Problem von V. - 21 Jahre

Schlechter Mensch

Hallo,
Wenn ich alleine bin denke ich viel nach. Es gibt etwas was mich zurzeit sehr beschäftigt.
Ich war als Kind sehr schüchtern, etwas übergewichtig und hatte schon immer wenig Freunde. Ich bin ein totaler Familienmensch und habe immer liebe von meiner Familie bekommen. Ich wurde gut erzogen unf habe immer Respekt vor anderen Menschen gehabt und sie höflich behandelt. Ein liebes Kind eben.

In der Pupertät kam es dann, da wurde mein Geschwisterkind auch geboren, weit dass ich mich selbst als hässlich empfunden habe und als jemand der nichts ist/kann. Habe wenig Kontakt zu anderen Menschen gehabt, wie möglich es haben sich zu der Zeit auch Angststörungen entwickelt. Ich hatte das Gefühl keiner Liebt oder braucht mich. Meine Eltern hatten nur noch Augen für mein Geschwisterchen, was ich heute voll und ganz nachvollziehen kann! Ich war eifersüchtig und komplett unzufrieden mit mir und habe mich gehasst. Diesen Hass habe ich leider oft an andere ausgelassen. War auch für eine kurze Zeit in psychiatrischer Behandlung.

Das alles ist heute etwas anders. Ich habe einen sozialen Beruf und werde dadurch immer offener zu anderen Menschen. Habe abgenommen und fühle mich wohler. Ich kann auch wieder viel mehr Gefühle zeigen und bin sehr emotional. Wenn ich etwas rührendes sehe geht es mir ans Herz und mir kommen Tränen.
Eigentlich mag ich nun den Kontakt mit Menschen, andere erzählen immer wieder was für ein lieber Mensch ich bin und loben mich für meine Höflichkeit und herzensgute Art. (So höre ich es jedenfalls von anderen)
Aber es gibt auch Tage an denen ich Menschen die ich mag oder mit denen ich zu tun habe verstoße, zornig und ganz furchtbar aggressiv zu ihnen bin und sie verletze. Sprich, von einem Extrem (gut) plötzlich ins Andere (böse). Wenn mir etwas nicht passt spüre ich eine Wut in mir.
Ich merke es selber. Wahrscheinlich bin ich dann wieder mal unzufrieden mit mir, es tut mir hinterher so leid dass es mich selber verletzt was ich getan habe. Habe es halt manchmal nicht im Griff.

Aber das schlimmste was ich gemacht habe und keiner weiß ist folgendes:
Ich habe mir damals in meiner eigenen Wohnung ein Haustier angeschafft. Ich liebe Tiere abgöttisch. Besonders diese Art von Tier: Katze.
Ich dachte so habe ich wieder eine Aufgabe, jemand der mir zuhört und jemanden zum kuscheln, jemanden den ich meine Liebe geben kann und andersrum.
Aber es kam mal wieder anders.
Die Katze war sehr anhänglich und hat mich geliebt. Aber sie war zu dem Zeitpunkt in meinen Augen viel zu anstrengend. Folgte mir auf Schritt und tritt. Jede Sekunde kam sie mir hinterher und miaute und wollte meine Aufmerksamkeit.
Ich wollte plötzlich nur noch Abstand.
Die Katze mache Dummheiten, die mich furchtbar wütend machten und das immer öfter (heute weiß ich sie wollte nur meine aufmerksamkeit)
Es fällt mir so schwer darüber zu reden und ich erkenne mich selbst nicht wieder, aber irgendwann fing ich an sie beiseite zu schubsen auch mal etwas heftiger.. Mit Händen und immer wenn sie mir zu nahe kam und ich zu gestresst war habe ich sie sogar mit den Füßen beiseite gestoßen. Ich habe sie auch einmal geworfen.
Also wollte ich so schnell es geht das arme Tier vor mir Monster beschützen und habe es weggegeben. Das alles war zu einer Zeit an der ich wieder sehr mit mir zu tun hatte und oft jedem der mir Zuneigung schenken wollte, verstoßen.

Habe mich dann auch wieder sehr befreit gefühlt als das Tier dann in bessere Hände kam.
Was zur Hölle war nur los mit mir. Ich weiß dass ich einen Fehler gemacht habe. Ich Weine heute noch oft darüber. Ich würde normalerweise nie ein Tier quälen. Ich erkenne mich selbst nicht wieder.
Ich schäme mich und ich sollte dafür bestraft werden.

Einige Zeit ist nun vergangen, ich habe wieder an mir gearbeitet und Prozesse durch gemacht und mir geht es seit einiger Zeit so gut wie noch nie. Nun denke ich über die Zeit mit meiner armen Katze nach.
Und auch über andere Menschen, die ich mies behandelt habe.

Was ist los mit mir. Warum verstoße ich das was mir Liebe zeigen will. Warum habe ich manchmal so ein misstrauen in Menschen.
Wie kann ich alle meine Fehler wieder gut machen..
Wer bin ich überhaupt. Bin ich gestört, gesund, glücklich, unglücklich, schlecht, gut...
Ich fühle mich gerade einfach nur leer.

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du!

Ich freue mich, dass du dich entschlossen hast, deinen Kummer mit uns zu teilen. Du befindest dich offenbar in einer Phase, in der du stark verunsichert bist und du dich völlig zu Recht fragst, was da los ist.

Deine Schilderung liest sich für mich fast wie eine Beichte und dem Wunsch nach Buße. Darüber bin ich ehrlich gesagt ein bisschen erschrocken. Du bist kein Monster! Du bist ein Mensch wie jeder andere auch! Du kannst doch nicht bei jedem Atemzug die Gütigkeit in Person sein?! Es ist doch total normal, mal nicht geduldig, nett und fürsorglich zu sein. Mach dir bitte bewusst, was du da im Grund von dir selbst verlangst.
Die Eskalation mit deiner Katze sehe ich nur als die Spitze des Eisbergs. Darunter liegt viel, viel mehr, das gesehen werden will.

Ich werde das Gefühl nicht los, dass du vor lauter Liebsein vergessen hast, zu dir selbst lieb zu sein. Oder es nie gelernt hast. Wo bleibt deine Selbstliebe? Die Aufmerksamkeit nur für dich, nicht nur für Andere?

Sicher: Es sind tolle und absolut erstrebenswerte Eigenschaften, die du lebst. Doch es kann nicht angehen, dass du dich selbst unverhältnismäßig abstrafst und dir ein schier übermenschliches Verhalten abverlangst. Was nützt es, dein Umfeld mit Liebe zu überschütten, wenn du nicht bei dir selbst anfängst? Das kann nur zu Erschöpfung, Auslaugung und enormen Schuldgefühlen führen. Du hast offenbar einen starken Druck aus dir heraus, der dich aus dem Gleichgewicht reißt.

Vielleicht ist das zu sehr ins Blaue reingeraten, aber zumindest ist es denkbar: Die Katze als Symbol für dich, für dein eigenes Aufmerksamkeitsbedürfnis, das du (noch) nicht wahrhaben willst? Oder viel profaner: Wer dauernd Energie ins Außen gibt, um für andere Leute da zu sein, hat an irgend einer Stelle keine mehr übrig. Und dann kann schon ein kleiner Tropfen das Fass zum Überlaufen bringen... oder anders: Steter Tropfen höhlt den Stein. Deine Katze war beharrlich. Und an ihr konntest du dich situativ besser abgrenzen - wenn auch gewaltsam - und deine Wut rauslassen, als es bei anderen Personen der Fall gewesen ist. Mit Tierquälerei hat das wenig zutun. Es ist häufig so: Hat man z.B. Ärger mit den Vorgesetzten, müssen Familienmitglieder leiden, Tiere, Unbeteiligte, auch wenn das natürlich meistens nicht beabsichtigt und unfair ist... so trivial kann es sein! Und hat nichts damit zutun, dass du "böse" bist.

Was genaukannst du selbst am besten für dich ergründen. Festhalten können wir aber sicherlich, dass deine Gefühle ein Ventil in der Außenwelt gebraucht haben, weil du sie nicht mehr unterdrücken konntest. Das ist gut! Auch wenn deine Katze in dieser Zeit benachteiligt war. Sie hat es überlebt. Es war nicht schön und das weißt du. Es tut dir aufrichtig leid. Damit ist es auch schon gut! Du musst das nicht bis an dein Lebensende als Brandmarkung ertragen und im Staub kriechen. Es ist Zeit, dass du dich innerlich und äußerlich aufrichtest und dich selbst feierst!

So wie du es beschreibst, kann ich mir zumindest vorstellen, dass du richtiggehend auf "das liebe Kind" festgelegt wurdest und diese Rolle stark verinnerlicht hast. Wurdest du wirklich an sich geliebt - oder waren Liebe und Aufmerksamkeit stets an Bedingungen geknüpft? Du schreibst "Wer bin ich überhaupt". Und dein Hinweis auf dein Misstrauen... da ist alles alarmierend. Und passt zu meiner Vermutung, dass du zu wenig du selbst sein durftest. Irgendwas ist da.
Schlimmstenfalls sind jegliche Ausbrüche wie Aggressionen, Querdenken, eigene Meinung, Schluderigkeit etc. systematisch unterdrückt und bestraft worden. Umso heftiger kann es dann aus dir herausbrechen - bzw. bist du umso erschrockener und fühlst dich wie ein grundlegend schlechter Mensch, nur weil du nicht mehr "funktioniert" hast. Doch das sind wichtige Anteile einer jeden Person!

Mein dringender Tipp wäre, dass du in einer psychologischen Beratung oder eventuell sogar einer Psychotherapie ergründest, welchen Anteil deine Erziehung bzw. Stationen deines Lebens an deinem jetzigen Befinden haben. Ab wann bzw. durch welche Faktoren sich das so verselbstständigt hat. Das kann dir langfristig helfen, alte Verhaltensmuster zu erkennen und anders mit ihnen umzugehen. Somit kannst du echte Lebensqualität erlangen, die aus dir selbst kommt. Ganz ohne permanente Nettigkeit.

Zum Thema Schuldgefühle: Wenn du möchtest, kannst du mit den Menschen, denen du einmal Unrecht angetan hast, in den Dialog treten. Überlege dir aber ganz realistisch, wen du tatsächlich unfair behandelt hast und es eine Entschuldigung wert ist. Beispielsweise Geschwister, enge Freund:innen.
Abzugrenzen wäre das von bei wem oder wann es eher deiner Auffassung von Liebsein widersprach, wie du gehandelt hattest. Denn angenommen, du hast einmal vehement eigene Standpunkte vertreten und bist dabei lauter geworden, ist das kein Grund für eine späte Entschuldigung, sondern eher ein Zeichen, dass du durchaus auch mal aus deiner Rolle der "Netten" rauskonntest - was also viel eher einem "natürlichen" Verhalten entspricht.
Auch mit deiner Katze kannst du in Gedanken sprechen, wenn dich das erleichtert.

Nochmal zur Selbstliebe: Niemand, egal ob Mensch oder Tier, kann dir Liebe ersetzen, die du dir selbst vorenthältst. Du allein bist dafür zuständig, deine Bedürfnisse zu erfüllen. Das ist sehr wichtig, das fest zu verinnerlichen. Es ist ein Prozess - und er lohnt sich! Denn so werden nach und nach viele schöne Dinge möglich, die vorher undenkbar waren.

Ich wünsche dir alles Gute!
Nuala