählt noch von anderen Frauen, die er heiß findet. Also nichts gegen offene Beziehungen, wenn beide das möchten! Doch ist ihm bestimmt klar, dass du das nicht ertragen kannst, wenn er solche Gedanken äußert. Mich stört dabei, dass es so vorgeschoben klingt.

Sorry, aber entweder ist er kein bisschen einfühlsam - oder es stimmt etwas ganz gewaltig nicht in eurer Beziehung. Wäre er mitfühlend, würde er dich in den Arm nehmen, dir zuhören und den Sex hinten anstellen. Zumal ihr ja gemeinsam andere Wege der Sexualität beschreiten könntet. In einer stabilen Beziehung geht es zwar auch um Sex, doch wenn die Basis nicht stimmt, ist alles auf Dauer verloren.

Das führt mich zu seiner Idee mit der offenen Beziehung: Das kann NUR funktionieren, wenn
a) das beide von ganzem Herzen wollen
b) viel Vertrauen vorhanden ist
c) eine gesunde Beziehung mit viel Wertschätzung, konstruktiver Kommunikation und gutem Umgang mit Schwierigkeiten/Krisen vorhanden ist.
Du willst keine offene Beziehung, also ist die Lage klar. Du willst eine monogame Beziehung und das ist völlig in Ordnung!

Du kannst versuchen, ihn zu mehr Nachsicht und Entgegenkommen zu bringen, indem du ihm die Zusammenhänge darlegst: Mehr Entspannung --> gesundes Essverhalten --> gesunder Körper/Idealgewicht --> mehr Spaß beim Sex. Das ist allerdings sehr einfach gedacht...

Die Frage ist für mich tatsächlich, ob es wirklich nur an deiner Gewichtsabnahme liegt. Ich vermute leider, dass das nur ein oberflächliches Symptom für ein tieferliegendes Problem zwischen euch ist.
Das denke ich deswegen, weil ich es sehr ungewöhnlich finde, dass nach drei Monaten Beziehung solche Themen aufkommen. In den ersten Monaten sind die Pärchen eigentlich derart berauscht voneinander, im Hormonrausch sozusagen. Rosarote Brille, Partner:in ist der:die Tollste, viel Lust auf Nähe und Sex. Da kann ich mir nicht vorstellen, dass die Gewichtsabnahme derart stark wirkt, dass es ihn komplett abtörnt. Eben weil bei Verliebtheit der ganze Mensch als extrem anziehend und attraktiv gesehen wird... außer es ist keine echte Verliebtheit. Also angenommen, beide fahren total aufeinander ab, werden Makel in der Regel einfach ausgeblendet. Typischerweise kommen solche "Unzufriedenheiten" erst in deutlich späteren Beziehungsphasen auf, oft erst nach mehreren gemeinsamen Jahren.

Mir stößt es auch sauer auf, dass der Sex für ihn so zentral ist - zentraler als deine Gesundheit und dass du Spaß hast. Denn sicherlich willst du auch gern mit ihm schlafen, "darfst" aber nicht. Sehr egoistisch. Dahinter steckt wieder diese Logik, dass Frauen sexuell verfügbar sein sollen, immer "gut aussehen" müssen und der Mann sich sexuell befriedigt wissen will, was die Frau will, ist dann nebensächlich. Ganz großes Kino.
Dass er mit dem Vorschlag einer Beziehungsöffnung unter den gegebenen Umständen ankommt, ist für mich ein weiterer Hinweis darauf, dass eure Beziehungsgrundlage schlicht nicht tragfähig ist.

Ich weiß, das liest sich bescheiden, doch würde ich dich bitten, das wirklich zu überdenken - und mit deinem Freund zu besprechen. Denn was nützt es dir, wenn ihr ein Paar bleibt, du vor dich hinleidest, dein Essverhalten künstlich umstellst und dich damit total aus deiner Mitte reißt - und du dann (sowieso) verlassen wirst, weil es zwischen euch nicht passt?! Klar, das ist jetzt sehr schwarzmalerisch, doch sehe ich in erster Linie deine psychische und körperliche Gesundheit als das Wesentliche an und nicht die Beziehung bzw. Sex, der "gerettet" werden müsste.

Also: Bitte höre auf DICH! Ordne deine Bedürfnisse nicht seinen unter und bitte hör auf, Kalorien zu zählen und dir ein krankes Essverhalten anzugewöhnen!

Sprich mit ihm, ob er dich wirklich rundum mag - wenn er wirklich an dir hängt, wird er es schaffen, ein paar Verhaltensweisen anzupassen, um dich mehr zu stützen, als dich zusätzlich zu belasten.
Und wenn es dir wieder richtig gut geht, kannst du ihm bestimmt auch wieder voll zur Seite stehen, wenn er Nöte hat. Doch jetzt bist du dran, nicht er!
Und falls die Bilanz negativ ausfällt und er nicht bereit ist, wirklich für dich da zu sein, lass' es mit der Beziehung. Du hast es verdient, so geliebt zu werden, wie du bist, mit allen Ecken und Kanten und schlechten und guten Lebensphasen.

Ich wünsche dir alles Liebe und besonders viel Entspannung und neue Energie!
Nuala