Problem von Lieber nicht - 27 Jahre

Abschotten von der Welt

Hallo liebes Kummerkasten Team,

eines vorweg Ihr leistet hier wirklich tolle Arbeit. Und ich entschuldige mich vorab für diesen langen Text.

Ich möchte hier um Rat suchen da ich wiedermal in ein großes Loch gefallen bin.
Erstmal zu meiner Person, ich bin 27 jahre alt und bin stark depressiv, nehme meine Medikamente ein und stand für eine gewisse Zeit Recht bodenständig in meinem Leben.

Meine vorletzte Beziehung mit einer Borderlinerin dauerte über vier Jahre (den Knacks lasse ich mal außer acht) und bin von einer in die nächste Beziehung gerutscht (1 Jahr depressive).

Wir wollten zusammenziehen und ein neues Leben aufbauen, nun ist es so daß sie mich 2 Wochen vor dem Umzugstermin sitzen lassen hat und ich hier nun in einer auseinander genommen und gekündigten Wohnung, diesen Text hier verfasse.
Ich schlafe wahrscheinlich irgendwann unter einer Brücke und zerflücke mir grade meinen Kopf warum ich immer wieder an solche Menschen gerate die mir vorgaukeln mich zu lieben.
Es ist so das ich für meinen Partner alles tun würde und mir ein Bein ausreiße für deren Glück oder Problemen. Ich verstehe nur nicht wie man von einem Tag zu dem anderen die doch so große "Liebe" dem gegenüber verlieren kann. Ich habe mit Sicherheit Fehler gemacht wewegen die Beziehungen in die Brüche gegangen sind, aber was ich von mir mit Sicherheit sagen kann ist das ich von Grund auf ein herzensguter ehrlicher Mensch bin.

Kann es sein das ich mir unabsichtlich kaputte Menschen auspicke oder die mich finden?? Warum sollte man vertrauen gegenüber jemanden empfinden wenn es doch nur geheuchelt ist, fährt man nicht besser wenn man eine große Mauer um sich zieht?

Gott sei Dank habe ich noch meine Arbeit, der momentan einzige Grund halbwegs weiter zu machen. Wenn es denn meine Psyche zulässt.

Jetzt die eigentliche Frage, kann ein Mensch ohne jegliche Freunde und soziale Kontakte (außer der Familie) überhaupt überleben?

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du!

Ich kann gut nachempfinden, wie niedergeschlagen und verlassen du dich fühlst. Und wie enttäuscht.
Und um gleich deine letzte Frage zu beantworten: Wenn ein Mensch nicht aus vollkommen freien Stücken das chronische Alleinsein wählt, wird es sich in irgend einer Form negativ bemerkbar machen. Die allermeisten Personen wollen einen stabilen Freundes - und Bekanntenkreis oder wenigstens ein - oder zwei nahestehende Menschen in ihrem Leben haben. Wir sind eben soziale Wesen und brauchen den Austausch und die Nähe. Allein schon der Hautkontakt ist sehr wichtig. Darum werden viele Leute seelisch und körperlich krank, wenn sie zu lange ohne sichere Beziehungen sind oder ständig enttäuscht und ausgebeutet werden.

Deine Arbeit ist momentan eine zentrale Ressource für dich. Erfreue dich daran! Sag nicht: "Ich habe nur meine Arbeit, der Rest meines Lebens ist sch...". Das erzeugt nur wieder dieses miese Gefühl, das das Schlechte aufrecht erhält. Sag dir stattdessen: "Ich habe eine erfüllende Arbeit. Ich erfreue mich daran. Ich werde nun weitere schöne Bereiche in mein Leben einbauen."

Du hast eine weitere wichtige Frage gestellt: Warum du immer wieder an solch "zerstörerische" Leute gerätst. Ich denke, in diese Richtung solltest du forschen. Dazu zwei beispielhafte Fragen, die du dir stellen kannst: Machst du dich nieder oder bist du fair zu dir selbst? Siehst du deine Talente, deine Leidenschaften - oder betonst du deine Macken und das, was du nicht so gut kannst?...
Das sogenannte Resonanzprinzip besagt, dass das, was uns geschieht, mit uns selbst zutun hat. Also angenommen, du behandelst dich selbst schlecht und stellst dich hintenan, werden das Andere auch so mit dir machen - du ziehst sie förmlich in dein Leben. Bist du allerdings mit dir in Balance, siehst dich in Würde und Selbstliebe (was nicht heißt, alles an sich toll zu finden, sondern sich grundlegend menschlich anzunehmen und sich im Gesamten mit allen Stärken und Schwächen zu sehen), können ebensolche Menschen zu dir kommen. Weil sie spüren, dass sie bei dir "richtig" sind. Ich denke, in vielen Büchern und auch im Internet kannst du dir dazu einige Anregungen holen, z.B. hier: https://www.zeitzuleben.de/das-resonanzprinzip/
Es ist gar nicht so leicht, da selbst auf alles zu stoßen. Da du auch schreibst, dass du depressiv bist, solltest du dein Anliegen bewusst im therapeutischen Rahmen thematisieren.

Bitte, bitte fahre keine Mauer hoch. Das ist absolut kontraproduktiv! Das machen leider viel zu viele Leute - mit dem Ergebnis, dass es zu oft Heuchelei, Enttäuschung und Selbstverleugnung gibt. DAS macht dann wirklich krank - oder noch kränker! Bleibe bitte authentisch. Den Menschen, die es wert sind, kannst du dich ruhig öffnen. Bei den anderen kannst du freundliche Distanz wahren. Niemand verlangt von dir, dass du dein Innerstes nach außen stülpst, wenn du das nicht möchtest. Dein Gefühl ist da der beste Ratgeber. Wenn du dich bei jemandem geborgen fühlst, ihr euch gut austauschen könnt, du verstanden wirst und du spürst, dass es ein großes Interesse an dir gibt, kannst du deine Gefühle und Gedanken frei äußern. Und auch im alltäglichen Miteinander musst du nicht "mauern". Wenn du z.B. bei der Arbeit merkst, dass dir etwas situativ zuviel wird, ist es vollkommen ok, sich für ein paar Minuten zurückzuziehen. Manche gehen auf die Toilette oder kurz draußen spazieren. Wenn dann jemand fragt, kannst du sagen: "Ich musste kurz für mich sein. Jetzt geht es wieder." Oder "Ich wollte gerade nachdenken und habe dafür etwas Zeit gebraucht." Damit verrätst du nicht unnötig zuviel aus deinem Inneren und bist ehrlich und dir selbst treu.

Alles in allem wäre es sehr wesentlich, dass du dich selbst wärmst und wertschätzt - und das fängt damit an, dass du nun ganz viel in deinen Alltag einbaust, das dir Freude bereitet oder zumindest bestehenden Stress mindert. Also dir z.B. deinen Morgen vor der Arbeit so angenehm wie möglich gestaltest, dir mal etwas Besonderes gönnst, das du dir sonst eher verkniffen hast. Oder dich selbst mit einem Aromabad, einer Selbstmassage mit einem feinen Massageöl (sehr wohltuend!) verwöhnst. In dem Bereich gibt es wirklich viele Möglichkeiten. Von Sport in jeder Form über Naturerlebnisse (Waldspaziergang, Tierbeobachtung, Blumen flücken, Botanischer Garten etc.) ist alles denkbar.
Höre auf dein Bauchgefühl. Es wird dir sehr viel sagen, was dir gut bekommen kann. Der Kopf schreit oft viel zu viel dazwischen. Ihn immer wieder bewusst "hinten anzustellen", kann sehr zufrieden und sogar glücklich stimmen!

Und falls du merkst, dass es gerade da schon hakt, auf dein Gefühl zu hören, hast du schon eine tolle Arbeitsaufgabe für dich gefunden: Ab jetzt höre ich bewusst in mich hinein! Ich lerne zu erspüren, was mein Innerstes mir zuflüstert. Das hat einen ganz eigenen Zauber. Und erste Erfolge spornen an, weiter auf sich selbst zu hören, so wird es schrittweise leichter.

Lass es langsam angehen. Du wurdest tief verletzt und bist verunsichert. Das braucht Zeit. Auch deswegen finde ich es wichtig, dass du viel bei dir selbst bist und achtsam mit dir umgehst. Diese Achtsamkeit ist eine Voraussetzung dafür, die für dich passenden Menschen zu finden - oder dich von ihnen finden zu lassen. Denn oft musst du selbst gar nichts aktiv tun, wenn du dein Leben für dich so gestaltest, dass du dich wohl fühlst. Dann kommt vieles "wie von selbst".

Ganz konkret rate ich dir außerdem, deine zukünftigen Beziehungen wirklich nur dann mit einer psychisch kranken Person einzugehen, wenn abgesichert ist, dass diese reflektiert ist, mit ihrer Krankheit verantwortungsvoll umgeht, d.h. sich beispielsweise um ihre Gesundung bemüht, Medikamente einnimmt und/oder regelmäßig ihre Therapiesitzungen wahrnimmt.

Natürlich ist das, was ich dir hier beschrieben habe, nicht mal eben und vollumfänglich zu erreichen. Doch die Reise überhaupt zu beginnen, sich selbst mehr im Positiven zu spüren und sich einfach weiterzuentwickeln, ist schon genau das, was so gut tut. Weil du dann merken kannst, wie sich langsam viele kleine Dinge zu deinem Vorteil verändern werden und dann sogar große Veränderungen geschehen können.

Ich wünsche dir alles Liebe!
Nuala