Problem von Jessy - 16 Jahre

Abhängig von der Mutter

Ich werde in diesem Jahr 17. Da ich noch nicht volljährig bin, bin ich abhängig von Mama. Das Problem ist leider, dass ich ein Beruf ausüben möchte, das entweder nur durch die Uni geht oder durch das Ausland, sowohl auch entfernte Städte wie München oder so. Meine Ma sagt mir wenn ich auf die Uni gehe bin ich schon um die 25. Und da sollte ich schon eigentlich eine Familie haben. Sie kann mich nicht Mal fürs Blockunterricht nach XXX lassen, wegen der Angst um die Flüchtlinge, wegen den Vergewaltigungen und so. Ich bin so schon eine ziemlich introvertierte und schüchterne Person, weshalb ich weder auf Partys gehe noch rauche oder trinke oder Drogen nehme. In ihrem Alter war sie genau das Gegenteil von mir. Ich kann mit ihr nicht immer normal reden, wobei ich immer mit ihr auf Diskussionen stoße. Sie ist eine Person, die nicht viel Liebe von meiner Oma bekommen hat, deshalb verstehe ich sie auch ein bisschen und habe Mitleid mit ihr. Wegen den Verhältnissen zwischen meiner Oma und Mama von früher, verstehe ich bis heute nicht wieso sie meine Umarmung nicht erwiedert, obwohl ich eine Person bin, die sehr viel gekuschel braucht. Sie lässt sich zwar umarmen, aber umarmt mich nicht und stoßt mich gleich ne Sekunde drauf weg. Ich verstehe es einfach nicht. Wenn ich Mama wäre und ich weiß dass ich von früher keine liebe bekommen hatte, schenkt man denn nicht umso mehr den Kindern, dass was man nicht bekommen hatte. Ich sprach sie darauf mehrmals an und sie erklärte, dass sie es einfach nicht kann und es tut ihr auch leid. Nur manchmal da gibt sie mir die Umarmung nur dann, wenn ich sie am wenigsten brauche, in dem Fall wenn ich sauer auf sie bin oder alleine sei will. Ich weiß nicht was für Probleme sie hat und ich bin schon am Verzweifeln, weil in dem Fall reden bei ihr nicht ankommt. Ich bitte hier nicht damit sich das Jugendamt einschaltet. Ich will nur Rat und jemanden zum Reden, da ich keine Freunde habe und meine Verwandten sie schlecht reden. Ich brauche nur Rat und das Leben ein bisschen besser zu gestalten was Mutter und Kind betrifft und was ich tun kann damit meine Ma nicht so an mir klebt. Sie lässt mich nicht Mal zwei Minuten nach oben gehen. Als ob ich ein kleines Kind wäre und etwas Schlimmes anrichte, ich brauche meine Privatsphäre sei es auch nur für eine Stunde. Ich hoffe sie wissen was ich tun kann.

Nuala Anwort von Nuala

Hallo Jessy!

Ich bin vollkommen bei dir, dass du das Verhalten deiner Mutter besser verstehen und ein angenehmeres Verhältnis zu ihr haben möchtest. Gleichzeitig hast du den Wunsch, freier zu werden und deinen eigenen Weg einschlagen zu können.
Ich habe deine Schilderung in verschiedene Bereiche unterteilt und schreibe dir jeweils etwas dazu.

- Abhängigkeit: Streng genommen bist du nicht von ihr abhängig, sie steuert nur durch ihr Verhalten dein Denken und Handeln. Mach dir darum bitte klar, dass du ein eigenständiger Mensch mit eigenen Bedürfnissen, Gefühlen und Vorstellungen bist. Du kannst die allermeisten Dinge gut allein entscheiden und bist ihr nicht hilflos ausgeliefert! Erst wenn du das wirklich verinnerlicht hast, kannst du beginnen, deine Grenzen zu verteidigen. Du bist deine eigene Herrin - egal, was sie dir einreden will.

- Mangelnde körperliche Zuneigung: Wenn deine Mutter als kleines Kind gelernt hat, dass es wenig bis keine Streicheleinheiten gab - sie also von deiner Oma wenig Liebe bekam, war es für sie schlicht normal. Sie hat es als "Standard" abgespeichert und kennt es nicht anders. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sie dich genauso behandelt. Es muss ihr sehr schwer fallen, entgegen ihrer eigenen Erfahrungen zu handeln. Deswegen wahrscheinlich nur diese kurzen "lieblosen" Umarmungen. Das kann auch erklären, warum sie dich genau dann umarmt, wenn du es am wenigsten möchtest: Weil dann dieser Erwartungsdruck wegfällt.
Vielleicht schafft ihr es, Kompromisse zu finden: Hand halten, Augenkontakt, am Arm streicheln. Frag sie, ob du sie umarmen darfst. Achte auf ihre Reaktionen. Du kannst ihr ruhig sagen, dass du merkst, wie schwer es ihr fällt und du darauf Rücksicht nehmen möchtest. Sie hat bestimmt die Bereitschaft, dich zu umarmen, nur wird sie durch ihre eigene Lernerfahrung stark an der Umsetzung gehindert. Mach dir bitte bewusst, dass sie dich liebt, auch wenn sie dir nur begrenzt körperlich nah sein kann! Es hilft ihr vermutlich, wenn du möglichst wenig Erwartungen an sie stellst. Das nimmt den Druck, so zu handeln, wie es "eigentlich" von einer Mutter verlangt wird.
Falls es körperlich dauerhaft zu unbefriedigend ist, solltest du dich auf eure grundlegende Verbindung fokussieren. Ihr liebt euch, auch wenn es nicht so einfach zwischen euch ist. Das Band in euren Herzen besteht trotz Ängsten und Konflikten! Halte dir dies stets vor Augen und lasse dich davon innerlich wärmen.

- Wenig Privatsphäre: Das ist definitiv eine harte Nuss. Du brauchst unbedingt deine Freiräume! Gib nicht auf, diese für dich zu erobern! Es gibt hierzu zwei grundlegende Strategien: Einerseits dein Zimmer als Tabuzone für sie zu erklären, andererseits, dass sie öfter eure Wohnung/euer Haus verlässt. Dazu unten nochmal ausführlicher.

- Ausbildung/Studium: Ich finde es super, dass du schon jetzt so klare Vorstellungen hast. Das sind beste Voraussetzungen, weil du deine Noten entsprechend danach ausrichten und schon Vorbereitungen treffen kannst. Lass dich nicht beirren, deine Träume zu verwirklichen. Es wäre fatal, wenn du eine andere berufliche Richtung einschlagen würdest, nur um deiner Mutter einen scheinbaren Gefallen zu tun!
Natürlich ist es Quatsch, dass Geflüchtete dich vergewaltigen, nur weil du in eine große Stadt ziehst. Das sind gefährliche Vorurteile, die nur weitere Ängste hervorrufen. Mit der Realität haben sie kaum etwas zutun. An solchen Punkten musst du entlarven, dass deine Mutter so etwas sagt, um dich gefügig zu halten und ihre Angst zu deiner zu machen. Es sind Druckmittel, keine Tatsachen!

- Introversion/Schüchternheit: Hier ist es wichtig, dass du lernst, genau zu unterscheiden: Was bist DU und was kommt von außen, von deiner Mutter? Höre auf deine innere Stimme und gib dir die Zeit und die Möglichkeiten zur Entwicklung, die du brauchst. Wenn du gerne für dich allein bist, nimm dir den Raum. Aber versuche, auch mit anderen (ruhigen) Menschen in Kontakt zu kommen.
Es ist übrigens nicht erstrebenswert, all die klischeehaften Dinge zu tun, die mit dem Jugendalter in Verbindung gebracht werden. Rauchen ist einfach dumm, also lass es. Auf Partys gehen kann toll sein, wenn man sich danach fühlt. Alkohol und andere Drogen muss man nicht ausprobieren, um als "echter" Jugendlicher zu gelten. Viel ist Gruppenzwang und hat wenig Substanz. Probiere nur das aus, worauf du neugierig bist und dir wirklich behagt. Oder lass es bleiben. Entscheidend dabei ist, dass du zu guten Urteilen gelangst, die du selbst für dich gefunden hast.

Aus all den Punkten, die du genannt hast, spricht eine umfassende Angst deiner Mutter, dich einerseits zu verlieren, wenn sie dich wegziehen lässt, aber gleichzeitig Angst vor Nähe, zu großer Intimität. Das ist ein schwieriger Konflikt, den ihr beide nur mit viel Geduld und aktivem Tun etwas abmildern könnt. Vor allem deine Mutter ist hier gefragt. Sie sollte sich bewusst werden, dass sie dich insgesamt in deiner Entwicklung blockiert, wenn sie dir Angst vor (unberechtigten) Dingen macht und dir zu wenig Raum lässt. Am besten wäre es, wenn sie sich professionelle Unterstützung in Form eines Coachings oder einer Therapie holen würde, weil bestimmt viel mehr hinter all diesen Erscheinungen steckt. Doch ob du sie dazu bewegen können wirst, ist fraglich. Daher solltest du in erster Linie bei dir selbst ansetzen und dein eigenes Handeln verändern:
* Auch wenn es mühsam und stressig ist: Gib nicht nach, wenn es um deine Belange geht! Diskutiere mit ihr und setze viele, viele Grenzen! Sie hat nicht über deine Bedürfnisse zu entscheiden.
* Gib deiner Mutter zu verstehen, dass du sie liebst und einem guten Verhältnis interessiert bist. Dass dies aber nur weiter bestehen kann, wenn auch sie an ihrem Verhalten arbeitet.
* Zeige ihr, dass sie sich auf dich verlassen kann - sie gibt dir Freiraum und du kommst ihr entgegen, indem du sie unterstützt. Handle mit ihr z.B. aus, dass du am Abend bis 20 oder 21 Uhr (oder länger...) ausgehen darfst. Sei dann absolut pünktlich oder sogar früher wieder da, damit sie spürt, dass du verlässlich bist. Nutze das Weggehen für neue Kontakte und deine Weiterentwicklung, z.B. indem du deinen Interessen nachgehst.
* Setze deinen Wunsch nach Privatsphäre konsequent in die Tat um! Du kannst z.B. sagen: "Mama, ich weiß, dass du Angst um mich hast, doch brauche ich jetzt einfach meine Ruhe und mir passiert nichts Schlimmes, wenn ich in meinem Zimmer bin. Bitte lass mich jetzt allein."
* Wenn du die Geduld hast: Frage immer wieder nach, wovor sie sich fürchtet, wenn es um Situationen geht, in denen ihre Verbote und Grenzüberschreitungen ziemlich lächerlich sind. Vielleicht hilft ihr das, deine Grenzen zu wahren und sich mehr auf sich zu besinnen.
* Versuche, ihr Aktivitäten außerhalb eures Wohnraums schmackhaft zu machen - sodass du dann auch mehr Zeit allein zuhause verbringen kannst. Natürlich könnt ihr auch gemeinsam draußen etwas unternehmen. Das sorgt für Abwechslung und dadurch Ausgeglichenheit und gegenseitiges Vertrauen.
* Halte unbedingt an deinen beruflichen Vorhaben fest und bereite dich innerlich entsprechend darauf vor.
* Lass dich nicht mehr als nötig von ihren Ansichten beeinflussen. Es ist ganz dir überlassen, wie du deine Zukunft gestaltest, ob und wann du eine Familie gründest usw.
* Konzentriere dich darauf, Kontakte zu Gleichaltrigen zu knüpfen, indem du z.B. einem Verein beitrittst oder dich in der Schule nach Gleichgesinnten umsiehst. Auch via Internet kannst du andere Menschen finden, denen es ähnlich geht wie dir.
* Schau dich im Lauf der kommenden Jahre nach einem Liebespartner/einer Partnerin um, mit dem/der intensives Kuscheln und Zärtlichkeit möglich sind. Natürlich kommen hier auch Freund:innen in Frage.
* Ziehe aus, sobald du volljährig bist. Das ist oft die Radikalkur, die zumindest den betroffenen Kindern hilft, endlich ein eigenständiges Leben führen zu können.

Ich wünsche dir, dass sich euer Verhältnis im Laufe der Zeit entspannt und du all deine Pläne in die Tat umsetzen können wirst.

Alles Liebe!
Nuala